25.08.12002, 09:49
STANDHAFTE DÖRFLER
[b:516554]"Mein Kahn schwimmt oben"[/b:516554]
Die Gefahr, dass die maroden Deiche brechen, mag noch so groß sein, die Polizei kann noch so oft an die Vernunft der Menschen appellieren: Einige wollen ihr Heim einfach nicht verlassen. Um keinen Preis.
Wittenberge - Gnevsdorf, Lennewitz, Abbendorf: Kleine Flecken auf der Landkarte, die eigentlich schon seit Tagen evakuiert sein sollten. Die meisten Menschen, die in kleinen Siedlungen rund um Wittenberge direkt an der Elbe leben, haben sich schweren Herzens zum Verlassen ihrer Häuser entschlossen. Denn noch immer drückt das Wasser mit enormer Kraft auf Deiche, die stündlich weicher werden und jederzeit nachgeben könnten.
Viele Dörfler haben sich indes freiwillig als Deichläufer gemeldet und kontrollieren rund um die Uhr die Schutzwälle. Andere sind aus Überzeugung geblieben. Selbst Profis wie die Psychologen des brandenburgischen Landeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzes, die seit Tagen immer wieder die gleichen Dörfer besuchen und auf die Menschen einreden, beißen bei den hartnäckigen Bewohnern auf Granit.
Zu ihnen gehört Jürgen Srajer, 56, Inhaber des "Dörpkrog am Diek" in Abbendorf bei Bad Wilsnack. Seit Beginn der Flutkatastrophe bewirtet Srajer Helfer, Polizei und Journalisten mit Bier, Kaffee und Mahlzeiten. Erst verteilte er tagelang Gulasch, dann kommt Erbsensuppe auf den Herd. "Die hält noch mal für vier Tage", grinst der Wirt. Statt Geld zu kassieren, kritzelt Srajer für jedes Gratis-Bier einen Strich auf seine papierne Kochmütze, akkurat geordnet nach Tagen. Wer die Toilette benutzen will, muss durchs Fenster klettern. Die Tür ist mit Sandsäcken verrammelt.
"Wenn Koch und Kneipe als Erste verschwinden würden, wäre das psychologisch schlecht", sagt Srajer. Außerdem fühlt er sich rundherum bestens vorbereitet: "Wenn die Flut kommt, brauche ich genau sechzehn Minuten." Flugs kramt er eine handgeschriebene Liste hervor: Eine Minute, um "Sachen und Dokumente" zu packen, fünf Minuten, um die Wohnung mit Sandsäcken abzudichten, fünf Minuten für die Kühlzellen, exakt 16 Minuten stehen am Ende der Liste. "20 Jahre lang DDR-Grenzsoldat war man halt nicht umsonst, meint Srajer: "Da habe ich so etwas ständig gemacht."
Da es keinen Friseur gibt in Abendorf, ist Srajer als Wirt auch so etwas wie der Dorfpsychologe. Er weiß, was die Flut den Menschen angetan hat. "Viele haben sich hier in den vergangenen Jahren eine neue Existenz aufgebaut." Unter ihnen seien auch DDR-Flüchtlinge, die nach der Wende in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind. "Jetzt werden sie ein zweites Mal vertrieben", meint Srajer. "Nur ist es diesmal das Wasser."
Gegenüber des Gasthofs wohnt Erhard Wegener, 49, der zwar auch Deichläufer ist, aber auch ohne diese Aufgabe "auf gar keinen Fall" geflohen wäre. "Ich bin Fischer, ich kenne das Wasser", sagt Wegener. "Ich bin mit dem Hochwasser groß geworden." Auch seine Frau ist auf dem Hof geblieben. "Sie bleibt, bis ich ihr sage, dass es gefährlich wird."
Nur die Warterei, die gehe ihm an die Nieren. "Man fragt sich ständig, ob man vorgesorgt und an alles gedacht hat. Das raubt einem den Schlaf." Als er zusammen mit den anderen Sandsäcke gestapelt hat, war das anders. "Die Untätigkeit ist das Schlimmste", sagt der Fischer.
Sollte der Deich vor Abbendorf, der eher die Konsistenz eines Wackelpuddings als eines Schutzwalls besitzt, wider Erwarten brechen, werde ihn auch das nicht aus der Ruhe bringen. "Schließlich habe ich noch meinen Kahn", schmunzelt Wegener. "Der schwimmt oben."
Quelle <a href="http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,210743,00.html]spiegel.de</a>
und es gibt noch mehr von denen, die selbst entscheiden! ich find das klasse, all diese Leute haben meine Achtung.
[b:516554]"Mein Kahn schwimmt oben"[/b:516554]
Die Gefahr, dass die maroden Deiche brechen, mag noch so groß sein, die Polizei kann noch so oft an die Vernunft der Menschen appellieren: Einige wollen ihr Heim einfach nicht verlassen. Um keinen Preis.
Wittenberge - Gnevsdorf, Lennewitz, Abbendorf: Kleine Flecken auf der Landkarte, die eigentlich schon seit Tagen evakuiert sein sollten. Die meisten Menschen, die in kleinen Siedlungen rund um Wittenberge direkt an der Elbe leben, haben sich schweren Herzens zum Verlassen ihrer Häuser entschlossen. Denn noch immer drückt das Wasser mit enormer Kraft auf Deiche, die stündlich weicher werden und jederzeit nachgeben könnten.
Viele Dörfler haben sich indes freiwillig als Deichläufer gemeldet und kontrollieren rund um die Uhr die Schutzwälle. Andere sind aus Überzeugung geblieben. Selbst Profis wie die Psychologen des brandenburgischen Landeskriminalamts und des Bundesgrenzschutzes, die seit Tagen immer wieder die gleichen Dörfer besuchen und auf die Menschen einreden, beißen bei den hartnäckigen Bewohnern auf Granit.
Zu ihnen gehört Jürgen Srajer, 56, Inhaber des "Dörpkrog am Diek" in Abbendorf bei Bad Wilsnack. Seit Beginn der Flutkatastrophe bewirtet Srajer Helfer, Polizei und Journalisten mit Bier, Kaffee und Mahlzeiten. Erst verteilte er tagelang Gulasch, dann kommt Erbsensuppe auf den Herd. "Die hält noch mal für vier Tage", grinst der Wirt. Statt Geld zu kassieren, kritzelt Srajer für jedes Gratis-Bier einen Strich auf seine papierne Kochmütze, akkurat geordnet nach Tagen. Wer die Toilette benutzen will, muss durchs Fenster klettern. Die Tür ist mit Sandsäcken verrammelt.
"Wenn Koch und Kneipe als Erste verschwinden würden, wäre das psychologisch schlecht", sagt Srajer. Außerdem fühlt er sich rundherum bestens vorbereitet: "Wenn die Flut kommt, brauche ich genau sechzehn Minuten." Flugs kramt er eine handgeschriebene Liste hervor: Eine Minute, um "Sachen und Dokumente" zu packen, fünf Minuten, um die Wohnung mit Sandsäcken abzudichten, fünf Minuten für die Kühlzellen, exakt 16 Minuten stehen am Ende der Liste. "20 Jahre lang DDR-Grenzsoldat war man halt nicht umsonst, meint Srajer: "Da habe ich so etwas ständig gemacht."
Da es keinen Friseur gibt in Abendorf, ist Srajer als Wirt auch so etwas wie der Dorfpsychologe. Er weiß, was die Flut den Menschen angetan hat. "Viele haben sich hier in den vergangenen Jahren eine neue Existenz aufgebaut." Unter ihnen seien auch DDR-Flüchtlinge, die nach der Wende in ihre alte Heimat zurückgekehrt sind. "Jetzt werden sie ein zweites Mal vertrieben", meint Srajer. "Nur ist es diesmal das Wasser."
Gegenüber des Gasthofs wohnt Erhard Wegener, 49, der zwar auch Deichläufer ist, aber auch ohne diese Aufgabe "auf gar keinen Fall" geflohen wäre. "Ich bin Fischer, ich kenne das Wasser", sagt Wegener. "Ich bin mit dem Hochwasser groß geworden." Auch seine Frau ist auf dem Hof geblieben. "Sie bleibt, bis ich ihr sage, dass es gefährlich wird."
Nur die Warterei, die gehe ihm an die Nieren. "Man fragt sich ständig, ob man vorgesorgt und an alles gedacht hat. Das raubt einem den Schlaf." Als er zusammen mit den anderen Sandsäcke gestapelt hat, war das anders. "Die Untätigkeit ist das Schlimmste", sagt der Fischer.
Sollte der Deich vor Abbendorf, der eher die Konsistenz eines Wackelpuddings als eines Schutzwalls besitzt, wider Erwarten brechen, werde ihn auch das nicht aus der Ruhe bringen. "Schließlich habe ich noch meinen Kahn", schmunzelt Wegener. "Der schwimmt oben."
Quelle <a href="http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,210743,00.html]spiegel.de</a>
und es gibt noch mehr von denen, die selbst entscheiden! ich find das klasse, all diese Leute haben meine Achtung.