18.02.12008, 19:06
Bio vom Ende der Welt
Zwiebeln aus Argentinien, Äpfel aus Neuseeland: Sie haben Tausende Kilometer zurückgelegt und so das Klima mit CO2 belastet. Darf „Bio“ das überhaupt? // Leo Frühschütz
Bio-Lebensmittel aus Übersee gibt es seit Jahren. Nicht nur Kaffee, Tee oder Bananen – Produkte, die bei uns nicht wachsen. Auch Erdbeeren aus Marokko, Wein aus Südafrika oder Sonnenblumenkerne aus China. Längst hat die Globalisierung den Markt erobert. Dass Lebensmittel oft Tausende Kilometer zurücklegen, macht die Klimadebatte erneut bewusst. Viele Kunden kritisieren die Transporte als umweltbelastend und wenig nachhaltig. Ihr Anspruch: Bio-Obst und -Gemüse soll aus der Region kommen. Der Blick auf die Herkunftsschilder zeigt jedoch, dass das oft nicht der Fall ist. Allerdings spielen in der Energiebilanz von Lebensmitteln die reinen Transportkilometer eine geringere Rolle, als man denkt. Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und Dr. Michael Blanke von der Universität Bonn haben die Energiebilanz von Äpfeln untersucht. Sie nahmen sich neuseeländische Äpfel vor, die Ende März gepflückt wurden, vier Wochen mit dem Schiff unterwegs waren und Ende April im Laden lagen. Zum Vergleich berechneten sie den Energieverbrauch von Äpfeln, die bei Bonn im Oktober geerntet und bis April in einem Kühllager gelagert wurden. Der Energieverbrauch der neuseeländischen Äpfel war 27 Prozent höher.
Der niederländische Bio-Großhändler Eosta hat den Energieverbrauch für den Transport argentinischer Äpfel, Grapefruits aus Südafrika und anderer Produkte abgeschätzt, in Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) umgerechnet und veröffentlicht. Das Kilogramm Bio-Äpfel „Royal Gala“ aus Argentinien verursacht demnach 163 Gramm CO2. Wer mit einem Mittelklasse-Pkw einkaufen fährt, stößt mit jedem Kilometer 160 Gramm CO2 aus. Überspitzt formuliert: Es ist egal, ob der Apfel aus Argentinien oder Bonn kommt. Wichtiger ist es, mit dem Rad einzukaufen.
Bernhard Burdick erklärt dieses verblüffende Ergebnis so: „Wenn ich Äpfel mit dem 38-Tonner zum Hafen fahre und sie mit einem Containerschiff transportiere, dann ist der Aufwand pro Kilogramm gering, weil sich der Energieverbrauch des Schiffes auf viele Tonnen Äpfel verteilt.“ Wer dagegen das Kilogramm Äpfel mit dem Auto im Laden holt, bewegt dabei eine Tonne Blech. Entsprechend schlecht fällt die Energiebilanz aus. Ähnliches gilt, wenn man kleine Betriebe mit großen vergleicht. Letztere arbeiten energietechnisch effektiver. Jedoch denkt zu kurz, wer beim Einkauf nur auf Energieverbrauch und CO2-Werte achtet. Eine Streuobstwiese ist zwar energietechnisch gesehen ineffektiver als eine Apfelplantage, bietet jedoch seltenen Schmetterlingen und Vögeln Platz. Dort wachsen alte Apfelsorten, die kommerziell gar nicht mehr angebaut werden. In eine umfassende Nachhaltigkeitsbilanz müsste man den vom Lkw-Lärm gestörten Schlaf der Autobahnanlieger einrechnen, die Arbeitsplätze der Mosterei, die das Streuobst aus der Region versaftet. Auf der anderen Seite der Bilanz stünde womöglich, dass der argentinische Bio-Plantagen-Besitzer als Einziger im Dorf existenzsichernde Löhne zahlt. Wie gehört die Freude der Kinder auf die ersten Bio-Erdbeeren zu Ostern in die Bilanz? Oder die Frage, ob es im Februar Tafeltrauben geben muss.
Eine Bilanz mit so verschiedenen Kriterien liefert nur selten ein eindeutiges Ergebnis. Doch unter dem Strich steht immer eine klare Aussage: Es kommt nicht nur darauf an, was es kostet.
Flugverbot für Bio?
Der britische Bio-Verband Soil Association empfiehlt, das Bio-Label für per Luftfracht importierte Lebensmittel nur zu vergeben, wenn die Früchte aus Fairhandelsproduktionen stammen. Diese sichern die Existenz von Kleinbauern in Afrika und Südamerika. Die meisten Bio-Lebensmittel aus Übersee kommen allerdings per Schiff nach Europa.
Zwiebeln aus Argentinien, Äpfel aus Neuseeland: Sie haben Tausende Kilometer zurückgelegt und so das Klima mit CO2 belastet. Darf „Bio“ das überhaupt? // Leo Frühschütz
Bio-Lebensmittel aus Übersee gibt es seit Jahren. Nicht nur Kaffee, Tee oder Bananen – Produkte, die bei uns nicht wachsen. Auch Erdbeeren aus Marokko, Wein aus Südafrika oder Sonnenblumenkerne aus China. Längst hat die Globalisierung den Markt erobert. Dass Lebensmittel oft Tausende Kilometer zurücklegen, macht die Klimadebatte erneut bewusst. Viele Kunden kritisieren die Transporte als umweltbelastend und wenig nachhaltig. Ihr Anspruch: Bio-Obst und -Gemüse soll aus der Region kommen. Der Blick auf die Herkunftsschilder zeigt jedoch, dass das oft nicht der Fall ist. Allerdings spielen in der Energiebilanz von Lebensmitteln die reinen Transportkilometer eine geringere Rolle, als man denkt. Bernhard Burdick von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen und Dr. Michael Blanke von der Universität Bonn haben die Energiebilanz von Äpfeln untersucht. Sie nahmen sich neuseeländische Äpfel vor, die Ende März gepflückt wurden, vier Wochen mit dem Schiff unterwegs waren und Ende April im Laden lagen. Zum Vergleich berechneten sie den Energieverbrauch von Äpfeln, die bei Bonn im Oktober geerntet und bis April in einem Kühllager gelagert wurden. Der Energieverbrauch der neuseeländischen Äpfel war 27 Prozent höher.
Der niederländische Bio-Großhändler Eosta hat den Energieverbrauch für den Transport argentinischer Äpfel, Grapefruits aus Südafrika und anderer Produkte abgeschätzt, in Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) umgerechnet und veröffentlicht. Das Kilogramm Bio-Äpfel „Royal Gala“ aus Argentinien verursacht demnach 163 Gramm CO2. Wer mit einem Mittelklasse-Pkw einkaufen fährt, stößt mit jedem Kilometer 160 Gramm CO2 aus. Überspitzt formuliert: Es ist egal, ob der Apfel aus Argentinien oder Bonn kommt. Wichtiger ist es, mit dem Rad einzukaufen.
Bernhard Burdick erklärt dieses verblüffende Ergebnis so: „Wenn ich Äpfel mit dem 38-Tonner zum Hafen fahre und sie mit einem Containerschiff transportiere, dann ist der Aufwand pro Kilogramm gering, weil sich der Energieverbrauch des Schiffes auf viele Tonnen Äpfel verteilt.“ Wer dagegen das Kilogramm Äpfel mit dem Auto im Laden holt, bewegt dabei eine Tonne Blech. Entsprechend schlecht fällt die Energiebilanz aus. Ähnliches gilt, wenn man kleine Betriebe mit großen vergleicht. Letztere arbeiten energietechnisch effektiver. Jedoch denkt zu kurz, wer beim Einkauf nur auf Energieverbrauch und CO2-Werte achtet. Eine Streuobstwiese ist zwar energietechnisch gesehen ineffektiver als eine Apfelplantage, bietet jedoch seltenen Schmetterlingen und Vögeln Platz. Dort wachsen alte Apfelsorten, die kommerziell gar nicht mehr angebaut werden. In eine umfassende Nachhaltigkeitsbilanz müsste man den vom Lkw-Lärm gestörten Schlaf der Autobahnanlieger einrechnen, die Arbeitsplätze der Mosterei, die das Streuobst aus der Region versaftet. Auf der anderen Seite der Bilanz stünde womöglich, dass der argentinische Bio-Plantagen-Besitzer als Einziger im Dorf existenzsichernde Löhne zahlt. Wie gehört die Freude der Kinder auf die ersten Bio-Erdbeeren zu Ostern in die Bilanz? Oder die Frage, ob es im Februar Tafeltrauben geben muss.
Eine Bilanz mit so verschiedenen Kriterien liefert nur selten ein eindeutiges Ergebnis. Doch unter dem Strich steht immer eine klare Aussage: Es kommt nicht nur darauf an, was es kostet.
Flugverbot für Bio?
Der britische Bio-Verband Soil Association empfiehlt, das Bio-Label für per Luftfracht importierte Lebensmittel nur zu vergeben, wenn die Früchte aus Fairhandelsproduktionen stammen. Diese sichern die Existenz von Kleinbauern in Afrika und Südamerika. Die meisten Bio-Lebensmittel aus Übersee kommen allerdings per Schiff nach Europa.
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