Die Himmelsscheibe von Nebra
#3
Um einem weiteren Geheimnis der Himmelsscheibe näher zu kommen, muss man ein wenig tiefer in die Archäologie und Astronomie (Archäoastronomie) eintauchen:

Die Himmelsscheibe, der zufolge der Mond in Kombination mit den Plejaden also Anfang und Ende des landwirtschaftlichen Jahres bedeutete, zeigt jedoch genau genommen kein Spezialwissen, sondern Allerweltswissen. Für dieses Wissen, so sollte man annehmen, nimmt niemand solche Kosten und Mühen auf sich einen Gegenstand herzustellen, indem immerhin knapp 32 Gramm Gold stecken (dieses Gold stammt übrigens vollständig aus Cornwall, England). Sollte sie nicht entsprechend antikes und geheimes Wissen bergen?

Eine sehr auffällige Merkwürdigkeit ist der Sichelmond. Der ist seltsam dick, geradezu plump in seiner Gestalt. Der zunehmende Mond wird sonst als schlanke, elegante Sichel dargestellt. Auf der Scheibe wirkt er unbeholfen und passte nicht zur Schönheit des restlichen Bildes. Hier geht es anscheinend nicht um Ästethik, sondern, so muss man schlussfolgern, um astronomische Präzession. Der Schmied der Himmelsscheibe hatte genau einen Mond dieser Dicke im Sinn – und nicht eine möglichst hübsche Mondsichel.

Die Dicke des Mondes steht für sein Alter. Wenn der Mond das erste Mal nach dem Neumond wieder am Himmel sichtbar wird, ist er zwischen 1,5 und 2,5 Tage alt. Mit diesem Neulicht beginnt jeder Monat. Vermisst man die Sichel und setzt ihre Dicke in Relation zu ihrem Durchmesser als vollen Mond kommt man zu folgendem interessanten Ergebnis: Die Dicke der Himmelscheibensichel weist auf ein Alter von etwa 4,5 Tagen hin, und damit ist diese Mondsichel älter (und dicker) als der 1,5 bis 2,5 Tage alte Neulichtmond. Das Ergebnis wirft die Frage auf, warum es diese Abweichung gibt und was diese bedeutet:

In einem babylonischen Keilschrifttext aus dem 7. bis 3. Jahrhundert v. d. Z sind astronomische Beobachtungen und Analysen aus Mesopotamien zusammengetragen, die einen Hinweis auf diese Frage liefern: Im ersten Monat des Jahres, im Frühlingsmonat, der dort den Namen „Nisannu“ trägt, soll man auf die Mondsichel und die Plejaden achten. Konkret steht dort: „Wenn sich am 1. Nisannu Mond und Plejaden in Konjunktion (die scheinbare Begegnung zweier Planeten oder eines Planeten mit Sonne oder Mond) befinden, also nahe beieinanderstanden, dann war mit diesem Jahr alles in Ordnung. Zeigte sich der Mond aber erst am 3. Nisannu bei den Plejaden, war dieses Jahr ein Schaltjahr. Dann musste ein Schaltmonat eingefügt werden.

Zur Erklärung:
Sonne und Mond gehorchen nicht demselben Rhythmus. Die Gestirne des Tages und der Nacht harmonieren nicht miteinander. Die Sonne liefert das Jahr und den Tag und der Mond den Monat und die Woche. Doch die verlaufen leider nicht synchron. Ein synnodischer Monat, das ist der Abstand von Neulicht zu Neulicht und von Vollmond zu Vollmond, dauert rund 29,5 Tage. Ein Mondjahr währt also rund 354 Tage. Das sind elft Tage weniger als das Sonnenjahr.

In Babylon wurde zur Synchronisierung von Mond und Sonnenjahr ein Kalender angewendet, der auf der Beobachtung der wechselnden Gestalt des Mondes basierte. Um das Mondjahr mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bringen, also dafür zu sorgen, das der Frühlingsmonat nicht in den Herbst wanderte, mussten Schaltmonate eingefügt werden: bei elf Tagen Differenz zwischen Mond und Sonnenjahr im Schnitt alle drei Jahre.

Wenn der Mond erst am 3. Nisannu bei den Plejaden erschien – dann war er also schon zwei Tage älter und dicker als der Neulichtmond – war dies das Signal des Himmels, einen Schaltmonat einzuschieben. Erschien der Mond aber am 1. Nisannu als dünner Neulichtmond, dann war das Jahr noch im Takt, und es braucht keinen Schaltmonat.

Auf die Dicke der Mondsichel am Himmel kommt es also an, denn jedes Frühjahr zieht die Mondsichel in zunehmender Dicke an den Plejaden vorbei. Wird sie so dick, wie auf der Himmelsscheibe dargestellt, muss ein Schaltmonat eingefügt werden.

Die wechselnde Gestalt des Mondes erlaubt ein leichte Einteilung des Monats in Wochen und liefert mit dem Neulicht ein markantes Signal für den Monatsanfang. Der Sonnenkalender ist dagegen für die Ackerbauern unverzichtbar, weil er sich im Einklang mit den Jahreszeiten befindet.

Dieses Wissen steckt in der Himmelsscheibe codiert verborgen, welches erst 1.000 Jahre später in Mesopotamien schriftlich festgehalten wurde. Doch auch in der Anzahl der abgebildeten Sterne steckt eine Codierung: Auf der Urversion der Scheibe waren 32 Goldsterne angebracht. Wenn man von jenem Neulichtmond aus zählt, auf den einen Monat später das Neulicht folgt, das den Frühlingsmonat einläutet, und es vergingen 32 Tage, bis Mond und Plejaden zusammenstanden, war man wieder am 3. Nissanu und musste einen Schaltmonat einfügen. Es ging um das gleiche Prinzip wie mit der Sicheldicke, sie war nur auf eine zweite Weise verschlüsselt. Aber nicht, weil doppelt besser hält, sondern weil die 32 Tage einen zusätzlichen Bezugspunkt lieferten, eine alternative Berechnungsmöglichkeit für den Fall, dass den früheren Astronomen wieder einmal ihr ärgster Feind das Leben schwer machte: das schlechte Wetter. Bei Wolkendecke war ein Neulicht nicht auszumachen – und deshalb begann man schon vorsichtshalber im Vormonat mit dem Zählen, um so die Konstellation von Mond und Plejaden nicht zu verfehlen. Das Rezept, den jährlichen Rhythmus der beiden wichtigsten Himmelskörper Mond und Sonne in Harmonie zu bringen, ist also gleich zweifach auf der Himmelsscheibe codiert.

Anmerkung:
Die Astronomen von heute haben keine genau Erklärung dafür, wie dieses Wissen schon 1.000 Jahre vor den schriftlichen Zeugnissen aus Mesopotamien in Germanien existieren konnte. Wenn man jedoch von einer Hochkultur ausgeht, mit verschiedenen Zweigstellen und Menschen, die ihr Wissen auf verschiedenen Kontinenten ausgetauscht haben, kann man sich dies relativ einfach herleiten.



Quelle: "Die Himmelsscheibe von Nebra - der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas."
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Die Himmelsscheibe von Nebra - von Hernes_Son - 26.03.12019, 12:57
RE: Die Himmelsscheibe von Nebra - von Hernes_Son - 19.06.12019, 00:12
RE: Die Himmelsscheibe von Nebra - von Hernes_Son - 01.07.12019, 01:17
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RE: Die Himmelsscheibe von Nebra - von verdandi - 16.11.12020, 14:56

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