24.11.12003, 12:39
Urteile sind nur wertvoll, wenn sie bejahen. Jedes verneinende, tadelnde Urteil, wenn es als Betrachtung noch so richtig ist, wird falsch, sobald man es äußert. Was Menschen übereinander reden, davon sind zwei Drittel solche >Urteile<.
Wenn ich von einem Menschen sage, er sei mir zuwider, so ist das eine ehrliche Aussage. Wer sie hört, dem ist es anheimgegeben, ob er die Schuld an diesem Zuwidersein mir oder dem anderen zuschreiben will. Sage ich aber von jemand, er sei eitel, oder geizig, oder er trinke, so tue ich unrecht.
Auf diese Art ließe sich jeder Mensch rasch durch Urteile >erledigen<. Für diese Art von Urteil ist Jean-Paul ein Biertrinker, Feuerbach eine Sammetjacke und Hölderlin ein Verrückter gewesen. Ist damit etwas über sie gesagt, etwas von ihnen gegeben?
Ebensogut kann einer sagen: Die Erde ist ein Planet, auf dem es Flöhe gibt.
Diese Art von >Wahrheiten< sind der Inbegriff aller Fälschung und Lüge.
Wirklich wahr sind wir nur, wo wir jasagen und anerkennen.
Das Feststellen von >Fehlern<, und klinge es noch so fein und geistig, ist nicht Urteil,
sondern Klatsch.
H. Hesse