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Wie Flüchtlinge die deutsche Sprache verändern
Die Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien sprechen Unmengen von Dialekten und können oft nicht schreiben und lesen. Uns erwartet keine Sprachenvielfalt, sondern mehr linguistische Einfalt für alle.
Zur neuen Buntheit der Bundesrepublik, wie sie mit den mindestens anderthalb Millionen Flüchtlingen und Migranten in Deutschland Einzug hält und von vielen Berufspolitikern ausdrücklich begrüßt wird, gehören auch die Sprachen. Die Frage ist allerdings: welche Sprachen? Thomas Strothotte, Präsident einer Hamburger Privatuniversität mit dem englischen Namen Kühne Logistics University forderte diesbezüglich schon einmal die flächendeckende Einführung des Arabischen als Pflichtsprache an allen deutschen Schulen – am besten als dem Deutschen gleichberechtigte Unterrichtssprache.
Diese Forderung, die prompt von Politikern und Wirtschaftsfunktionären Zuspruch bekam, klingt auf den ersten Blick recht praktisch. Die Idee dahinter: Sollen nicht nur die Zuwanderer auf die deutsche Kultur zugehen, sondern sich umgekehrt die Deutschen gefälligst ihren neuen Mitbürgern anpassen. Doch selbst wenn man das als Willkommenstat gerecht fände – das Problem ist: Sehr viele Flüchtlinge sprechen nicht nur kein Deutsch, sondern auch kein Arabisch.
Unser blockhafter Blick auf "die Zuwanderer" zeugt von altkolonialistischer Oberflächlichkeit. In Afghanistan beispielsweise – einem der wichtigsten Herkunftsländer – gibt es offiziell 49 Sprachen, wozu das klassische Idiom des Koran jedoch gar nicht zählt. Stattdessen dominieren Sprachen wie Paschto und Dari und werden flankiert von Usbekisch, Belutschisch, Turkmenisch, Nuristani und Paschai. Sie gehören teilweise komplett unterschiedlichen Sprachfamilien an, etwa der persischen, den Turksprachen oder sind von indischen Dialekten beeinflusst.
Weder über eine einheitliche Schrift oder eine Befehlssprache beim Militär noch gar über den Text der Nationalhymne hat man sich im tiefzerstrittenen Land bislang verständigen können. Das einzige einigende Band in Afghanistan ist der Islam, dem 99,9 Prozent der Bürger angehören. In dieser Hinsicht immerhin sind die Regeln aller Sprachgemeinschaften eindeutig: Wer dem Islam abschwört, kann öffentlich hingerichtet werden.
Solche mittelalterlichen Sitten haben mit dazu geführt, dass Afghanistan eine riesige Quote von Analphabeten aufweist. Mehr als zwei Drittel der Menschen können weder lesen noch schreiben; bei den komplett diskriminierten Frauen sind es sogar neun von zehn. Wie sollen sich diese Menschen, die sich in ihrem Vaterland bereits untereinander nicht verstehen, nun im deutschen Volkshochschulwesen zurechtfinden? Gründlicher Unterricht des Arabischen, das manche selbst ernannten Experten nonchalant allen Vorderasiaten und Nordafrikanern unterschieben, könnte viele Ankömmlinge in Deutschland allerdings befähigen, endlich den Koran im Original zu lesen und die Gebote ihrer Religion direkt aus den Quellen zu studieren. Aber ob diese beachtliche Kulturleistung einer Eingliederung in die laizistische Industriegesellschaft Mitteleuropas dienlich wäre oder der deutschen Exportwirtschaft messbare Gewinne brächte?
Bibelaramäisch im Jobcenter
Und was soll im Gegenzug ein deutscher Schüler mit Koransuren und mittelalterlicher Poesie anfangen, wenn er später Computer programmiert, medizinische Fachzeitschriften liest oder Maschinen baut? Der arabische Beitrag zu Forschung und Innovation ist weltweit eine zu vernachlässigende Größe.
Für die große Gruppe der Syrer sieht es beim Spracherwerb wieder anders aus. Hier ist wie im Irak immerhin Hocharabisch bereits Landessprache, und etliche Menschen sprechen wegen der kolonialen Bindungen zusätzlich besser Französisch als viele Deutsche. Es gibt in Syrien aber auch sehr viele Kurden und sogar eine Minderheit, die noch des Aramäischen mächtig ist. Diese Auswanderer dürften nun erstmals in beachtlicher Zahl die Muttersprache der Chr*sten nach Deutschland gebracht haben, was Theologen und Linguisten gewiss spannend finden.
Doch dieses Bibelaramäisch dürfte in keinem Jobcenter und keiner deutschen Grundschule, ja nicht einmal in der Kirchengemeinde den Sprechern eine große Hilfe sein. Und auch die Kenner des Arabischen verstehen sich zwischen Herkunftsländern wie Marokko, dem Libanon oder dem Irak oft nur mühselig. In den deutschen Moscheen, ihren religiösen und sozialen Anlaufstellen, wird ohnehin vorzugsweise Türkisch (bei den Sunniten) und Persisch (bei den Schiiten) gesprochen.
Nehmen wir noch die zahlreichen afrikanischen Flüchtlinge mit Dutzenden von uralten Kultursprachen hinzu, wird das ganze Ausmaß der babylonischen Zustände offenbar. Das kleine Eritrea beispielsweise hat zwar nur sechseinhalb Millionen Einwohner, die vom Regime des Präsidenten Afewerki kujoniert und oft in endlosen Militärdienst gepresst werden, doch gibt es hier keine einheitliche Amtssprache und gleich neun unterschiedliche Idiome: Tigrinisch, Afar, Saho, Kunama, Bedscha etcetera ...
Der Turm von Babylon
In den Hochbetten der deutschen Flüchtlingsheime verstehen sich diese Volksgruppen oft nicht einmal untereinander, was neben religiösen Zwistigkeiten immer wieder zu ethnischer Gewalt und linguistischem Hass führt. Der Turm von Babylon, der das Durcheinander der Sprachen nach der biblischen Legende durch seinen Einsturz aus dem Zweistromland über die Welt brachte, stand eben nicht zufällig im Orient, dessen Buntheit und Vielfalt erst die moderne Staatlichkeit und der modernisierte Islam dabei sind, gewaltsam einzuebnen.
Für die hiesigen Behörden nächstliegende Maßnahme zum gegenseitigen Verständnis aller Paschtunen, Aramäer, Kurden und Tigriner wäre ganz offensichtlich ein effektiver und schneller Deutschkurs. Aber auch hier gibt es hohe Hürden. Wie will man einem Ankömmling eine komplizierte Schriftsprache vermitteln, der als Erwachsener nie lesen und schreiben erlernte? Oder der unser lateinisches Alphabet erst Buchstabe für Buchstabe kennenlernen muss?
Natürlich gibt es Neugierige und Naturtalente, gerade unter den jüngeren Migranten, die sich Deutsch quasi im Vorbeigehen in wenigen Monaten staunenswert geläufig aneignen. Doch genauso oft hört man von unwilligen Schülern, die jeden Unterricht verweigern und sich offensichtlich damit begnügen, in ihrer neuen europäischen Heimat mit Händen und Füßen notdürftig zu kommunizieren.
Können diese Menschen wohl den Bedarf an qualifizierten Facharbeitern in Deutschland decken? Können sie, auch als hoch qualifizierte Ärzte oder Architekten, jemals ihren Beruf in Mitteleuropa ausüben? Solange jedenfalls die Flüchtlinge den ganzen Tag zusammen mit anderen Migranten weggesperrt werden und die deutsche Bürokratie nicht annähernd genügend Deutschlehrer auftreiben kann, wird sich am Sprachnotstand wenig zum Guten ändern.
"Bad english" in den Unterkünften
Die mehrsprachige Akademikerin Angela Merkel hat in ihrer erfrischend optimistischen Art bereits vorhergesagt, dass die Erwachsenen sich die deutsche Sprache nun wohl bei den Kindern abschauen müssen, die im Kindergarten oder in der Schule in die neue Heimat hereinwachsen. Leider freilich bestand das Gros der Ankömmlinge lange nicht aus Familien mit Kindern, sondern aus männlichen jungen Erwachsenen. Die Kundigsten kommunizieren in den Unterkünften und bei den Behörden längst im Weltidiom "bad english". Oft sind es dabei aber auch die deutschen Staatsdiener, die schlechter Englisch sprechen als die neuen Schutzbefohlenen.
In jedem Fall wird sich die deutsche Gesellschaft für die Verständigung zwischen Alt- und Neubürgern über viele Jahre an ein rudimentäres Pidgin gewöhnen müssen, das zwischen arabischen Elementen, etwas Englisch, der jeweiligen Muttersprache und dem komplizierten Deutsch oszillieren dürfte. Wenn schon die genervten Deutschen komplizierte Behörden lieber zu kindischen Kunstwörtern wie "Lageso" abkürzen oder die Ankömmlinge neudeutsch zu "Refugees", werden sich die Neubürger aus aller Welt ihre Zunge mit wunderlichen Begriffen wie "Unionsfraktionsvize" oder "Schultergelenksecksprengung" sicher nicht brechen. Ein ganz neuer Simpelsprech, wie ihn zwischen Spanisch und amerikanischem Englisch längst die südlichen Staaten der USA erobert hat, wird auch in Deutschlands Schulen und in vielen Behörden Einzug halten.
Das kann – wie das "Kanaksprak" vieler junger Deutschtürken – durchaus kreativ und exotisch klingen, löst aber keines der deutschen Sprachprobleme im Prozess der Globalisierung. Von den ehrgeizigen Schlussfolgerungen der Pisa-Studie, nach der exzellent ausgebildete Schüler bei uns neben Deutsch fließend Englisch und für den Exportmarkt am besten auch noch Spanisch oder gleich etwas Chinesisch sprechen sollten, müssen wir uns verabschieden.
In Schweden hat man die schulischen Prüfungsniveaus angesichts des sprachlichen Wirrwarrs einer Zuwanderungsgesellschaft bereits senken müssen. Was uns also erwartet, ist keine Sprachenvielfalt, sondern weniger Schriftlichkeit, geringerer Wortschatz – und mehr linguistische Einfalt für alle.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154229289/Wie-Fluechtlinge-die-deutsche-Sprache-veraendern.html
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
Cosima Wagner