Heiligsprechung trotz Völkermord
Die Indianer in den USA sind entsetzt über die Maßnahme des Papstes Franziskus
Bericht anlässlich der am Equinox (23.09.15) in Washington/USA vollzogenen Heiligsprechung von Junípero Serra, dem die Indianer Völkermord vorwerfen.
Die beiden mächtigsten Männer der Welt trafen sich zum Equinox in Washington. Vordergründig ließ sich Franziskus im Papamobil bejubeln, während Barack Obama in seinem Schatten dazu lächelte. Anschließend sprach Jorge Maria Bergoglio den Indianer-Missionar Junipero Serra heilig; und zwar in der "Basilika der unbefleckten Empfängnis" in Washington, eine der größten Steinkirchen der Welt und Nationalheiligtum der USA, gewidmet "Maria, der Patronin der USA". In diesem Gebäude wird seit 1964 auch die letzte Papstkrone aufbewahrt, ganz in der Nähe zum Weißen Haus. Welche symbolische Bedeutung das wohl haben mag, kann jeder selbst ermessen.
Deswegen beinhaltet das Treffen von Jorge Bergoglio und Barack Obama auch mehr als die vordergründige Folklore vermitteln möchte, und einen Tag später sprach Franziskus zunächst vor dem US-Kongress und einen weiteren Tag später vor der UNO.
Es ist sehr aufschlußreich nachzufragen, wer hier eigentlich "heilig" gesprochen wurde und wofür dieser "Heilige" steht.
Indianer von Papst Franziskus negativ überrascht
Die Heiligsprechung stößt auf massiven Widerstand der Nachkommen der Indianer. "Wir wehren uns entschieden dagegen, dass der Mörder unseres Volkes und unserer Kultur in den Heiligenstand erhoben wird", so der Sprecher eines der Indianer-Völker. Und: "Es überrascht uns sehr, dass Papst Franziskus so etwas vorantreibt."
Das Ziel des auf Mallorca geborenen spanischen Priesters war die Bekehrung der Indianer im Westen der USA zur römisch-katholischen Kirche, ausgehend von Mexiko. Ron Andrade, ein Sprecher der amerikanischen Ureinwohner, sieht "Vater Serra", wie er genannt wird, dabei als Verantwortlichen für den "Völkermord" im Westen der USA, dem 90 % der indianischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Der Leiter eines Museums stellt Serra auf eine Stufe mit den katholischen spanischen Eroberern, die Südamerika unterjochten und fragt deshalb: "Warum spricht der Papst nicht Pizarro oder Cortez heilig?", die brutalen Feldherren im Dienste des katholischen spanischen Königshauses.
Der Franziskaner-Pater, der nun "heilig" gesprochen wurde, stehe für "Ausbeutung, Unterdrückung, Versklavung und den Genozid an tausenden indigenen Kaliforniern", heißt es auch in einer Petition gegen die Heiligsprechung im Internet –
http://petitions.moveon.org/sign/urge-pope-francis-to
Für Papst Franziskus ist er ein Heiliger, für die Nachfahren der nordamerikanischen Ureinwohner ist die während des USA-Papst-Besuches durchgeführte Würdigung von Junípero Serra eine Provokation: Der Franziskanermönch, der im 18. Jahrhundert den Katholizismus nach Kalifornien brachte, ist eine umstrittene Figur. Bereits vor der USA-Reise des Papstes Franziskus im September sorgte die angekündigte Heiligsprechung des Missionars für mächtig Zündstoff.
"Wir wehren uns entschieden dagegen, dass der Mörder unseres Volkes und unserer Kultur in den Heiligenstand erhoben wird", sagte Toypurina Carac, Sprecher des Volkes der Kizh Gabrieleño im Großraum Los Angeles. "Es überrascht uns sehr, dass ein moderner, fortschrittlicher Papst wie Franziskus so etwas vorantreibt, ohne seine Hausaufgaben in Bezug auf die Geschichte Serras und sein wahres Erbe zu machen."
"Großer Verkünder des Evangeliums"
Der spanische Pater hatte 1769 in San Diego die erste von insgesamt neun Chr*stlichen Missionen im heutigen US-Bundesstaat gegründet, um die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren. Serra starb 1784 im Alter von 70 Jahren im kalifornischen Carmel. Papst Johannes Paul II. sprach ihn 1988 selig. Mitte Januar kündigte Franziskus an, den "großen Verkünder des Evangeliums" während seiner USA-Reise in das Verzeichnis der Heiligen aufzunehmen.
Für die Nachfahren der indigenen Einwohner Kaliforniens ist Serra jedoch alles andere als eine heilige Figur. Ron Andrade, Leiter des Museums für die amerikanischen Ureinwohner in Los Angeles, gibt zwar zu, dass Serra selbst niemanden umgebracht habe. Dennoch sei er verantwortlich für den "Völkermord" an den Ureinwohnern. Eine Online-Petition gegen die Heiligsprechung Serras haben bereits mehr als 10.000 Unterstützer gefunden. Der Missionar stehe für die "Ausbeutung, Unterdrückung, Versklavung und den Genozid an tausenden indigenen Kaliforniern", heißt es in dem Aufruf.
Johannes Paul II. bat um Entschuldigung
Der Erzbischof von Los Angeles, José Gómez, verteidigt die Pläne des Papstes als "Geschenk für Kalifornien und Amerika". Zwar räumt er ein, dass die Heiligsprechung vergangenes Unrecht während der Missionierung und Kolonialherrschaft ins Gedächtnis rufe. Gleichzeitig verweist er aber auf die Erklärung von Papst Johannes Paul II., der die amerikanischen Indianervölker 1992 um Entschuldigung bat für das Leid, das ihnen damals angetan wurde.
Nach Einschätzung des Geschichtsprofessors Steven Hackel war Serra bereits zu Lebzeiten "eine umstrittene Figur". Er sei jähzornig und stur gewesen. "Wenn er glaubte, dass etwas richtig sei, war er davon überzeugt, dass es Gottes Plan sei", sagt Hackel, der an der Universität Riverside lehrt. Für die Ureinwohner habe das Leben in den Missionen einen Verlust ihrer Freiheit bedeutet. Die Indianer seien gezwungen worden, eine fremde Sprache zu lernen, viele seien zwangsverheiratet worden. Viele Ureinwohner seien den von den Europäern eingeschleppten Krankheiten zum Opfer gefallen, sagte Hackel.
Missionen waren "Todeslager"
Die katholischen Missionen seien wahre "Todeslager" gewesen, urteilt der Autor Elías Castillo, der ein Buch über die Versklavung der Indianer in Kalifornien geschrieben hat. Zehntausende seien wegen Misshandlung, Krankheiten oder Unterernährung gestorben. Es sei Serra gewesen, der entschieden habe, die Indianer "zu versklaven".
Wer darf die Indianer schlagen? Der Staat oder die Kirche?
Serra-Biograf Gregory Orfalea beurteilt das Vermächtnis des Geistlichen positiver. Der Pater habe die Indianer oft gegenüber den Autoritäten der spanischen Kolonialmacht verteidigt. Der dramatische Rückgang der Indianer Kaliforniens um 80 Prozent sei erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgt, als viele von ihnen während des Goldrauschs von weißen Siedlern getötet wurden.
Auch andere katholische Befürworter der Heiligsprechung von Junípero Serra heben hervor, dass der Franziskaner-Priester die Indianer oft vor anderen Katholiken, die als Vertreter der spanischen Kolonialmacht auftraten, geschützt habe. Dazu schreibt die Mallorca-Zeitung über den in Mallorca geborenen Serra Folgendes:
"Serra beanspruchte für die Franziskaner die absolute Kontrolle über die neuen Untertanen. Damit geriet er in immer schärfere Konflikte mit Gouverneuren, Verwaltern und Offizieren, welche die Indianer eher als Bürger oder zumindest als Steuerzahler begriffen denn als bemitleidenswerte und zu bekehrende Geschöpfe. Indem er sich über alle Hierarchien hinwegsetzte und sich direkt der Unterstützung des spanischen Vizekönigs versicherte, behielt Junípero Serra eine Weile die Überhand. Unter anderem konnte er so verhindern, dass die Indianer in den Missionen eigene Ratsobere wählen durften. Vor allem an einer Frage entzündete sich immer wieder Streit: Wer war dazu berechtigt, die Indianer körperlich zu bestrafen?" Der Staat oder die Kirche?
Manche Indianer wehrten sich in ihrer Verzweiflung, einige haben offenbar Missionare getötet. Serra habe ihnen aber vergeben, wie es heißt und einmal sogar eine Todesstrafe verhindert, da der Täter noch nicht katholisch getauft und damit noch nicht "gerettet" gewesen sei. Auch sei er beim Schlagen der Indianer nicht blutrünstig vorgegangen.
Doch Indianer-Sprecher Ron Andrade widerspricht auch grundsätzlich der These, Serra habe Indianer geschützt. Wörtlich: "Serra wusste, was sie - die Soldaten und Siedler - taten. Sie nahmen das Land [der Indianer] weg, sie nahmen die Ernte weg, er wusste, dass die Soldaten Frauen vergewaltigen, und er drehte seinen Kopf weg." (theguardian.com, 25.01.2015)
Folter von Leib und Seele nach Fehlgeburt
Eine zum Katholizismus bekehrte Indianerin schildert jedenfalls das Schicksal einer anderen Indianerin in einem der Missionslager, nachdem sie dort eine Fehlgeburt erlitten hat. Wörtlich heißt es im Magazin Der Spiegel:
"Die Mönche beschuldigten sie des Kindsmordes. Sie musste ihr Haupthaar abschneiden, und sie wurde 15 Tage lang regelmäßig gegeißelt. Drei Monate lang trug sie Fußketten, und sonntags musste sie vor dem Kirchenaltar auftreten - in ihren Armen ein schrecklich bemaltes Baby aus Holz."
Im Magazin Der Spiegel heißt es dazu, die meisten Indianer "überlebten derlei Nächstenliebe der frommen Männer nicht". (21.11.1983)
Ob der Vorfall in diesem Beispiel zu Lebzeiten Serras und unter seiner unmittelbaren Verantwortung geschah oder erst unter seinen Nachfolgern, wird nicht berichtet. Doch es zeigt beispielhaft auf, was die Vatikankirche im Westen der USA an Grauen anrichtete, wobei sich auch Serra selbst nicht geschont haben soll.
Auch von anderer Seite werden heftige Vorwürfe erhoben, z. B. durch Geschichtsprofessor Steven Hackel. Er erinnert unter anderem daran, dass der neue Heilige vor seinem Missionsauftrag an der nordamerikanischen Westküste als Kommissar der Inquisition in Mexiko unter anderem für Hexenprozesse zuständig war. In Mexiko hatte er zur Abschreckung zum Beispiel mit Kerzen ausgeleuchtete Totenschädel umher geschwenkt. Später wurde er von der Kirche Richtung Norden berufen, eben an die nordamerikanische Westküste.
Im heutigen Kalifornien hatte er dann die Indianer in katholischen Missionslagern ihrer Freiheit beraubt, "versklavt" und zum Kirchen-Bauen gezwungen. Sie seien auch "gezwungen worden, eine fremde Sprache zu lernen, viele seien zwangsverheiratet worden. Viele seien den von den Europäern eingeschleppten Krankheiten zum Opfer gefallen", so eine Zusammenfassung der Darlegungen von Geschichtsprofessor Steven Hackel.
"Alle haben eine Meinung über Serra", erklärt Hackel. Kirche und Indianer müssten sich endlich an einen Tisch setzen und "offen über die Vergangenheit sprechen". Beim Besuch des Papstes im September wird es wohl nicht dazu kommen, denn Kalifornien steht nicht auf dem Reiseplan des Pontifex.