Erpressungen
#1
Guten Morgen,


ich schüttel immer wieder den Kopf:

da gibt es doch im Netz "Menschen", die glauben einen nach ein paar mails oder telefonaten zu besitzen. Alles fängt ganz gut an: man plaudert über dieses und jenes, lacht und hat Spaß am und mit dem anderen- dann klappt das vielleicht mal mit einem Telefonat nicht so, weil etwas anderes dazwischenkommt. Und dann geht es los:

wüste Schimpftiraden folgen, mit so Sätzen wie

"das ist dir ja sch***egal!"

oder

"wenn du mich wirklich mögen würdest, dann würdest du..."

oder

"ich habe immer, aber du...."

alles so emotionale Nötigungen, die den anderen in eine bestimmte Ecke pressen und eine ganz bestimmte Reaktion provozieren.
Ich bin echt sprachlos bei solchen Erlebnissen, vor allen Dingen, wenn man eben nicht auf vorgegebene oder gewünschte Weise reagiert und mit diesen "Menschen" versucht zu reden, wieso weshalb sie so agieren, was sie sich davon erhoffen, etc pp..... nicht selten sind diese "Menschen" nicht in der Lage zu sagen was sie eigentlich erwarten, außer eine trotziges virtuelles Fußaufstampfen zu zeigen mit dem Satz
"ich will aber das du mir Aufmerksamkeit schenkst- jetzt sofort und überhaupt immer dann wenn ich es will!!"

Denn um nichts anderes geht es, als immer nur um diese Personen, alles soll sich um sie drehen- und in ihrem emotionalen Wahn nennen sie sich auch noch tolerant und voller Liebe für am besten alles und jeden.

So, ich dachte ich erzähl das mal, so eine Beobachtung die ich gemacht habe.....

Sonnengleißen
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#2
Hallo Sonnengleißen,

ich weiß nicht, ob das unbedingt immer etwas mit besitzen zu tun hat...obwohl, je nachdem, wie Du besitzen meinst.

Den meisten Menschen in unserem Kulturkreis unterstelle ich ein sehr individualistische Einstellung. Aus diesem Verständnis heraus ist alles, was ihren eigenen Wünschen entspricht, gut - und alles, was ihren Wünschen zuwiderläuft, schlecht.

Wenn dann etwas, das für einen solchen Menschen wichtig ist, scheitert, wird er die Schuld natürlich an anderer Stelle suchen - und sich eine Strategie überlegen, daß das in Zukunft nicht passiert, dem Gegenüber also zeigen: hey, da hast du etwas falsch gemacht.

Dabei ist es häufig die erste Strategie, dem anderen ein "schlechtes Gewissen" zu machen und ihn so in eine unterlegene Position zu manövrieren, aus der er sich erstmal befreien muß. Ist immer ein Spiel von Zwängen und Abhängigkeiten - so gesehen könnte man auch von besitzen reden.

Es wäre vielleicht interessant, festzustellen, welches Verständnis von Liebe dieser von Dir beschriebene Mensch hat. Liebe als Geben ohne Schuldgefälle oder Liebe mit Schuldgefälle (Schuldgefälle im Sinne von: ich gebe Dir, dafür schuldest Du mir).

Mit einem freundlichen Gruß,

Riddle
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#3
<span style="font-size:13pt;line-height:100%">Moin Riddle</span>

Zitat:Den meisten Menschen in unserem Kulturkreis unterstelle ich ein sehr individualistische Einstellung. Aus diesem Verständnis heraus ist alles, was ihren eigenen Wünschen entspricht, gut - und alles, was ihren Wünschen zuwiderläuft, schlecht.

<span style="font-size:12pt;line-height:100%">Was du hier beschreibst, ist in der Psychologie als Narzißmus bekannt: sich selber als den Einzigen denken (nicht fühlen) aus der Angst heraus, sonst bedeutungslos zu sein oder seine eigenen Defizite wahrnehmen zu müssen. Durch die gut funktionierende Massensuggestion sind die Menschen in den Industriestaaten weit weniger Individualisten, als mir lieb ist, im Gegenteil.

Ich möchte nun an dieser stelle Erich Fromm sprechen lassen, der in seinem Buch "Die Pathologie der Normalität" einen sehr treffenden Abschnitt über Narzißmus geschrieben hat, dem ich mich voll und ganz anschließe:

[b:0173a0]Der Narzißmus und seine Überwindung[/b:0173a0]</span>
<span style="font-size:10pt;line-height:100%">

Ich möchte zuerst auf die Überwindung des Narzißmus zu sprechen kommen. Da die meisten mit Freuds Narzißmustheorie vertraut sind, reichen ein paar Erklärungen für jene, die Freud nicht so gut kennen. Meiner Überzeugung nach war eine der größten Entdeckungen von Freud gerade die Entwicklung seiner Vorstellung zum Narzißmus, denn vermutlich gibt es nichts, was wichtiger und maßgebender für die Entwicklung einer seelischen Erkrankung ist als der Narzißmus. Würde man mich dazu drängen, das, was seelische Gesundheit ist, in einem Satz zu definieren, dann würde ich sagen: Seelische Gesundheit besteht in einem Minimum an Narzißmus. Doch ich möchte etwas konkreter auf die Frage eingehen.

Freud verstand unter Narzißmus eine Einstellung, bei der das, was subjektiv ist, meine eigenen Gefühle, meine körperlichen Bedürfnisse, meine anderen Bedürfnisse eine sehr viel größere Realität darstellen als das, was objektiv ist, was außerhalb ist. Die eindrucksvollsten Beispiele sind der Säugling, besonders das Neugeborene, und ein psychotischer Mensch. Für den Säugling gibt es - abgesehen von der inneren Realität seiner Bedürfnisse - noch keine Realität. Bis zu einem gewissen Grad gibt es hinsichtlich der Wahrnehmung die Außenwelt für ihn noch gar nicht. Gleiches läßt sich vom Psychotiker sagen. Die Psychose ist, um eine allgemeine Definition zu geben, eben dieser vollständige Narzißmus, bei dem es so gut wie keine Bezogenheit zur objektiven Welt, so wie sie ist, gibt.

Zwischen dem Säugling und dem Psychotiker sind wir, die sogenannten normalen Menschen. Wie schon Freud beobachtete, spielt der Narzißmus in jedem von uns eine mehr oder weniger wichtige Rolle. Sagen wir, um ein Beispiel zu geben, ein Mann verliebt sich in eine Frau, doch sie hat absolut kein Interesse an ihm. Ist der Mann sehr narzißtisch, wird er unfähig sein zu erkennen, daß sie kein Interesse an ihm hat. Für ihn gilt nur, und er wird dies immer wieder betonen: "Wie sollte es möglich sein, daß sie mich nicht liebt, wo ich sie doch so sehr liebe." Die einzige Realität für ihn ist seine eigene Liebe. Daß da eine Frau ist, die vielleicht anders empfindet und andere Reaktionen zeigt, ist für ihn keine Realität.

Die Geschichte von dem Buchautor, der einen Freund trifft, mit dem er über sein Buch spricht, ist vielleicht bekannt. Nach einer Viertelstunde sagt er: "Ich habe jetzt so viel über mich geredet, laß uns nun über Dich reden. Wie gefällt Dir mein neues Buch?" - Dies ist der gleiche Narzißmus, nur mit dem Unterschied, daß er uns schon etwas vertrauter ist, weniger bedrohlich und nicht so pathologisch wie im ersten Beispiel.

Der narzißtische Mensch ist einfach nicht fähig, die Welt außerhalb von sich gefühlsmäßig als eigenständige Realität wahrzunehmen. Würde er sie überhaupt nicht wahrnehmen, dann wäre er psychotisch. Der Narzißt kann die Welt außerhalb zwar intellektuell, aber nicht emotional als eigenständige Welt wahrnehmen. Da bezüglich des Begriffs Narzißmus, wie ihn Freud und auch ich hier gebrauchen, ziemlich oft Verwirrung herrscht, möchte ich betonen, daß Narzißmus etwas grundsätzlich anderes ist als Egoismus und Eitelkeit. Natürlich ist bei einem egoistischen Mensch auch ein bestimmtes Quantum an Narzißmus zu finden, aber dies muß nicht notwendig größer sein als beim Durchschnittsmenschen. Der Egoist ist wie der Narzißt kein Mensch, der liebt. Auch ist er wie der Narzißt nicht eigentlich an der Außenwelt interessiert, sondern möchte alles für sich beanspruchen. Im Unterschied zum Narzißten hat der Egoist jedoch eine sehr gute Wahrnehmung der Welt außerhalb von sich. Auch Eitelkeit - zumindest eine bestimmte Art von Eitelkeit - bedeutet nicht, daß ein Mensch sehr narzißtisch ist. Gewöhnlich sind eitle Menschen unsichere Menschen, die jederzeit eine Bestätigung brauchen, weshalb sie einen permanent fragen, ob man sie mag. Sind sie klug und psychoanalytisch versiert, dann werden sie sich diese Bestätigung nicht direkt, sondern eher auf indirektem Wege holen. In Wirklichkeit geht es dem Eitlen in erster Linie immer um sein eigenes Unsicherheitsgefühl, auf das er bezogen ist, so daß er nicht notwendig narzißtisch sein muß. Der echte Narzißt kümmert sich einen Dreck darum, was man über ihn denkt, denn er hat keinerlei Zweifel daran, daß das, was er über sich denkt, real ist und daß jedes Wort, das aus seinem Munde kommt, einfach wunderbar ist. Ein wirklich narzißtischer Mensch kommt in einen Raum und sagt: "Guten Morgen!" und fühlt: "Ist dies nicht wunderbar!" Daß er jetzt da ist und "Guten Morgen!" sagt, ist für ihn einfach etwas Schönes.

Die Folge von Narzißmus ist eine entstellte Objektivität und ein entstelltes Urteil, denn für den Narzißten ist das gut, was sein ist, und das schlecht, was nicht sein ist. Eine andere Folge ist der Mangel an Liebe, denn es ist offensichtlich, daß ich niemanden außerhalb von mir liebe, wenn ich nur mit mir beschäftigt bin. Freud hat hierzu eine sehr wichtige Bemerkung gemacht. Viele Beziehungen erwecken den Anschein, liebende Beziehungen zu sein, wie die zu Kindern oder bei Menschen, die sich verliebt haben. In Wirklichkeit aber sind solche Beziehungen sehr oft nur narzißtischer Art: Die Mutter, die ihre Kinder liebt, liebt in Wirklichkeit sich selbst, weil die Kinder ihre Kinder sind. Die Frau, die ihren Mann liebt, mag dies aus demselben Grunde tun. Dies ist nicht notwendigerweise so, und doch geschieht es sehr häufig. Sehr oft verbirgt sich hinter einer liebenden Einstellung zu einem anderen Menschen ein narzißtischer Charakter.

Eine weitere Folge des Narzißmus wird sichtbar, wenn der Narzißmus eines Menschen verletzt wird. Entweder es kommt zu einer depressiven Reaktion bzw. zu einer angstbesetzten Depression oder zu Wut. Ob es zu der einen oder der anderen Reaktion kommt, hängt von vielen Faktoren ab. Gleichsam als Fußnote möchte ich erwähnen, daß es eine psychiatrisch äußerst interessante Frage ist, inwieweit psychotische Depressionen die Folge schwerer narzißtischer Verwundungen sind, wobei die Trauer, die für Freud ein Teil der Depression ist, nicht die Trauer über das zerstörte Bild des narzißtischen Ich ist, sondern die Trauer über eine andere Person, die inkorporiert [einverleibt] wurde. Hinsichtlich der Wutreaktion gilt, daß die Gefühle eines narzißtischen Menschen verletzt werden und er deshalb mit Wut reagiert. Ob diese Wut bewußt ist oder nicht, hängt weitgehend von der sozialen Position ab. Hat ein solcher Mensch Macht über andere, dann wird er seine Wut vermutlich ganz bewußt ausleben. Haben andere über ihn Macht, dann wird er sich nicht trauen, seine Wut bewußt auszuleben, so daß er depressiv wird. Unter Umständen ändert sich eines Tages seine Position, und er wird statt depressiv wütend sein.
Die großen westlichen und östlichen Religionen sehen im Kern das Ziel des Lebens darin, den Narzißmus zu überwinden, liebesfähig zu werden und zur Überwindung dieser Anbetung des eigenen Ego fähig zu sein. Genau dieses Ziel verfolgt aber auch die moderne Wissenschaft, wenn sie - abgesehen von ihren Ergebnissen - eine menschliche Einstellung fordert, die darauf aus ist, die Wirklichkeit, so wie sie ist, zu akzeptieren und sie nicht durch das eigene Wunschdenken zu entstellen.

Auf die Entwicklung der modernen Wissenschaft werden große Hoffnungen gesetzt, daß sie zu eben jener Haltung der Objektivität und Vernunft führt, die für die Überwindung des Narzißmus entscheidend ist. Ich finde es deshalb äußerst interessant, daß unter den bedeutendsten modernen Wissenschaftlern, insbesondere bei den theoretischen Physikern, Menschen zu finden sind, die - sieht man einmal von einigen auffälligen Ausnahmen ab, auf die ich nicht näher eingehen möchte - zu den geistig und seelisch gesündesten dieser Welt gehören. Ihre Gesundheit zeigt sich heute vor allem darin, daß sie zu der Erkenntnis fähig sind, daß das atomare Wettrüsten zu einem Desaster führen wird und völliger Wahnsinn ist. Es gibt kaum eine andere Berufsgruppe auf der Welt, die wie die Physiker den Wahnsinn der atomaren Rüstung mit solcher Klarheit erkannt haben. Leider gehören die Psychoanalytiker nicht zu denen, die an erster Stelle zu solcher Einsicht fähig sind, obwohl man dies eigentlich erwarten dürfte.

Da uns an dieser Stelle nicht in erster Linie individuelle, sondern gesellschaftliche Probleme interessieren, möchte ich hier eine wichtige Ergänzung machen. Sie betrifft den Wandel von individuellem Narzißmus zum Gruppennarzißmus. Der einzelne Narzißt kann völlig nur mit sich selber beschäftigt sein. Dann aber gibt es auch manchmal einen Familiennarzißmus, gleichsam verrückte Familien. Ich erinnere mich eines Falles, wo Mutter, Tochter und Sohn - den Vater sind sie losgeworden - davon überzeugt waren, auf der ganzen Welt die einzigen anständigen Menschen zu sein. Alle anderen betrachteten sie als unanständig, konnten nicht kochen, brachten nichts fertig. Nur sie waren ehrbar und anständig; alle anderen verachteten und haßten sie.

Was beim Familiennarzißmus als doch reichlich seltsam anmutet, wird gar nicht mehr als so seltsam angesehen, wenn sich der Narzißmus statt auf die Familie auf das eigene Volk bezieht. Die genau gleiche Einstellung, nämlich daß das Volk, zu dem ich gehöre, das allerbeste, bewundernswerteste usw. ist und die - auf einen einzelnen oder auf eine Familie bezogen - Empörung auslösen und als verrückt gelten würde, klingt auf einmal lobenswert, moralisch und gut, sobald sie sich auf ein ganzes Volk oder eine Religion bezieht.
Unter psychologischen Gesichtspunkten unterscheidet sich der Gruppennarzißmus nicht grundsätzlich vom individuellen Narzißmus. Mit dem Wechsel vom individuellen Narzißmus zum Gruppennarzißmus, mit dem religiöser Haß und Nationalismus einhergehen, ändert sich an der Natur des narzißtischen Phänomens nichts grundlegend. Allerdings gibt es einen wichtigen Aspekt dabei: Für einen armen Teufel, der nichts hat, kein Geld und keine Bildung, ist es äußerst schwierig, seinen individuellen Narzißmus zu pflegen, es sei denn, er wird wirklich verrückt. Ihm erlaubt der Wechsel vom individuellen zum Gruppennarzißmus in gleicher Weise narzißtisch zu bleiben, ohne verrückt zu werden, weil der Gruppennarzißmus von allen anderen bestätigt wird. Die Politiker, die Schulbücher, auf Schritt und Tritt wird er in seiner Annahme bestärkt, daß sein Volk das Allerbeste ist, daß es eine Geschichte und eine Zukunft hat, daß in ihm Gerechtigkeit und Moral herrschen, während die Menschen aller anderen Nationen - zumal wenn es zu ihnen politische Spannungen gibt - kriminell, unmoralisch und ein wertloses Pack sind.

Wie gesagt: Wem es gelingt, seinen individuellen Narzißmus zum Gruppennarzißmus werden zu lassen, der kann denselben Narzißmus ausleben, ohne verrückt zu werden, weil er ja von allen in seinem Gruppennarzißmus bestärkt wird. Und doch ist der Gruppennarzißmus eine allgemeine psychische Krankheit mit den gleichen Folgen, wie sie für den individuellen Narzißmus typisch sind, die ich zuvor beschrieben habe. Es läßt sich zumindest bei jenen Völkern, bei denen Untersuchungsdaten erhältlich sind, zum Beispiel beobachten, daß gerade die am wenigsten gebildeten und die ärmsten Schichten auch jene sind, bei denen der Nationalismus am stärksten ausgeprägt ist. Ganz gewiß trifft dies für die Vereinigten Staaten zu, wie zahlreiche Untersuchungen gezeigt haben. Gerade jene Menschen, die ein armseliges Leben führen, die materiell wie gefühlsmäßig arm sind, können auf nichts anderes stolz sein außer auf ihre nationale Gruppe. Nur ihr primitiver Narzißmus gibt ihnen noch ein Gefühl, etwas zustande zu bringen, etwas, worauf sie stolz sein können.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen Punkt aufmerksam machen: Freud hat bekanntlich gesagt, Kopernikus, Darwin und er selbst hätten den Narzißmus der Menschheit abgrundtief verletzt, indem sie gezeigt hätten, daß der Mensch nun mal nicht das Zentrum des Universums sei, daß er keine besondere Schöpfung von G O T T sei und daß selbst sein Bewußtsein nur eine sehr relative Bedeutung besäße. Historisch gesprochen hätte man erwarten können, daß wir deshalb eine erhebliche Reduzierung des Narzißmus in den letzten zwei- oder dreihundert Jahrhunderten hätten beobachten können. Statt dessen sind wir heute Zeugen eines überhandnehmenden Nationalismus, der die Menschen auch nicht davon abhält, mit dem sicherlich todbringenden und wahnwitzigen Instrument der Atomwaffen zu spielen, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur Zerstörung der menschlichen Rasse führen werden. Man kann deshalb nur zugeben, daß dieser nationale Narzißmus noch immer so pathologisch und wahnhaft ist und ganz bestimmt nicht den Erwartungen nach einer Reduzierung des Narzißmus im historischen Prozeß entspricht. So sehr es stimmt, daß die von Freud erwähnten Faktoren den Narzißmus des Menschen tief gekränkt haben, so haben sie ihn doch nicht wirklich zerstört oder überwunden. Es läßt sich in Wirklichkeit mit aller Klarheit erkennen, daß sich dieser Narzißmus heute Nationalismus, im Machtstaat usw., vor allem aber in der Technik ausdrückt.

Es mag noch so widersprüchlich und paradox klingen, psychologisch gesehen ist der Mensch von heute sehr stolz darauf, daß er Atomwaffen herstellen kann, so daß seine Fähigkeit, die Erde zu zerstören, zum Gegenstand eines enormen narzißtischen Interesses wurde. Das Ziel, den Narzißmus durch Wissenschaft zu reduzieren, hat nicht wirklich zu einer Reduktion des Narzißmus geführt; vielmehr erhielt sich der Narzißmus und bezieht sich auf die Ergebnisse der Wissenschaft in ihren technischen Errungenschaften.

Das Problem der seelischen Gesundheit läßt sich in die Frage fassen, wie der Narzißmus überwunden werden kann. Mit diesem Problem sind die geistlichen Führer der Menschen schon seit einigen Jahrtausenden befaßt. Allein schon deshalb vermag ich hier kein Programm vorzulegen oder eine Wegweisung zu geben, wie der Narzißmus überwunden werden könne. Ich möchte aber zu einer bestimmten Frage eine theoretische Überlegung mitteilen. Sie bezieht sich darauf, daß man zwischen malignen und benignen Formen von Narzißmus unterscheiden kann.

Formen von malignem Narzifimus findet man bei psychotischen oder sehr schwerkranken Menschen. Hier richtet sich der Narzißmus nur noch auf die eigene Person: Mein Erscheinungsbild, mein Körper, meine Gedanken, meine Gefühle, mein Appetit usw. sind das einzig Wirkliche, das einzige, das auf der ganzen Welt für mich eine Rolle spielt. Bösartig ist dieser Narzißmus, weil er mich von Vernunft, Liebe, vom Nächsten und von allem, was das Leben interessant macht, trennt.

Bei den Formen benignen Narzißmus richtet sich der Narzißmus nicht auf einen besonderen Teil von mir - meinen Körper, meine Gedanken, sondern auf etwas, das ich erreichen möchte, auf eine Leistung, eine wissenschaftliche oder ökonomische oder sonst eine Leistung. Beim gutartigen Narzißmus spüre ich etwas von der narzißtischen Liebe, doch liebe ich nicht meine Person, sondern etwas außerhalb von mir, etwas Objektives, das ich hervorgebracht habe. Dies ist zwar immer noch Narzißmus, doch er ist gutartig, denn indem ich etwas erschaffe, überwinde ich - in einem dialektischen Prozeß - auch gleichzeitig etwas von meinem Narzißmus. Will ich etwas produzieren und erschaffen, bin ich gezwungen, mich auf die Welt außerhalb zu beziehen. Die Folge ist, daß der Narzißmus nicht zu einem schonungslosen Entweder-Oder-Konflikt zwischen den einzelnen Menschen führt, sondern zu einem Wettkampf um die beste Leistung.

Ich behaupte nicht, daß der benigne Narzißmus ein Ideal oder gar ein für die menschliche Entwicklung anzustrebendes Ziel sei; doch er ist der nächste Schritt, um den nur auf sich selbst bezogenen und durch und durch pathologischen Narzißmus von heute zu überwinden. Es wäre auch schon viel erreicht, wenn statt der eigenen Nation die menschliche Rasse zum Gegenstand des Narzißmus werden könnte und die Menschen anfingen, auf die menschliche Rasse stolz zu sein, statt nur auf einen Teil von ihr. Es ist sehr eigenartig, wie wenig Menschen trotz der Vereinten Nationen und all der vielen weltweiten Verbindungen wirklich erleben können, stolz auf die menschliche Rasse zu sein. Hätten die Menschen heute eine vergleichbare narzißtische Bindung an die Menschheit wie an ihre eigenen Kinder, dann gäbe es heute keine Atomwaffen.

Zu einer Überwindung des Narzißmus kann es nur kommen, wenn es gelingt, bei allen Völkern dieser Erde zu enormen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten zu gelangen. Es ist unmöglich, auf etwas Geleistetes stolz zu sein, wenn die Armut und das Elend zu groß sind, um etwas leisten zu können, oder das eigene Denken durch eine Häuptlingsherrschaft oder eine Bürokratie gelähmt wird. Soll es zu einer Überwindung des Narzißmus kommen, dann setzt dies nicht nur die Übernahme bestimmter Vorstellungen voraus, sondern grundlegende Veränderungen im Leben aller Völker der Erde, die es jedem einzelnen Menschen erlauben, auf das stolz zu sein, was er erreichen kann und die bewirken, daß jedes Volk auf seine Errungenschaften, und nicht auf seine Mittel der Zerstörung, stolz ist.</span>

<span style="font-size:12pt;line-height:100%"> bye - Irwish</span>
[b:0173a0](Diese Nachricht wurde am 07.06.03 um 15:38 von Irwish geändert.)[/b:0173a0]
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