Der Huckup
#1
Ich möchte euch eine kleine Sage aus meiner Heimatstadt Hildesheim erzählen, an die ich heute wieder denken mußte.

Leider ist sie wie viele Sagen etwas chr*stlich verprägt, bitte nehmt mir das nicht übel.


Der Huckup

Man hat wohl recht, wenn man sagt: "Die Nacht ist keines Menschen Freund." Aber am
hellen Mittag ist's auch nicht sauber, wenn man so ganz allein im Holze ist, und ringsumher
ist alles totenstill.
Da ist es einmal einem Manne aus Söhre übel ergangen. Der suchte Heidelbeeren im
Ziegenberge und legte sich gegen Mittag, als alle die mit ihm ausgezogen schon wieder
nach Söhre heruntergegangen waren, unter einem großen Baum zum Schlafen nieder. Wie
er eben die Augen zudrücken will, ruft es hinter ihm: "Hoho, hoho!" Erschrocken springt
der Mann auf, sieht sich nach allen Seiten um und erblickt außer den summenden Bienen
und Käfern ringsumher kein lebendiges Wesen. Nur oben in der höchsten Spitze des
Baumes saß ein Rabe, der war wohl so groß wie eine Gans, und starrte mit so grimmigen
Augen auf den Mann, daß diesem ganz ängstlich ums Herz wurde. "Ei, du Teufelsvieh",
schimpfte der Mann, "du sollst mich doch nicht längerr im Schlafe stören", hob einen Stein
auf und warf ihn nach dem häßlichen Vogel. Da flog der Rabe mit lautem Gekrächze
davon, und der Mann legte sich wieder zum Schlafen nieder.

Kaum aber hatte er ein Auge zugedrückt, da rief es wieder hinter ihm: "Hoho, hoho!" Der
Mann fuhr auf und griff wieder nach einem Stein, aber da war kein Rabe zu sehen; die
heißen Sonnenstrahlen schienen so matt durch das von keinem Lüftchen bewegte Laub,
und es wurde recht grausig an dem Orte. Da dachte der Mann: Hier ist nicht gut sein, betete
und machte sich auf den Weg nach Söhre. Aber eben hatte er ein paar Schritte getan, als
ihm etwas mit dem Geschrei "Hoho, hoho!" auf den Nacken sprang. Der Mann rüttelte und
schüttelte sich, um die Last loszuwerden, aber vergebens; wie ein Mehlsack hing es ihm auf
den Schultern, und im Angstschweiß keuchend schleppte er sich mit seiner schweren Last
mühsam den Waldweg entlang. Endlich war der Waldrand erreicht, die goldenen Kreuze
der Stadt- und Dorfkirchen blinkten dem Geplagten entgegen, und plumps! – fiel es ihm von
den Schultern.
Was es aber gewesen ist, das der Mann schleppen mußte, das hat er nicht gesehen, denn er
hütete sich wohl, sich umzugucken, sondern lief spornstreichs auf Söhre zu. Und das war
sein Glück; denn der Huckup war's gewesen, ein böser Geist; wem der auf dem Nacken
sitzt, der muß vorwärts, solange er kann oder solange es dem Geiste gefällt, und wer sich
nach ihm umsieht, dem bricht er das Genick. Das hat schon mancher Dieb erfahren, dem
plötzlich in stiller Mittagsstunde der Huckup auf den Rücken sprang und den Hals umdrehte.

Und wer's nicht glauben will, der gehe nach Hildesheim auf den Hohen Weg, wo man dem
Huckup sogar ein Denkmal errichtet hat. Dort hockt er als tückischer Zwerg auf dem
Rücken eines Apfeldiebes, und an dem Sockel darunter stehen die warnenden Worte:

Junge, laat dei Appels staan,
süs packet dek dei Huckup an!
Dei Huckup is en starken Wicht,
höllt mit dei Steeldeifs bös Gericht!

Hier die Übersetzung:

Junge, lass die Äpfel stehn,/
Sonst packt dich der Hockauf an;/
Der Hockauf ist ein starker Wicht/
hält mit den Dieben bös Gericht.

Hier ein Bild vom Apfeldieb:

http://bjoern-techert.homepage.t-online.de/HP/Bilder/HI052.JPG


Meine Interpretation wäre,
daß der Rabe für den Gedanken Huginn steht.
Wer schon einmal mit einer wütenden Person zu tun hatte,
der kennt das Gefühl, wenn einen die Gedanken und Emotionen anderer plagen,
als säße einem jemand im Nacken. Man fühlt sich niedergedrückt oder geprügelt.

Das war die ursprüngliche Variante.
Die Kirche mischte dazu dann ihre goldenen Kreuze, die gegen das heilige Tier den Raben helfen sollen,
eben damit die Diebe und Halunken,
welche die zornigen Gedanken der bestohlenen verdienen, ungeschoren davonkommen.
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