Vogelfreiheit
#1
Ich bin mir nach wie vor nicht ganz schlüssig, ob der nachfolgende Text nicht eher in den Gedanken-Ordner passt, denn gar so satirisch finde ich ihn gar nicht. Da es sich bei seinem Verfasser allerdings um einen Satiriker handelte... naja, jetzt steht er jedenfalls hier.


Vogelfreiheit


Es passierte in Bologna: Tierfreunde versuchten Vögel aus dem Zoo zu befreien.
Sie schlichen sich an einem Tag, an dem der Zoo geschlossen war, an die Käfige von Pfauen, Fasanen und Tauben, öffneten sie und liefen davon. Dann haben sie eine Nachrichtenagentur angerufen, um die Befreiungsaktion bekanntzumachen. Als die Journalisten an Ort und Stelle recherchierten, zeigte sich, daß die Vögel alle noch in ihren Volieren waren - sie dachten gar nicht daran, in die Freiheit zu türmen.
Man kann diese Geschichte auf verschiedene Arten interpretieren. Man kann sagen: Die armen Tiere mit ihren Vogelgehirnen haben gar nicht begriffen, welche Chance sich ihnen da bietet.
Es sollte ähnliches auch Menschen schon passiert sein.
Man kann auch über die Sklavenmentalität meditieren - die Vögel waren wohl schon lange in ihren Käfigen, vielleicht wurden sie gar da geboren und konnten sich kein anderes Leben als in der Gefangenschaft vorstellen.
Auch solche Einstellung ist den Menschen nicht unbekannt.
Es ist aber auch gut möglich, daß alles anders war; daß die Vögel sehr wohl verstanden haben, welche Gelegenheit ihnen die offenen Türen eröffneten, beschlossen jedoch - wohlüberlegt -, lieber im Zoo zu bleiben.
Ich weiß, daß diese Überlegung sehr unmodern, ja reaktionär ist, es gibt jedoch eine Reihe guter Argumente, die für sie sprechen: Im Käfig sind die Vögel in Sicherheit, werden vor Kälte und Hitze, vor Tieren und Menschen geschützt, und sie werden regelmäßig gefüttert. Und das einzige, was sie dafür bekommen, ist die Freiheit.
Freiheit ist ein abstrakter Begriff, der den meisten Vögeln - wenn es nicht gerade Adler sind - genausowenig bedeutet wie den meisten Menschen. Der Unterschied ist nur, daß die Vögel ihre Schnäbel nicht so weit aufreißen, um die Freiheit in höchsten Tönen zu besingen.
Tatsächlich - was können Pfaue, Fasanen und Tauben in Bologna mit ihrer Freiheit anfangen?
Am besten wären noch die Tauben dran: Sie könnten in der Stadt leichter als die anderen Vögel Futter finden und nicht so leicht eingefangen werden. Sie könnten auch ohne Schwierigkeiten irgendwohin wegfliegen, sozusagen emigrieren - wenn es ihnen gelungen wäre, den eifrigen italienischen Jägern auszuweichen.
Fasanen mit ihrem schmackhaften Fleisch und die schönen, aber ungeschickten Pfaue hätten in der Freiheit keine Überlebenschance gehabt. Sie wären Hunden, Kindern, Jägern, wilden Automobilisten und, im Endeffekt, Köchen - Bologna ist ja für seine Küche berühmt - ausgeliefert!
So gesehen, war die Entscheidung der Vögel klug und ganz menschlich.
Man muß aber auch über jene Tierfreunde nachdenken, die sie befreien wollten. Sie handelten sicher in der besten Absicht. Sie gaben sich die Mühe, über den Zaun in den verschlossenen Zoo zu steigen, riskierten dabei ihre eigene Freiheit. Sie haben aber gar nicht überlegt, ob sie den Vögeln damit einen Gefallen tun. Sie waren von ihrem Begriff der Freiheit so überzeugt, daß sie sich wohl keine Gedanken darüber machten, was mit den Vögeln geschieht, wenn sie erst vogelfrei sind.
Diese Gleichgültigkeit dem weiteren Schicksale der Befreiten gegenüber scheint ein allgemeiner Mangel all jener zu sein, die irgend jemanden partout befreien wollen, ohne ihn gefragt zu haben, ob er es will. Auch dies ist ein sehr reaktionärer Gedanke. Vielleicht wird man mir ihn widerlegen.


G. Laub
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#2
Heha! Der Artikel hat es in sich. Den muss ich ersteinmal verdauen! Vielen Dank Abnoba.
EigenSinnige Frauen
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#3
Hier noch ein Text von G. Laub, dem ich zwar nicht bedingungslos beipflichte, welcher aber einen - für meinen Geschmack - interessanten Gedankengang beinhaltet.



Abenteuer für die Medien


Der amerikanische Zeitungsverleger Bennett schickte im Jahre 1871 Stanley nach Afrika, den verschollenen Livingstone zu suchen. Er berichtete über seine Reise regelmäßig im New York Herald und schrieb dann darüber ein Buch. Wohlgemerkt, das Verschwinden und der Tod Livingstones wurde nicht von der Zeitung bestellt.
Ein anderer amerikanischer Zeitungsverleger, William Randolph Hearst, handelte nicht ganz dreißig Jahre später viel großzügiger. Er schickte einen bekannten Zeichner nach Kuba, mit dem Auftrag, Zeichnungen von dem Kriegsschauplatz zu machen. Als der Künstler nach einiger Zeit bei ihm nachfragte, was er wohl tun solle, da es keinen Krieg gab, antwortete Hearst telegrafisch: >>Sie besorgen die Bilder, den Krieg besorge ich.<< Der amerikanisch-kubanische Krieg kam - ob es Hearsts Werk war, weiß ich nicht so genau.
Nicht nur Kriegsabenteuer, auch viele anderen hätten nicht stattgefunden, wenn es die Medien nicht gäbe. Wer hätte schon Lust, Heldentaten zu vollbringen, von denen niemand weiß? Die Ritter kämpften angeblich, um den Namen ihrer Dame zu ehren - in der Tat strengten sie sich nur für die Troubadoure an, die ihren Ruhn verbreiteten. Und sie hatten recht: Von den vielen kleinen Kriegen, die die Altgriechen untereinander führten, wissen wir nur über den dämlichen, wegen einer Frau geführten Trojanischen Krieg so richtig Bescheid - dank Homer.
Dies waren aber nur bescheidene Anfänge. Seit sich die Kommunikationsmedien weltweit entwickelten, tun die Leute alle mögliche, um ins Fernsehen, in die Zeitung oder in das Guiness-Lexikon der Rekorde zu kommen: Sie tanzen wochenlang ununterbrochen, springen mit dem Motorrad über Wasserfälle, vertilgen Unmengen von harten Eiern oder Spaghetti, schwimmen zwischen Haien, spucken in die Ferne und aufs Ziel, lassen sich scheiden und heiraten wieder, demonstrieren gegen schlechte Behandlung von Küchenschaben, lassen sich bei lebendigem Leibe begraben oder nach dem Tode einfrieren, um wenigstens postum in die Zeitung zu kommen. Man kann sich darüber mokieren - dies soll aber jemand tun, der nie darauf erpicht war, eine Notiz über sich selbst in der Zeitung zu finden oder einen Auftritt im Fernsehen zu bekommen. Einem Autor steht es nicht zu. Die Menschen sehnen sich einfach nach Applaus oder zumindest nach der Gewißheit, daß man von ihrer Existenz weiß. Und bevor man sich empört, sollte man auch bedenken, daß neben den vielen idiotischen auch einige kluge und witzige Aussagen den Medien zuliebe gemacht worden sind.
Der größte Verführer ist natürlich das Fernsehen. Es wertet jeden auf (oder ab - eigene Anmerkung), den es zeigt, stellt dabei so manche Werte auf den Kopf und manche - ganz gegen den Kopf - auf Stelzen. Der polnische Aphoristiker Wieslaw Brudzinski schrieb: >>Um berühmt zu werden, muß man vierzig Jahre lang malen oder zwanzig Jahre lang Bestseller schreiben, zehn Jahre lang Hauptrollen im Theater spielen, fünf Jahre in Filmen auftreten oder aber einen Monat lang jeden Tag im Fernsehen Kochrezepte vorlesen.<<
Die Sucht nach Bekanntwerden führte zu vielen schlimmen Taten. Leute mordeten und raubten, um in Schlagzeilen zu kommen, bauten Skandale in naturam oder per Schreibmaschine, Frauen liefen nackt durch die Straßen, Politiker redeten... Vielleicht wäre so manches Verbrechen nicht passiert, wenn die Täter wüßten, daß niemand darüber die Öffentlichkeit unterrichten wird. Die Grundschuld liegt aber nicht bei den Medien. Auch ohne die hätten wir nicht weniger Chaos und keine besseren Politiker. In der Antike gab es kein Fernsehen, es gab jedoch einen Herostrates, der vor vierundzwanzig Jahrhunderten den herrlichen Artemistempel in Brand steckte, um berühmt zu werden.
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