Russische Märchen
#1
<span style='color:green'><span style='font-size:14pt;line-height:100%'>Russische Märchen</span></span>

Der berühmte russische Märchensammler Aleksander Afanasjew (1826-1871) veröffentlichte 1855 -1864 seine Sammlung - "Russische Volksmärchen", die ca. 300 Volksmärchen enthält. Bis zum heutigem Tag ist diese Sammlung die wichtigste Quelle für jeden, der sich mit den russischen Märchen befassen möchte. Sie legen die wunderschöne Märchenwelt und dessen Aura dar, die ein Teil der russischen Literatur und Kultur dieses so großen Volkes darstellen.

In einem Zarenreich, in einem Staat, namens Ruß lebte einst ein Bauer mit seiner Frau. Sie hatten, fünf Kinder. Die Eltern, Großeltern und Kinder bewohnten eine Izba (Holzhaus) und waren arm. Die Haustiere: Die Kuh, das Schwein, das Schaf und die Ziege wohnten damals unter einem Dach mit den Menschen - so war es wärmer während des kalten russischen Winters. Das Dorf stand mitten im Wald und nicht selten selbst der Herr des Waldes, der Bär, kreiste um das Dorf herum. Derweil klauten die Füchse die Hühner aus dem Hühnerstall oder der Wolf ein Schaf. Im Sommer arbeiteten die Eltern vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Die Kinder sammelten Beeren und Pilze im Wald - alles wurde bei Tisch serviert. Im Winter, als der Schnee bis zu den Dächern des Dorfes reichte, pflegten die Kinder auf den breiten warmen russischen Ofen zu klettern, der mitten im Haus stand. Sie baten die Großmutter Märchen zu erzählen. Es gab damals keinen Fernseher und kein Radio. Deshalb bestand das höchste Vergnügen für die Kinder und ebenso für die Erwachsenen darin, an den langen Abenden Märchen, Legenden, Sagen oder Mythen zu hören. Diese wurden von der Großmutter oder dem Großvater gemächlich unter dem Knistern des Feuers erzählt. Die Großeltern kannten diese Erzählungen von ihren Großeltern und verstanden es gut, meisterhaft und lebendig zu überliefern. So sind alle diese Erzählungen für die Kinder zur Schule des Lebens geworden, und für den Erwachsenen eine immer lebende Unterhaltung.

Ab und zu kamen Stranniki (die Wanderer), Skomorochi (professionelle Spielleute) und Soldaten ins Dorf. Sie wurden mit Essen von unseren russischen Männern und Frauen versorgt. Das war ein Fest im Dorf. Von Haus zu Haus gingen die Gäste, erzählten Geschichten und Märchen von unbekannten Ländern und Königreichen, Sitten und dem Leben der Menschen von den entferntesten Ecken dieser Erde. Das Erzählen und der Erzähler genossen damals eine große Würde und sie pflegten ihre Sprache. Was konnte damals besser sein, als eine neue Erzählung oder ein neues Märchen? Das sollte weiter erzählt werden und manchmal wurde noch etwas dazu gedichtet.

So vergingen die Zeiten und von einer Generation zur anderen pflegte das russische Volk seine Literatur, die die Geschichten und Sitten des Volkes wiederspiegelte. Die Märchen sind dabei ein großer Bestandteil.

Bragi

Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!
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#2
[Bild: 55_2.gif]
“Seine Pflicht erkennen und tun, das ist die Hauptsache.” Friedrich der Große
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#3
Der gestrenge Frost

Gar manches gab es, gar manches geschah - so lebte auch mal ein Mann mit seiner zweiten Frau. Der Mann hatte eine Tochter, und auch die Frau hatte eine Tochter.
Alle wissen, was es heißt, eine Stiefmutter zu haben: Drehst du dich herum - wirst du geschlagen, und stehst du still - wirst du auch geschlagen.
Die eigene Tochter aber , die kann tun und lassen, was sie nur mag, für alles wird sie gestreichelt - bist ein braves Kind. Die Stieftochter füttert und tränkt das Vieh, trägt Wasser und Holz ins Haus, heizt den Ofen, kehrt die Stube, und dies alles noch lang vor Tag und Morgengrauen. . .
Aber nichts kann sie der Alten recht machen - alles ist nicht richtig - alles ist schlecht.
Der Wind, der braust und legt sich wieder , ein altes Weib aber - kommt es erst in Fahrt - ist nicht zu besänftigen.

So hatte es sich die Stiefmutter in den Kopf gesetzt, die Stieftochter aus der Welt zu schaffen.
"Alter", sagt sie zum Manne, "fahr sie weg, bring sie, wohin du willst, nur schafft sie mir aus den Augen! Fahr sie in den Wald, in den knirschenden Frost"
Der alte Mann grämte sich und weinte, doch was half ihm das, er konnte mit dem Weib nicht fertig werden. So spannt er denn an und sagt :

[Bild: bild2.jpg]

"Setz dich in den Schlitten, liebe Tochter."
Und er fuhr die Heimatlose in den Wald, setzte sie auf einer Schneewehe unter einer großen Fichte ab und fuhr eilig davon. Das Mädchen sitzt unter der Fichte und zittert vor Kälte...
Da hört sie plötzlich, wie gar nicht weit von ihr entfernt der Frost in den Ästen knackt, von Fichte zu Fichte springt und immer heller klingt. Jetzt ist er auf dem Baum angekommen, unter dem das Mädchen sitzt. Er ruft ihr von oben her zu:
"Ist dir warm, Jungfer?"
"Warm ist mir, Väterchen Frost, ganz warm."
Da kommt er tiefer herab, das Knacken und Knirschen, wird stärker:
"Ist dir warm, Jungfer? Ist dir warm, schönes Kind?"
Sie kann kaum noch atmen:
"Warm ist mir, Väterchen Frost, ganz warm."
Und noch tiefer kommt er herabgestiegen, immer toller knackt und knirscht es:
"Ist dir warm, Jungfer? Ist dir warm, schönes Kind? Ist dir warm, mein Herzblättchen?"
Das Mädchen fängt schon an zu erstarren, kann kaum noch die Zunge bewegen :
"So warm ist mir, lieber Frost!"
Da erbarmte sich der Frost des Mägdleins, hüllte es in warme Pelze und wärmte es mit Daunendecken.
Die Stiefmutter aber hatte ihm unterdessen schon das Totenmahl gerichtet. Sie bäckt Plinsen und ruft dem Manne zu:
"Mach hin, alter Knacker. Hol deine Tochter, daß man sie beerdigt."
Der Alte fährt in den Wald und kommt an die bewusste Stelle. Unter der großen Fichte aber sitzt seine Tochter rosigfrisch im Zobelpelz. Ganz in Gold und Silber. Und neben ihr steht ein großer Korb voll kostbarer Geschenke.
Der Alte freute sich, lud das Gut in den Schlitten, setzte seine Tochter dazu und fuhr heim.
Zu Hause bäckt die Alte unterdessen die Plinsen, unterm Tisch aber kläfft das Hündchen:
"Blaff, blaff! In Gold und Silber kommt des Alten Tochter heim, um der Alten Tochter aber will keiner frein!"
Die Alte wirft dem Hündchen eine Plinse zu :
"Du kläffst nicht richtig! Mußt sagen: Der Alten Tochter holt ein Freier heim, von des Alten Tochter klappert im Sack das Gebein!"
Der Hund frißt die Plinse und fängt von neuem an:
"Blaff, blaff! In Gold und Silber kommt des Alten Tochter heim, um der Alten Tochter aber will keiner frein!"
Die Alte warf dem Hündchen Plinsen zu, sie schlug es, das Hündchen aber blieb bei seiner Weise. Da knarrt das Tor, die Tür springt auf, und in die Stube tritt, von Gold und Silber strahlend, die Stieftochter. Hinter ihr her wird ein großer, schwerer Korb getragen.

[Bild: bild4.jpg]

Die Alte blickte auf und schlug die Hände über dem Kopf zusammen...
"Spann an, alter Knacker, ein frisches Pferd! Fahr meine Tochter in den Wald, und setze sie an der gleichen Stelle ab..."
Der Alte setzte die Tochter seiner Frau in den Schlitten und fuhr mit ihr in den Wald. Er setzte sie auf der gleichen Schneewehe unter der großen Fichte ab und fuhr davon.

Die Tochter der Alten sitzt da und klappert mit den Zähnen.
Der Frost aber knackt durch den Wald, springt von Fichte zu Fichte und äugt nach der Tochter der Alten:
"Ist dir warm, Jüngferlein?"
Sie antwortet :
"Au, kalt ist es! Knirsch und knacke nicht, Frost..."
Der kommt tiefer herunter, immer ärger knackt und knirscht er
"Ist dir warm, Jüngferlein? Ist dir warm, schönes Kind?"
"Au weh! Meine Hände und Füße erfrieren mir. Geh weg, Frost!"
Noch tiefer steigt er herunter, zieht stärker an, knirscht und knackt noch toller:
"Ist dir warm, Jüngferlein? Ist dir warm, schönes Kind?"
"Au! Jetzt hast du mich ganz vereist! Heb dich weg, verschwinde, verfluchter Frost!"
Da ergrimmte der Frost und hauchte die Tochter der AIten an, daß sie erstarrte.
Beim ersten Morgengrauen jagt die Frau ihren Mann hinaus.
"Spann schnell an, alter Knacker, und hol meine Tochter heim, bring sie mir in Gold und Silber..."
Der Alte war weggefahren. Da kläfft das Hündchen unter dem Tisch :
"Blaff, blaff! Des Alten Tochter holt ein Freier heim, von der Alten Tochter klappert im Sack das Gebein!"

[Bild: bild7.jpg]

Die Alte warf ihm eine Pirogge hin:
"Du kläffst nicht richtig! Mußt sagen: Der Alten Tochter bringt man in Gold und Silber heim."
Das Hündchen aber kläfft immer das gleiche :
"Blaff, blaff! Von der Alten Tochter klappert im Sack das Gebein!"
Da knarrt das Tor, die Alte stürzt der Tochter entgegen.
Sie schlägt die Bastmatte auseinander - tot liegt die Tochter im Schlitten.
Es schrie und heulte die Alte, doch nun war es zu spät...

Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!
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