Der Tod des Marcus Licinius Crassus
#1
Ein Brief von Marcus Licinius Crassus’ Quästor Gaius Cassius Longinus an Servilia.
Dieser Brief beschreibt den Feldzug von Marcus Crassus gegen die Parther.
Es sei jedoch angemerkt, daß die Parther nur der offizielle Feind waren.

Ich traf in Antiochia ein, unmittelbar bevor König Artavasdes dem dortigen Statthalter Marcus Crassus einen Staatsbesuch abstattete.
Die Vorbereitungen für den bevorstehenden Feldzug gegen die Parther waren in vollem Gang – das schien Crassus zumindest zu glauben; eine Ansicht, die ich, wie ich gestehen muß allerdings nicht teilen konnte, nachdem ich mit eigenen Augen gesehen hatte, was Crassus da zusammengetrommelt hatte. Sieben Legionen, die mit jeweils acht Kohorten deutlich unter der Sollstärke von zehn Kohorten je Legion blieben, und ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Reitern, die nicht den Eindruck erweckten, als wären sie jemals im Stande,
auch nur halbwegs vernünftig zu kooperieren. Publius Crassus hatte zur Unterstützung tausend berittene Haeduer aus Gallien mitgebracht – ein Geschenk Caesars an seinen Busenfreund Crassus, das Caesar allerdings besser behalten hätte, denn die Haeduer vertrugen sich nicht mit den galatischen Reitern und litten obendrein unter heftigem Heimweh. Und dann dieser Abgarus, König der Skeniten. Ich weiß nicht warum, aber vom ersten Moment an fand ich ihn unsympathisch und traute ihm nicht über den Weg. Crassus war von ihm jedoch geradezu begeistert und ließ nicht das geringste auf ihn kommen. Wie es scheint ist Abgarus ein Klient von Artavasdes, dem König von Armenien, und er wurde Crassus als Führer und Ratgeber für den Feldzug, angedient, zusammen mit viertausend leichtbewaffneten Skeniten.

Crassus plante, nach Mesopotamien vorzurücken, wobei er zunächst das am Tigris gelegene Seleukeia angreifen wollte, wo sich die Winterresidenz des parthischen Hofes befand. Da der Feldzug im Winter stattfinden sollte, rechnete Crassus damit, König Orodes dort anzutreffen und ihn zusammen mit all seinen Söhnen gefangenzunehmen, bevor sie fliehen und den Widerstand im Partherreich organisieren könnten.

Doch König Artavasdes von Armenien und sein Klient der Skenitenherrscher Abgarus, verwarfen Crassus' Strategie. Niemand, so wandten sie ein, könne auf offenem Feld ein parthisches Heer aus Kataphratkten und berittenen Bogenschützen schlagen. Dagegen seien die schwer gepanzerten Krieger auf ihren gewaltigen, ebenfalls mit Eisenpanzern geschützten medischen Pferden einem Kampf in den Bergen nicht gewachsen. Und auch die berittenen Bogenschützen, auf ebenes Gelände angewiesen, um im gestreckten Galopp jene treffsicheren Schüsse abzugeben, für die sie so berühmt seien, kämen mit zerklüftetem Gelände nicht zurecht und hätten rasch ihre Pfeile verschossen. Deshalb solle Crassus nicht nach Mesopotamien, sondern in die medischen Berge marschieren. Wenn er im Verein mit dem armenischen Heer das südöstlich des Kaspischen Meeres gelegene Herzland Parthiens mit der Sommerhauptstadt Ekbatana angreife, sei ihm der Sieg gewiß.
Der Plan überzeugte mich, was ich auch kundtat, doch Crassus wollte nicht darauf eingehen. Er sah keine Schwierigkeiten darin, die Kataphrakten und berittenen Bogenschützen in offener Feldschlacht zu besiegen. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Crassus nur deshalb kein Bündnis mit Artavasdes schließen wollte, weil er dann die Beute hätte teilen müssen. Du kennst ja Marcus Crassus, Sevilia – nicht alle Schätze der Welt könnten seine Geldgier befriedigen.

Abgarus war ihm egal, da dieser als relativ unbedeutender König keinen Anspruch auf einen größeren Anteil der Beute gehabt hätte. König Artavasdes hingegen hätte von allem die Hälfte beanspruchen können.
Nun, wie dem auch sei, Crassus sprach ein entschiedenes Nein. Er behauptete, die Ebene von Mesopotamien sei für die Manöver des römischen Heeres besser geeignet.

Außerdem wollte er keine Meuterei unter seinen Männern, wie sie etwa in der Armee des Lucullus ausgebrochen ist, als den Soldaten beim Anblick des fernen Ararat plötzlich klar wurde, daß ihr Feldherr sie dort hinaufschicken wollte. Im übrigen hätte ein Gebirgsfeldzug im fernen Medien im Sommer stattfinden müssen, sein Herr war jedoch Anfang April marschbereit, also Anfang Winter. Crassus meinte, ein Aufschub bis zum Sextilis würde die Moral der Soldaten dämpfen – meiner Ansicht nach nur ein vorgeschobener Grund, denn zu keiner Zeit konnte ich bei den Legionären das geringste Anzeichen von Begeisterung entdecken.

Zutiefst verstimmt verließ König Artavasdes daraufhin Antiochia und machte sich auf den Heimweg. Zweifelslos hatte er gehofft, daß ihm ein Bündnis mit Rom zum Thron des Partherreiches verhelfen würde. Nach seiner Zurückweisung beschloß er jedoch, künftig mit den Parthern gemeinsame Sache zu machen. Abgarus ließ er in Antiochia als Spion zurück, und von da an war der Feind über jeden Zug des Crassus unterrichtet.


Fortsetzung folgt.

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#2
Im März traf schließlich eine Gesandtschaft des Partherkönigs Orodes ein. Ihr Anführer war ein hochbetagter Mann namens Vagises. Wahrlich ein wunderlicher Anblick, diese parthischen Adligen, mit ihren vom Kinn bis zu den Schultern in spiralförmige Goldmanschetten gezwängten Hälse, ihren runden, randlosen, mit Perlen übersäten Hüten, die sie wie umgestülpte Schüsseln auf dem Kopf tragen, ihren falschen Bärten, die an um die Ohren gewickelten Golddrähten hängen, und ihren prachtvollen, über und über mit funkelnden Juwelen und Perlen besetzten, goldgewirkten Gewändern. Ich glaube, Crassus hatte in diesem Moment nur Augen für das Gold und die Edlesteine und die Perlen. Was für Schätze mußte es erst in Babylon geben!

Vagises forderte Crassus auf, sich an die zwischen Sulla beziehungsweise Pompeius Magnus und den Parthern ausgehandelten Verträge zu halten, laut denen das westlich des Euphrat gelegene Land römischer, das östlich gelegene parthischer Herrschaft zufiel.

Stell Dir vor, Crassus lachte den Gesandten daraufhin einfach ins Gesicht! „Mein lieber Vagises“, sagte er dann, mühsam das Lachen unterdrückend, „richte König Orodes aus, daß ich in der Tat über die Verträge nachdenken werde, aber erst, wenn ich Seleukeia am Tigres und Babylonien erobert habe!“

Vagises schwieg einen Moment lang. Dann hob er die rechte Hand und streckte Crassus die Handfläche entgegen. „Eher werden hier Haare wachsen, als daß du, Marcus Crassus, einen Fuß nach Seleukeia setzt!“ rief er schneidend. Mir standen die Haare zu Berge. Seine Worte klangen wie eine grausige Prophezeiung.

Wie Du siehst, hat sich Crassus bei keinem dieser überaus empfindlichen östlichen Könige beliebt gemacht. Wenn er nicht römischer Prokonsul gewesen wäre, hätte man ihm für sein Lachen sofort den Kopf abgeschlagen. Einige von uns versuchten zwar noch ihn umzustimmen, doch dummerweise war sein Sohn Publius zugegen, der ihn vergötterte und überzeugt war, daß sein Vater gar nichts falsch machen könne. Publius plapperte Crassus also alles nach, und statt auf die Stimme der Vernunft hörte Crassus lieber auf seinen Sohn.

Anfang April verließen wir Antiochia und marschierten nach Nordosten. Die Soldaten waren mißmutig und dementsprechend langsam. Bereits das fruchtbare Tal des Orontes hatte den haeduischen Reitern erheblich zu schaffen gemacht, doch kaum hatten wir die Steppe von Cyrrhus erreicht, führten sie sich auf, als hätte ihnen jemand ein Betäubungsmittel verabreicht. Auch die dreitausend Galater waren alles andere als zuversichtlich. Tatsächlich ähnelte unser Vorrücken eher einer Trauerprozession als einem glorreichen Vormarsch. Da der Weg für die Fahrt im Wagen zu uneben war, reiste Crassus abseites des Heeres in einer Sänfte. Der Gerechtigkeit halber sei allerdings gesagt, daß er gesundheitlich offenbar nicht auf der Höhe war. Publius Crassus ließ ihn keinen Augenblick allein. Ein Feldzug ist für einen Dreiundsechzigjährigen ja auch kein Kinderspiel, vor allem dann nicht, wenn er seit fast zwanzig Jahren nicht mehr in den Krieg gezogen ist.

Abgarus, der König der Skeniter, marschierte nicht mit uns, sondern war bereits einen Monat früher aufgebrochen. Wir sollten ihn in Zeugma am Ostufer des Euphrat treffen, das wir erst Ende des Monats erreichten. Wie gesagt, wir marschierten nicht besonders schnell. Zu Beginn des Winters hat der Euphrat seinen niedrigsten Wasserstand und fließt ruhig dahin. Noch nie habe ich einen solchen Strom gesehen! So breit und tief und mächtig! Jedenfalls hätten wir ihn auf der Pontonbrücke, die von den – ich betone es ausdrücklich – tüchtigen Ingenieuren rasch zusammengebaut wurde, problemlos überqueren müssen.


Fortsetzung folgt.

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#3
Ich warte auf die Fortsetzung Blinzeln
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#4
Mit vereinten griechischen Grüßen! *zu Alexis zwinkert*
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#5
Doch es sollte nicht sein – wie so vieles auf diesem zum Scheitern verurteilten Kriegszug. Plötzlich brauten sich aus dem Nichts heftige Stürme zusammen. Aus Angst, der Fluß könnte ansteigen, ließ Crassus die Überquerung sofort in Angriff nehmen. Also krochen die Soldaten auf allen vieren über die auf dem Wasser schaukelnden und tanzenden Pontons, während Blitze an vielen Stellen gleichzeitig einschlugen und der Donner die laut wiehernden Pferde durchgehen ließ. Die Luft war von schwefelgelben Glühen und einem seltsam süßlichen Geruch durchdrungen, der mich ans Meer erinnerte. Es war entsetzlich. Und die Stürme ließen überhaupt nicht mehr nach. Tagelang jagte einer den anderen. Dabei regnete es so heftig, daß sich der Boden in Matsch verwandelte, während der Fluß immer weiter anstieg und die Überquerung trotz allem weiter fortgesetzt wurde.

Ein größeres Chaos als in unserer Armee, nachdem Mann und Maus schließlich das Ostufer erreicht hatten, hast Du noch nicht gesehen. Alles war restlos durchnäßt, einschließlich des Weizens und der anderen Lebensmittelvorräte im Troß. Die Seile waren aufgequollen, die Sprungfedern der Wurfgeschütze hatten ihre Spannung verloren, die Holzkohle der Schmiede war unbrauchbar, die Zelte durchlässig wie Brautschleier und die wertvollen Befestigungspfähle zersplittert oder gesprungen. Falls es Deine Einbildungskraft nicht übersteigt, versuche Dir viertausend Pferde, zweitausend Maultiere und ein paar tausend Ochsen vorzustellen, die nur noch von panischer Angst regiert werden. Wir brauchten zwei nundinae, um sie wieder zu beruhigen – sechzehn kostbare Tage, die uns ein gutes Stück weiter nach Mesopotamien hätten bringen sollen. Die Legionäre waren in kaum besserer Verfassung als die Tiere. Der Feldzug, so sagten sie unter sich, stehe unter einem Fluch, und Crassus sei auch verflucht. Sie würden alle sterben müssen.

Doch dann kam Abgarus mit seinen viertausend leichtbewaffneten Fußsoldaten und Reitern. Wir hielten Kriegsrat ab. Censorinus, Vargunteius, Megabocchus und Octavius, vier der fünf Legaten von Crassus, wollten entlang des Euphrat weitermarschieren. Das sei sicherer, die Tiere könnten unterwegs grasen und wir unsere Essensvorräte aufstocken. Ich pflichtete ihnen bei, worauf ich mir zu meinem Leidwesen sagen lassen mußte, daß es einem einfachen Quästor nicht zustehe, seinen Vorgesetzten Ratschläge zu erteilen.

Abgarus war dagegen, daß wir uns dicht am Ufer des Euphrat hielten. Der Strom macht nämlich, falls Du es nicht weißt, unterhalb Zeugmas eine große Biegung Richtung Westen, was zugegebenermaßen den Marsch um etliche Meilen verlängert hätte. Erst nach der Einmündung des Bilechas fließt der Euphrat mehr oder weniger gerade in südöstlicher Richtung nach Mesopotamien.

Abgarus zufolge konnten wir daher mindest vier oder fünf Tagesmärsche einsparen, wenn wir uns von Zeugma aus direkt nach Osten wandten und durch die Wüste bis zum Bilechas marschierten. Dem Bilechas bräuchten wir nach einer scharfen Südkehre nur noch flußabwärts zum Euphrat zu folgen, und schon seien wir dort, wo wir hinwollten – in Nicephorium. Mit ihm als Führer, sagte Abgarus, könnten wir uns nicht verirren, außerdem sei der Marsch durch die Wüste nur kurz und gut zu überstehen.

Crassus stimmte Abgarus zu, und Publius Crassus stimmte wie immer seinem Vater zu. Wir würden also die Abkürzung durch die Wüste nehmen. Die vier Legaten versuchten zwar noch einmal, Crassus davon abzubringen, doch erfolglos. Schließlich habe er Carrhae und Sinnaca befestigen lassen, und diese Befestigungen seien zu unserem Schutz völlig ausreichend – abgesehen davon halte er sowieso jegliche Schutzmaßnahmen für überflüssig. Freund Abgarus konnte dem nur zustimmen. So hoch im Norden gebe es bekanntlich keine Parther.

Und ob es sie gab! Dafür hatte Abgarus gesorgt. Seleukeia wußte über jeden unserer Schritte bescheid, und König Orodes war ein bei weitem besserer Stratege als der arme, geldgierige Marcus Crassus.

Da ich mir denken kann, daß Du, werte Sevilia, im fernen Rom höchstens eine vage Vorstellung vom Reich der Parther hast, sollte ich Dir zunächst erklären, daß es aus sehr vielen verschiedenen Regionen besteht. Das eigentliche Parthien liegt östlich des Kaspischen Meeres, weshalb wir nicht vom König von Parthien, sondern vom König der Parther sprechen. Orodes, der König der Parther, herrscht über Medien, Medien Atropatene, Persien, Gedrosien, Carmanien, Baktrien, Margiana, Sogdiana, Susiana, Elymais und Mesopotamien – ein größeres Gebiet als alle römischen Provinzen zusammen.

Jede dieser Regionen wird von einem Satrapen regiert, der den Titel eines Surenas trägt. Die meisten sind Söhne, Neffen, Vettern, Brüder oder Onkel des Königs. Im eigentlichen Parthien läßt sich der König nie blicken; im Sommer regiert er in Ekbatana, einer Stadt in der sanften Hügellandschaft Mediens, im Winter in Seleukeia am Tigris in Mesopotamien; im Frühling und Herbst weilt er in Susa. Daß er sich fast nur in den westlichen Regionen seines riesigen Reiches aufhält, liegt vermutlich an Rom. Uns fürchtet er nämlich, während er die Inder oder die Sericaner, zwei große Völker, offenbar für keine besondere Bedrohung hält.

Zufällig ist der von Orodes mit dem Feldzug gegen Crassus beauftragte Surenas von Mesopotamien ein äußerst fähiger Satrap. Während der König in Begleitung seines Sohnes Pacorus zu einem Treffen mit König Artavasdes nach Norden in die armenische Hauptstadt Artaxata reiste – begleitet von ausreichend Soldaten, um sofort willkommen geheißen zu werden –, blieb der Pahlawi Surenas in Mesopotamien, wo er ein Heer gegen uns aufstellte. Das Heer bestand aus zehntausend Bogenschützen und zweitausend Kataphrakten – alle zu Pferd.


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#6
Ein interessanter Mann, dieser Pahlawi Surenas. Knapp dreißig Jahre alt – genau wie ich – und ein Neffe des Königs. Er soll ungewöhnlich schön sein – auf eine sehr feminine Weise. Statt sich mit Frauen abzugeben, bevorzugt er dreizehn- bis fünfzehnjährige Knaben, denen er, sobald sie für seinen Geschmack zu alt sind, hohe Posten in Heer und Verwaltung verschafft, woran bei den Parthern allerdings niemand Anstoß nimmt.

Was dem Pahlawi Surenas allerdings Sorgen bereitete – ein Umstand übrigens, der Crassus und uns anderen wohlbekannt war und der uns, wie Abgarus uns versicherte, den Sieg garantierte –, war die Tatsache, daß den berittenen Bogenschützen der Parther sehr schnell die Pfeile ausgehen. Deshalb nützt ihnen ihr ganzes Geschick, mit dem sie noch rückwärts auf der Flucht auf ihre Verfolger schießen, schon nach kurzer Zeit nichts mehr.

Um diese Scharte auszuwetzen, hatte sich der Pahlawi Surenas etwas einfallen lassen. Zunächst stellte er gewaltige Kamelzüge auf und ließ die Tragkörbe der Tiere mit Ersatzpfeilen füllen. Dann trommelte er einige tausend Sklaven zusammen und brachte ihnen bei, die Bogenschützen während der Schlacht mit neuen Pfeilen zu versorgen. Als er sich von Seleukeia aus Richtung Norden in Bewegung setzte, um uns mit seinen berittenen Bogenschützen und Kataphrakten abzufangen, folgtem ihm also Tausende von mit Ersatzpfeilen beladenen Kamelen sowie Tausende von Sklaven.

Woher ich das alles wisse, höre ich Dich fragen. Ich werde es Dir zu gegebener Zeit erklären. Hier will ich nur soviel verraten, daß ich es von Antipater erfuhr, einem sehr interessanten Prinzen am jüdischen Hof, dessen Spione und Informanten überall sind.

Am Bilechas gibt es eine Weggabelung, wo die Karawanenstraße von Palmyra und Nicephorium auf die Straße nach Samosata am Oberlauf des Euphrat und die Straße über Carrhae nach Edessa und Amida trifft. Genau diese Stelle sollte Ziel unseres Marsches durch die Wüste sein.

Unser Heer bestand aus fünfunddreißigtausend römischen Fußsoldaten, tausend haeduischen und dreitausend galatischen Reitern. Die Soldaten hatten sich schon vor unserem Aufbruch in die Wildnis schrecklich gefürchtet, und ihre Angst wuchs mit jedem Tag. Um das zu merken, brauchte ich nur durch die Reihen zu reiten und sie reden zu hören. Nicht, daß eine Meuterei gedroht hätte. Meuternde Soldaten haben zumindest irgendein Ziel, unsere Männer dagegen hatten jede Hoffnung verloren. Sie schleppten sich nur ihrem Untergang entgegen, als wären sie Gefangene auf dem Weg zum Sklavenmarkt. Am schlimmsten erging es den Haeduern. Nie zuvor hatten sie eine wasserlose Wüste, eine solche graubraune Ödnis ohne Schatten und bar jeder Schönheit gesehen. Sie kehrten den Blick nach innen und wurden stumpf und apathisch.

Zwei Tage nach unserem Abmarsch sahen wir die ersten kleineren Trupps von Parthern, zumeist Bogenschützen, hin und wieder auch Kataphrakten. Nicht, daß sie uns behelligt hätten; sie ritten zwar recht nah an uns heran, sprengten aber sogleich wieder davon. Heute weiß ich, daß sie Verbündete von Abgarus waren und dem Pahlawi Surenas, der sein Lager vor Nicephorium am Zusammenfluß von Bilechas und Euphrat aufgeschlagen hatte, Bericht über uns erstatteten.


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#7
Vier Tage vor den Iden des Juni erreichten wir den Bilechas, wo ich Marcus Crassus beschwor, ein gut befestigtes Lager zu errichten und die Truppen solange dort zu lassen, bis Legaten und Tribunen sie wieder halbwegs aufgerichtet hätten. Doch Crassus wollte davon nichts wissen. Er war gereizt, weil wie bereits erheblich in Verzug waren, und wollte unbedingt noch vor Anfang des heißen Sommers die Kanäle erreichen, wo Euphrat und Tigris fast ineinanderfließen, obwohl er sich selbst schon fragte, wie ihm das überhaupt noch gelingen sollte. Daher befahl er den Soldaten, nach einer kurzen Pause sofort flußabwärts weiterzumarschieren. Es war noch früh am Nachmittag.

Plötzlich merkte ich, daß König Abgarus und seine viertausend Mann im wahrsten Sinne des Wortes spurlos verschwunden waren. Auf und davon! Schreiend kamen ein paar galatische Späher herbeigaloppiert, doch noch ehe sie sich mit ihrer Warnung, daß es in der ganzen Gegend von Parthern nur so wimmele, richtig Gehör verschaffen konnten, prasselte auch schon aus allen Richtungen ein Hagel aus Pfeilen nieder, und die Soldaten begannen zu fallen wie Laub, wie Steine. Glaub mir, dieser Pfeilhagel war grauenvoller als alles, was ich bis dahin gesehen hatte.

Und Crassus tat nichts. Er ließ es einfach geschehen. „Es ist gleich vorüber“, brüllte er hinter einer schützenden Wand aus Schilden hervor. „Die Pfeile werden ihnen ausgehen“.

Aber die Pfeile gingen ihnen nicht aus. Überall sah man römische Soldaten davonrennen – und umfallen. Schließlich ließ Crassus die Trompeter zum Sammeln blasen, doch da war es bereits viel zu spät. Schon rückten die Kataphrakten an, um uns den Todesstoß zu versetzen – riesige Männer auf gewaltig gepanzerten Schlachtrössern. Als sie sich im Trab näherten – sie waren zu groß und zu schwer, um zu galoppieren – klang es, als klimperten Millionen von Münzen in Tausenden von Geldbeuteln, und ich überlegte unwillkürlich, ob das wohl Musik in Crassus’ Ohren war. Die Erde zitterte, als sie auf uns zustampften. Eine gewaltige Staubwolke stieg um sie auf, in deren Mitte sie als drohende Schatten zu sehen waren.

Publius Crassus scharte die haeduischen Reiter um sich, die anscheinend plötzlich wieder zur Besinnung kamen, vielleicht weil eine Schlacht das einzig vertraute war, an das sie sich klammern konnten. Die Galater folgten ihnen, und so stürmten viertausend unserer Reiter wie wildgewordene Stiere auf die Kataphrakten zu. Als sie deren Reihen durchbrachen, wandten sich die Kataphrakten zur Flucht. Publius Crassus und seine Reiter setzten ihnen nach, und sofort hatte der dichte Staub alle verschluckt. Während dieser kurzen Pause gelang es Crassus, seine Truppen in einem Viereck aufzustellen. Dann wartete er unter Stoßgebeten an sämtliche Götter darauf, daß die Haeduer und Galater wieder auftauchten. Doch es waren die Kataphrakten, die zurückkehrten. Den Kopf von Publius Crassus hatten sie auf eine Lanze gespießt. Anstatt unser Viereck anzugreifen, trabten sie an dessen Seite auf und ab und schwenkten den grauenvollen Kopf. Die glänzenden Augen in dem fast unversehrten Gesicht von Publius Crassus schienen uns geradezu anzusehen


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#8
Wie erschüttert sein Vater war, läßt sich nicht in Worte fassen.

Doch schien der Schock etwas in ihm zu wecken, das ich seit Beginn des Feldzuges nicht an ihm bemerkt hatte. Er lief an den Reihen seiner Soldaten auf und ab, feuerte die Männer an, ermutigte sie durchzuhalten und rief, sein Sohn habe mit seinem Leben den von allen so dringend benötigten Aufschub erkauft.

„Haltet aus!“ schrie er immer wieder. „Weichet nicht zurück!“
Und obwohl der nicht enden wollende Pfeilhagel auf furchtbare Weise unsere Reihen lichtete, hielten wir durch, bis sich mit Einbruch der Dunkelheit die Parther zurückzogen. Sie schienen nachts nicht zu kämpfen.

Da wir kein Lager aufgeschlagen hatten, hielt uns nichts an diesem Ort. Crassus entschied sich für den sofortigen Rückzug ins ungefähr vierzig Meilen nördlich gelegene Carrhae, wo wir im Morgengrauen in versprengten Gruppen eintrafen – insgesamt vielleicht die Hälfte der Legionäre und eine Handvoll Reiter. Doch was erwartete uns dort? Es war einfach nicht zu fassen, aber Carrhae mit seiner kleinen Festung konnte so vielen Männern, die ungeordnet hereinströmten, keinerlei Schutz bieten.

Carrhae steht wahrscheinlich schon seit zwanzigtausend Jahren an der Kreuzung der Handelstraßen nach Edessa und Amida, und ich wage zu behaupten, daß es sich in diesen zwanzigtausend Jahren kein bißchen verändert hat. Ein paar erbärmliche, bienenkorbartige Lehmziegelhäuser inmitten einer steinigen, trostlosen Wildnis. Schafe, Ziegen, Frauen, Kinder, der Fluß – alles starrt vor Schmutz. Die einzige Wärmequelle in dieser bitteren Kälte ist getrockneter Mist, der einzige Glanz kommt vom nächtlichen Himmel.

Befehlshaber der dortigen Garnison, einer jämmerlichen Kohorte, war der Präfekt Coponius, der aus seinem Entsetzen keinen Hehl machte, als nach und nach immer mehr von uns eintrudelten. Wir besaßen nichts Eßbares mehr, weil die Parther unseren Proviant erbeutet hatten, und die meisten unserer Männer und Pferde waren verwundet. Wir konnten nicht in Carrhae bleiben, soviel war klar.

Crassus beriet mit uns, und es wurde beschlossen, bei Einbruch der Dunkelheit den Rückzug nach Sinnaca anzutreten – noch einmal genausoweit nach Nordosten, in Richtung Amida. Sinnaca war eine wesentlich besser befestigte Stadt und hatte immerhin ein paar Kornspeicher. Aber das ist doch die völlig falsche Richtung! hätte ich am liebsten gebrüllt. Doch Coponius war in Begleitung des Andromachus, eines Mannes aus Carrhae, im Rat erschienen, und Andromachus schwor Stein und Bein, daß die Parther zwischen Carrhae und Edessa, Carrhae und Samosata und überhaupt zwischen Carrhae und jedem Ort am Euphrat auf der Lauer lägen. Er bot an, uns erst nach Sinnaca und von dort nach Amida zu führen. Gramgebeugt wegen des Todes von Publius nahm Crassus das Angebot an. Ein Fluch lastete auf ihm, wirklich! Welche Entscheidung er auch traf, sie erwies sich als falsch. Andromachus war ein Spion der Parther.


Fortsetzung folgt

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#9
Ich wußte es. Im Laufe des Tages wuchs meine Überzeugung, daß der Marsch nach Sinnaca unter der Führung von Andromachus unser Todesurteil bedeuten würde. Also berief ich selbst einen Rat ein, zu dem ich auch Crassus einlud. Er kam nicht. Dafür kamen die anderen – Censorinus, Megabocchus, Octavius, Vargunteius, Coponius und Egnatius, außerdem ein widerlich schmutziger und zerlumpter Haufen von Wahrsagern und Zauberern. Coponius war schon so lange an diesem unsäglichen Ende der Welt, daß er sie anzog wie ein verwesender Kadaver die Fliegen. Ich erklärte allen Anwesenden, daß ich für meinen Teil bei Einbruch der Dunkelheit nicht nach Nordosten in Richtung Sinnaca, sondern in südwestlicher Richtung nach Syrien reiten würde. Falls die Parther auf der Lauer lägen – was ich mir im übrigen nicht vorstellen könne – würde ich es eben darauf ankommen lassen. Skenitischen Führern würde ich mich jedenfalls nicht mehr anvertrauen!

Coponius war dagegen, die anderen auch. Soweit käme es noch, daß Legaten, Tribunen und Präfekten ihren Feldherren im Stich ließen! Auch der Quästor dürfe das nicht. Der einzige, der mir zustimmte, war der Präfekt Egnatius. Die anderen wollten Marcus Crassus die Treue halten.

Ich verlor die Beherrschung, eine, wie ich zugeben muß, Schwäche meiner Familie. „Dann rennt doch in euer Verderben!“ rief ich, „Und wer am Leben bleiben will, sucht sich am besten schleunigst ein Pferd, denn ich reite nach Syrien und traue niemanden außer mir selbst!“

Die Wahrsager fingen aufgeregt an zu kreischen. „Nein, Gaius Cassius!“ krächzte der älteste von ihnen, der mit Amuletten, Rattenknochen und gräßlichen Achataugen behängt war. „Du kannst gehen, aber nicht schon jetzt! Der Mond steht noch im Skorpion. Warte, bis er in das Zeichen des Schützen eintritt!“

Ich sah sie an und mußte lachen. „Danke bestens“, sagte ich, „aber wir sind hier in der Wüste, und da ist mir der Skorpion weitaus lieber als der Bogenschütze!“


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#10
Eine herrlich erzählte Geschichte. Mich interessiert es jedoch wieso hier ständig von einer Wüste gesprochen wird! Die Schlacht von Carrhae fand in einer Gegend in der heutigen Osttürkei oder Nordirak statt. Da ist es eher kalt und gebirgig.
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