Das Orakel von Delphi
#1
Der Überlieferung zufolge, sollen am Eingang des Tempels von Delphi die Inschriften „Erkenne dich selbst“ (gnôthi seautón, γνῶθι σεαυτόν) und „Nichts im Übermaß“ (μηδὲν ἄγαν, medèn ágan) angebracht gewesen sein. Insbesondere die erste, bekanntere Aufforderung deutet die eigentliche Absicht des Kultes bzw. der verehrten Gottheit an, nämlich die Auflösung individueller Probleme und Fragestellungen durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit. Die Erkenntnis der „Innenwelt“ diente damit als Zugang zur Problemlösung in der „Außenwelt“.

Die zweite Inschrift (medèn ágan, „Nichts im Übermaß“, „Alles in Maßen“) mahnt zur Bescheidenheit im eigenen Tun.

Die Existenz dieser Inschriften ist nicht durch archäologische Funde, sondern aus schriftlichen Überlieferungen bekannt. So lässt z. B. Platon im „Phaidros“ und primär im „Symposion“ den griechischen Philosophen Sokrates über die Bedeutung dieser Inschriften referieren.

Weit weniger bekannt ist, dass nach einer Überlieferung Charmides sowie, etwa 500 Jahre später, auch Plutarchs, zu diesen beiden Weisheiten noch eine dritte, „Du bist“ (eî), gehört. Inwieweit diese das Portal zierte, ist ungewiss. Nach Plutarchs Erzählung war sie vermutlich eher eine gesprochene Antwort der Besucher des Tempels auf die Inschriften. Durch ihre Bedeutung kann sie jedoch legitim als „dritte apollonische Weisheit“ gelten.
Tue was immer ich will!
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#2
Berühmte Anekdoten:

Chairephon/Sokrates
Berühmt ist auch die Antwort, die der Athener Chairephon auf die Frage erhielt, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe. Das delphische Orakel entschied, dass kein Mensch weiser als Sokrates sei. Dieser erklärte diese Antwort damit, dass er sich stets bewusst sei, dass er sich nichts wirklich gewiss sei, und genau dies sei die Voraussetzung für die Erlangung von Weisheit. Viele nennen deshalb Sokrates neben den Sieben Weisen den achten Weisen von Delphi.

Alexander der Große
Alexander der Große soll 335 v. d. Z. in Delphi im Hinblick auf seinen geplanten Perserfeldzug um Rat gebeten haben, doch Pythia vertröstete ihn: Das Orakel finde nur zu den von den Göttern bestimmten Zeiten statt. Wütend und unwillig zu warten, soll er Pythia mit Gewalt an den Haaren in den Tempel gezerrt haben. Daraufhin soll sie lediglich gerufen haben: „Lass ab von mir, du bist doch unüberwindlich, Junge!“. Darauf soll Alexander gesagt haben „Jetzt habe ich meine Antwort!“ und die Pythia losgelassen haben.

Die Spende des armen Bauern
Mit dem Orakel von Delphi verbindet sich auch eine Geschichte, die der biblischen Geschichte vom „Scherflein der Witwe“ (Mk 12,41–44) inhaltlich verwandt ist: Ein reicher Kaufmann aus Magnesia wollte wissen, ob er die größten Opferspenden dargebracht habe und erfuhr, dass der arme Bauer Klearchos aus Methydrion in Arkadien durch seine regelmäßigen bescheidenen Gaben weit Größeres geleistet habe.

Kaiser Julian
Das letzte bekannte Orakel erteilte die Pythia 362 n. d. Z. dem Arzt Oreibasios, der es im Auftrag des heidnischen Kaisers Julian aufsuchte. Er wollte wissen, ob das Orakel in einer sich dem Chr**tentum zuwendenden Welt noch Zukunft hätte, worauf Pythia antwortete:

Künde dem Kaiser, das schöngefügte Haus ist gefallen. Phoibos Apollon besitzt keine Zuflucht mehr, der heilige Lorbeer verwelkt, seine Quellen schweigen für immer, verstummt ist das Murmeln des Wassers.

Jedoch muß man hierzu sagen: Dass man dieses Aussage des Orakels wohl als kirchliches Ammenmärchen abtun kann. Eine solche "Bankrotterklärung" hätte sich das Orakel von Delphi schwerlich selbst ausgestellt, solange es noch existierte.

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