Eine wahre Geschichte
#1
Livius Drusus beobachtete fasziniert die vorbeimarschierenden römischen Legionen, die an die Rhône eilten, um den germanischen Stämmen der Kimbern und Teutonen den Weg nach Italien zu versperren. "Eine eindrucksvolle Demonstration römischer Macht!", dachte der Tribun. 4 römische Legionen genügen, um jeden Feind der Welt zu schlagen, egal in welch großer Anzahl er sich ihnen entgegenstellt. Niemand konnte sich mit den Römern messen. Ihre Militärtechnik, Logistik und Kriegstaktik war allen anderen Völkern haushoch überlegen und das hatte sie bisher die ganze italienische Halbinsel, ganz Spanien, Teile Frankreichs, des Balkans, Griechenlands und erhebliche Gebiete in Afrika, Asien und Arabien erobern lassen.

Es war noch lange vor der Zeit der römischen Kaiser, als das hier Geschilderte passierte, noch vor der Zeit, als ein Cäsar oder ein Ch**stus überhaupt geboren wurde. Es war im Jahre 648 nach der Gründung Roms und Rom ist inzwischen 2757 Jahre alt. Nach heutiger Zeitrechnung würde man sagen: Wir schreiben das Jahr 105 v.d.Z. .  Und es ist eine - bis ins kleinste Detail - wahre Geschichte, die ich hier erzähle.

Marcus Livius Drusus war gut gelaunt, denn er hatte gerade geheiratet und zwar die Schwester seines besten Freundes. Keine sehr gut aussehende Frau, aber den Wünschen der Eltern und der Schwiegereltern gemäß, würde diese Verbindung beiden aristokratischen Familien große Vorteile bescheren. Kurz nach seiner Hochzeit eilte er jedoch los, um die bereits abmarschierten römischen Legionen noch rechtzeitig zu erreichen. Denn er war ein unterer Befehlshaber innerhalb dieser riesigen Armee, ein Tribun, der eine Einheit von 500 Mann zu kommandieren hatte. Er war bis an die Spitze der marschierenden 4 Legionen geeilt, die unter dem Kommando des römischen Konsuls Gnaeus Mallius standen, um sich zum Dienst zurückzumelden. 45 000 Soldaten. Dazu kamen die Reiterei und der gesamte Troß, der mit dem Heer mitreiste. Jeder römische Soldat verfügte über einen Diener, der ihn begleitete, um das Essen zuzubereiteten und sich um diese und jene Dinge zu kümmern, für die ein Soldat keine Zeit aufbringen konnte. Dieser Troß aus nichtkämpfenden Männern und sonstigen Begleitpersonen ma- rschierte am hinteren Ende des Heereszuges. Eine unschlagbare Armee, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte.

Aber man hatte Angst vor den barbarischen Stämmen des Nordens, denn gar fürchterliche Dinge hatte man von ihnen gehört. Drusus schauderte es leicht, als ihm einige der Berichte über die Teutonen kurz ins Gedächtnis kamen, aber er schüttelte dieses Schaudern mit dem Selbstbewusstsein eines jungen römischen Aristokraten ab, obwohl er sich nicht vollständig dagegen erwehren konnte. Ganz und gar unheimlich waren ihm diese Völker. Wilde ungehobelte Riesen, die den Südländer um weit mehr als zwei volle Köpfe an Körpergröße überragten.

Trotzdem fand es Drusus völlig überflüssig, dass sich das 45.000 Mann starke Heer des Konsuls Gnaeus Mallius, dem er auch angehörte, mit dem 55.000 Mann starken Heer des Prokonsuls Caepio vereinigte. Man sollte den Ruhm also teilen, der eigentlich ihnen alleine zustand.

10 römische Legionen sandte der Senat des Volkes und der Bürger Roms gegen die Teutonenstämme und die Horden der Kimbern, um den Germanen Einhalt zu gebieten, um sie vernichtend zu schlagen und um damit die Gefahr für Rom zu bannen. 10 römische Legionen eine unvorstellbare Macht! Einen ganzen Tag benötigten die Soldaten, um an Drusus vorbeizumarschieren, bis ganz hinten, als Schutz für den Troß gedacht, seine eigene Kohorte in Sichtweite kam, welcher er sich als Befehlshaber anschloß.

Da fielen ihm 5 römische Senatoren auf, die auf ihren Pferden am Troß vorbeijagten – wohl, um sich an die Spitze des Heereszuges zu setzen. Wahrscheinlich besaßen die Senatoren den Auftrag, mit den Germanen zu verhandeln. Völlig überflüssig, dachte Drusus, man sollte die Barbaren mit der römischen Heeresmacht einfach niederwalzen und ihnen die römische Macht auf diese Weise demonstrieren. Eine andere Sprache verstehen sie nicht, war Drusus überzeugt und bedauerte es, dass es wohl zu keinem Kampf kommen würde und er ohne Kriegsruhm nach Rom zurückkehren müsste. Denn welcher Gegner würde es wagen, beim Anblick von 10 ganzen römischen Legionen an Angriff oder Kampf zu denken? Unmöglich, dachte Drusus, denn auch die Barbaren werden wissen, dass bisher stets 4 Legionen genügten um jeden Gegner der Welt, egal mit welch hoher Anzahl an Kriegern er sich ihnen entgegenstellte, zu schlagen.

Und sind sie uns auch noch so an Körpergröße und Muskelkraft überlegten, gegen die römische Artillerie war kein Kraut gewachsen. Die nordischen Riesen würden im Pfeil und Steinehagel straucheln und den Rest besorgte dann das römische Kurzschwert, welches den langen germanischen Schwertern im dichten Schlachtgetümmel militärisch überlegen war. Sie werden also irgendetwas mit den Barbaren aushandeln und dann wird der größte Teil des Heeres zurückmarschieren, dachte Drusus, als er die sich weit in den Horizont dahinwälzende Militärkolonne der zehn römischen Legionen betrachtete.  


Die Senatoren trafen gerade zur rechten Zeit bei Aurelius ein, denn kurz nach Sonnenaufgang am nächsten Tag kamen die teutonischen Unterhändler. Ungefähr fünfzig Männer, alle im Alter zwischen vierzig und sechzig, dachte der Senator Cotta, der noch nie so große Männer gesehen hatte. Keiner war weniger als sechs Fuß groß, die meisten sogar größer. Auch ihre Pferde waren ungewöhnlich groß und für römische Vorstellungen ziemlich zottig und verfilzt. Die riesigen Hufe waren mit Fell bedeckt, über die sanften Pferdeaugen fielen lange Mähnen keines trug einen Sattel, doch alle waren aufgezäumt.

"Ihre Pferde sehen aus wie Kriegselefanten" bemerkte Cotta zu einem ihn begleitenden Senatoren. "Schau dir diesen dort an", erwiderte der so angesprochene und deutete mit dem Finger auf einen etwa 30jährigen teutonischen Krieger, der gerade vom Rücken seines Pferdes glitt. Seine Haltung war ausgesprochen selbstbewusst, während er seine Umgebung mit überlegener Gelassenheit musterte. Als sein Blick auf die Römer fiel, verzog er verachtend sein Gesicht.

"Das muß Achilles sein!" rief Cotta aus und betrachtete den Krieger eingehender. Bisher hatte er gedacht, die Teutonen würden nackt gehen bis auf einen Umhang vielleicht. Doch Hosen trugen sie alle, jedoch in der südländischen Sommerhitze keine Hemden. Viele Nordmänner waren mit breiten goldenen Ketten geschmückt, welche die halbe Brust bedeckten. An den Schwertgurten hingen die Scheiden ihrer Langschwerter, ebenfalls reich mit Gold verziert. Cotta konnte den Blick nicht von diesen Männern wenden. Ihre Helme waren randlos, in der Form Schüsseln ähnlich, aber an den Ohren mit großartigen Hörnern geschmückt oder mit Flügeln oder kleinen Röhren, aus denen Federn ragten. Am meisten beeindruckte jedoch die Größe dieser Männer. Wenn den Römern die Gallier bisher als riesenhaft vorkamen, schienen diese Gallier jedoch geradezu mickrig im Vergleich zu diesen Barbaren mit ihren langen blonden Haaren, die geflochten oder lose über die Schultern hingen. Die Brust war bei den meisten Nordmännern nur spärlich beharrt. Auch ihre Haut war nicht so rosa wie die Haut der Kelten, dachte Cotta, sondern eher blassgolden. Die Augen waren hellblau und das Antlitz zeigte keine Spur von Sommersprossen. Selbst die Älteren der Nordmänner wirkten kräftig und durchtrainiert, sie hatten kein Ansatz von Fettleibigkeit und keine schlaffe Haut. Die Römer wussten allerdings nicht, dass die Germanen erbarmungslos alle Männer töteten, die sich gehenließen.

Die Verhandlungen wurden mit Hilfe von Dolmetschern geführt, die meisten waren gallische Häduer oder Ambarrer, die der teutonischen Sprache mächtig waren. Die germanischen Hauptleute erklärten, dass sie auf ihren Weg nach Spanien freien Durchzug wünschten, während die Römer sie dazu überzeugen wollten, nach dem Norden zurückzukehren. Cotta selbst beobachtete die Gespräche wie unter einem Bann und mit einer Angst, die er nie zuvor empfunden hatte. Er war sicher, Roms Verhängnis vor sich zu sehen. Noch Monate später verfolgten ihn diese germanischen Häuptlinge bis in den Schlaf, so unermüdlich, dass er seine Tage wie betäubt verbrachte, und des nachts aufrecht sitzend und mit aufgerissenem Mund in seinem Bett erwachte, wenn sie wieder einmal mit ihren riesigen Pferden durch seine Albträume geritten waren. Hier aber bemühte er sich Fassung zu wahren, denn schließlich  standen 10 ganze römische Legionen hinter ihnen, eine Heeresmacht, der sich auch diese Krieger beugen mussten. Ja, dachte Cotta, unsere 100.000 Soldaten werden mit dem Ansturm dieser blonden Horde schon fertig werden, mochten sie auch noch so furchteinflößend aussehen. Aurelius brach die einleitenden Gespräche ab, um beiden Seiten Gelegenheit zur Beratung zu geben. "Wir haben einiges in Erfahrung bringen können", sagte er in Richtung der Senatoren gewandt. "Sie selbst nennen sich weder Nordmänner noch Germanen, sondern betrachten sich als Bund dreier verschiedener Stämme. Hauptsächlich Teutonen und Kimbern, während die dritte Gruppe aus Leuten von den Markomannen, den Cheruskern und Tigurinern bestehen, die sich den Kimbern und Teutonen auf ihren Wanderungen angeschlossen haben. Der junge Mann, der aussieht wie ein germanischer Achilles, war noch ein Kind, als sein Stamm die Kimbern seine Heimat verließ. Sie sind seit einer Generation auf der Wanderschaft. Er heißt Boiorix und ist sehr selbstbewußt. Er will nicht verhandeln und um den freien Durchgang nach Spanien bitten, sondern einfach weiterziehen, egal was wir davon halten. Selbst unsere 10 Legionen können ihn nicht erschrecken. Er verachtet uns Römer als verweichlichte Kleinlinge. Teutobod, der Hauptmann der Teutonen – und Aurelius deutete mit dem Kopf auf einen Mann um die Vierzig – denkt sogar, daß es Recht wäre, wenn sie einfach nach Süden ziehen, ohne sich weiter um Rom zu kümmern. "Das gefällt mir alles überhaupt nicht" sagte Cotta. "Sie scheinen sehr uneinsichtig. Zum Glück haben wir 10 Legionen hier an der Rhône versammelt und nicht nur die zuerst angedachten vier. Der Anblick der Stärke des römischen Heeres wird sie schon zur Vernunft bringen" fuhr Cotta fort.

Die Verhandlungen wurden weitergeführt und die Senatoren wurden diesmal mit einbezogen. Natürlich hatten die Germanen die Senatoren bereits bemerkt. Doch nach der gegenseitigen Vorstellung starrten sie mit offener Verwunderung auf die bauschigen, weißen, so ganz und gar nicht kriegerisch aussehenden Gewänder der Römer. So sahen die Römer aus? Nur Cotta trug die purpurgeränderte toga praetexta als Zeichen, dass er ein kurulisches Amt innehatte und er behielt während der gesamten Gespräche seine bedächtige und ruhige Stimme im Griff. Selbst dann, als die Germanen vor Wut rot anliefen, ihre Worte mit spucken bekräftigten und mit der Faust auf die flache Hand schlugen. Doch die Römer blieben in ihrer unerschütterlichen und unnahbar erscheinenden Ruhe.

Erst als die Dämmerung völliger Dunkelheit gewichen war, schwangen sich die Nordmänner wieder auf ihre Pferde und ritten davon. Die Antwort lautete: Nein. Man war sich nicht einig geworden. Die Römer wollten den Germanen nicht erlauben weiter in den Süden zu ziehen und die Germanen wollten nicht wieder zurück in den Norden. Boiorix drehte den Kopf als er mit den anderen Häuptlingen wegritt, damit er die Römer so lange wie möglich ansehen konnte. Er ist tatsächlich ein Achilles, dachte Cotta, in dem eigentlich hübschen Gesicht zeigte sich die ganze sture, unbarmherzige, rachsüchtige Kraft eines Achilles. Cottas Herz pochte dumpf und verzweifelt. "Warten wir bis morgen" sagte Aurelius, "schließlich ist ihnen der Weg nach Süden durch unsere Legionen versperrt", sie werden also erneut mit uns verhandeln müssen.

Noch bevor die Sonne ganz aufgegangen war, begannen die Germanen vorzurücken. Es war der zweite Tag des Oktobers, das Wetter war immer noch schön, in der Luft lag keine Spur von Kälte. Als die ersten Reihen der teutonischen Krieger die Wälle des vorgeschobenen römischen Lagers, in welchem die römische Reiterei unter dem Kommando von Aurelius  untergebracht war, erreichten - überrollten sie sie einfach, Welle um Welle, bevor Aurelius begriff, was geschah. Er hatte angenommen, dass er genügend Zeit haben werde, um seine Kavallerie zu alarmieren. Die höchst sorgfältig errichteten Lagerwälle hätten die teutonischen Krieger solange aufhalten müssen, bis er seine Truppen zum hinteren Tor hinausgeführt hätte, um einen Flankenangriff zu starten. Doch es kam ganz anders. Die Nordmänner rückten so schnell vor, dass das Reiterlager vollständig umzingelt war, und sie quollen zu tausenden über die Wälle. Aurelius` Männer gaben ihr Bestes, doch nach einer halben Stunde war die gesamte römische Reiterei ausgelöscht. Aurelius wurde gefangengenommen, noch bevor er sich in sein Schwert stürzen konnte. Die Germanen blieben zwei Tage bei den Überresten des Reiterlagers und wandten sich nun zum Kriege gegen das große römische Heer. Sie mar-schierten zu Caepios Lager, aber zogen daran vorbei. Tausende und Abertausende riesiger nordländischer Krieger, so dass den Römern hinter ihren Wachtürmen, Geschützen und Palisaden nur vom bloßen Anblick Angst und Bange wurde. Caepios Soldaten erstarrten vor Schreck, es waren so viele Nordmänner, dass sie sie nicht mehr zählen konnten. Als sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hatten, warfen viele römische Soldaten ihre Rüstungen weg und versuchten, über den Fluß zu schwimmen, um an das sichere Westufer der Rhône zu gelangen. Doch der Prokonsul Caepio wollte seine Männer zusammenbehalten und ließ schnell alle Boote verbrennen und befahl, jeden Mann zu töten, der zu fliehen versuchte.  Durch die ungeheure Masse der germanischen Krieger - man schätze so um die 800.000 Nordmänner – von der Außenwelt abgeschnitten, konnten die römischen Legionäre und die Männer vom Troß nur hoffen, dass die Flutwelle der riesenhaften Hünen vorüberfließen und sich nicht über ihr Lager ergießen würde.

Am sechsten Tag des Oktobers erreichte die Spitze der teutonischen Horde das letzte Lager der Römer. Der Oberkommandierende des gesamten römischen Heeres, Mallius Maximus, wollte verhindern, daß seine Armee hinter den Befestigungen eingepfercht gegen die Germanen kämpfen musste, deshalb ließ er die zehn Legionen geordnet antreten und mar-schierte mit ihnen auf eine Ebene nördlich des Lagers, bevor sie eingekreist werden konnten. Auf der Ebene zwischen dem Flußufer und einer kleinen Bodenerhebung stellte er seine Truppen auf. Die Legionen standen, nach Norden gewandt, über eine Strecke von 4 Meilen hinweg, eine neben der anderen. Als Kommandant des Heeres bezog er Stellung auf dem höchsten Turm der befestigten Lagerwälle. Sein persönlicher Stab war beritten und wartete darauf, seine Befehle im Galopp zu den verschiedenen Legionen zu bringen.    

Die italischen Marser, die eine eigene Legion innerhalb der römischen Armee stellten und für ihre außerordentliche Tapferkeit besonders gerühmt waren, standen am äußersten rechten Rand unter dem Kommando von Quintus Silo. Der Oberkommandierende hatte sie dort aufgestellt, weil sie seine besten und furchtlosesten Männer waren. Im Wesen waren sie den Barbaren näher als den gewöhnlichen römischen Soldaten, von der Statur her unterschieden sie sich jedoch nicht von den sonstigen Römern. Trotzdem waren sie gänzlich anders. Sie sprachen außer Latein noch in einer uralten Sprache, die kein Römer verstand und sie verehrten zum großen Teil die ganz alten, geschlechtslosen Götter. So riefen sie vor der Schlacht auch nicht zum römischen Kriegsherren Mars, sondern zu ihrer Kriegsgöttin, die sie Bellona nannten. Einem uralten Kult folgend unterhielten die Marser Schlangentempel und man sagte von ihnen, dass sie die Schlangen küssten, indem sie mit ihren eigenen Zungen die züngelnden Zungen der Schlangen berührten. Sie waren zweifellos die verwegensten und mutigsten Kämpfer der römischen Armee.  

Die Germanen griffen am sechsten Tag des Oktobers zwei Stunden nach Sonnenaufgang an. Der Angriff begann fast gleichzeitig auf der Höhe von Caepios Lager und auf Mallius Maximus` Kampflinie. Keiner von Caepios fünfundfünzigtausend Männern kam mit dem Leben davon, als die Teutonen von allen drei Landseiten her in das Lager eindrangen. Sie ergossen sich förmlich über das Lager, und das Gedränge der Kämpfenden war so dicht, dass sie auf den Verwundeten und Toten herumtrampelten. Caepio selbst wartete das Ende nicht ab. Sobald er erkannte, dass seine Soldaten keine Aussichten mehr hatten, ließ er sich auf sein nicht verbranntes Schiff bringen und setzte über die Rhône hinüber ans sichere Westufer. Caepio und seine Ruderer waren die einzigen Überlebenden.

Dem Oberkommandierenden Mallius Maximus erging es nicht besser. Nur die Marser hielten sich tapfer gegen die riesige Übermacht der Nordmänner, wurden aber ebenfalls bis zum letzten Mann aufgerieben. Silo fiel mit einer Wunde in der Seite, und Drusus wurde nach Beginn des Kampfes von einem Germanen mit dem Knauf des Schwertes bewusstlos geschlagen. Der Oberkommandierende ritt selbst hin und her und versuchte verzweifelt seine Männer zu sammeln, aber sie konnten den Angriff der Germanen nicht aufhalten. Die Legionen, die direkt an der Rhône standen, wandten sich um und suchten ihr Heil in der Flucht.

Fünf Stunden nach Tagesanbruch war alles vorüber. Die Krieger der Germanen wandten sich wieder nach Norden und zogen sich zurück, um die Kriegsbeute in Ruhe aufzuteilen. Denn sie hatten in den Lagern der Römer wahre Schätze entdeckt. Riesige Vorräte an Weizen und anderer Lebensmittel beluden sie auf Maultiere und Ochsenkarren. Geld, Gold und römische Kleidung interessierte die Germanen nur geringfügig, denn sie waren sehr praktisch denkende Menschen. Doch den unglaublichen Vorräten von Mallius Maximus konnten sie nicht widerstehen.

Drusus war während der Nacht wieder zu Bewusstsein gekommen. Halb betäubt hatte er in der Dunkelheit gelegen, und erst bei Sonnenaufgang hatte er sich so weit erholt, daß er sich kriechend fortbewegen konnte. Ihn beherrschte ein einziger Gedanke – Wasser. Schluchzend richtete sich Drusus auf und begann in Richtung des Flusses zu wanken. Da, mitten auf dem Schlachtfeld, zwischen den Leichen der marsischen Legion, entdeckte er einen Eselkarren, auf dem ein Wasserschlauch hing. Gierig schlürften seine Lippen das lebensspendende Nass. Am Rande des Gewirrs von Toten, entdeckte er zwei Beine, dich sich leicht bewegten. Drusus schob einige der toten Körper beiseite, so dass ein marsischer Offizier zum Vorschein kam. Sein bronzener Brustharnisch war eingedrückt, doch die Halsschlagader des Marsers pulsierte kräftig. Er würde überleben. Drusus gab ihm etwas von dem Wasser und der Marser schlug die Augen auf. "Der großen Schlange die meine Göttin ist sei Dank". Drusus wurde mit einem dankbaren Blick aus zwei gelbgrünen Augen belohnt. Wie Schlangenaugen, schoß es Drusus durch den Kopf. Und er erinnerte sich, dass die Marser Schlangenanbeter waren, Schlangenbeschwörungen durchführten, mit den Schlangen tanzten und die Zungen der Schlangen sogar mit ihren eigenen berührten. Kein Wunder, wenn man in diese Augen sah. "Quintus Silo", stellte sich der marsische Offizier vor. "Ein etwa 8 Fuß großer Teutone hat mich zu Boden geworfen. Mehr weiß ich nicht".

"Marcus Livius Drusus", antwortete Drusus und du wirst am Leben bleiben Marser, fügte Drusus hinzu. Plötzlich wurde Drusus jedoch von einer Übelkeit und einem stechendem Schmerz an der Schläfe überwältigt. Er strauchelte und fiel zu Boden. Eine Kopfwunde, die stark eiterte und die Drusus bisher gar nicht bemerkt hatte forderte ihren Tribut. "Der Eiter wird mein Blut vergiften" stammelte Drusus "ich bin dem Tode geweiht". Doch Silo murmelte einen marsischen Zauber, eine Beschwörung in der uralten Sprache der geschlechtslosen Götter. "Ein Schlangenzauber!" dachte Drusus noch, bevor er in einen ohnmachtsähnlichen Halbschlaf fiel.

In seinem Traum erschien ihm eine Frau, die sowohl Schlange als auch Göttin als auch das Wasser des Meeres zu sein schien. Sterne funkelten in ihren Augen und als sie ihn mit der Hand berührte war es, als wenn das Leben selbst Drusus berührt hätte. Die Frau besaß goldene Haare, die wie goldenen Schlangen waren und sie trug die Hörner einer Kuh auf dem Kopf. Ganz ähnlich der Hörner, wie sie die teutonischen Krieger hatten und Drusus schien es gar, als wenn durch diese Kuhhörner die silberne Mondscheibe glitzerte. Mit einer Stimme die mehr in ihm selbst, als von der wundersamen Frau kam sprach sie ihn an und sagte zu ihm: Du wirst weiterleben Marcus Livius Drusus, wenn das dein Wunsch ist, denn ich bin das ewige Leben. "Warte" rief Drusus ihr nach, wie kann ich dir danken? Höre auf die Stimme deines Herzens und nicht auf die Worte derer, die deine Sinne verwirren. Sei du selbst und danke dir selbst. Denn das Leben bedarf deines Dankes nicht, ebensowenig wie du selbst eines Menschen Dankes bedarfst.

Drusus erwachte und erzählte dem Marser von seiner Begegnung. Dieser lächelte jedoch nur und inmitten des Schlachtfeldes, inmitten der vielen Toten war es ihm so, als wären sie an einem ganz anderen Ort und doch an der Stelle, wo sie gestanden hatten. Die Realität erschien Drusus plötzlich so unwirklich, so falsch – als wenn ein halbdurchsichtiger Schleier über ihr lag, den Drusus in diesem Moment erblicken, ja fast ergreifen konnte. Wie aus einer gläsernen Kugel heraus beobachtet Drusus die Welt, die Wirklichkeit der vielen toten Soldaten um ihn herum, die auch seine bisherige Wirklichkeit gewesen ist. Und plötzlich wusste er, dass er selbst alle Männer seiner Legion gewesen war. Jeder einzelne – vom einfachen Soldaten, vom Diener bis hin zum Centurio und Militärtribunen. Wie ein einziger Geist, der sich über die vielen Körper erstreckt, die nun tot um ihn herum lagen. Er sah ihre Gesichter - und er sah sich selbst in ihnen. "Erkennst Du nun?", fragte ihn der Marser mit der Stimme der Schlangenfrau. Und Drusus begriff wer und was er war und immer gewesen ist, sofern er diese Verantwortung für sich selbst wahrnehmen wollte. Und plötzlich kamen ihm seine Freunde, seine Mitsoldaten, seine Eltern und seine Bekannten so unwirklich vor. Hohl und leer - gefangen in einer plastischen Welt, die den Träumen und der Phantasie näher stand, als der Realität. In diesem einen Augenblick hatte Drusus begriffen, was wirkliches Leben bedeutet. Er danke dem Marser und als sie nach einigen Tagen auf eine römische Rettungsmannschaft stießen, trennten sich ihre Wege, obwohl sie sich im Geiste gefunden hatten und sich nie mehr verlieren würden.

Als sich Römer und Kimbern/Teutonen ein paar Jahre später erneut begegneten und der römische Feldherr Marius die Nordmänner vernichtend schlagen konnte, war es Marcus Livius Drusus der seine Männer in dem Bewusstsein kommandierte, dass sie alle seine Ängste ebenso trugen, als auch seine Hoffnungen, seine Überheblichkeiten, seine Noblesse und seine Unzulänglichkeiten. Alles was er selbst im Inneren war, verkörperten seine Soldaten und selbst sein Heerführer Marius vor seinem äußeren Antlitz. Und weil er in den Jahren zuvor gelernt hatte seine Ängste zu beherrschen, seine unnötigen Sorgen und Gedanken zu kontrollieren und auch seine egomanische Ruhmsucht im Griff hatte, funktionierte seine Armee wie ein Mann – wie ein Geist mit tausend Armen. Die Nordmänner konnten gegen diese Macht nichts ausrichten und unterlagen dem römischen Gegner, den sie wenige Jahre zuvor noch mit Leichtigkeit überrannt hatten.


© Die Rumpfgeschichte stammt von einer englischen Historikerin und wurde von mir entsprechend abgeändert.
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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#2
Zitat:Als sich Römer und Kimbern/Teutonen ein paar Jahre später erneut begegneten und der römische Feldherr Marius die Nordmänner vernichtend schlagen konnte,

Genau das wollte ich fragen. Denn mir war bekannt, dass die Römer diese Germanenstämme regelrecht ausgelöscht hatten. Also da hatten die nur eine Riesenangst vor denen und daraus begründet sich alles. Angst frisst eben die Seele auf. :-)

Inka

PS. "Seele" Augenrollen
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#3
Danke für die Geschichte Paganord.

Sehr inspirierend. Echt schön.
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#4
Eine sehr schöne Geschichte lieber Paganlord. Besonders schön der Teil, in dem Drusus den wahren Wert des Lebens erkennt und so sein Leben und die Kriegsart, Kriegsansicht ändert und somit die Römer zum Erfolg bringt.
Manchmal muss man Grenzen überschreiten, um neue Wege zu schaffen!
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#5
ich finde es toll weil ich selbst marius heiße Devil2
Vikfrau
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