GENOPTIMIERTER WALD
Der Traum von perfekten Bäumen aus dem Labor
Deutschland muss aufforsten. Ein genveränderter Wald könnte dabei eine Rolle spielen. Forscher versuchen, Experimente mit Pappeln auf Buchen und Eichen zu übertragen. Dann könnten die Bäume etwa Dürre besser trotzen oder resistent gegen Borkenkäfer sein.
Der Zustand des Waldes ist wie der Zustand der Welt. Es kriselt von der Krone bis zur Wurzel. Das deutsche Mittelgebirge bietet karge Aussichten, wo früher Blätterrauschen war. Mehr als 40 Prozent der Buchen, Fichten und Eichen zeigen laut Waldzustandsbericht „deutliche Kronenverlichtungen“. Knapp 100.000 Hektar sind aufzuforsten.
In der Wissenschaft gibt es verschiedene Ansätze für Umbau und Neuanpflanzung. Forstökonomen präferieren die Aufforstung mit trockentoleranteren Arten wie Douglasien. Forstökologen sehen das wiederum skeptisch, auch die Klimawissenschaft spricht vielstimmig. Wer das Waldökosystem als Kohlenstoffspeicher betrachtet, präferiert artenreichen, unberührten Wald, der viel Humus aufbaut. Eine gegenläufige Schule sieht im Wald eine Rohstoffquelle für eine global stark erhöhte Nutzung: Bauholz als Heilsweg aus der Klimakrise. Hierfür müssten Plantagen im großen Stil entstehen.
„Letztlich hat die gesamte Wissenschaftswelt derzeit kein Patentsystem für den Wald der Zukunft“, sagt Tobias Brügmann. Er gehört einer dritten Art von Wissenschaftlern an, die sich mit dem Wald befassen – und über die öffentlich nicht viel geredet wird. Er ist Biotechnologe. Seit 2016 hat Brügmann am staatlichen Thünen-Institut für Forstgenetik bei Hamburg die neuen Züchtungstechniken, die sogenannten „Genomscheren“ wie Crispr-Cas-9 an Pappeln
https://www.mdpi.com/1422-0067/20/15/3623
angewandt. Ein Teil der DNS wird mittels Cas-Proteinen ausgeschnitten und, wenn erwünscht, zielgenau durch andere derselben oder einer fremden Art ersetzt.
Die Biowissenschaften interessierten sich anfangs mehr für die Anwendung des Crispr-Cas für die Landwirtschaft
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-57441-6_9
– etwa zur Erzeugung von Pilzresistenzen in Getreide oder im Obstbau. Tobias Brügmann war einer der Ersten, die sich die Bäume vornahmen. „Es fühlte sich an wie Marie Curie“, sagt er, „wenn man an etwas ganz Neuem forscht, das vielleicht revolutionäre Folgen haben wird, aber man weiß in dem Moment noch nicht, wo die Reise hingeht, sowohl hinsichtlich Potenzialen als auch möglicher negativer Folgen.“
Bieten also Crispr-Cas-9 und andere Genomscheren auch eine Chance, den Wald klimagerechter zu gestalten? Bäume fit zu machen für Dürre- und Schwächephasen? Lassen sich sogar trocken-tolerante Rotbuchen oder Eichen züchten? Oder Fichten, die tiefere Wurzeln bilden? Kiefern, die resistent sind gegen den Borkenkäfer – und wenn nicht gegen den, dann doch zumindest gegen Pilzbefall?
Gen-Kur für stärkeres Baumwachstum
„Wir sollten die Genomeditierung im Forst jedenfalls nicht von vornherein als Möglichkeit ausschließen“, sagt Tobias Brügmann eher bescheiden. Denn die vielfachen Zielkonflikte der Begehrlichkeiten, die der Wald bietet – zwischen Nutzung, Erhalt und Klimaanpassung –, scheinen letztlich unauflösbar. Großer Holzimport aus dem Ausland bei gleichzeitiger Ausweitung der Schutzgebiete wäre für Brügmann jedenfalls nicht akzeptabel. Er hält gerade die Genomeditierung für eine Technik mit ökologischem Potenzial.
Ein Beispiel: Rotbuchen, die in Italien am Ätna stehen, sind standortbedingt sehr trockentolerant – aber anfällig gegenüber Spätfrost. Könnte man nicht ihre genetisch determinierte Trockentoleranz in eine heimische, froststarke Rotbuche überführen?
Derzeit gibt es eher vage Hoffnungen als große Heilsversprechungen. Aber immerhin: Die genetische Vielfalt der Waldbaumarten könne über Genomeditierungen erhöht werden, schreiben Wissenschaftler der Universität Berkeley:
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fevo.2018.00076/full
„Die neuesten Technologien der Genbearbeitung versprechen einen eleganten Ansatz, der die Genomik von Waldbäumen auf die nächste Stufe heben wird, indem er die rigorose Prüfung der Genfunktion und ihrer Rolle bei der Anpassung von Bäumen an ihre Umgebung ermöglicht.“
Zuletzt erschien eine Fülle von Studien, die Crispr-Cas an Bäumen
https://www.mdpi.com/1422-0067/23/2/966
erprobten, oft aus China und den Vereinigten Staaten – dort ist die Liste der Patentanmeldungen lang. Die Überexpression eines Gens brachte Pappeln mit erhöhtem Wachstum
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpls.2020.00468/full
– sowohl im Gewächshaus als auch im Freiland. Nach zwei Jahren im Feldversuch waren die genomveränderten Pappeln 50 Prozent größer und 30 Prozent dicker als die Wildspezies. Weitere Studien berichten von erhöhtem Biomasseaufwuchs.
https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpls.2016.01455/full
Es gibt vielversprechende Ergebnisse von Forschungsarbeiten, die den Gehalt von industriell verwertbarem Lignin
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/tpj.14141
oder Zellulose in Bäumen durch Genomeditierung ohne Verwendung von Fremd-DNA erhöhten. Forscher arbeiten an Bäumen mit mehr Fotosyntheseleistung
https://link.springer.com/article/10.1007/s11627-018-9914-1#auth-Shujun-Chang
und besserer Kohlenstoffbindung, wie ein amerikanischer Überblicksartikel von – allerdings industrienahen – Autoren verrät.
Die weiblichen Samen in Pappelwolle
Plantage in China: Testpflanzung mit konventionellen und veränderten Pappeln im Mischanbau
Manche Forschung hat vielmehr kosmetischen Nutzen: So haben Wissenschaftler das Geschlecht der Pappeln genomtechnisch verändert
https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rstb.2021.0217
– von weiblich zu männlich. Denn die Samen weiblicher Pappeln sind in einer Pappelwolle eingehüllt, die im Frühling die Straßen verschmutzen und allergen bei Menschen wirken können.
Die Forstwissenschaft optimiert den Wald seit Langem genetisch für bessere Holzerträge. In Samenplantagen
https://www.awg.bayern.de/079694/index.php
wählen Forstleute „Plus-Bäume“ zur Weiterzucht aus – längst nicht mehr nur nach der äußeren Erscheinung, sondern nach sorgfältigen DNS-Analysen. Seit Jahrzehnten wird gekreuzt und gepfropft. Das Baumsaatgut braucht amtliche Zulassungen, das Forstvermehrungsgutgesetz von 2002 und Verordnungen regeln Details. Aber die Anwendung von Gentechnik war und bleibt in der Forstwelt ein Tabu. Dabei wurde schon 1987 die erste Pappel mit einem Fremdgen versehen, das dem Baum eine Resistenz gegen Schadinsekten verlieh.
Der deutsche Forstgenetiker Mathias Fladung war damals ein Pionier auf diesem Feld. „Es herrschte Aufbruchstimmung“, erinnert er sich. Er führte für die Bundesforschungsanstalt für Forstwirtschaft Feldversuche mit genveränderten Pappeln durch, von 1996 bis in die frühen 2000er-Jahre – ein Freisetzungsversuch mit sogenannten „35S-rolC“- sowie „Rbcs-rolC“-Zitterpappeln.
https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dk042567.pdf
Da ging es um Fragen der Biosicherheit – bis eine verschärfte Gesetzeslage die Freisetzung genveränderter Pflanzen in Deutschland sehr erschwerte.
In China wachsen seit Jahren genveränderte Pappeln der ersten Generation. Aber nicht im ganzen Land, sondern auf einigen Hundert Hektar. Die Eingriffe bewahren die Bäume vor Insektenfraß. Auch China ist vorsichtig, die Technik zuzulassen. Forschungen über ökosystemische Folgen des Anbaus laufen bis heute. Um ertragreicher Holzbiomasse für die Gewinnung von Biotreibstoff zu gewinnen, kreierten Forscher in den vergangenen 20 Jahren bereits transgene Pappeln, die mehr oder weniger Lignin oder Zellulose
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S136013852030090X
enthalten. Auch gibt es pilzresistente Birken,
https://link.springer.com/article/10.1007/s00122-004-1650-8
herbizidtolerante Akazien
https://link.springer.com/article/10.1007/s00299-006-0176-8
oder Fichten sowie insektenresistente Kiefern.
Genomeditierung ist aufwendig und teuer
Heute forscht Matthias Fladung zusammen mit Tobias Brügmann an der Etablierung der Genomeditierung bei Bäumen. Sie streben die Übertragung der Technik von Pappeln auf andere Baumarten an, zum Beispiel auf Buchen. Cripsr-Cas-Techniken hingegen sind auch anwendbar, ohne dass artfremde DNS zum Einsatz käme. Auch deshalb sehen Forscher aus diesem Bereich eine zweite Gründerzeit der Wald-Genomforschung angebrochen. Noch ist der rechtliche Rahmen so streng wie für die transgenen Sorten, aber Brüssel arbeitet im Rahmen des „Green Deal“
https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13119-Legislation-for-plants-produced-by-certain-new-genomic-techniques/F_en
an juristischen Differenzierungen.
Oliver Gailing, Forstgenetiker der Universität Göttingen, und seine Mitarbeiter Hieu Xuan Cao und Giang Thi Ha Vu haben kürzlich einen Überblicksartikel im „International Journal of Molecular Sciences“
https://www.mdpi.com/1422-0067/23/2/966
publiziert. Mittlerweile, sagt Gailing darin, seien die Referenzgenome von mehr als 200 Baumarten identifiziert. Nun kann man sie gewissermaßen lesen. Und das ermöglicht die Genomeditierungen erst. Aber das ist noch nicht genug. Eine Baumart muss sich, damit Genomeditierung angewendet werden kann, über eine Gewebeprobe in der Petrischale vermehren lassen – so wie die Pappel. Die Genomeditierung von wichtigen Waldbäumen wie Eiche und Buche ist daher noch nicht praktikabel und immer noch sehr forschungs- und kostenaufwendig.
„Merkmale der Trockenheitstoleranz sind oft polygen, also von vielen Genen kontrolliert“, erklärt Oliver Gailing. Man müsste viele Stellen der DNS verändern – und käme doch nicht an der Erkenntnis der Ökologie vorbei, dass Klimaresilienz vor allem am Zusammenspiel vieler Arten in einem Ökosystem liegt und nicht allein an der Genetik einer Spezies. Außerdem sind Waldbäume während ihrer Lebensdauer wechselnden und zum Teil extremen Umweltbedingungen ausgesetzt. Dem Erhalt der genetischen Variation für die langfristige Anpassung an den Klimawandel kommt also eine besondere Bedeutung zu.
„Wir werden die Freisetzung von genveränderten Bäumen noch erleben – zumindest was Plantagen angeht“, sagt der Thünen-Forscher Mathias Fladung. Dazu trägt seine Forschung bei.
https://www.mdpi.com/1999-4907/12/12/1615
Er veränderte kürzlich mittels Genomeditierung Graupappeln, die nun wie die bekannte italienische Säulenpappel statt eines breiten Wuchses einen geraden, zypressenartigen haben. Sie lassen sich nun enger pflanzen und könnten den Plantagenanbau wirtschaftlich attraktiver machen.
https://www.welt.de/wissenschaft/plus242572613/Wald-Der-Traum-von-genoptimierten-Baeumen-aus-dem-Labor.html?source=puerto-reco-2_ABC-V16.2.C_evergreen_limited_pool
Die noch wenigen Kommentare:
Antje H.
Vor allem sollten die "Klimaretter" das Abholzen von Wäldern zum Aufstellen von Windrädern stoppen!
Dieter H.
Am besten mit Patent und Lizenzabgabe.
nur mal so ..
..und genau deshalb wird es auf der Erde bald aussehen wir heute auf dem Mars.
Triple A
Wir bilden uns ein, wir wären der Natur überlegen. Dabei sind wir weder moralisch noch ethisch in der Lage, unsere Handlung zu rechtfertigen. Je weniger wir intervenieren, desto besser. Der Wald braucht uns nicht!
norbert E.
Lasst es einfach. Die Natur kann das besser.