21.07.12008, 19:22
Alexander in Kasachstan
Ein neuer Anblick bot sich uns jenseits des Flusses; die Wohnwagen der Skythen standen dort, ihre Pferdeherden und schwarzen Filzzelte. Sie hatten von der Erhebung der Sogdier gehört und waren herbeigestürzt wie Raben, um ihren Anteil von der Beute zu erhalten. Als sie uns sahen, zogen sie sich zurück, und wir glaubten, daß sie fort seien. Am nächsten Tag waren sie wieder da; allerdings nur die Männer. Sie ritten auf ihren kleinen struppigen Pferden in wirbelnden Kreisen, schwenkten ihre mit Quasten verzierten Speere und schrien. Sie versuchten, über den Fluß zu schießen, aber ihre Pfeile flogen nicht so weit. Alexander war neugierig, was ihr lautes Geschrei bedeuten sollte, und ließ Pharneuches, den obersten Dolmetscher, kommen. Offensichtlich wollten die Skythen Alexander wissen lassen, daß er nur den Fluß überschreiten müsse, wenn er den Unterschied zwischen Baktriern und den heldenhaften Skythen lernen wollte.
Skythischer Hunne mit dem typischen Skythenbogen. Der Reiterbogen ist eine Bogenform, die im Großraum China vorherrschte und von den damals dort angesiedelten Hunnen, Mongolen und Türken benutzt wurde.
Das ging mehrere Tage so, jedes Mal schrien die Skythen lauter und machten Gesten, die keines Dolmetschers bedurften. Alexander wurde zornig. Er versammelte alle seine Generäle in seinem Zelt. Dichtgedrängt standen sie um ihn herum, so daß er nicht laut sprechen mußte.
Alexander sagte, wenn er die Skythen jetzt ohne Denkzettel fortließe, würden sie seine neue Stadt in dem Augenblick plündern, in dem wir wegmarschierten. Da Alexander den Skythen diesen Denkzettel jedoch persönlich erteilen wollte, waren die anderen dagegen. Trotzdem stand Alexanders Beschluß zur Rache an den Skythen fest. Er dachte, daß sie glauben würden, er fürchte sich, wenn er nicht selbst käme.
Der Jaxartes (heute: Syr-Darja) ist viel schmaler als der Oxus (heute: Amurdarja), den wir bereits vor einigen Wochen überquert haben. Am nächsten Tag ließ Alexander die Flöße klarmachen und schickte nach dem Seher Aristandros, der die Vorzeichen deuten sollte. Als Aristandros zurückkam, sagte er, daß die Vorzeichen nichts Gutes verhießen.
Alexander wäre noch weiter in Richtung Mongolei und Baikalsee geritten, wenn ihn die Krankheit nicht aufgehalten hätte.
Alexander zögerte. Am nächsten Tag kamen jedoch mehr Skythen als je zuvor. Sie waren nun eine ganze Armee. Alexander ließ das Opfer wiederholen und erhielt vom Priester Aristandros wieder ein „Nein“. Daraufhin fragte Alexander, ob die Gefahr seine Soldaten oder ihn betreffe. "Nur ihn", sagte Aristandros.
Natürlich bereitete Alexander die sofortige Überfahrt vor. Das war einer der wenigen Fälle, wo Alexander nicht auf die Worte der Priester und Seher hörte. Besser wäre er wahrscheinlich jedoch dran gewesen, hätte er auf Aristandros gehört.
Die Skythen warteten nur darauf, unsere Soldaten in Stücke zu hauen, sobald sie ans andere Ufer klettern würden. Aber sie hatten nicht mit den Katapulten gerechnet. Die Geschosse hatten eine größere Reichweite als die skythischen Pfeile. Nachdem einigen ihrer Reiter Schild und Panzer durchschlagen worden waren, hielten sie sich in einiger Entfernung vom Ufer. Alexander schickte die Bogenschützen und Schleuderer voraus, um die Skythen in Schach zu halten, während die Phalanx und die Reiterei übersetzen. Er selbst war auf dem ersten Floß, das hinüberfuhr.
Die Skythen umzingelten das makedonische Karree; jedoch hielten sie den vernichtenden Angriff unserer Reiterei von links und rechts gleichzeitig nicht aus. Sie wurden in die Zange genommen und flüchteten ins Landesinnere. In einer riesengroßen Staubwolke ergossen sich die Skythen über die Ebene, von Alexanders Reitern verfolgt. Die Verfolgung des flüchtenden Feindes dauerte drei Tage und Alexander wäre noch weiter nach Kasachstan hineingeritten, wenn sich nicht die unglückliche Prophezeiung des Aristandros erfüllt hätte. Alexander trank schmutziges Wasser und erkrankte so schwer an Ruhr, daß er bewußtlos aus dem Sattel fiel und ins makedonische Lager am Jaxartes-Fluß zurückgetragen werden mußte.
„Es ist die Ruhr, gnädiger Herr“, sagte ein Knappe zu dem Arzt. „Ich wurde beauftragt es euch zu sagen; er trank fauliges Wasser. Er hat einen blutigen Ausfluß und ist sehr schwach.“
„Das sehe ich“ sagte der Arzt. Alexanders Augenlider flatterten. Sie redeten über ihn hinweg, als wäre er halb tot; das war er auch, aber es ärgerte ihn. Der Arzt gab ihm einen Trank, den er vorbereitet hatte. Man legte Alexander auf eine Trage und trug ihn ins Zelt. Würde er die nächsten beiden Tage überleben, hätte er gute Chancen, daß sein Körper die Krankheit besiegen würde. Jeder im Lager machte sich die größten Vorwürfe, daß man Alexander trotz der schlechten Omen nicht von dem Vorhaben abgehalten hatte. Mit Leichtigkeit hätten auch Ptolemaios, Seleukos oder Perdikkas die Schlacht gegen die Skythen anführen können.
Aber die Götter hatten noch einiges mit Alexander vor und ließen ihn wieder genesen. Ein paar Tage später empfing Alexander dann eine Gesandtschaft der Skythen. Sie entschuldigten sich und versprachen, daß sie Alexander nicht wieder belästigen wollten. Sie hatten ihre Lektion gelernt, auch wenn Alexander dafür beinahe mit dem Leben bezahlen mußte.
Anmerkung: Als Skythen werden einige der frühesten bekannten Reiternomadenvölker bezeichnet, die im 1. Jahrtausend v. d. Z. in dem Steppengürtel zwischen dem Jenissei in Sibirien bis hin zum nördlichen Schwarzen Meer gelebt haben. Darunter waren auch einige Gruppierungen seßhaft und betrieben Ackerbau. Anthropologisch betrachtet waren ihre Stammeskonföderationen Indoeuropäer. Ihre Gemeinsamkeiten kennzeichnen sich durch das Entstehen des Reiternomadentums, durch eine neue Kampftechnik mit Einführung des Kompositbogens (berittene Bogenschützen), durch einen eigenen Kunststil (skythischer Tierstil) und einer sozialen Ausdifferenzierung, die sich in den monumentalen Grabhügeln (sogenannte Kurgane) ausdrückt.
Ein neuer Anblick bot sich uns jenseits des Flusses; die Wohnwagen der Skythen standen dort, ihre Pferdeherden und schwarzen Filzzelte. Sie hatten von der Erhebung der Sogdier gehört und waren herbeigestürzt wie Raben, um ihren Anteil von der Beute zu erhalten. Als sie uns sahen, zogen sie sich zurück, und wir glaubten, daß sie fort seien. Am nächsten Tag waren sie wieder da; allerdings nur die Männer. Sie ritten auf ihren kleinen struppigen Pferden in wirbelnden Kreisen, schwenkten ihre mit Quasten verzierten Speere und schrien. Sie versuchten, über den Fluß zu schießen, aber ihre Pfeile flogen nicht so weit. Alexander war neugierig, was ihr lautes Geschrei bedeuten sollte, und ließ Pharneuches, den obersten Dolmetscher, kommen. Offensichtlich wollten die Skythen Alexander wissen lassen, daß er nur den Fluß überschreiten müsse, wenn er den Unterschied zwischen Baktriern und den heldenhaften Skythen lernen wollte.
Skythischer Hunne mit dem typischen Skythenbogen. Der Reiterbogen ist eine Bogenform, die im Großraum China vorherrschte und von den damals dort angesiedelten Hunnen, Mongolen und Türken benutzt wurde.
Das ging mehrere Tage so, jedes Mal schrien die Skythen lauter und machten Gesten, die keines Dolmetschers bedurften. Alexander wurde zornig. Er versammelte alle seine Generäle in seinem Zelt. Dichtgedrängt standen sie um ihn herum, so daß er nicht laut sprechen mußte.
Alexander sagte, wenn er die Skythen jetzt ohne Denkzettel fortließe, würden sie seine neue Stadt in dem Augenblick plündern, in dem wir wegmarschierten. Da Alexander den Skythen diesen Denkzettel jedoch persönlich erteilen wollte, waren die anderen dagegen. Trotzdem stand Alexanders Beschluß zur Rache an den Skythen fest. Er dachte, daß sie glauben würden, er fürchte sich, wenn er nicht selbst käme.
Der Jaxartes (heute: Syr-Darja) ist viel schmaler als der Oxus (heute: Amurdarja), den wir bereits vor einigen Wochen überquert haben. Am nächsten Tag ließ Alexander die Flöße klarmachen und schickte nach dem Seher Aristandros, der die Vorzeichen deuten sollte. Als Aristandros zurückkam, sagte er, daß die Vorzeichen nichts Gutes verhießen.
Alexander wäre noch weiter in Richtung Mongolei und Baikalsee geritten, wenn ihn die Krankheit nicht aufgehalten hätte.
Alexander zögerte. Am nächsten Tag kamen jedoch mehr Skythen als je zuvor. Sie waren nun eine ganze Armee. Alexander ließ das Opfer wiederholen und erhielt vom Priester Aristandros wieder ein „Nein“. Daraufhin fragte Alexander, ob die Gefahr seine Soldaten oder ihn betreffe. "Nur ihn", sagte Aristandros.
Natürlich bereitete Alexander die sofortige Überfahrt vor. Das war einer der wenigen Fälle, wo Alexander nicht auf die Worte der Priester und Seher hörte. Besser wäre er wahrscheinlich jedoch dran gewesen, hätte er auf Aristandros gehört.
Die Skythen warteten nur darauf, unsere Soldaten in Stücke zu hauen, sobald sie ans andere Ufer klettern würden. Aber sie hatten nicht mit den Katapulten gerechnet. Die Geschosse hatten eine größere Reichweite als die skythischen Pfeile. Nachdem einigen ihrer Reiter Schild und Panzer durchschlagen worden waren, hielten sie sich in einiger Entfernung vom Ufer. Alexander schickte die Bogenschützen und Schleuderer voraus, um die Skythen in Schach zu halten, während die Phalanx und die Reiterei übersetzen. Er selbst war auf dem ersten Floß, das hinüberfuhr.
Die Skythen umzingelten das makedonische Karree; jedoch hielten sie den vernichtenden Angriff unserer Reiterei von links und rechts gleichzeitig nicht aus. Sie wurden in die Zange genommen und flüchteten ins Landesinnere. In einer riesengroßen Staubwolke ergossen sich die Skythen über die Ebene, von Alexanders Reitern verfolgt. Die Verfolgung des flüchtenden Feindes dauerte drei Tage und Alexander wäre noch weiter nach Kasachstan hineingeritten, wenn sich nicht die unglückliche Prophezeiung des Aristandros erfüllt hätte. Alexander trank schmutziges Wasser und erkrankte so schwer an Ruhr, daß er bewußtlos aus dem Sattel fiel und ins makedonische Lager am Jaxartes-Fluß zurückgetragen werden mußte.
„Es ist die Ruhr, gnädiger Herr“, sagte ein Knappe zu dem Arzt. „Ich wurde beauftragt es euch zu sagen; er trank fauliges Wasser. Er hat einen blutigen Ausfluß und ist sehr schwach.“
„Das sehe ich“ sagte der Arzt. Alexanders Augenlider flatterten. Sie redeten über ihn hinweg, als wäre er halb tot; das war er auch, aber es ärgerte ihn. Der Arzt gab ihm einen Trank, den er vorbereitet hatte. Man legte Alexander auf eine Trage und trug ihn ins Zelt. Würde er die nächsten beiden Tage überleben, hätte er gute Chancen, daß sein Körper die Krankheit besiegen würde. Jeder im Lager machte sich die größten Vorwürfe, daß man Alexander trotz der schlechten Omen nicht von dem Vorhaben abgehalten hatte. Mit Leichtigkeit hätten auch Ptolemaios, Seleukos oder Perdikkas die Schlacht gegen die Skythen anführen können.
Aber die Götter hatten noch einiges mit Alexander vor und ließen ihn wieder genesen. Ein paar Tage später empfing Alexander dann eine Gesandtschaft der Skythen. Sie entschuldigten sich und versprachen, daß sie Alexander nicht wieder belästigen wollten. Sie hatten ihre Lektion gelernt, auch wenn Alexander dafür beinahe mit dem Leben bezahlen mußte.
Anmerkung: Als Skythen werden einige der frühesten bekannten Reiternomadenvölker bezeichnet, die im 1. Jahrtausend v. d. Z. in dem Steppengürtel zwischen dem Jenissei in Sibirien bis hin zum nördlichen Schwarzen Meer gelebt haben. Darunter waren auch einige Gruppierungen seßhaft und betrieben Ackerbau. Anthropologisch betrachtet waren ihre Stammeskonföderationen Indoeuropäer. Ihre Gemeinsamkeiten kennzeichnen sich durch das Entstehen des Reiternomadentums, durch eine neue Kampftechnik mit Einführung des Kompositbogens (berittene Bogenschützen), durch einen eigenen Kunststil (skythischer Tierstil) und einer sozialen Ausdifferenzierung, die sich in den monumentalen Grabhügeln (sogenannte Kurgane) ausdrückt.
Tue was immer ich will!