Das Urteil
#1
...und die Dinge nicht so nehmen wollen, wie sie sind.

<span style='color:green'><span style='font-size:14pt;line-height:100%'>Das Urteil</span></span>

Es war einmal ein alter Mann, der besaß ein schönes weißes Pferd. Da, eines Morgens fand man es nicht mehr im Stall und die Leute warfen ihm vor: "Wir haben gewusst, dass das Pferd gestohlen würde. Es wäre besser gewesen, es zu verkaufen!" Der alte Mann antwortete: "Geht nicht so weit, das zu sagen. Alles was ist, ist: Das Pferd ist nicht im Stall. Das ist Tatsache. Ob es ein Unglück ist oder ein Glück weiss ich nicht, weil ich nicht weiss, was folgen wird." Die Leute lachten. Man wusste ja, dass er ein bisschen verrückt war. Aber nach 15 Tagen kehrte das Pferd zurück. Es war nicht gestohlen worden, sondern in die Wildnis ausgebrochen. Und stellt euch vor, es brachte noch 12 wilde Pferde mit. Da gaben die Leute kleinbei: "Alter, du hattest recht, es hat sich tatsächlich als Glück erwiesen." Der aber entgegnete: "Wieder geht ihr zu weit. Alles was ist, ist: Das Pferd ist zurück. Ihr lest nur ein einziges Wort in einem Satz - wie könnt ihr das ganze Buch beurteilen?"
Der alte Mann hatte einen einzigen Sohn; dieser begann die Wildpferde zu trainieren. Schon eine Woche später fiel er vom Pferd und brach sich das Bein. Die Leute beklagten ihn: "Oh, welch ein Unglück." Der Alte indes entgegnete: "Ihr seid vom Urteilen besessen. Alles was ist, ist: Mein Sohn hat das Bein gebrochen. Niemand weiss, ob dies ein Unglück ist oder ein Glück.. Das Leben kommt in Augenblicken, und mehr bekommt ihr nie zu sehen." Es ergab sich, dass das Land in einen Krieg verwickelt wurde. Alle jungen Männer des Ortes wurden zwangsweise zum Frontdienst eingezogen. Nur der Sohn des alten Mannes blieb zurück, weil er sein Bein nicht gebrauchen konnte. Der ganze Ort war vom Wehgeschrei erfüllt, und die Leute kamen zum alten Mann und sagten: "Du hattest recht, es hat sich als Glück erwiesen." Der alte Mann aber meinte: "Ihr hört nicht auf zu urteilen. Alles was ist, ist: Man hat eure Söhne in die Armee eingezogen, und mein Sohn wurde nicht eingezogen ...

@ Nucu und Violetta: In nehmen geändert.
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#2
Das gefällt mir sehr gut.

Wobei ich in Deinem Einleitungssatz etwas präziser sagen wurde: Die Dinge nehmen wie sie sind, statt hinnehmen wie sie sind.
Das "hinnehmen" hat für mich einen leicht passiven Unterton mit Schicksalsvirus drin...

Gruß
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#3
Zitat:Wobei ich in Deinem Einleitungssatz etwas präziser sagen wurde: Die Dinge nehmen wie sie sind, statt hinnehmen wie sie sind.
Das "hinnehmen" hat für mich einen leicht passiven Unterton mit Schicksalsvirus drin...

Ja genau. Lieber "nehmen" schreiben. Die Geschichte ist aber sehr gut!
Sei!
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