08.10.12008, 22:01
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wissen/119/311043/text/ Süddeutsche Zeitung 22.09.2008
Horst Seehofer im Interview
"In Bayern bin ich gegen Gentechnik"
Landwirtschaftsminister Seehofer äußert sich im SZ-Interview prinzipiell forschungsfreundlich. Allerdings mit einer Ausnahme: So warnt er vor dem Anbau auf kleinen Agrarflächen. Wie etwa im Freistaat Bayern.
Egal, wo der Wahlkampf Horst Seehofer in diesen Tagen hinführt, fast überall wird der Bundeslandwirtschaftsminister von Demonstranten mit überdimensionalen Maiskolben empfangen. Seehofer gilt bei Umweltschützern als Gentechnik-Freund. Damit bringt er ausgerechnet die Gruppe gegen sich auf, die zu den Stammwählern der CSU zählt: die Bauern. Doch bei der Wahl wird es auf jede Stimme ankommen.
SZ: Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihr Spitzname Genhofer?
Horst Seehofer: Ich ertrage das manchmal sogar mit Humor, weil es mit der Realität nichts zu tun hat. Mancher Verband, der heute kritisch auftritt, sollte sich fragen, welche Position er früher vertrat.
SZ: Was meinen Sie damit?
Seehofer: Noch vor drei Jahren bin ich von den Landwirten aufgefordert worden, die Gefahren der Haftung beim Anbau von Gentechnik zu verringern.
SZ: Damit ein Bauer, der Genpflanzen anbaut, nicht mehr so leicht verklagt werden kann, wenn es in Nachbarfeldern zu Verunreinigungen kommt?
Seehofer: Genau. Doch ich habe das Haftungsrecht nicht entschärft. Außerdem haben wir erstmals Abstandsflächen zwischen den Feldern festgelegt. Und ich habe das Label "Ohne Gentechnik" eingeführt. Für Bayern kann ich zudem sagen, dass wir heute weniger Genmais anbauen als zu meinem Amtsantritt, nämlich gerade mal 0,002 Prozent der Maisflächen.
SZ: Würden Sie selbst Genbrot essen?
Seehofer: Es gibt keine Hinweise für gesundheitliche Gefahren. Übrigens ist Gentechnik in Medikamenten weitverbreitet, Beispiel Humaninsulin.
SZ: Sie würden das Brot also essen?
Seehofer: Ja. Schließlich schlucke ich ja auch Medikamente. Aber ich bin kein Anhänger des blinden Fortschritts, sondern des verantwortlichen Umgangs mit dem Fortschritt. Daher müssen wir genau prüfen, ob sich vielleicht langfristig irgendwelche Folgen ergeben.
SZ: Unter anderem wegen dieser Sorge verlangt die große Mehrheit der Bundesbürger und sogar 75 Prozent der CSU-Wähler, dass Sie den Anbau von Genpflanzen in Deutschland komplett verbieten. Warum tun Sie es nicht?
Seehofer: Wenn es nur eines Zungenschlags bedürfte, um das ganze Land gentechnikfrei zu machen, dann frage ich mich, warum das nicht gemacht wurde, als mein Ministerium noch von einer Grünen geführt wurde. Dieser Mais der Sorte MON 810 ist nun einmal von der Europäischen Union zugelassen. Wenn ich den Anbau verbieten würde, wäre das ein Verstoß gegen EU-Recht.
SZ: Österreich oder Frankreich haben es doch auch gemacht.
Seehofer: Die Österreicher sind vor dem Europäischen Gerichtshof auf die Nase gefallen. Und bei Frankreich läuft das Verfahren noch. Wenn uns die Regeln nicht passen, müssen wir auf eine Änderung hinwirken, aber ich kann doch als Politiker nicht sehenden Auges gegen geltendes Recht verstoßen.
SZ: Wie wollen Sie die Regeln ändern?
Seehofer: Zunächst mal brauchen wir ein anderes Zulassungsverfahren. Politiker sollten nicht mehr beteiligt sein, sonst hängt die Zulassung einer Genpflanze von schwankenden und zufälligen Mehrheiten in den einzelnen Ländern ab. Das schafft Misstrauen. Stattdessen sollte das Verfahren auf eine rein wissenschaftliche Basis gestellt werden.
SZ: Die Zulassungsbehörde EFSA, die die Gefahren untersuchen soll, steht in der Kritik, weil sie sich angeblich überwiegend auf die Angaben der Konzerne verlässt. Wieso wollen Sie ausgerechnet dieser Behörde die alleinige Entscheidungskompetenz geben?
Seehofer: Man muss halt neue Regeln schaffen. Bei der Arzneimittelzulassung, die ja hinsichtlich der Risiken absolut vergleichbar ist mit der Gentechnik, haben wir beste Erfahrungen gemacht. Natürlich gehört dazu, dass man sich nicht nur auf die Unterlagen der Konzerne verlässt. Die Behörde muss selbst prüfen und sollte auch verpflichtet werden, sich mit alternativen Denkschulen auseinanderzusetzen. So wie wir es ja bei Arzneimitteln auch tun.
SZ: Aber ist es nicht feige, wenn Politiker sich bei diesem Thema hinter Wissenschaftlern verstecken?
Seehofer: Die Politik soll sich nicht um ihre Verantwortung drücken. Im Gegenteil. Ich möchte, dass die EU auf strikt wissenschaftlicher Grundlage nur noch über die grundsätzliche Unbedenklichkeit einer Genpflanze entscheidet. Ob die Pflanze dann auch tatsächlich angebaut wird, sollen die Politiker in den Regionen vor Ort entscheiden.
SZ: Österreich ist mit einer gentechnikfreien Zone vor dem EuGH gescheitert. Hat Ihr Vorschlag überhaupt Aussicht auf Erfolg, oder soll er nicht vielmehr nur die Bauern im Wahlkampf beruhigen?
Seehofer: Der EuGH urteilt auf Basis der geltenden Vorschriften. Ändert man die Vorschriften, wird auch der EuGH anders urteilen. Wir müssen den Politikern vor Ort, entweder auf Landesebene oder auf kommunaler Ebene, die Möglichkeit geben zu entscheiden, ob sie den Anbau von Genpflanzen erlauben wollen.
SZ: Aber was ist, wenn ein Bauer in Kitzingen Genmais anbauen will, der Landrat das Gebiet aber zur gentechnikfreien Zone erklärt hat?
Seehofer: Natürlich ist so ein Anbauverbot ein Eingriff in die Rechte des Eigentümers. Aber genau deshalb brauchen wir klare Regeln. Auch jetzt schon machen die Kommunen im Bau- oder Umweltrecht Auflagen, wie Eigentümer ihren Grund und Boden nutzen können. Entscheidend ist, dass dies in den Regionen geschieht. Brüssel muss sich da raushalten. Nennen Sie mir einen einzigen Fall, wo Brüssel über die Nutzung von Grund und Boden vor Ort entscheidet. Egal, ob es um den Bau eines Kraftwerks geht, die Ausweisung eines Industriegebiets oder eine Ortsumgehung, das ist immer Sache der Gemeinde. Und jetzt müssen wir die Vorschriften eben so ändern, dass dies auch für die Gentechnik gilt. Schließlich haben wir doch angeblich ein Europa der Regionen.
SZ: Angenommen, das Recht wäre schon geändert und Sie könnten den Anbau von Genpflanzen verbieten. Würden Sie es tun?
Seehofer: Für Bayern auf jeden Fall. Anders als in Ostdeutschland haben wir dort Höfe mit kleinen Anbauflächen. Da kann es leichter zu Auskreuzungen kommen, was zu Verwerfungen zwischen den Bauern führt. Der Anbau von Genraps beispielsweise, der nicht koexistenzfähig ist und sich mit allen Wildpflanzen kreuzt, ist undenkbar. Hinzukommt, dass ich den Nutzen des Genmais MON 810 bezweifle. Es lohnt sich einfach nicht, deswegen Unfrieden in die Dörfer zu tragen.
SZ: Sie geben sich plötzlich als Gentechnik-Feind. Dabei haben Sie selbst in Brüssel für die Genkartoffel gestimmt. Sind Sie nun für oder gegen Gentechnik?
Seehofer: Ja, das ist die beliebte deutsche Diskussion. Bei uns gibt es immer nur Entweder-oder. Es gibt nun mal die Gentechnik. Und wir wollen sie nutzen ohne irgendein Risiko für die Schöpfung. Es ist immer eine Frage der Abwägung. In Bayern, wie gesagt, bin ich gegen Gentechnik. In Brandenburg aber, wo es Bürgerinitiativen für diese Technologie gibt, muss man die Frage anders beantworten. Die haben dort Riesenflächen, sie können problemlos im Kern Genpflanzen anbauen und drum herum konventionell.
SZ: Angela Merkel meint, das Welternährungsproblem lasse sich nur mit Gentechnik lösen. Wie stehen Sie zu der Haltung Ihrer Kanzlerin?
Seehofer: Es gibt im Moment keinen Beleg dafür, dass man in Dürre- oder Nässegebieten durch Genpflanzen einen Durchbruch erzielen könnte. Trotzdem bleibt es notwendig, die Dinge weiter zu erforschen. Ich möchte nicht, dass die Chinesen uns in zehn Jahren erklären müssen, wie es geht.
Interview: Daniela Kuhr und Marc Widmann
Horst Seehofer im Interview
"In Bayern bin ich gegen Gentechnik"
Landwirtschaftsminister Seehofer äußert sich im SZ-Interview prinzipiell forschungsfreundlich. Allerdings mit einer Ausnahme: So warnt er vor dem Anbau auf kleinen Agrarflächen. Wie etwa im Freistaat Bayern.
Egal, wo der Wahlkampf Horst Seehofer in diesen Tagen hinführt, fast überall wird der Bundeslandwirtschaftsminister von Demonstranten mit überdimensionalen Maiskolben empfangen. Seehofer gilt bei Umweltschützern als Gentechnik-Freund. Damit bringt er ausgerechnet die Gruppe gegen sich auf, die zu den Stammwählern der CSU zählt: die Bauern. Doch bei der Wahl wird es auf jede Stimme ankommen.
SZ: Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihr Spitzname Genhofer?
Horst Seehofer: Ich ertrage das manchmal sogar mit Humor, weil es mit der Realität nichts zu tun hat. Mancher Verband, der heute kritisch auftritt, sollte sich fragen, welche Position er früher vertrat.
SZ: Was meinen Sie damit?
Seehofer: Noch vor drei Jahren bin ich von den Landwirten aufgefordert worden, die Gefahren der Haftung beim Anbau von Gentechnik zu verringern.
SZ: Damit ein Bauer, der Genpflanzen anbaut, nicht mehr so leicht verklagt werden kann, wenn es in Nachbarfeldern zu Verunreinigungen kommt?
Seehofer: Genau. Doch ich habe das Haftungsrecht nicht entschärft. Außerdem haben wir erstmals Abstandsflächen zwischen den Feldern festgelegt. Und ich habe das Label "Ohne Gentechnik" eingeführt. Für Bayern kann ich zudem sagen, dass wir heute weniger Genmais anbauen als zu meinem Amtsantritt, nämlich gerade mal 0,002 Prozent der Maisflächen.
SZ: Würden Sie selbst Genbrot essen?
Seehofer: Es gibt keine Hinweise für gesundheitliche Gefahren. Übrigens ist Gentechnik in Medikamenten weitverbreitet, Beispiel Humaninsulin.
SZ: Sie würden das Brot also essen?
Seehofer: Ja. Schließlich schlucke ich ja auch Medikamente. Aber ich bin kein Anhänger des blinden Fortschritts, sondern des verantwortlichen Umgangs mit dem Fortschritt. Daher müssen wir genau prüfen, ob sich vielleicht langfristig irgendwelche Folgen ergeben.
SZ: Unter anderem wegen dieser Sorge verlangt die große Mehrheit der Bundesbürger und sogar 75 Prozent der CSU-Wähler, dass Sie den Anbau von Genpflanzen in Deutschland komplett verbieten. Warum tun Sie es nicht?
Seehofer: Wenn es nur eines Zungenschlags bedürfte, um das ganze Land gentechnikfrei zu machen, dann frage ich mich, warum das nicht gemacht wurde, als mein Ministerium noch von einer Grünen geführt wurde. Dieser Mais der Sorte MON 810 ist nun einmal von der Europäischen Union zugelassen. Wenn ich den Anbau verbieten würde, wäre das ein Verstoß gegen EU-Recht.
SZ: Österreich oder Frankreich haben es doch auch gemacht.
Seehofer: Die Österreicher sind vor dem Europäischen Gerichtshof auf die Nase gefallen. Und bei Frankreich läuft das Verfahren noch. Wenn uns die Regeln nicht passen, müssen wir auf eine Änderung hinwirken, aber ich kann doch als Politiker nicht sehenden Auges gegen geltendes Recht verstoßen.
SZ: Wie wollen Sie die Regeln ändern?
Seehofer: Zunächst mal brauchen wir ein anderes Zulassungsverfahren. Politiker sollten nicht mehr beteiligt sein, sonst hängt die Zulassung einer Genpflanze von schwankenden und zufälligen Mehrheiten in den einzelnen Ländern ab. Das schafft Misstrauen. Stattdessen sollte das Verfahren auf eine rein wissenschaftliche Basis gestellt werden.
SZ: Die Zulassungsbehörde EFSA, die die Gefahren untersuchen soll, steht in der Kritik, weil sie sich angeblich überwiegend auf die Angaben der Konzerne verlässt. Wieso wollen Sie ausgerechnet dieser Behörde die alleinige Entscheidungskompetenz geben?
Seehofer: Man muss halt neue Regeln schaffen. Bei der Arzneimittelzulassung, die ja hinsichtlich der Risiken absolut vergleichbar ist mit der Gentechnik, haben wir beste Erfahrungen gemacht. Natürlich gehört dazu, dass man sich nicht nur auf die Unterlagen der Konzerne verlässt. Die Behörde muss selbst prüfen und sollte auch verpflichtet werden, sich mit alternativen Denkschulen auseinanderzusetzen. So wie wir es ja bei Arzneimitteln auch tun.
SZ: Aber ist es nicht feige, wenn Politiker sich bei diesem Thema hinter Wissenschaftlern verstecken?
Seehofer: Die Politik soll sich nicht um ihre Verantwortung drücken. Im Gegenteil. Ich möchte, dass die EU auf strikt wissenschaftlicher Grundlage nur noch über die grundsätzliche Unbedenklichkeit einer Genpflanze entscheidet. Ob die Pflanze dann auch tatsächlich angebaut wird, sollen die Politiker in den Regionen vor Ort entscheiden.
SZ: Österreich ist mit einer gentechnikfreien Zone vor dem EuGH gescheitert. Hat Ihr Vorschlag überhaupt Aussicht auf Erfolg, oder soll er nicht vielmehr nur die Bauern im Wahlkampf beruhigen?
Seehofer: Der EuGH urteilt auf Basis der geltenden Vorschriften. Ändert man die Vorschriften, wird auch der EuGH anders urteilen. Wir müssen den Politikern vor Ort, entweder auf Landesebene oder auf kommunaler Ebene, die Möglichkeit geben zu entscheiden, ob sie den Anbau von Genpflanzen erlauben wollen.
SZ: Aber was ist, wenn ein Bauer in Kitzingen Genmais anbauen will, der Landrat das Gebiet aber zur gentechnikfreien Zone erklärt hat?
Seehofer: Natürlich ist so ein Anbauverbot ein Eingriff in die Rechte des Eigentümers. Aber genau deshalb brauchen wir klare Regeln. Auch jetzt schon machen die Kommunen im Bau- oder Umweltrecht Auflagen, wie Eigentümer ihren Grund und Boden nutzen können. Entscheidend ist, dass dies in den Regionen geschieht. Brüssel muss sich da raushalten. Nennen Sie mir einen einzigen Fall, wo Brüssel über die Nutzung von Grund und Boden vor Ort entscheidet. Egal, ob es um den Bau eines Kraftwerks geht, die Ausweisung eines Industriegebiets oder eine Ortsumgehung, das ist immer Sache der Gemeinde. Und jetzt müssen wir die Vorschriften eben so ändern, dass dies auch für die Gentechnik gilt. Schließlich haben wir doch angeblich ein Europa der Regionen.
SZ: Angenommen, das Recht wäre schon geändert und Sie könnten den Anbau von Genpflanzen verbieten. Würden Sie es tun?
Seehofer: Für Bayern auf jeden Fall. Anders als in Ostdeutschland haben wir dort Höfe mit kleinen Anbauflächen. Da kann es leichter zu Auskreuzungen kommen, was zu Verwerfungen zwischen den Bauern führt. Der Anbau von Genraps beispielsweise, der nicht koexistenzfähig ist und sich mit allen Wildpflanzen kreuzt, ist undenkbar. Hinzukommt, dass ich den Nutzen des Genmais MON 810 bezweifle. Es lohnt sich einfach nicht, deswegen Unfrieden in die Dörfer zu tragen.
SZ: Sie geben sich plötzlich als Gentechnik-Feind. Dabei haben Sie selbst in Brüssel für die Genkartoffel gestimmt. Sind Sie nun für oder gegen Gentechnik?
Seehofer: Ja, das ist die beliebte deutsche Diskussion. Bei uns gibt es immer nur Entweder-oder. Es gibt nun mal die Gentechnik. Und wir wollen sie nutzen ohne irgendein Risiko für die Schöpfung. Es ist immer eine Frage der Abwägung. In Bayern, wie gesagt, bin ich gegen Gentechnik. In Brandenburg aber, wo es Bürgerinitiativen für diese Technologie gibt, muss man die Frage anders beantworten. Die haben dort Riesenflächen, sie können problemlos im Kern Genpflanzen anbauen und drum herum konventionell.
SZ: Angela Merkel meint, das Welternährungsproblem lasse sich nur mit Gentechnik lösen. Wie stehen Sie zu der Haltung Ihrer Kanzlerin?
Seehofer: Es gibt im Moment keinen Beleg dafür, dass man in Dürre- oder Nässegebieten durch Genpflanzen einen Durchbruch erzielen könnte. Trotzdem bleibt es notwendig, die Dinge weiter zu erforschen. Ich möchte nicht, dass die Chinesen uns in zehn Jahren erklären müssen, wie es geht.
Interview: Daniela Kuhr und Marc Widmann
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