Der Wolf und der Hund
#1
Der Wolf und der Hund

Ein Wolf war in einem langen, strengen Winter völlig abgemagert, und seine Kräfte schwanden immer mehr. Matt und ausgehungert schleppte er sich dahin.
Eine Dogge war ihrem Herrn ausgerückt und strolchte durch die Gegend. Der Wolf wollte sie anfallen, aber die Dogge fletschte die Zähne und knurrte böse. Da besann sich der Wolf auf seine müden, ausgezehrten Knochen; der Kampf könnte zu seinem Nachteil enden. Freundlich grüßte er daher den Hund: "Wie schön und kräftig du bist! Du siehst so gesund und wohlgenährt aus, dein Fell ist vorzüglich gepflegt, verrate mir, guter Freund, wie schaffst du das in diesem endlosen Winter?"

Auf diese schmeichelnden Worte hin wedelte die Dogge stolz mit ihrem Schwanz und sagte hochmütig: "Du armer Schlucker! Hat der Winter dich so erbärmlich zugerichtet? Aber du bist selber schuld an deiner miesen Lage. Meine Vorfahren waren auch so dumm wie du und versuchten sich dürftig in der öden Wildnis durchzuschlagen, anstatt zu den Menschen zu gehen. Viele starben vor Hunger.

Ich bin schlauer als sie und führe ein bequemes Leben. Komm mit mir, mein Herr ist ein feiner Kumpel. Wir gehen zusammen spazieren, balgen uns um einen Stock oder Stein, und täglich füttert er mich mit fettem Fleisch und frischer Milch."
"Und musst du deinem Herrn für das Essen keinen Dienst erweisen? Tut er alles nur aus Liebe zu dir?" erkundigte sich der Wolf, den das satte Leben lockte.

"Nun ja, ich helfe ihm ein wenig", gab die Dogge etwas kleinmütig zu. "Hier und da passe ich auf seine Kinder auf; morgens hole ich in einem Korb das Brot vom Bäcker und bringe meinem Herrn die Zeitung; ich lasse mich von seiner Frau streicheln. Das ist alles! Dafür belohnt er mich reichlich mit feinen Happen.
"Nimm mich mit", bettelte der ausgehungerte Wolf, "wir können uns die Dienste teilen." Und sorglos plaudernd liefen die beiden den Weg zum Haus der Dogge.
"Was hast du um deinen Hals?" fragte der Wolf neugierig und zeigte auf das Halsband, das der Hund trug. "Das hat nicht viel zu bedeuten", meinte die Dogge, "es ist ein Geschenk von meinem Herrn."

"Aber wozu ist es gut?" wollte der Wolf wissen, der misstrauisch geworden war. Die Dogge brummte: "Es ist ganz unbedeutend. Wenn ich mit meinem Herrn ausgehe, so führt er mich manchmal an der Leine, die er an meinem Halsband befestigt. Und des Nachts legt er mich an eine sehr lange Kette, damit ich Haus und Hof vor Dieben schützen kann. Weiter nichts."

"Was sagst du da, du bist nicht immer frei und kannst herumstreifen, wie es dir gefällt?" rief der Wolf fassungslos. "Und das nennst du 'weiter nichts'? Lebe wohl! Ich danke dir für dein freundliches Angebot. Könnte ich auch von morgens bis abends das beste Fleisch genießen, meine Freiheit würde ich niemals dafür aufgeben." Und schnell verabschiedete er sich von der Dogge und ging in den Wald zurück.
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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#2
Schöne Geschichte !
Hab hier auch eine für Euch. Jedesmal wenn sie lese, rinnt mir eine Gänsehaut über den Rücken . . .


Mit den Augen eines Wolfes

Seit den Zeiten, als nur Sonne und Mond uns Licht gaben, kannte ich Dich.
Aus den riesigen und undurchdringlichen Wäldern beobachtete ich Dich.
Ich war Zeuge als Du das Feuer bändigtest und fremdartige, neue Werkzeuge machtest.
Von den Kämmen der Hügel und Berge aus sah ich Dich jagen,
und beneidete Dich um Deine Jagderfolge.
Ich fraß Deine Beutereste und Du fraßt meine.

Ich lauschte Deinen Gesängen und sah Deinen Schatten um die hellen Feuer tanzen.
In einer Zeit, so weit zurück, dass ich mich kaum mehr daran erinnern kann,
schlossen sich einige von uns Dir an, um mit Dir an den Feuern zu sitzen.

Sie wurden Mitglieder Deines Rudels, jagten mit Dir,
beschützten Deine Welpen, hielten zu Dir, fürchteten Dich, liebten Dich.
Und für sehr lange Zeit lebten wir so zusammen,
denn unsere Wesen waren sich sehr ähnlich.
Deswegen hast Du die Zahmen von uns adoptiert.
Ich weiß, einige von Euch respektieren auch mich, den Wilden.
Ich bin ein guter Jäger. Auch ich respektiere Dich.
Auch Du warst ein guter Jäger, ich sah Dich oft, gemeinsam mit den Zahmen, Beute erlegen.
In jenen Zeiten gab es alles im Überfluss. Es gab nur einige von Euch.
Die Wälder waren groß. Wir heulten zusammen mit den Zahmen in der Nacht.
Einige von ihnen kehrten zu uns zurück, um mit uns zu jagen.
Einige von ihnen fraßen wir, denn sie waren uns zu fremd geworden.
So lebten wir zusammen für lange, lange Zeiten. Es war ein gutes Leben.
Manchmal stahl ich von Dir Beute, und Du von meiner.

Erinnerst Du Dich, wie Dein Rudel hungerte, als der Schnee hoch lag ?
Du fraßt die Beute die wir erlegt hatten. Das war unser Spiel.
Es war unsere gegenseitige Schuld. Manche nannten es ein Verbrechen.
Wie viele der Zahmen, wurdest auch Du uns immer fremder.
Wir waren uns einst so ähnlich, aber jetzt erkenne ich einige der Zahmen nicht mehr
und ich erkenne auch einige von Euch nicht mehr.
Du machtest auch die Beute zahm.
Als ich begann, diese zahme Beute zu jagen,
(es waren dumme Kreaturen auf die die Jagd keine Herausforderung war,
aber die wilde Beute war verschwunden),
jagtest Du mich,
und ich verstand nicht warum.

Als Deine Rudel immer größer wurden und begannen,
gegeneinander zu kämpfen, sah ich Eure großen Kriege.
Ich fraß jene, die Du erschlagen hast. Dann jagtest Du mich noch mehr,
denn für mich waren sie Nahrung,
aber Du hattest sie getötet.

Wir Wilden sind nur noch wenige.
Du zerstörtest unsere Wälder und brachtest viele von uns um.
Aber ich, ich jage noch immer und füttere meine versteckten Welpen,
wie ich es immer getan habe.
Ich frage mich, ob die Zahmen eine weise Wahl trafen, als sie sich Euch anschlossen.
Sie haben den Geist der Wildnis vergessen.
Es gibt viele, viele von ihnen, aber sie sind mir so fremd.

Wir sind nur noch wenige und ich beobachte Dich immer noch, um Dir auszuweichen.
Ich denke, ich kenne Dich nicht mehr länger . . .

Brother Wolf: A ForG*tten Promise
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#3
Sehr schön!



Zitat:In jenen Zeiten gab es alles im Überfluss. Es gab nur einige von Euch.

Genau das ist der Punkt. Der überbevölkerte Planet.
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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