20.03.12014, 22:28
Im dritten und letzten Buch des Bandes von Valerio Manfredi 'Alexander - Der Herrscher der Welt', steht am Ende ein Epilog ...
„Dein Leichnam war noch warm, Alexander, als wir bereits anfingen, uns über dein Erbe zu streiten. Später haben wir uns jahrelang deswegen bekämpft. Du warst von uns gegangen und mit dir der Traum, der uns vereint hatte. Leptine wollte dir folgen – wir fanden sie mit durchschnittenen Pulsadern am Fußende deines Bettes. Die Königsmutter Sisygambis verhüllte ihr Gesicht mit einem schwarzen Schleier und beschloß, langsam zu verhungern. Roxane entschied sich dafür weiterzuleben, aber nur, damit dein Sohn leben konnte.
Perdikkas verwirklichte seinen Wunsch – den, Kleopatra zu heiraten, doch er starb als erster bei dem Versuch, dein Reich zusammenzuhalten. Er fiel im Kampf gegen meine Truppen.
Das seltsame daran ist, daß wir eigentlich keinen Haß füreinander empfanden – obwohl wir uns erbittert bekämpften und ständig neue Bündnisse schlossen und auflösten; in gewissem Sinne sind wir sogar Freunde geblieben. Etliche Jahre nach deinem Tod haben wir uns einmal in Babylon versammelt, um zu einer Einigung zu kommen, aber die Versammlung artete sofort in einen wüsten Streit aus. Da kam plötzlich Eumenes aus Kardia herein, warf deinen Mantel und dein Zepter auf den leeren Thron, und plötzlich wurde alles still und starrte nachdenklich vor sich hin. Es war wie ein Wunder, du warst auf einmal wieder unter uns, wenn auch nur einen kurzen Moment lang.
Wir waren deiner nicht würdig, Alexander, und doch haben wir versucht, dich in allem nachzuahmen. Wir haben uns sogar porträtieren lassen wie du, in derselben Haltung, mit leicht nach rechts geneigtem Kopf und zurückgekämmtem Haar – auch als wir kaum noch Haare hatten. Doch alles nur, um deinen Ruhm auszunutzen. In Wahrheit hatten wir nicht einmal den Mut, deine Familie am Leben zu lassen. Sie ist gnadenlos ausgerottet worden, und dazu genügte eine kleine Fußnote im Vertrag, mit dem wir das Land unter uns aufgeteilt haben: „Sollte dem Kind etwas zustoßen, so geht Makedonien an ...! Im Klartext: ein Todesurteil. Deine Frau, deine Mutter, dein Sohn, alle tot – wie entsetzlich ... Die Machtgier hat unsere Herzen versteinert und uns zu Ungeheuern gemacht.
Bis auf Seleukos verstießen alle die persischen Ehefrauen, die du uns gegeben hattest; nur er liebte seine Apama hingebungsvoll und widmete ihr wundervolle Städte.
Tja, Seleukos ... eine Zeitlang war er der neue Alexander, und fast wäre es ihm gelungen, dein Reich wieder auferstehen zu lassen. Jetzt ist er alt wie ich und hat einige Wehwehchen. Wir haben uns mehrmals bekriegt, oder besser, unsere Truppen sind an der Grenze zu Koilesyrien aufeinandergestoßen, da diese Grenze in keinem unserer unzähligen Verträge genau festgelegt wurde, aber im Grunde hatten wir immer eine gute Beziehung, wie alte Freunde.
Ich weiß nicht, wie es ihm im Moment geht, aber ich vermute, auch er ist dem Ende nahe. Was mich betrifft, so habe ich bereits vor zwei Jahren Zepter und Reich an meinen Sohn, Ptolemaios II., abgetreten, um diese „Geschichte“ niederschreiben zu können. Das einzige, was ich mir – außer meinem rechtzeitigen und freiwilligen Machtverzicht – zugute halten kann, ist der Umstand, dich hierher, in dein Alexandreia, zurückgeholt zu haben, denn es ist der einzige Ort, der deiner wirklich würdig ist. Oh, könntest du Alexandreia nur sehen! Eine herrliche, blühende Stadt, genau wie du sie dir immer ausgemalt hast – weißt du noch?
Wir waren damals junge Burschen mit glühenden Seelen – Schwärmer, Träumer. Wenn wir in unseren glänzenden Rüstungen neben dir ritten, kamen wir uns vor wie Götter.
Nun, wo ich mit dem letzten Kapitel fertig bin und unsere „Geschichte“ ein letztes Mal durchgelesen habe, klingt sie mir etwas fremd, doch während ich schrieb, stand mir alles ganz deutlich vor Augen. Ich habe unsere Gespräche und Diskussionen gehört, die Witze, die wir gerissen haben, Leonnatos’ grobe Bemerkungen – weißt du noch? Natürlich werden meine Aufzeichnungen bearbeitet werden, irgendjemand wird einen guten Text daraus machen und dabei die Regeln befolgen, die unsere Lehrer in Pella in Mieza uns beigebracht haben. Doch ich behalte unsere Geschichte lieber so im Gedächtnis, wie ich sie beim Schreiben, Tag für Tag, Augenblick um Augenblick, noch einmal durchlebt habe.
Was getan werden mußte, ist getan, und als ich heute Morgen Thánatos’ eisigen Atem im Nacken spürte, bin ich hier heruntergestiegen, um zu vergessen, was nach deinem Ableben passiert ist, und friedlich neben dir einschlafen zu können, mein Freund.
Es wird langsam Zeit, daß die Alexanderschar wieder zusammenfindet, wie damals, an dem Tag, an dem wir dir am Ufer jenes vereisten illyrischen Sees durch dichtes Schneegestöber entgegengeritten sind. Auch wir, die wir so lange gelebt haben, sollten endlich die Augen schließen. Und wenn wir dann erwachen, sind wir alle wieder beisammen, jung und stark wie früher, und dann reiten wir an deiner Seite in ein neues Abenteuer – in unser letztes, großes Abenteuer.“
Recherchiert und niedergeschrieben im Buch „Alexander – Der Herrscher der Welt“, von Valerio Manfredi. Ein zu empfehlender Buchband bestehend aus 3 Büchern.
„Dein Leichnam war noch warm, Alexander, als wir bereits anfingen, uns über dein Erbe zu streiten. Später haben wir uns jahrelang deswegen bekämpft. Du warst von uns gegangen und mit dir der Traum, der uns vereint hatte. Leptine wollte dir folgen – wir fanden sie mit durchschnittenen Pulsadern am Fußende deines Bettes. Die Königsmutter Sisygambis verhüllte ihr Gesicht mit einem schwarzen Schleier und beschloß, langsam zu verhungern. Roxane entschied sich dafür weiterzuleben, aber nur, damit dein Sohn leben konnte.
Perdikkas verwirklichte seinen Wunsch – den, Kleopatra zu heiraten, doch er starb als erster bei dem Versuch, dein Reich zusammenzuhalten. Er fiel im Kampf gegen meine Truppen.
Das seltsame daran ist, daß wir eigentlich keinen Haß füreinander empfanden – obwohl wir uns erbittert bekämpften und ständig neue Bündnisse schlossen und auflösten; in gewissem Sinne sind wir sogar Freunde geblieben. Etliche Jahre nach deinem Tod haben wir uns einmal in Babylon versammelt, um zu einer Einigung zu kommen, aber die Versammlung artete sofort in einen wüsten Streit aus. Da kam plötzlich Eumenes aus Kardia herein, warf deinen Mantel und dein Zepter auf den leeren Thron, und plötzlich wurde alles still und starrte nachdenklich vor sich hin. Es war wie ein Wunder, du warst auf einmal wieder unter uns, wenn auch nur einen kurzen Moment lang.
Wir waren deiner nicht würdig, Alexander, und doch haben wir versucht, dich in allem nachzuahmen. Wir haben uns sogar porträtieren lassen wie du, in derselben Haltung, mit leicht nach rechts geneigtem Kopf und zurückgekämmtem Haar – auch als wir kaum noch Haare hatten. Doch alles nur, um deinen Ruhm auszunutzen. In Wahrheit hatten wir nicht einmal den Mut, deine Familie am Leben zu lassen. Sie ist gnadenlos ausgerottet worden, und dazu genügte eine kleine Fußnote im Vertrag, mit dem wir das Land unter uns aufgeteilt haben: „Sollte dem Kind etwas zustoßen, so geht Makedonien an ...! Im Klartext: ein Todesurteil. Deine Frau, deine Mutter, dein Sohn, alle tot – wie entsetzlich ... Die Machtgier hat unsere Herzen versteinert und uns zu Ungeheuern gemacht.
Bis auf Seleukos verstießen alle die persischen Ehefrauen, die du uns gegeben hattest; nur er liebte seine Apama hingebungsvoll und widmete ihr wundervolle Städte.
Tja, Seleukos ... eine Zeitlang war er der neue Alexander, und fast wäre es ihm gelungen, dein Reich wieder auferstehen zu lassen. Jetzt ist er alt wie ich und hat einige Wehwehchen. Wir haben uns mehrmals bekriegt, oder besser, unsere Truppen sind an der Grenze zu Koilesyrien aufeinandergestoßen, da diese Grenze in keinem unserer unzähligen Verträge genau festgelegt wurde, aber im Grunde hatten wir immer eine gute Beziehung, wie alte Freunde.
Ich weiß nicht, wie es ihm im Moment geht, aber ich vermute, auch er ist dem Ende nahe. Was mich betrifft, so habe ich bereits vor zwei Jahren Zepter und Reich an meinen Sohn, Ptolemaios II., abgetreten, um diese „Geschichte“ niederschreiben zu können. Das einzige, was ich mir – außer meinem rechtzeitigen und freiwilligen Machtverzicht – zugute halten kann, ist der Umstand, dich hierher, in dein Alexandreia, zurückgeholt zu haben, denn es ist der einzige Ort, der deiner wirklich würdig ist. Oh, könntest du Alexandreia nur sehen! Eine herrliche, blühende Stadt, genau wie du sie dir immer ausgemalt hast – weißt du noch?
Wir waren damals junge Burschen mit glühenden Seelen – Schwärmer, Träumer. Wenn wir in unseren glänzenden Rüstungen neben dir ritten, kamen wir uns vor wie Götter.
Nun, wo ich mit dem letzten Kapitel fertig bin und unsere „Geschichte“ ein letztes Mal durchgelesen habe, klingt sie mir etwas fremd, doch während ich schrieb, stand mir alles ganz deutlich vor Augen. Ich habe unsere Gespräche und Diskussionen gehört, die Witze, die wir gerissen haben, Leonnatos’ grobe Bemerkungen – weißt du noch? Natürlich werden meine Aufzeichnungen bearbeitet werden, irgendjemand wird einen guten Text daraus machen und dabei die Regeln befolgen, die unsere Lehrer in Pella in Mieza uns beigebracht haben. Doch ich behalte unsere Geschichte lieber so im Gedächtnis, wie ich sie beim Schreiben, Tag für Tag, Augenblick um Augenblick, noch einmal durchlebt habe.
Was getan werden mußte, ist getan, und als ich heute Morgen Thánatos’ eisigen Atem im Nacken spürte, bin ich hier heruntergestiegen, um zu vergessen, was nach deinem Ableben passiert ist, und friedlich neben dir einschlafen zu können, mein Freund.
Es wird langsam Zeit, daß die Alexanderschar wieder zusammenfindet, wie damals, an dem Tag, an dem wir dir am Ufer jenes vereisten illyrischen Sees durch dichtes Schneegestöber entgegengeritten sind. Auch wir, die wir so lange gelebt haben, sollten endlich die Augen schließen. Und wenn wir dann erwachen, sind wir alle wieder beisammen, jung und stark wie früher, und dann reiten wir an deiner Seite in ein neues Abenteuer – in unser letztes, großes Abenteuer.“
Recherchiert und niedergeschrieben im Buch „Alexander – Der Herrscher der Welt“, von Valerio Manfredi. Ein zu empfehlender Buchband bestehend aus 3 Büchern.
Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!