12.07.12008, 23:10
Von 1.194 – 1.184 v. d. Z. fand der berühmteste Krieg der Antike am Hellespont vor den gewaltigen Toren Trojas statt. Niemand weiß, wann die Mauern Trojas entstanden sind, aber man kennt die Legende, wie sie erbaut wurden:
Der Legende nach hat Dardanos (ein Sohn des Göttervaters Zeus) die Halbinsel um den Hellespont in Besitz genommen und in zwei Hälften eingeteilt. Den südlichen Teil nannte er Dardanien und den nördlichen Teil Troas mit seiner Hauptstadt Troja.
Mit dem nördlichen Teil ist gleichzeitig auch die Herrschaft über den Hellespont verbunden und damit die Möglichkeit und das Recht, Zölle zu erheben an Kaufleute und Händler, die ins Marmarameer segeln und Handel treiben wollen.
Als Dardanos seinen göttllichen Vater bat, Troja mit unzerstörbaren Mauern zu umgeben, konnte Zeus diesem Wunsch gern nachkommen, da zufälligerweise zwei Götter bei ihm in Ungnade gefallen waren: Poseidon und Apollo.
Sie sollten nach Troja gehen und dort eine Festungsanlage errichten, die höher und stärker sein sollte, als alles bisher Dagewesene.
Zeitsprung:
Die Belagerung der Stadt Troja durch die griechischen Armeen dauerte in etwa 10 Jahre und hätte wahrscheinlich nie ein Ende gefunden, wenn nicht Priamos letztlich die Entscheidung getroffen hätte, hinter seinen, von Göttern gebauten, schützenden Mauern hervorzukommen und mit seinen Soldaten gegen die Griechen und die so gefürchteten Myrmidonen und Achilles zu kämpfen.
Was aber war der Grund dafür, dass Priamos diese Entscheidung getroffen hat?
Er hätte noch Jahre hinter seinen Mauern verbringen und auf die baldige Ankunft der Amazonen warten können, die ihm Unterstützung zugesagt und die Aufgabe abgenommen hätten, gegen die Myrmidonen und Achilles zu kämpfen.
In vielen Schriften, Filmen und Büchern wird über Achilles berichtet, wie er Troja erobert und die trojanische Elite vernichtet hat.
Es ist wahrscheinlich einem Menschen zu verdanken, dass die Griechen überhaupt in die Situation versetzt wurden, gegen die Trojaner zu kämpfen.
Auch im Film „Troja“ von Wolfgang Petersen kommt diese wichtige Persönlichkeit nur am Rande vor.
Dies ist eine Geschichte dieser Person und gibt eine mögliche Erklärung ab, und sie wird von
Agamemnon erzählt:
Die Schlachtbefehle waren längst an die Armee ausgegeben worden, aber Priamos blieb hinter seinen Mauern. Selbst die trojanischen Raubzüge hörten auf. Meine Truppen litten unter Ungewissheit und Untätigkeit. Da es nichts zu besprechen gab, berief ich keine Ratsversammlung ein, bis Odysseus erschien.
„Majestät, würdet Ihr für heute Mittag den Rat einberufen?“, bat er.
„Warum? Es gibt nichts zu bereden.“
„Möchtet Ihr nicht wissen, wie Ihr Priamos herauslocken könnt?“
„Worauf wollt ihr hinaus, Odysseus?“
Er sah mich mit einem strahlenden Lächeln an. „Majestät! Wie könnt Ihr verlangen, dass ich meine Geheimnisse jetzt preisgebe? Genausogut könntet ihr um Unsterblichkeit bitten!“
„Na schön. Eine Versammlung um zwölf Uhr.“
„Gewährt Ihr mir noch einen Gefallen, Majestät?“
„Welchen?“, fragte ich vorsichtig. Er setzte das unwiderstehliche Grinsen auf, das er für die Momente aufsparte, wenn er unbedingt etwas erreichen wollte. Ich wurde schwach; mir blieb nichts anderes übrig, wenn Odysseus so lächelte.“
„Keinen allgemeinen Rat. Nur ausgewählte Männer.“
„Es ist Eure Versammlung, sagt, wen ihr wollt. Gebt mir Ihre Namen.
„Nestor, Idomeneus, Menelaos, Diomedes und Achilles.“
„Kalchas nicht?“
„Kalchas am allerwenigsten.“
„Ich wünschte, ich wüsste, warum ihr den Mann so wenig mögt, Odysseus. Wenn er ein Verräter wäre, würden wir es inzwischen herausgefunden haben. Dennoch besteht Ihr darauf, ihn von jeder wichtigen Beratung auszuschließen. Die Götter können bezeugen, dass es zahllose Gelegenheiten gegeben hat, unsere Geheimnisse an Troja zu verraten, aber er hat es nie getan.“
„Von einigen unserer Geheimnisse, Agamemnon, weiß er so wenig wie ihr. Ich glaube, er wartet auf das Geheimnis, das es wert ist, an die verraten zu werden, denen sein Herz gehört.“
Missmutig nagte ich an meiner Lippe. „Nun gut, kein Kalchas.“
„Und auch keine Erwähnung ihm gegenüber. Mehr noch, ich möchte, dass Fenster und Türen mit Brettern vernagelt werden, nachdem wir uns versammelt haben, und die Posten davor sollen so eng stehen, dass sie sich berühren.“
„Odysseus geht das nicht zu weit?“
Er lachte boshaft. „Ich möchte nicht, dass Kalchas wie ein Narr dasteht, Majestät, und darum müssen wir die Sache in seinem zehnten Jahr zu Ende bringen.“
Die Hand voll Männer, um deren Erscheinen Odysseus gebeten hatte, erwarteten eine richtige Ratsversammlung und waren voller Neugier, als sie erfuhren, dass mehr nicht kommen würden.
„Warum nicht Meriones?“, fragte Idomeneus ein wenig ungehalten.
„Und warum nicht Ajax“, fragte Achilles streitsüchtig.
Ich räusperte mich; sie nahmen Platz. „Odysseus hat mich gebeten, Euch zusammenzurufen“, erklärte ich. „Nur Euch fünf, er und ich. Der Lärm, den ihr hört, kommt von den Wachen, die den Raum mit Brettern vernageln. Was Euch nachdrücklicher klarmacht, als ich es mit Worten vermöchte, wie geheim unser Treffen ist. Ich werde jedem von Euch eine Eid abnehmen: Nichts von dem, was hier besprochen wird, darf außerhalb dieser Wände erwähnt werden, nicht einmal im Schlaf.“
Einer nach dem anderen kniete nieder und legte den Schwur ab.
Odysseus begann mit gedämpfter Stimme zu reden; einer seiner Tricks. Er begann so leise, dass man sich anstrengen musste, ihn zu verstehen, und während er seine Ideen darlegte, wurde er immer lauter, bis seine Worte zum Schluss wie Getrommel von der Decke widerhallten.
„Bevor ich Euch den wahren Grund für diesen sehr kleinen Rat mitteile“, hob er kaum vernehmlich an, „muss ich einigen von Euch etwas sagen, was die anderen bereits wissen. Nämlich die wirkliche Funktion des Gefängnisses da draußen in der Senke.“
Mit wachsendem Zorn und Erstaunen hörte ich zu, wie Odysseus uns erzählte, was Nestor und Diomedes schon seit Jahren wussten. Warum war niemand von uns je auf die Idee gekommen nachzuforschen, was dort vor sich ging? Vielleicht, so musste ich trotz aller Empörung zugeben, weil es uns in den Kram passte, keine Fragen zu stellen; Odysseus hatte uns einige unserer ärgsten Probleme abgenommen, und sie waren nie wieder aufgetaucht. Aber nicht, wie ich jetzt erfuhr, aufgrund harter Gefängnisstrafen. Die Übeltäter waren seine Späher geworden.
„Nun“, sagte ich am Ende schmallippig, „zumindest wissen wir jetzt, weshalb ihr so unheimlich genau vorhersagen könnt, was Troja als nächstes unternehmen wird! Aber warum diese Geheimniskrämerei? Ich bin der König der Könige, Odysseus! Ich hatte das Recht, von Anfang an eingeweiht zu werden!“
„Nicht,“ entgegnete Odysseus, „solange Kalchas Euer Günstling war.“
„Er ist immer noch mein Günstling.“
„Aber nicht mehr so wie früher, nehme ich an.“
„Vielleicht. Vielleicht. Fahrt fort, Odysseus. Was haben Eure Spione mit diesem Treffen zu tun?“
„Sie sind nicht so untätig wie unsere Armee gewesen“, sagte er. „Ihr habt alle die Gerüchte gehört, weshalb Priamos keine Anstalten gemacht hat, hinter seinen Mauern hervorzukommen. Das bekannteste ist, dass er nicht so viel Unterstützung bekommen hat wie erwartet — dass er uns zahlenmäßig unterlegen ist. Das stimmt nicht. Im Augenblick verfügt er über fünfundsiebzigtausend Mann, die knapp zehntausend Kampfwagen nicht mitgerechnet. Wenn Penthesilea mit den Amazonen und Menon mit den Hethitern eintreffen, ist er uns deutlich überlegen. Hinzu kommt noch, dass er irrtümlich glaubt, wir könnten nur fünfzigtausend Mann aufbieten. Ihr dürft mir glauben, dass meine Informationen der Wahrheit entsprechen.
Ich habe Leute, die das Vertrauen von Priamos und Hektor besitzen.“
Er wanderte ein wenig in dem Raum umher, der viel Platz bot, da nur so wenig Männer anwesend waren. „Bevor ich fortfahre, muss ich über den König von Troja sprechen. Priamos ist ein sehr alter Mann, der den Zweifeln und dem Wankelmut, den Ängsten und den Vorurteilen ausgesetzt ist, die dieses Alter mit sich bringt.
Kurz, er ist kein Nestor. Nie und nimmer. Er herrscht über Troja weitaus autokratischer als jeder König Griechenlands — er ist buchstäblich Herrscher über alles, was er überblickt. Nicht einmal sein Sohn und Thronfolger wagt es, ihm zu sagen, was zu tun ist. Agamemnon beruft Räte ein, Priamos Versammlungen. Agamenon hört zu, was wir zu sagen haben und berücksichtigt es. Priamos hört nur sich selbst zu — und allen, die wiederholen, was er denkt.“
Er blieb stehen, um uns zu mustern. „Das ist der Mann, den wir überlisten, der Mann, dem wir unseren Willen aufzwingen müssen, ohne dass er es überhaupt merkt.
Hektor weint, wen er die Festungsmauern entlanggeht, seine Mannen zählt und uns am Ufer des Hellespont sieht: wie eine reife Frucht, die nur noch gepflückt werden muss. Aeneas reibt sich auf und verzehrt sich. Nur Antenor tut nichts, und weil Priamos macht, was Antenor will, tut Priamos auch nichts.“
Eine weiter Runde um die Stühle; alle Köpfe folgten ihm. „Was ist also der wirkliche Grund, dass Priamos nicht losschlägt, obwohl jetzt die beste Gelegenheit ist, uns aus Troas zu vertreiben?
Wartet er wirklich auf Memnon und Penthesilea?“
Nestor nickte. „Zweifellos“, sagte er. „Das ist jedenfalls das, was ein sehr alter Mann tun sollte.“
Odysseus atmete tief ein; seine Stimme schwoll an. „Aber wir dürfen ihm nicht erlauben zu warten! ER MUSS aus der Stadt gelockt werden, bevor er es sich leisten kann, Männer zu Tausenden und Abertausenden zu verlieren. Meine Informationsquellen sind weitaus besser als die von Priamos, und ich kann Euch sagen, dass Penthesilea und Memnon eintreffen werden, bevor der Winter die Pässe aus dem Landesinneren unpassierbar macht. Die Amazonen kommen zu Pferde, gelten also als Reiterheer. Mit Ihnen verfügt Troja über eine zwanzigtausenköpfige Reiterarmee. In weniger als zwei Monden wird sie da sein, mit Memnon hart auf den Fersen.“
Ich schluckte. „Odysseus, das war mir nicht klar, hättet ihr mir das nicht früher sagen können?“
„Meine Information ist erst jetzt vollständig.“
„Ich verstehe. Fahr fort.“
„Hält sich Priamos aus reiner Vorsicht zurück, oder steckt mehr dahinter?“, fragte Odysseus in die Runde. „Die Antwort heißt: nicht aus Vorsicht. Er würde Hektor die Erlaubnis zum Losschlagen geben, wenn da nicht Achilles und die Myrmidonen wären. Er fürchtet Achilles und seine Männer mehr als alle unsere anderen Truppen und deren Anführer zusammen. Ein Teil seiner Angst geht auf gewisse Orakel über Achilles zurück — dass er es ein wird, der für die Zerstörung der Elite Trojas sorgen wird. Ein anderer Teil beruht auf der allgemeinen Einschätzung in den trojanischen Truppen, dass die Myrmidonen unschlagbar sind — dass Zeus sie aus einer Ameisenarmee geschaffen hat, um Peleus mit den besten Soldaten der Welt auszustatten. Nun, wir wissen alle, wie die einfachen Leute sind: abergläubisch und einfältig. Aber beides zusammen bedeutet, dass Priamos eine andere Armee braucht, die er gegen Achilles und die Myrmidonen ins Feld schicken kann.“
„Penthesilea oder Memnon?“, fragte Achilles mit grimmiger Miene.
„Penthesilea. Sie und ihre berittenen Kriegerinnen sind von Geheimnissen umgeben, und sie sollen mit weiblichen Zauberkräften anrücken. Versteht Ihr, Priamos kann nicht Hektor auf Achilles treffen lassen. Selbst wenn Apollo einen trojanischen Sieg garantiert, würde Priamos Hektor nicht gegen jenen Mann schicken, der nach seinen Orakeln die Besten Trojas auslöschen wird.“
Achilles blickte freudlos drein, doch er schwieg.
„Achilles hat seltene Gaben“, kommentierte Odysseus trocken. „ Er kann eine Armee befehligen wie Kriegsgott Ares selbst. Und er führt die Myrmidonen an.“
Nestor seufzte. „Nur zu wahr.“
„Kein Grund zur Verzweiflung, Nestor!“, entgegnete Odysseus fröhlich. „Ich besitze noch alle meine Fähigkeiten.“
Diomedes — natürlich wusste er schon Bescheid, was kommen würde — saß grinsend da. Achilles und mein Blick trafen sich, während Odysseus uns beide beobachtete. Dann stieß er mit dem Stab so heftig auf den Boden, dass wir zusammenzuckten, und als er weitersprach, klang seine Stimme wie Donnerhall.
„ES MUSS EINEN STREIT GEBEN.“
Wir sperrten den Mund auf.
„Den Trojanern ist Auskundschaften durchaus vertraut“, fuhr Odysseus in normalem Tonfall fort. „Tatsächlich haben mir trojanische Kundschafter in unserem Lager fast genauso viel genutzt wie meine in Troja. Ich kenne jeden einzelnen von Ihnen und versorge sie mit gezielten Informationen, die sie an Polydamas weitergeben, der sie angeworben hat — ein interessanter Mann, dieser Polydamas, der allerdings nicht so geschätzt wird, wie er es verdient. Wofür wir den Göttern, die auf unserer Seite sind, danken müssen. Ich brauch wohl nicht darauf hinzuweisen, dass seine Männer nur das weiterleiten, was ich sie wissen lasse, also etwa die dürftige Zahl der Soldaten, über die wir noch verfügen. Aber in den letzten Monden habe ich sie auch ermutigt, Polydamas ein bestimmtes Gerücht zuzutragen.“
„Gerücht?“, fragte Achilles stirnrunzelnd.
„Ja, Gerücht, die Leute glauben zu gern Gerüchten.“
„Was für ein Gerücht?“ fragte ich.
„Dass es zwischen Euch, Agamemnon, und Euch, Achilles, nicht zum Besten steht.“
Ich glaube, es verschlug mir länger den Atem, als es sollte, denn ich musste plötzlich hörbar nach Luft schnappen. „Es steht also nicht zum Besten zwischen Achilles und mir“, sagte ich langsam.
„So ist es“, bestätigte Odysseus und sah sehr zufrieden mit sich aus. „Die gemeinen Soldaten reden immer über ihre Heerführer. Und unter Ihnen ist allgemein bekannt, dass es zwischen Euch ab und an Differenzen gegeben hat. In letzter Zeit habe ich das Gerücht gestreut, Euer Verhältnis verschlechtere sich zusehends.“
Mit bleichem Gesicht stand Achilles auf „Mir gefällt dieses Gerücht nicht, Ithaker!“, erklärte er zornig.
„Das habe ich auch nicht erwartet, Achilles. Aber setzt Euch bitte wieder.“
Odysseus machte ein nachdenkliches Gesicht. „ Es passierte Ende letzten Herbstes, als die Beute aus Lyrnessos in Andramyttios aufgeteilt wurde.“ Er seufzte. „Wie traurig mit anzusehen, wie große Männer wegen einer Frau zerstreiten!“
Ich umklammerte die Stuhllehnen, um nicht aufzuspringen, und sah gekränkt hinüber zu Achilles. Seine Augen funkelten.
„Natürlich ist es unvermeidlich, dass ein solcher Grad gegenseitiger Abneigung schließlich zum großen Krach führt“ redete Odysseus munter weiter. „Niemand wäre im Geringsten verwundert, wenn es zwischen Euch zum Streit käme.“
„Worüber?“, wollte ich wissen. „Worüber?“
„Geduld, Agamemnon, Geduld! Zunächst einmal muss ich näher auf die Geschehnisse in Andramyttios eingehen. Ihr habt von der zweiten Armee als Zeichen ihres Respektes eine besondere Trophäe erhalten. Das Mädchen Chryseis, dessen Vater Hohepriester des Apollo in Lyrnessos war. Er zog eine Rüstung ab, griff zum Schwert und wurde im Kampf getötet. Doch nun sagt Kalchas, die Omen seien sehr ungünstig, wenn das Mädchen nicht in die Obhut der Apollo-Priester in Troja zurückkehren werde. Offensichtlich müssen wir mit dem Zorn der Götter rechnen, wenn wir dieser Forderung nicht nachkommen.“
„Das stimmt, Odysseus“, erklärte ich schulterzuckend. „Aber wie ich Kalchas schon gesagt habe, vermag ich nicht zu erkennen, was Apollo uns noch tun kann — er ist ohnehin völlig auf Seiten Trojas. Chryseis gefällt mir, und ich habe nicht die geringste Absicht, sie aufzugeben.“
Odysseus schnalzte mit der Zunge. „Tja! Ich habe freilich festgestellt, dass Kalchas Widerstand nicht schätzt. Ich bin sicher, dass er seine Ermahnung wiederholen wird, das Mädchen nach Troja zu schicken. Und um ihn zu unterstützen, sollten wir dafür sorgen, dass eine Epidemie in unserem Lager ausbricht. Ich kenne ein Kraut, das eine Mann für acht Tage heftig erkranken lässt; danach wird er wieder völlig gesund.
Sehr eindrucksvoll! Wenn die Epidemie erst ausgebrochen ist, muss Kalchas noch dringlicher fordern, dass Ihr Chryseis herausgebt, Majestät. Und angesichts des geballten göttlichen Zorns in Form dieser Epidemie werdet ihr nachgeben, Majestät.“
„Wohin soll das führen“, fragte Menelaos gereizt.
„Das werdet ihr sehr bald erfahren. Ich verspreche es.“ Odysseus konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf mich. „Ihr seid natürlich, Majestät, nicht irgendein Prinz, dem man einfach wegnimmt, was ihm zusteht. Ihr seid König der Könige. Und deshalb muss man Euch Genugtuung verschaffen. Ihr könntet verlangen, dass die zweite Armee, die Euch das Mädchen geschenkt hat, auch für Ersatz sorgt. Nun ist derselben Beute ein zweites Mädchen Achilles zugesprochen worden — ziemlich willkürlich. Sie heißt Briseis. Alle Könige und zweihundert höhere Offiziere haben gesehen, wie gern der oberste König sie für sich gehabt hätte — lieber jedenfalls als Chryseis. Klatsch verbreitet sich schnell, Agamemnon. Inzwischen weiß die ganze Armee, dass Ihr Briseis vorgezogen hättet. Es ist allerdings auch allgemein bekannt, das Achilles eine hohe Wertschätzung für Briseis hegt und sich höchst ungern von ihr trennen würde. Patroklos, wie ihr wisst, läuft jedenfalls mit einem ziemlich langen Gesicht umher.“
„Odysseus, Ihr begebt Euch auf einen sehr schmalen Grat“, erklärte ich, bevor Achilles etwas sagen konnte.
Er ignorierte mich und plauderte weiter. „Ihr und Achilles werdet Euch über eine Frau zerstreiten, Agamnenon. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass Zwistigkeiten wegen Frauen von allen und jedem sofort akzeptiert werden — schließlich wissen wir alle, dass solche Zerwürfnisse überaus häufig vorkommen und für den Tod so manchen Mannes verantwortlich sind. Ich möchte mal vermuten, mein lieber Menelaos, dass man Helena zu diesen Streitfällen zählen darf.“
„Vermutet besser nicht“, knurrte mein Bruder.
Odysseus zwinkerte. Oh, welch ein Schurke! Wenn er einmal in Fahrt war, konnte ihn niemand stoppen.
„Ich selbst“, fuhr er fröhlich fort, „werde mir erlauben, unserem Priester Kalchas ein paar Omen unter die Nase zu halten, und ich werde auch die Epidemie auslösen. Ich verspreche Euch, die Krankheit wird selbst Podalieros und Machaon irreführen! Einen Tag nach ihrem Ausbruch werden Angst und Schrecken im Lager herrschen. Wenn ihr von dem Ernst der Lage unterrichtet worden seid, Agamemnon, werdet ihr unverzüglich Kalchas aufsuchen und ihn fragen, was welchen G*tt erbost hat.
Das wird ihm gefallen. Aber noch mehr wir ihm Euer Wunsch nach einer öffentlichen Wahrsagung gefallen. Vor den versammelten Offizieren der Armee wird er verlangen, dass Ihr Chryseis nach Troja schickt. Eure Position, Majestät, wird völlig unhaltbar. Ihr müsst einwilligen. Ich bin allerdings sicher, dass Euch niemand Vorwürfe mache wird, wenn ihr daran Anstoß nehmt, dass Achilles über Euch lacht. Bei einer öffentlichen Weissagung! Unverzeihlich!“
Spätesten jetzt waren wir sprachlos, obwohl ich bezweifle, dass Odysseus innegehalten hätte, auch wenn Zeus ihm einen Blitz vor die Füße geschleudert hätte.
„Ihr werdet natürlich zornig sein, Agamenonm, und von Achilles verlangen, dass er Euch Briseis gibt. Dann appeliert Ihr an die versammelten Offiziere: Eure Trophäe ist Euch entrissen worden, und deshalb muss Achilles die seine an Euch abtreten. Achilles wird sich weigern, aber seine Position ist genauso unhaltbar wie die Eure, als Kalchas Chryseis velangte. Er muss Euch Briseis übelassen, und zwar an Ort und Stelle. Aber nachdem er das getan hat, wird er Euch daran erinnern, dass weder er noch sein Vater den Eid des gevierteilten Pferdes abgelegt haben. Vor der Versammlung wird er verkünden, dass er sich mit seinen Myrmidonen aus dem Krieg zurückzieht.“
Odysseus lachte dröhnend und reckte die Fäuste.
„Für einen bestimmten Trojaner werde ich ein besonderes Versteck reservieren. Innerhalb eines Tages wird ganz Troja von dem Streit wissen.
Wir saßen da, als seien wir vom Blick der Medusa in Stein verwandelt worden. Wie sehr er die anderen aufgewühlt hatte, konnte ich nur vermuten, meine eigene Erregung war erschreckend genug. Aus einem Augenwinkel heraus sah ich, dass Achilles sich regte, und voller Neugier, was er wohl unternehmen würde, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf ihn.
Odysseus konnte mehr verborgene Skelette aus verborgenen Gräbern hervorholen und sie schütteln als jeder andere, den ich je kennen gelernt habe.
Bei der Großen Mutter, er war einzigartig.
Achilles war nicht wütend, was mich verwunderte.
In seinen Augen lag blanke Bewunderung.
„Was seid ihr nur für ein Mensch, Odysseus, dass Ihr Euch solch eine Geschichte ausdenkt! Es ist ein listiger Plan — einfach umwerfend! Ihr müsst allerdings zugeben, dass er weder für Agamemnon noch für mich sehr schmeichelhaft ist. Wir müssen uns der Lächerlichkeit und der Verachtung preisgeben, wenn wir tun, was ihr verlangt.
Und darum sage ich Euch jetzt: Selbst wenn ich dafür sterben muss, werde ich Briseis nicht aufgeben.“
Nestor hüstelte. „Ihr werdet überhaupt nichts aufgeben, Achilles. Die beiden jungen Frauen kommen in meine Obhut, wo sie bleiben, bis sich die Dinge so entwickelt haben, wie Odysseus es plant. Ich werde sie an einen geheimen Ort bringen, so dass niemand weiß, wo sie sich befinden. Nicht einmal Kalchas.“
Achilles war noch nicht überzeugt. „Ein redliches Angebot, Nestor, und eins, dem ich traue. Aber ihr versteht sicher, warum mir der Plan missfällt. Was ist, wenn es uns gelingt, Priamos hereinzulegen? Ohne die Myrmidonen in vorderster Reihe erleiden wir Verluste, die wir uns einfach nicht leisten können. Ich übertreibe nicht: Im Kampf haben wir die Aufgabe, die Vorhut zu bilden. Ich kann keinen Plan akzeptieren, der so viele Leben gefährdet.“ Er blickte düster drein. „Und was ist mit Hektor? Ich habe geschworen ihn zu töten, aber was, wenn er fällt, während ich nicht mitkämpfe? Und wie lange soll ich eigentlich der Schlacht fernbleiben?“
Odysseus antwortete ihm. „Ja, wir werden Männer verlieren, die nicht fallen würden, wenn die Myrmidonen da wären. Aber die Griechen sind auch keine schlechten Krieger. Ich zweifle nicht daran, dass wir uns gut schlagen werden. Eure große Frage — wie lange ihr nicht mitkämpfen werdet — beantworte ich im Augenblick nicht. Ich möchte liebe darüber reden, wie wir Priamos aus seinen Mauern herauslocken. Ich frage euch: Was ist, wenn sich dieser Krieg noch Jahre hinzieht? Wenn unsere Männer alt werden ohne die Heimat wieder zu sehen? Oder wenn Priamos zum Kampf antritt, nachdem Penthesilea und Memnon eingetroffen sind? Ob mit oder ohne Myrmidonen: Wir werden in Stücke gehauen.“ Er lächelte. „Was Hektor angeht, er wird so lange leben, bis er Euch gegenübersteht, Achilles. Ich spüre es in meinen Knochen.“
Nestor ergriff das Wort. „Wenn die Trojaner erst einmal hinter ihren Mauern hervorgekommen sind, gibt es für sie kein zurück mehr“, sagte er.
„Wenn sie schwere Verluste erleiden, erhält Priamos Informationen, dass unsere noch schlimmer sind. Wenn wir sie herausgelockt haben, wird der Damm brechen. Sie werden nicht eher ruhen, bis sie uns vertrieben haben oder der letzte von ihnen tot ist.“
Achilles breitete die Arme aus, die mächtigen Muskeln dehnten sich unter der Haut. „Ich bezweifle, dass ich die Kraft habe, nicht zu kämpfen, wenn alle anderen es tun, Odysseus. Zehn lange Jahre habe ich darauf gewartet, beim Töten dabeizusein. Und noch etwas gilt es zu bedenken. Was wird die Armee von einem Mann halten, der ihr einer Frau wegen in der Stunde der Not den Rücken kehrt — und was werden meine Myrmidonen von mir denken?“
„Niemand wird freundlich über Euch reden, Achilles, das ist sicher“, entgegnete Odysseus nüchtern. „Um das zu tun, was ich verlange, braucht man einen ganz besonderen Mut, mein Freund. Mehr Mut, als morgen den westlichen Vorhang zu erstürmen. Dass mich keiner falsch versteht! Achilles hat die ganze Sache nicht einen Deut düsterer beschrieben, als sie in Wirklichkeit ist. Viele werden Euch verunglimpfen, Achilles. Viele werden Euch verdammen, Agamemnon. Einige werden Euch verfluchen. Einige werden vor Euch ausspucken.“
Achilles setzte ein schiefes Lächeln auf und sah mich nicht unbedingt ablehnend an. Odysseus war es gelungen, uns einander näher zu bringen, als ich es nach den Ereignissen in Aulis für möglich gehalten hätte. Meine Tochter! Meine arme kleine Tochter! Ich saß schweigend da und versuchte, mich an die wenig schmeichelhafte Rolle zu gewöhnen, die ich zu übernehmen hatte. Wenn Achilles wie ein unbeherrschter Narr aussehen sollte, was für einen Narren sollte ich dann abgeben? War Narr überhaupt das richtige Wort? Idiot wäre wohl passender.
Achilles schlug sich heftig auf die Schenkel. „Es ist ein starkes Stück, das Ihr da von uns verlangt, Odysseus, aber wenn Agamenon sich bereit erklärt, seinen Teil der Last zu tragen, wie kann ich dann ablehnen?“
„Wie lautet Eure Entscheidung, Majestät?“ fragte Idomeneus in einem Ton, der klarmachte, dass er nie zustimmen würde.
Ich schüttelte den Kopf, stütze das Kinn in die Hand und überlegte, während die anderen mich beobachteten. Achilles unterbrach mein Sinnen, indem er sich erneut an Odysseus wandte.
„Beantwortet mir die eine große Frage, Odysseus, wie lange?“
„Es wird zwei oder drei Tage dauern, um die Trojaner herauszubringen.“
Das ist keine Antwort. Wie lange muss ich mich aus der Sache heraushalten?“
„Lasst uns erst die Entscheidung des obersten Königs abwarten. Majestät, wie habt ihr Euch entschieden?“
Meine Hand sank herab. „Ich mache es unter einer Bedingung: dass jeder in diesem Raum einen feierlichen Eid ablegt, bis zum völligen Ende dieses Unternehmens dabeizubleiben, gleichgültig, wie dieses Ende sein wird. Odysseus ist der einzige, der uns durch dieses Labyinth führen kann — für solche Ränkespiele sind die hohen Könige von Mykene nicht geschaffen. Das ist das Los der Könige auf den Äußeren Inseln. Seid Ihr bereit zu schwören?“
Sie waren bereit. Ohne einen Priester schworen wir auf die Häupter unserer männlichen Kinder, auf Ihre Kraft, sich fortzupflanzen, und auf das Erlöschen der unserer Dynastien. Das wog schwerer als das Gevierteilte Pferd.
„So, Odysseus“, sagte Achilles, „bringt es zu Ende.“
„Überlasst Kalchas mir. Ich sorge dafür, dass er tut, was wir erwarten, ohne zu wissen, was wir erwarten. Er wird genauso an sich glauben wie der arme Hirtenjunge, der aus der Menge ausgewählt wird, um bei den Gelagen der Mänaden den Dionysus zu spielen. Achilles, sobald Ihr Briseis übergeben und Euren Standpunkt erklärt habt, sammelt Ihr Eure Myrmidonen-Offiziere und zieht Euch unverzüglich in Euer Lager zurück. Nur gut, dass Ihr damals darauf bestanden habt, einen Palisadenzaun auf unserem Gelände zu errichten. So wird man Eure Abkehr leicht bemerken. Ihr werdet den Myrmidonen verbieten, das abgesperrte Gebiet zu verlassen, und auch Ihr selbst müsst dort bleiben. Fortan werdet Ihr besucht, dürft aber selbst keine Besuche machen. Alle werden vermuten, dass die, die Euch aufsuchen, Euch umzustimmen versuchen. Doch Ihr müsst stets und auch gegenüber Eurem engstem Freundeskreis als äußerst erzürnter Mann auftreten — wie jemand, der zutiefst verletzt und furchtbar enttäuscht wurde, wie jemand, der glaubt, dass ihm bitteres Unrecht geschehen ist, wie jemand, der eher sterben würde, als seine Beziehungen zu Agamemnon zu kitten. Habt Ihr mich verstanden?“
Achilles nickte ernst. Jetzt, da die Sache entschieden und der Eid abgelegt war, wirkte er resigniert. „Werdet ihr mir jetzt endlich antworten?“ fragte er. „Wie lange?“
„Nicht vor dem allerletzten Moment“, entgegnete Odysseus. „Hektor muss — wie sein Vater — völlig davon überzeugt sein, dass er nicht verlieren kann. Führt sie an der Nase herum, Achilles, führt sie so lange an der Nase herum, bis ihr sie ersticken könnt. Die Myrmidonen werden noch vor Euch wieder dabeisein. „Er machte einen tiefen Atemzug. „Keiner kann vorhersagen, was im Kampf passiert, auch ich nicht, aber einige Dinge sind ziemlich gewiss. Zum Beispiel, dass wir ohne Euch und die Myrmidonen in unser eigenes Lager zurückgetrieben werden. Dass Hektor unseren Schutzwall durchbrechen und an unsere Schiffe gelangen wird. Ich kann die Ereignisse ein wenig beeinflussen, indem ich ein paar meiner Männer aus der Senke zwischen unsere Truppen einsetze. Sie können zum Beispiel für eine Panik sorgen, die in einem Rückzug endet. Ihr müsst entscheiden, wann genau der richtige Zeitpunkt zum Eingreifen gekommen ist, aber geht nicht selber in die Schlacht.
Lasst Patroklos die Myrmidonen führen. Dann sieht es so aus, als wärt ihr immer noch halsstarrig. Sie kennen die Orakel, Achilles. Sie wissen, dass wir sie nicht besiegen können, wenn Ihr nicht mit uns kämpft. Also täuscht sie. Kommt erst im allerletzten Moment auf das Schlachtfeld.“
Und danach schien es nichts mehr zu sagen zu geben. Idomeneus stand auf und rollte wild mit den Augen in meine Richtung. Niemand verstand es besser als er, wie hart es Mykene ankam, so sehr verunglimpft zu werden. Nestor beehrte uns mit seinem leeren Lächeln — er hatte das alles natürlich schon alles vor diesem Morgen gewusst. Genau wie Diomedes, der sich bei der Aussicht, dass andere die Narren spielten, ein breites Grinsen genehmigte.
Nur Menelaos hatte noch etwas zu bemerken „Darf ich einen kleinen Rat geben?“
„Natürlich!“, sagte Odysseus herzlich, „Nur zu.“
„Kalchas. Weiht in ein das Geheimnis ein. Wenn er Bescheid weiß, sind Eure Probleme nur noch halb so groß.“
Odysseus schlug mit der Faust in seine Handfläche. „Nein, nein, nein!“ Dieser Mann ist ein Trojaner. Vertraue nie einem Mann, der von einer feindlichen Frau in einem feindlichen Land geboren wurde, wenn Du auf seinem Grund und Boden kämpfst und die Möglichkeit hast, den Kampf zu gewinnen.“
„Ihr habt recht, Odysseus“, sagte Achilles.
Ich erwiderte nichts, wunderte mich jedoch. Jahrelang hatte ich mich für Kalchas eingesetzt, doch an diesem Morgen schien sich etwas in mir verändert zu haben, von dem ich noch nicht genau wusste, was es war. Er war immer am Ursprung der Dinge gewesen, die viel Unheil angerichtet hatten. Er hatte mich gezwungen, meine Tochter zu opfern, und so den Bruch mit Achilles herbeigeführt. Nun, wenn ihm wirklich nicht zu trauen war, würde sich das an dem Tag meines neuerlichen Streits mit Achilles herausstellen. Denn trotz aller einstudierter Starrheit würde seine Miene seine innere Befriedenheit verraten — wenn er überhaupt zu so einer Empfindung fähig war. Nach so vielen Jahren kannte ich ihn.
„Agamemnon“, kam Menelaos' quengelnde Stimme von der Tür, „wir sind eingeschlossen! Würdest Du bitte den Befehl geben, uns hinauszulassen?“
Quellen:
- Das Lied von Troja, Colleen McCullough
- Feuer von Olymp, Mary Renault
Im A & O das Geheimnis liegt - Omega siegt!