Der Bananenquark in der Bückzone
#1
Im Auftrag von Muninn, aus der FAS vom 17. Dezember 2006:

Der Bananenquark in der Bückzone
Man geht los, um Salat und Joghurt zu kaufen, und kommt mit einem Zahnstocherspender wieder. Wem das passiert, der darf sich trösten: Schoppingforscher haben hart daran gearbeitet.

Was passiert, wenn Sie in einen Supermarkt gehen und ein Sixpack Bier und einen Beutel Chips in den Einkaufswagen legen? Gratuliere! Dann haben Sie nämlich „durch Verarbeitung komplexer Felder von In-Laden-Reizen multiple Kaufziele erreicht“. Mit der Hirnleistung, mit der Sie aus über dreißig Sorten Chips ausgerechnet „Cheese & Onion“ ausgewählt haben, haben Sie noch ganz andere Gleichungen gelöst. Und wenn sich nach dem Kauf herausstellt, daß Sie Zwiebeln gar nicht mögen, beseitigt ein „Supressormodul“ die „kognitive Nachkaufdissonanz“.
Schopping hat zu Unrecht den Ruf, eine anspruchslose Tätigkeit zu sein. In Wahrheit ist es wohl die am meisten unterschätzte Kulturtechnik unserer Zeit.
Legen Sie die Chips und das Bier ruhig ins Regal zurück, und kommen Sie mit auf eine Einkaufstour in einem Supermarkt. Dabei erfahren Sie, warum die Wissenschaft die Wildnis der Wühltische als Forschungsgebiet entdeckt hat, weshalb der Zucker in der Bückzone steht und wie dieser Zahnstocherspender in Ihrem Wagen landen konnte.

Einkaufswagen, Korb oder Hände?
Jeder Einkauf beginnt mit einem Einkaufszettel. Auf Ihrem steht: Salat, Bier, Konfitüre, Zahnpasta, Ahornsirup, Toilettenpapier, Kugelschreiber. Jetzt kommt die Grundsatzfrage: Wagen, Korb oder Hände? „Die Tatsache, daß die meisten Schopper zwei Hände haben, ist allgemein bekannt. Die Folgen daraus hingegen werden ignoriert“, sagt Paco Underhill. Underhill ist der wohl bekannteste einer ganzen Reihe von Sozialpsychologen, Neuroforschern und Spieltheoretikern, die Schopping zur Wissenschaft erklärt haben. Seine Beratungsfirma Envirosell unterhält Büros in New York, Mailand, Tokio und Mexiko-Stadt.
Bei einer Untersuchung für eine amerikanische Drogeriekette stellte Underhill fest, daß weniger als zehn Prozent der Kunden an der Kasse einen Korb hätten. Viele hielten Fläschchen und Schachteln umständlich in den Händen. Warum hatten sie keinen Korb genommen? Weil sie nur gekommen waren, um ein Aspirin zu kaufen. Erst beim Gang durch den Laden entschieden sie sich auch noch für das Schaumbad und das Mückenspray. Underhill schlug vor, die Angestellten sollten jedem Kunden, der mehr als zwei Produkte in den Händen trage, automatisch einen Korb anbieten. Der Durchschnittseinkauf pro Kopf stieg sofort an.
Sie entscheiden sich für einen Wagen. Dadurch haben Sie das Schoppingpotential maximal gewählt. Den Einfluß der Wagengröße auf Ihren Einkauf sollten Sie nicht unterschätzen. Nachdem Underhill beobachtet hatte, daß beim amerikanischen Haushaltswarengeschäft Pfaltzgraff viele Kunden mit übervollen Wagen an der Kasse ankamen, empfahl er den Einsatz von vierzig Prozent größeren Modellen. Auch diese Umstellung führte zu einem markanten Umsatzwachstum.
Größer als unbedingt nötig sollten die Wagen aber auch nicht sein, denn ihre Dimension wirkt sich direkt auf das Ladendesign und damit auf die Flächenproduktivität – den Umsatz pro Quadratmeter – aus. Durch die Wagengröße definiert sich die minimale Gangbreite: 180-Liter-Wagen beispielsweise sind etwa 70 Zentimeter breit; damit zwei Wagen problemlos aneinander vorbeikommen können, müssen die schmalsten Gänge mindestens 1,60 Meter breit sein.
Haben Sie Ihren Einkaufswagen? Schieben Sie los. Welche Produkte sollten Ihnen idealerweise gleich zu Beginn präsentiert werden? Die empirisch fundierte Antwort lautet: gar keine. In der Brems- oder Dekompressionszone, wie Ladenplaner den Bereich nach dem Eingang nennen, müssen sich die Kunden erst einmal an die neue Umgebung gewöhnen. Trotzdem glauben immer noch viele Händler, daß sich Artikel im Eingangsbereich besonders gut verkaufen. Das Gegenteil ist der Fall. Ganz egal, was dort plaziert wird, die meisten Kunden gehen achtlos daran vorbei.

Der Mann als Schoppingproblem
Die Bremszone eignet sich eigentlich nur dazu, die Männer loszuwerden. Männer, das gilt als gesichert, sind ein Problem, wenn es um Schopping geht. Abgesehen von einzelnen Produktkategorien wie elektronischen Geräten oder Werkzeugen ist Schopping Frauensache.
Selbst jenen hedonistischen Männern, die mal eben ein Parfum kaufen, traut man in dieser Sache nicht viel zu. Parfum- und Kosmetikabteilungen liegen meist im Eingangsbereich, damit die Männer kaufen und dann gleich wieder gehen können. Der geschlechtstypische Zug, die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen, kann für Händler allerdings auch positive Seiten haben. Eine Studie von Paco Underhill ergab: 65 Prozent aller Männer kaufen die Jeans, die sie in die Umkleidekabine mitgenommen haben, aber nur 25 Prozent der Frauen. Underhill rät, den Weg zu den Umkleidekabinen deutlich auszuschildern. Wenn ein Mann sie nicht sofort finde, könne er auf die Idee kommen, daß sich die ganze Mühe nicht lohnt.
Schlimmer noch als der Mann alleine ist der Mann, der eine Frau begleitet. Bei Zeitmessungen in einer amerikanischen Haushaltswarenkette blieben Frauen in Begleitung anderer Frauen durchschnittlich 8 Minuten und 15 Sekunden im Laden. Frauen in Begleitung von Männern nur 4 Minuten und 41 Sekunden. Da kein anderer Faktor sich stärker auf die Größe eines Einkaufs auswirkt als die Aufenthaltszeit im Laden, vernichten die Männer durch ihre bloße Anwesenheit wertvollen Umsatz. Sie verhindern, daß Frauen ihr volles Schoppingpotential entfalten können. „Man sollte eine Theke schaffen, an der Frauen ihre Ehemänner abgeben können, genau wir ihre Mäntel“ sagt Underhill. „Je nach Größe des Ladens braucht es Kurzzeit- und Langzeitparkplätze für die Männer.“ Kurzzeitparkplätze sind Sitzgruppen in den einzelnen Abteilungen, wo sich gelangweilte Männer hinsetzen und den Sportteil lesen, als Langzeitparkplatz ist das Café gedacht, das heute Bestandteil fast jedes größeren Warenhauses ist. Zu Hause sollen die Männer allerdings auch nicht bleiben: Unter Marketingexperten heißen sie „Brieftaschenträger“.

Der Kopfsalat sorgt für Kundenfrequenz
Sie haben die Bremszone durchschritten und das Männerproblem gelöst. Der Einkaufswagen ist immer noch leer. In den meisten Supermärkten landen Sie jetzt unweigerlich bei den Früchten und dem Gemüse. Das hat vor allem drei Gründe: Die marktähnliche Atmosphäre wirkt einladend, sie hebt die Supermärkte von den Discountern ab, die keine oder nur wenig Frischwaren anbieten, und sie sorgt für eine hohe Kundenfrequenz. Im Gegensatz zu Konserven können Sie Kopfsalat nicht für die nächsten drei Monate auf Vorrat kaufen. Frischeprodukte verlangen von Ihnen, daß Sie den Laden in kurzen Abständen besuchen. Und dabei fällt für den Händler immer der eine oder andere Impulskauf ab. Legen Sie den Kopfsalat – zum halben Preis, Ihre Stimmung steigt – in den Wagen, und gehen Sie weiter auf der Rennbahn. Rennbahn heißt der breite Durchgang, der bei vielen Supermärkten nahe an den Außenwänden durch den Laden führt.
Wenn Sie beim nächsten Regal das Sixpack auf ihren Kopfsalat stellen, wird klar, daß es nur wenige verkaufsfördernde Maßnahmen mit ausschließlich positiven Folgen für alle Beteiligten gibt. Der Salat unter dem Bier legt ein eindrückliches Zeugnis davon ab, daß der Betrieb eines Supermarktes ein ständiges Abwägen von Vor- und Nachteilen für Kunden und Händler bedeutet. Druckempfindliche Früchte und Gemüse wären eigentlich besser am Ausgang positioniert, wo man sie als letztes oben auf den Einkauf legen könnte. Das Fachwort hierfür lautet „Zielkonflikt“: Ein großer Laden lockt viele Leute an, die sich dann am Lärmpegel stören, den ein großer Laden mit sich bringt; niedrige Regale verschaffen mehr Überblick, senken aber die Anzahl der Produkte, die angeboten werden können; viele Aktionen bringen Kunden in den Laden, können aber dem Image als Ramschverkäufer Vorschub leisten. Wer nicht mit Kompromissen leben kann, sollte keinen Supermarkt betreiben.
Bier und Salat sind an Bord. Sie schieben den Wagen auf der Rennbahn weiter. Und jetzt? Bis vor kurzem wußte man erstaunlich wenig darüber, wie sich Kunden in einem Laden bewegen. Natürlich konnte ein Ladenbetreiber den Kassenstreifen auswerten und aus den gekauften Produkten ablesen, wo überall im Laden der Kunde gewesen sein mußte, aber die exakte Route zwischen Salat und Bier ließ sich daraus nicht rekonstruieren.
Ladenbesitzer haben ein vitales Interesse daran, daß der Kunde einen möglichst großen Teil des Ladens begeht, denn es gilt die einfache Regel: Je mehr verschiedene Produkte ein Kunde sieht, desto mehr kauft er. Wem es gelingt, die Leute so zu steuern, daß sie freiwillig auch noch den hintersten Winkel betreten, wird wie von selbst mehr Umsatz machen. Der Weg ist das Ziel, auch bei Schopping.
Der amerikanische Schoppingforscher Herb Sorensen ist der Meister der Kundenflußforschung. Er hat ein Navigationssystem entwickelt, mit dem sich zu jeder Zeit die Position jedes Einkaufswagens in einem Laden bestimmen läßt. Damit hat er weit über eine Million Schoppingrouten aufgezeichnet und festgestellt, daß der Durchschnittskunde nur einen Viertel des Ladens zu Gesicht bekommt.


Wird fortgesetzt...
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Es bedanken sich: Violetta
#2
Hallo Eiche,

das ist ja total spannend, was Du da schreibst. Das ist wirklich lehrreich.
Bin sehr gespannt auf die Fortsetzung.

Gruß Nordrun Ph34r
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#3
Zitat:„Man sollte eine Theke schaffen, an der Frauen ihre Ehemänner abgeben können, genau wir ihre Mäntel


Rofl

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#4
Brieftaschenträger


ich lach mich kaputt

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#5

Gegen den Uhrzeiger erhöht den Umsatz
Erinnern Sie sich, auf welcher Seite Sie den Laden betreten haben? Richtig: rechts. Menschen ziehen es vor, einen Laden im Gegenuhrzeigersinn zu begehen, deshalb werden die Eingänge meist rechts angelegt. Der Grund für diese eigentümliche Vorliebe ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Sie soll auf der Asymmetrie unseres Hirns beruhen.
Sorensen wollte wissen, ob sich aus der Bewegungsrichtung der Kunden wirklich ein Vorteil ergibt. Also verglich er in einem Testladen den Einkauf von Leuten, die linksherum und rechtsherum kreisten. Das Resultat war eindeutig: Wer im Gegenuhrzeigersinn durch den Laden ging, gab durchschnittlich 26,59 Dollar aus, wer sich im Uhrzeigersinn bewegte, 23,96 Dollar. Die Linksdreher sorgten für zehn Prozent mehr Einnahmen.
Sorensen studierte weitere 104 Supermärkte – 57 mit dem Eingang rechts, 22 mit dem Eingang in der Mitte, 25 mit dem Eingang links. Weil er keinen Zugang zu den vertraulichen Umsatzkanten hatte, zählten er und seine Mitarbeiter die Anzahl der Kunden im Laden, die Anzahl der geöffneten Kassen und die Anzahl der Autos auf dem Parkplatz. Sorensen nahm an: je höher diese Werte, desto höher der Umsatz. Bei den Läden mit dem Eingang rechts gab es 13 Prozent mehr Kunden, 4 Prozent mehr offene Kassen und 23 Prozent mehr parkende Autos.
Sie sind immer noch auf der Rennbahn. Neben dem Bier stehen die Chips. Chips standen nicht auf Ihrem Einkaufszettel, aber just nach dem Bier kommen Gedanken an einen gemütlichen Fernsehabend auf. Sie greifen sich einen Beutel.
Ihr Chips-Kauf gehört zu jenen siebzig Prozent der Kaufentscheide, die erst im Laden fallen. In der Tendenz zu ungeplanten Käufen liegt der Unterschied zwischen Einkaufen und Schopping. Einkaufen, das war, als Sie ein rotes T-Shirt wollten und mit einem roten T-Shirt den Laden verließen. Schopping ist, wenn Sie ein rotes T-Shirt wollen und mit blauen Hosen, grünen Socken und „3 für 2“-Kleiderrollern aus dem Laden kommen. Werbung kann die Leute anlocken, doch ob aus ihnen Käufer werden, entscheidet sich erst an Ort und Stelle. Die Entscheidungsschlacht um den Euro des Kunden findet vor dem Regal statt. Weil die Umsätze im Einzelhandel schwinden, wird heute nichts unversucht gelassen, den Kunden zu Spontankäufen zu verführen.
Die Erkenntnis, daß der Laden selbst sowie die darin dargebotenen Produkte genauso wirksame Marketinginstrumente sind wie Fernsehwerbung oder Sponsoring, ist neu und vielversprechend. „Eine Investition in die Regalpräsentation ist nachhaltiger als ein Dreißig-Sekunden-Fernsehspot“, sagt Bert Obermüller von der auf Ladenmarketing spezialisierten Firma Point-Of-Purchase Advertising International.

Die Gefahr lauert in den Gängen
Enge Durchgänge bedeuten Gefahr, da ist der Schopper ganz Mammutjäger geblieben – egal, ob die Wände aus Fels oder aus Katzenfutter bestehen. Sorensens typische Einkaufsrouten zeigen, daß er sich von der Rennbahn aus nur auf kurze Exkursionen in einen Gang begibt und dann auf dem gleichen Weg wieder flüchtet. Das führt dazu, daß die Produkte am Anfang und am Ende eines Ganges bis zu zehn Prozent mehr Kundenbesuche erhalten als jene in der Mitte.
Die Geschwindigkeit der Kunden ist dabei am Anfang des Ganges am höchsten. Diese „Anlaufzone“ ist ein blinder Bereich, der gern übersehen wird. Der Hotspot jedes Regals sollte nach Ansicht der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg aus München etwa nach einem Drittel der Ganglänge liegen, wo die Kunden langsamer werden und sich orientieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Regal Pfeffer oder Margarine steht. „Abgesehen von einigen Ausnahmen ist das Bewegungsverhalten der Kunden im Laden unabhängig von den Produkten, die sie vor sich haben“, sagt Sorensen.
Früher tendierte man dazu, den Fluß der Schopper durch den Laden vor allem durch die Plazierung der Waren zu steuern. In seinem einflußreichen Buch „Modern Supermarket Operation“ empfahl Edward Brand schon 1963, das Fleisch beispielsweise hinten anzubieten, um die Kunden durch den ganzen Laden zu zwingen oder durchgehende Regale aufzustellen, damit keine Abkürzungen möglich sind. Auch heute werden solche Tricks noch angewendet, aber der Kunde reagiert empfindlich auf die Einschränkung seiner Bewegungsautonomie.
In einem Lebensmittelgeschäft die Milch nur ganz hinten anzubieten ist ein riskantes Spiel. Wer bloß Milch, Brot und eine Fertigpizza kaufen will, wird auf längere Sicht ein anderes Geschäft wählen, das es ihm einfacher macht, diese Produkte zu finden. Sorensen hält es für sinnvoller, die Lieblingsrouten verschiedener Kundengruppen zu studieren und ihnen nach ihren Bedürfnissen die entsprechenden Waren an den Weg zu stellen. Viele Lebensmittelläden bieten mittlerweile Sandwiches, Fertigmahlzeiten und eine Auswahl an Getränken irgendwo entlang dem direkten Weg zwischen Eingang und Kasse an.
Aber Sie wollten ja Konfitüre. Wo finden Sie die bloß?
Die Zahl der im Supermarkt angebotenen Artikel explodierte von etwa 6.000 in den achtziger Jahren auf über 40.000 heute. In Deutschland haben sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Artikel um bis zu 130 Prozent und die der Produktvarianten um bis zu 420 Prozent erhöht. Die Produktlebenszyklen wurden im gleichen Zeitraum um bis zu 80 Prozent verkürzt.
Ein großes Sortiment steht zwar tatsächlich ganz oben auf der Wunschliste der Kunden. Doch zeigte sich spätestens Mitte der neunziger Jahre, daß die Auswahl der Artikel häufig gar nicht ihren Bedürfnissen entsprach. Es waren die Hersteller, die mit immer neuen Varianten eines erfolgreichen Produkts in die Regale drängten. Für den Kunden entstand daraus ein Wirrwarr aus ähnlichen Artikeln und für die Wissenschaft ein neues Forschungsgebiet: Consumer Confusion.

Wer braucht schon 300 Sorten Konfitüre?
Sind Sie endlich bei den Konfitüren angekommen? Viel Vergnügen! Selbst kleine Supermärkte bieten heute Dutzenden von Sorten an. In einem großen Coop-Center sind es etwas über 130, beim Delikatessenhändler Draeger’s in Menlo Park, Kalifornien, bereits mehr als 300. Darüber hinaus gibt es 250 Sorten Senf und 75 Sorten Olivenöl.
Wäre Ihnen geholfen, wenn Sie die Konfitüren probieren könnten? Bei Draeger’s ließ man Kunden im Rahmen eines Experiments eine unterschiedliche Anzahl Konfitüren kosten. Zwar fühlten sich von der größeren Auswahl mehr Kunden angesprochen, aber mehr verkauft wurde deshalb nicht. Im Gegenteil: Wenn 24 Konfitürensorten verkostet werden konnten, kauften nur zwei Prozent der Kunden ein Glas, bei sechs Sorten kauften immerhin 12 Prozent. Und es kam noch schlimmer: Wer 24 Konfitüren zur Auswahl hatte, war nach dem Kauf unzufriedener. Er hatte sich nämlich nicht nur für eine Konfitüre entschieden, sondern auch gegen die 23 anderen. Die Tyrannei der freien Wahl zeigt sich vor einem Regal mit über 300 Sorten Konfitüren vor ihrer grausamsten Seite.
Was stand da noch auf Ihrem Einkaufszettel? Ahornsirup? Wo könnte der nun wieder stehen?
Sie schieben Ihren Wagen weiter über die Rennbahn und kommen zu den Weinregalen. Wollten Sie nicht Freunden eine Flasche mitbringen? Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ säuseln Ihnen ins Ohr. Sie ergreifen eine Flasche Tignanello für 50 Euro. Hätte der Supermarkt Madonna gespielt, wäre Sie das Geschenk billiger zu stehen gekommen. Das war jedenfalls das Resultat eines Experiments in einer amerikanischen Weinhandlung. Begleitet von leichter Klassik, kauften die Kunden dreimal teurere Flaschen als bei Popmusik.
Sie können noch von Glück reden, daß keine bayrische Blaskapelle aus den Lautsprechern klang, sonst müßten Sie Ihren Freunden vielleicht mit einer Flasche Kröver Nacktarsch gegenübertreten. Als ein englischer Supermarkt in seiner Weinabteilung deutsche Volksmusik spielte, kauften die Kunden zu zwei Dritteln deutsche Weine, hörten sie französische Akkordeonmusik, zu über achtzig Prozent französische. Bei diesen Resultaten ist jedoch Vorsicht geboten. Beschallung im Laden ist ein heikles Thema.
Aber Sie wollten ja Ahornsirup.
Eine Möglichkeit, dem Kunden die Suche zu erleichtern, besteht darin, die Waren nach Bedürfnissen zu ordnen. Das mag man für eine triviale Idee halten, doch die Einzelhändler hatten sie erst Mitte der neunziger Jahre. Zuvor teilten sie die Produkte nach technischen Gesichtspunkten oder nach Vorgaben der Lieferanten ein: den Kinderlöffel zu den Haushaltswaren, den Apfelbrei zu den Konserven und die Windeln zu den Papierwaren. Seit sich aber zertifizierte „Category Manager“ der Sache angenommen haben, sieht die Sache schon ganz anders aus.
Wer noch nie in einem Supermarkt nach Ahornsirup fahndete, hat sich wohl auch noch nie Gedanken darüber gemacht, auf wie viele verschiedene Arten sich 40.000 Produkte in ein paar Kilometer Regale einordnen lassen. Für die meisten Leute gehören Supermärkte zur erweiterten Natur. Doch Einzelhändler können nächtelang darüber brüten, ob die Spaghetti nach der „mehrheitsfähigen Kundensuchlogik“ in Gang vier oder Gang fünf gehören. Und wohin gehört der Ahornsirup? Zum Himbeer- und Zitronensirup, weil er ähnlich heißt? Zum Zucker, weil er ihn ersetzen kann? Zum Honig, weil er ähnlich verwendet wird? Alles falsch: Bei den Backwaren finden Sie ihn schließlich, zwischen Tortenguß und Kakaopulver.
Bei der Warenplazierung geht es aber nicht nur darum, wo ein Kunde ein bestimmtes Produkt erwartet, sondern auch darum, welche Produkte sich gemeinsam präsentiert besser verkaufen als jedes für sich. Um sie zu finden, schürfen Statistiker in einem Meer von Einkaufsdaten nach Artikeln, die überdurchschnittlich häufig auf demselben Kassenbon auftauchen. Die Kosmetik lebt zum Beispiel häufig in Symbiose mit der Glückwunschkarte, der Schinken mit der Melone. Bei der Tengelmann-Kette werden Tiernahrung und Spielwaren als eine Kategorie aufgefaßt – schließlich besitzen Familien überdurchschnittlich oft Haustiere.

Die Windeln neben dem Bier
Bei der berühmtesten aller Produktallianzen, jener zwischen Bier und Windeln, dürfte es sich allerdings um eine moderne Legende handeln: In den neunziger Jahren habe die amerikanische Wal-Mart-Kette angeblich herausgefunden, daß Windeln überdurchschnittlich häufig gemeinsam mit Bier gekauft würden, heißt es immer wieder. Eine Erklärung war auch schnell gefunden: Junge Väter gehen nicht mehr so oft in die Kneipe, also kaufen sie ihr Bier im Supermarkt, und vor dem Einkauf rufen ihnen ihre Frauen hinterher: „Bring noch Windeln mit!“ Obwohl dieses Beispiel in vielen Lehrbüchern steht, halten es Experten für eine Erfindung.
Sie sind inzwischen vor dem Regal mit der Zahnhygiene angekommen. Was stand da noch auf Ihrem Einkaufszettel? Richtig, Zahnpasta. Sie finden sie ganz oben im Regal. Als Sie danach greifen, sehen Sie auf Augenhöhe die Zahnbürsten. Soll man die nicht alle drei Monate auswechseln? Sie legen eine Zahnbürste in den Wagen. Der Händler hat Sie eben zu einem Spontankauf verführt. Das Zusammengehen von Zahnpasta und Zahnbürste ist natürlich banal, der Trick liegt in diesem Fall in der Präsentationshöhe. Hätte nämlich die Zahnpasta auf Augenhöhe gestanden und die Zahnbürste ganz oben, die Zahnbürste wäre wohl im Regal geblieben. Das zeigte ein Versuch in sechzig Supermärkten in Chicago, bei dem diese zwei Varianten getestet wurden. Das Resultat: Auf Augenhöhe verkauften sich die Zahnbürsten um acht Prozent besser, ohne daß die Zahnpasta weiter oben im Gestell etwas einbüßte.


Wird fortgesetzt...

Dem Schlechten mag der Tag gehören - dem Wahren und Guten gehört die Ewigkeit. (F. v. Schiller)
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Es bedanken sich: Violetta , Anicca777
#6
Super Artikel!

ich freue mich schon auf den nächsten Teil
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#7
Ich bin auch auf den nächsten Teil gespannt.


Grüße Arnika Blinzeln
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#8
Zitat:Die Linksdreher sorgten für zehn Prozent mehr Einnahmen.

Deswegen:
Linksdrehung: Expansion, anregend
Rechtsdrehung: Kontraktion, hemmend

Grüße

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#9
Diese Artikel sind wirklich amüsant!
Es ist aber eine Tatsache und ein Beispiel dieser vielen Manipulationen der Matrix.
Um so erstaunlicher finde ich Menschen mit einem Einkaufszettel.
Diese haben sich zu Hause Gedanken gemacht, was sie wirklich aus dem Laden benötigen. Dann bleibt nur noch die Willensstärke, sich an seinen Einkaufszettel zu halten. Meine Verehrung meiner Dame, die das immer wieder schafft!
Lebe für Deine Ideale!
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#10
Da Ihr ja alle nur darauf wartet - und heute sowieso schlechtes Wetter war - hier also das letzte Drittel des Artikels:


Reckzone, Sichtzone, Greifzone, Bückzone
Es gibt nur wenige Faktoren, die sich stärker auf den Absatz eines Produkts auswirken als die Höhe, auf der es im Regal steht. Produkte in der Sichtzone (140 bis 180 Zentimeter) werden am meisten beachtet. Nach der Sichtzone folgt die Greifzone (60 bis 140 Zentimeter). Am wenigsten wahrgenommen wird ein Produkt in der Bückzone (bis 60 Zentimeter) sowie in der Reckzone (über 180 Zentimeter). Daraus kann ein Händler zum Beispiel folgende Taktik ableiten: Die Artikel, die der Kunde auf jeden Fall und immer wieder braucht, sogenannte Schnelldreher wie Milch oder Zucker, kommen in die Bück- oder Reckzone. Wie der Zahnpasta schadet ihnen schlechte Sichtbarkeit nicht: Wenn die Tube leer ist, braucht man eine neue, ganz egal, wo sie sich versteckt hält. Ganz unten im Regal stehen häufig auch die preiswerten Produkte. Als Gegenleistung für den guten Preis muß sich der Kunde eben bücken. In die Sichtzone kommen teurere Produkte mit hoher Marge, in die Greifzone Impulsartikel, Neuheiten und das Normalsortiment.
Das klingt einfacher, als es ist. 2.300 Artikel sinnvoll auf 75 Laufmeter Regale zu verteilen, wie es zum Beispiel in der Produktkategorie „HC31: haltbare Convenience“ bei der Coop vorgeschrieben ist, ist eine Wissenschaft für sich. In einer Doktorarbeit über „Neue Herangehensweisen, um die Regalzuordnungen im Detailhandel zu optimieren“ wird das Problem auf 217 Seiten in all seinen Facetten dargestellt. Schon allein das Verteilen von Tausenden von Produkten auf eine endliche Anzahl von Regalen, ohne dabei irgendwelche Marketingdaten zu berücksichtigen, sei, mathematisch betrachtet, ein gefürchtetes „Multi-Knapsack-Problem“. Wenn dabei noch der Absatz, die Sichtbarkeit im Regal und der Einfluß der Nachbarprodukte einfließen sollen, kann die Einführung eines Kiwi-Joghurts zum kombinatorischen Alptraum werden.
Anders als dem Hersteller des Kiwi-Joghurts geht es dem Einzelhändler ja nicht darum, bloß die beste Position für diese eine Joghurtsorte zu finden. Vielmehr hat er den Umsatz der ganzen Kategorie im Auge. Schließlich könnte das Kiwi-Joghurt den Bananenquark in die umsatzschwache linke Bückzone verdrängen, wo er in die schlechte Gesellschaft des Kräutertofus geriete – mit unabsehbaren Folgen für die ganze Abteilung.
Da ist es kein Wunder, daß die Erstellung des Planogramms – so heißt der Plan aller Regale und Artikelpositionen – von einer Reihe von Faustregeln geleitet wird. Zum Beispiel ist es häufig nicht sinnvoll, einem Produkt viel Regalbreite zu opfern. Solange die minimale Breite von dreißig Zentimetern pro Artikel nicht unterschritten wird, wirkt es sich kaum auf die Verkäufe aus, ob drei Suppenbeutel nebeneinanderstehen oder sechs. Zudem sollten zusammengehörende Artikel als geschlossene Einheit in einem vertikalen Block präsentiert werden. Der Kunde kann dann beim Vergleichen der Produkte vor dem Regal stehenbleiben und muß nicht auf und ab wandern.
Zu den schwierigsten Fragen, die ein Regallayouter beantworten muß, gehört: Soll die Aprikosenkonfitüre in einem Herstellerblock, in einem Verwendungsblock oder in einem Kreuzblock stehen? Der Herstellerblock gruppiert alle Konfitüren der gleichen Marke. Der Verwendungsblock gruppiert alle Aprikosenkonfitüren. Der Kreuzblock ist eine Mischung aus beiden: ein Markenblock, auf dessen beiden Seiten die vergleichbaren Produkte anderer Marken stehen. Weil Käufer Regale lesen wie eine Zeitung – von links nach rechts –, ermöglicht ihnen der Verwendungsblock, Preise am einfachsten zu vergleichen. Daran hat der Händler allerdings nicht immer ein Interesse. „Leider ist mehr Kundenfreundlichkeit nicht immer kompatibel mit mehr Umsatz“, schreibt Scott Young von der Marktforschungsfirma Perception Research Services.
Sehen Sie das Toilettenpapier im nächsten Regal? Es ist nach Packungsgrößen geordnet. Sie nehmen den 12er-Pack, weil Sie annehmen, er sei billiger als drei 4er-Packs. Stünden die zwei Packs nicht so weit voneinander entfernt, hätten Sie gemerkt, daß das nicht stimmt.

Manche Großpackung ist teurer
Großpackungen im Verhältnis teurer zu verkaufen als kleine, ist eine von vielen Strategien, die angelernte Assoziationen der Kunden ausnutzen. Eine andere ist die Massenpräsentation: Artikel, die auf Paletten angeboten werden, verkaufen sich besser, auch wenn sie nicht billiger sind. Die Transportpalette allein sendet die Botschaft „Überfluß“. Gleichzeitig deuten Kunden die Massenpräsentation aber auch als Zeichen für schlechte Qualität.
Im Regal vor Ihnen sehen Sie jetzt Batterien mit einem Hinweisschild, auf dem der Preis steht. Ihre Augen fühlen sich magisch davon angezogen. Sie legen zwei Packen in den Wagen. Batterien braucht man immer. Ohne Sie jetzt beleidigen zu wollen: Wenn es um die Preiswahrnehmung geht, sind Sie ziemlich einfach zu übertölpeln. Auf dem Hinweisschild stand nichts außer dem Normalpreis. Wie zwei Drittel aller Kunden halten aber auch Sie jedes ordinäre Hinweisschild ganz selbstverständlich für ein Signal, daß der Preis gesenkt worden ist.
Schauen Sie jetzt nicht in Ihren Wagen! Wissen Sie, was die Batterien gekostet haben? Oder die Zahnpasta? Wenn nicht, sind Sie in guter Gesellschaft. In vier amerikanischen Supermärkten wurden Kunden nach dem Preis einer Zahnpasta gefragt, die sie unmittelbar zuvor in den Wagen gelegt hatten. Nur knapp die Hälfte unter ihnen war dazu in der Lage, die anderen gaben entweder einen stark abweichenden Preis an oder – in zwanzig Prozent der Fälle – gar keinen. Diese Leute hatten noch nicht einmal eine ungefähre Ahnung davon, was die Tube Zahnpasta kostete.
Das muß die Händler eigentlich überraschen, denn wenn Kunden gefragt werden, warum sie einen bestimmten Laden besuchen, steht der Preis meistens ganz oben. Aber wie jede Dreiecksbeziehung ist auch jene zwischen Mensch, Produkt und Preis kompliziert. Zu ihren paradoxen Eigenheiten gehört, daß der absolute Preis eine untergeordnete Rolle spielt. Nicht billig muß es sein, sondern billiger als sonst. Nicht das Produkt ist die Belohnung, sondern das unbeschreibliche Gefühl, einen Salat zum halben Preis erlegt zu haben.
Die meisten Leute reagieren selbst dann euphorisch auf Preisabschläge, wenn der ursprüngliche Preis offensichtlich viel zu hoch angegeben wird. In einem Experiment kostete ein Fernseher im Ausverkauf 319 Dollar. Der ursprüngliche Preis wurde mit 359 Dollar, 419 Dollar oder völlig überzogenen 799 Dollar angegeben. Zwar glaubten die Kunden im letzteren Fall nicht, daß die in der Werbung angegebene Reduktion der Wahrheit entsprach. Trotzdem waren sie überzeugt, ein besseres Geschäft gemacht zu haben als die anderen Versuchsteilnehmer.
Jetzt noch der Kugelschreiber. Diesmal sind Sie wild entschlossen, sich nicht reinlegen zu lassen. Im Regal gibt es drei Sorten: einen billigen für 1,90 Euro, einen für 3,90 Euro und einen edlen für 19 Euro. Welchen wählen Sie? Wahrscheinlich den für 3,90 Euro. Auch hier zählt nicht der absolute Preis. Hätte der teurere Kugelschreiber nicht zur Wahl gestanden, hätten Sie nämlich mit größter Wahrscheinlichkeit den billigsten gewählt. Einfache Experimente zeigen, daß sich allein durch die Aufnahme eines teuren Artikels in das Sortiment die Verkaufsanteile der billigeren Produkte verändern: Ein teurer Mikrowellenherd hob den Marktanteil eines mittelpreisigen zum Beispiel um 17 auf 60 Prozent. Als die teure Variante noch nicht im Angebot war, hatten den mittelpreisigen nur 43 Prozent kaufen wollen.

Auch Könige müssen Schlange stehen
Langsam nähern Sie sich der Kasse und damit der heikelsten Zone im Laden. Selbst dem gutmütigsten Kunden wird auffallen, daß sich hier zwei Unannehmlichkeiten gegenseitig potenzieren: Er muß zahlen und auch noch darauf warten. Jeder Händler, der behauptet, bei ihm sein der Kunde König, muß sich die Frage gefallen lassen, seit wann Könige Schlange stehen. Das Warten an der Kasse ist das Ärgernis Nummer eins bei Kundenumfragen. Die Zeit zeigt sich vor der Kasse denn auch von ihrer zähen Seite: In der Wahrnehmung der Kunden kann sie dreißig Prozent langsamer verstreichen als während des Einkaufs.
Ohne daß Sie etwas davon merken, wird der Boden unter Ihren Füßen mit jedem Schritt wertvoller. Der Platz unmittelbar vor der Kasse gehört zu den Flächen mit dem höchsten Umsatz. Alle müssen hier durch, und zudem noch in gedrosseltem Tempo. Diese Gelegenheit wird sich kein Händler entgehen lassen. Sie mögen denken, Ihr Einkauf sei abgeschlossen, aber da täuschen Sie sich.
Links und rechts lauern Impulswaren. Oben für Erwachsene, in der Bückzone – hier ausnahmsweise kein Nachteil – die sogenannte Quengelware für Kinder: Bonbons, Kaugummi, Schokolade. Sie nehmen eine Packung Mints.
Sie wollen Ihren Einkauf schon aufs Laufband legen, da sehen Sie sie: die Zahnstocherspender! In der Sichtzone, Massenpräsentation, mit Hinweisschild: drei für zwei! Wer könnte da widerstehen? Sie packen zu, legen den Einkauf aufs Band und blicken auf die Kassenanzeige: 1,90, 3,90, 19,90 ...

Ganze Preise wirken edler
Die Frage, wie sich bei Einzelhandelspreisen die 9 nach dem Komma auf den Umsatz auswirkt, hat einige Wirtschaftswissenschaftler ein Leben lang beschäftigt. Trotzdem ist bis heute nicht geklärt, ob sich aus Preisen, die auf 9 enden, tatsächlich ein finanzieller Vorteil für den Handel ergibt. Trotzdem haben sich solche Preise in vielen Ländern durchgesetzt. In den Vereinigten Staaten enden 80 bis 90 Prozent aller Preise auf 99.
Die Idee dahinter ist leicht zu durchschauen: Dem Kunden soll das Produkt billiger erscheinen, als es in Wahrheit ist. Einige Experimente zeigen allerdings, daß sich mit einer 9 am Schluß in Einzelfällen bizarre Effekte erzielen lassen. So stieg bei einem Versuch der Verkauf eines Kleides, nachdem sein Preis von 34 auf 39 Dollar erhöht worden war. Wie bei der Massenpräsentation ist das Problem mit der 9 am Schluß aber generell, daß sie gleichzeitig schlechtere Qualität suggeriert. Einzehhändler mit einem Edelimage wie zum Beispiel Macy’s setzen eher auf ganze Preise.
Sie bezahlen 106,70 Euro und packen ein. Die Chips haben Sie wegen der Verbundplazierung mit dem Bier gekauft, den Wein wegen Vivaldi, die Zahnbürste, weil sie in der Sichtzone stand, den mittleren Kugelschreiber, weil ihm ein teurerer Schützenhilfe leistete, die Batterien, weil Sie unbewußt – und zu Unrecht – annahmen, dabei zu sparen, die Mints, weil sie gerade am Weg lagen, und die Zahnstocherspender ein bißchen wegen allem zusammen.
Sind Sie nun enttäuscht oder erfreut? Haben Sie das Gefühl, manipuliert worden zu sein? Ein willenloser Schoppingzombie, von einer geheimen Macht im Gegenuhrzeigersinn durch den Laden getrieben? Oder freuen Sie sich darüber, daß Sie die Chips nicht vergessen haben und zum Preis von zwei Zahnstocherspendern drei erbeuteten?

Manipulation wird zum Rohrkrepierer
Tatsächlich kann man die Verbundplazierung von Bier und Chips auch als „kognitive Entlastung“ des Kunden deuten und den Preisnachlaß beim Salat als unverfängliches Angebot, Geld zu sparen. Viele Erkenntnisse über das Schoppingverhalten haben unbestritten positive Folgen für Kunden und Händler. Daß das nicht für alle verkaufsfördernden Maßnahmen gilt, wissen aber auch die Händler.
Am offensichtlichsten kollidieren Kundenfreundlichkeit und Umsatzsteigerung bei den Kindersüßigkeiten an der Kasse. Eine Warenplazierung, gegen die sich Konsumentenorganisationen immer wieder erfolglos wehren. Weil die Händler auf keinen Fall in den Verdacht geraten wollen, die Kunden zu manipulieren, üben sie jedoch Zurückhaltung bei anderen Maßnahmen. Wenn Sie nämlich zur Überzeugung gelangen, Vivaldi persönlich habe Ihnen den Tignanello in den Wagen gelegt, obwohl Sie italienische Weine eigentlich gar nicht mögen, wird die Hintergrundmusik früher oder später zum Rohrkrepierer. Alles, was beim Kunden den Eindruck erweckt, den freien Willen einzuschränken, kann sich als Bumerang erweisen.
Die Einsichten der Wissenschaft in die Schoppingwelt sind tatsächlich beeindruckend, aber sie bleiben Stückwerk. Das größte Hindernis bei der Umsetzung der Schoppingforschung sind nämlich Sie. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und wenn Schoppingwissenschaft bedeutet, den Bananenquark nicht mehr zu finden, dann wird er sauer – auch wenn es für dessen Umzug in die Bückzone handfeste mathematische Gründe gibt.
Der Kunde steht im Mittelpunkt – und damit im Wege, heißt ein geflügeltes Wort der Ladendesigner.

Dem Schlechten mag der Tag gehören - dem Wahren und Guten gehört die Ewigkeit. (F. v. Schiller)
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