Alexander und die "Nackten Weisen"
#1
Von den Gymnosophisten (auch die „Nackten Weisen“ genannt — eine Brahmanenkaste, die in Indien großen politischen Einfluß besaß, und deren Anhänger nackt als Asketen unter freiem Himmel lebten; ihr König Sabbas hatte sich Alexander freiwillig unterworfen, fiel aber später wieder ab) nahm Alexander zehn fest.
Da sie in dem Ruf standen, meisterhaft in knapper Form auf Fragen antworten zu können, legte er ihnen allerhand spitzfindige Fragen vor. Er sagte dazu, er werde den als ersten töten lassen, der eine falsche Antwort gäbe, dann der Reihe nach die anderen; einen, den Ältesten von ihnen, bestimmte er zum Schiedsrichter.

Der erste erhielt die Frage, ob seiner Meinung nach die Lebenden oder die Toten mehr seien.
Er antwortete: „Die Lebenden, denn die Toten sind nicht mehr.“

Der zweite wurde gefragt, ob die Erde oder das Meer größere Tiere hervorbringe,
und er antwortete: „Die Erde, denn das Meer ist ein Teil der Erde.“

Den dritten fragte man, welches das schlaueste Tier sei.
Er antwortete: „Das, das der Mensch bis jetzt noch nicht kennengelernt hat.“

Der vierte antwortete auf die Frage, aus welcher Überlegung heraus er den Sabbas zum Aufstand bewogen habe: „Ich wollte, daß er entweder ruhmvoll lebt oder ruhmvoll stirbt.“

Der fünfte bekam die Frage, ob der Tag oder die Nacht früher gewesen sei, und er gab zur Antwort: „Der Tag, er war einen Tag früher.“
Da Alexander hierüber sein Befremden äußerte, erklärte er: „Auf verfängliche Fragen muß man eben auch verfängliche Antworten geben.“

Der König kam nun zum sechsten und fragte ihn, wie man die größte Beliebtheit erlangen könne.
Er bekam zur Antwort: „Wenn man zwar der Mächtigste sei, aber nicht gefürchtet wird.“

Von den restliche drei wurde einer gefragt, wie jemand aus einem Menschen zu einem G*tt werden könne.
Die Antwort lautete: „Wenn er etwas tut, wozu ein Mensch nicht fähig ist.“

Der nächste wurde vor die Frage gestellt, was stärker sei, Leben oder der Tod.
Er erwiderte: „Das Leben, denn es erträgt so viel Leid.“

Den letzten fragte man, wie lange es für den Menschen gut sei, am Leben zu bleiben.
„So lange, bis er den Tod für besser hält als das Leben.“

Nun wandte sich der König an den Schiedsrichter und forderte ihn auf, das Urteil zu verkünden. Dieser erklärte, es habe immer einer schlechter geantwortet als der andere.
Darauf der König: „Also wirst du als erster sterben, da du ein solches Urteil abgegeben hast.
„Nein, oh König, antwortete der andere, „da würdest du ja lügen. Du hast doch gesagt, der solle als erster sterben, der die schlechteste Antwort gegeben habe.“
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#2
Er entließ nun die Leute reich beschenkt und schickte den Onesikritos zu den berühmtesten Weisen, die jeder für sich in der Einsamkeit lebten,
und ließ sie zu sich bitten.

Onesikritos war selber ein Philosoph, er stammt aus der Schule des Kynikers Diogenes.
Wie er berichtet, forderte ihn Kalanos zunächst sehr hochfahrend und schroff auf, seine Kleider abzulegen und nackt anzuhören, was er ihm zu sagen habe. Anders werde er sich nicht mit ihm unterhalten, und wenn er von Zeus persönlich käme.
Dandamis war etwas umgänglicher, er ließ sich von Sokrates, Pythagoras und Diogenes erzählen und sagte dann, diese schienen ihm ja begabte Männer gewesen zu sein, aber sie hätte ihr Leben zu ängstlich nach den herrschenden Sitten ausgerichtet.
Andere berichten Dandamis hätte nichts weiter gesagt als nur das eine:
„Aus welchem Grund ist Alexander eigentlich diesen weiten Weg hierhergekommen?“

Den Kalanos beredete Taxiles schließlich doch, zu Alexander zu gehen. Er hieß eigentlich Sphines, weil er aber die Leute, die ihm begegneten, statt mit den griechischen „sei gegrüßt“ mit dem indischen „kale“ anredete, nannten ihn die Griechen Kalanos.
Er soll Alexander ein Sinnbild seiner Herrschaft vorgeführt haben. Er legte nämlich eine trockene, ausgedörrte Tierhaut vor seinen Zuschauern auf den Boden und trat auf ihren Rand. Sobald sie an einer Stelle niedergedrückt wurde, erhob sie sich an den anderen Seiten. Kalanos ging nun im Kreis herum und zeigte, dass immer dasselbe geschah, wohin er auch trat, bis er schließlich in die Mitte trat und so die Haut festhielt, wodurch das Ganze zur Ruhe kam. Diese Bild sollte Alexander belehren, dass er in erster Linie den Mittelpunkt seines Reiches fest in der Hand behalten müsse und sich nicht zu weit davon entfernen dürfe.
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