Edgar Allan Poe - Der Rabe
#1
[Bild: rabe-01.jpg]


Mitternacht ging träg vorüber, müde brütend sann ich über
krausen, alten Schriften, ob ich lang Vergeßnes draus erführ.
Fast vom Schlaf schon unterbrochen, nickt ich, plötzlich scholl ein Pochen,
wie wenn sanft ein Fingerknochen pochen tät an meine Tür.
„Ein Besucher ist es sicher, der da pocht an meine Tür, das ist alles“ sagt ich mir.

Draußen war ich, ich sehs noch heute, tiefster Winter.
Mir zur Seite warfen halbverglühte Scheite grause Schatten an die Wand.
Sehnlichst wünscht ich, dass es tagte, fruchtlos mich beim Lesen plagte,
weil der Kummer in mir nagte um Lenor, die mir entschwand.
Einzige Lenor, so strahlend einst, den Walküren nun bekannt,
hier für immer ungenannt.

Düster flüsternde Chimären purpurseidener Portieren
Tief mich schreckten, weckten tolles, unbekanntes Graun in mir.
Drum, mein banges Herz bezwingend, wiederholt ich, mit mir ringend,
„Ein Besucher ists, der dringend Einlaß heischt an meiner Tür;
Ja, ein später Gast, der dringend Einlaß heischt an meiner Tür.
Alles spricht gewiß dafür.“

Schon begann mein Mut zu steigen, und ich brach das bange Schweigen:
„Meine Dame oder Herr, war, was Ihr gewiß verzeiht, schon ins Traumland
auf der Reise, und Ihr klopftet auch so leise, und auf so verstohlne Weise
Ihr gekommen seid, dass ich meinem Ohr nicht traute.“
Auf tat ich die Türe nun weit – Nichts als Dunkel weit und breit.

In das Dunkel starrt ich lange, ratlos stand ich da und Bange,
träumte zweifelnd, was zu träumen kein Mensch wagte je zuvor.
Aber nichts durchbrach das Schweigen, seine Nähe zu bezeigen,
flüsternd in das Dunkel steigen hört ich nur das Wort „Lenor“,
selber sprach ichs, und als Echo kam es leis zurück – Lenor.
Weiter nichts drang an mein Ohr.

Als ich nun zurück mich wandte, und mein Herz noch in mir brannte,
hört ich abermals ein Klopfen, diesmal nicht mehr ganz so sacht.
„Sicher“, dacht ich, „ists ein Schaden dort an meinem Fensterladen;
Will doch sehen, was sich da denn so obskur bemerkbar macht.
Still, mein Herz, gewiß ist alles, was sich dort bemerkbar macht,
nur der Sturm der Winternacht.“

Auf das Fenster! Und verdattert stand ich, denn hereingeflattert
kam ein stattlich stolzer Rabe: Sagenhaft kam er mir vor.
Schien nicht Achtung mir zu zollen, keinen Aufenthalt zu wollen,
schwang sich stracks mit hoheitsvollen Schwingen zum Türgesims empor;
schwang sich auf die Palasbüste über meiner Tür empor,
saß dort reglos wie Dekor.

Mein betrübtes Stirnerunzeln wandelte dies Tier in Schmunzeln,
mit so bitterernster Miene, so viel Würde um sich her.
„Wohl am Helmbusch – Ritters Zier – nicht an Kühnheit mangelts dir“,
rief ich, „grimms Märchentier aus dem Reich der Nacht.
Erklär, welchen edlen Namen trägst du dort in Plutos dunkler Sphär?“
Rief der Rabe: „Nimmermehr.“

Staunend hört aus seinem Schnabel ich solch menschliche Vokabel,
war die Antwort auch an Inhalt und an Aufschluß ziemlich leer.
Und man wird mir zugestehen, keinem noch ists je geschehen,
Vogel oder Tier zu sehen,
das vom Türgesims her – von der auf dem Türgesims aufgestellten Büste her rief,
es heiße Nimmermehr.

Doch der Rabe – einsam ragte auf dem stillen Haupt er – sagte nur dies ein Wort,
als legte darein seine ganze Kraft er.
Bis ich, da er nicht mehr muckte und mit keiner Feder zuckte, murmelte,
es halb verschluckte: „Manchen Freund gab ich schon her,
morgen wird auch er entschwinden, wie mein Hoffen lang vorher!„
Rief der Rabe „Nimmermehr

Aufgeschreckt, von was er schwatzte, passend in mein Schweigen platzte,
dacht ich, auf dies Wort beschränkt sich wohl sein mündlicher Verkehr.
Hats von einem, dein ein stummer, gnadenloser Schicksalskummer
jede Nacht verfolgt im Schlummer, bis all seine Lieder er,
bis die Grabgesänge seiner Hoffnung melancholisch er all gereimt
auf „Nimmermehr“.

Doch der Rabe stimmte weiter mich trotz meinem Herzweh heiter.
Statt vor Tür und Tier zu stehn, rollt ich einen Sessel her.
Ließ mich in die Polster nieder, reihte sinnend Glied an Glieder,
fragte mich wieder und wieder, wie dies Tier zu deuten wär,
wie dies grimme, grause, dürre Tier zu deuten wär
und sein krächzend „Nimmermehr“.

Dies zu raten saß ich brütend, doch zu sprechen mich wohl hütend
Zu dem Vogel, dessen Blick mich heiß durchbohrte wie ein Speer.
Vieles ward von mir erwogen, weich der Kopf zurückgebogen
Auf das Polster, samtbezogen, warm beglänzt vom Leuchten her,
Doch dies Polster, samtbezogen, warm beglänzt vom Leuchten her,
sie, ach, drückt es nimmermehr!

Füllten da nicht Weihrauchdüfte aus verborgnem Faß die Lüfte?
Und Seraphen schwenkten’s, schritten wie auf Matten leis umher.
„Ärmster, rief ich, „sie die Götter spenden Lindrung Dir.
Labe Dich nun am Vergessen! Länger nicht Lenor entbehr!“
Rief der Rabe „Nimmermehr“.

„Unhold“, rief ich, „prophezeist Du? - Wohl denn, wärst auch Höllengeist du!
Ob dich ein Versucher sandte, ob ein Sturm dich trieb hier her:
Hoffnungslos doch dreist in Zonen, die verhext sind von Dämonen, in dies Haus voll
Angstvisionen, - sag mir wahr, ich bitt dich sehr:
Gibt es – gibts in Walhall Heilung? Sags mir ich bitt Dich sehr!“
Rief der Rabe „Nimmermehr.“

„Unhold!“ rief ich, „tilg die Zweifel! Sei Prophet – ob Tier ob Teufel!
Beim Himmelszelt, bei den Göttern hier erklär:
Wird in Walhalls Kreisen ihm ein Mägdlein Gunst erweisen,
heilig und Lenor geheißen von den Walküren um sie her –
strahlend und Lenor geheißen, sie, die ich zurückbegehr?“
Rief der Rabe „Nimmermehr“.

„Mag denn dieses Wort uns scheiden, Untier!“, schrie ich, wild vor Leiden.
„In die Stürme troll dich wieder und in Plutos dunkle Sphär!
Keine Feder mehr erzähle schwarz die Lüge deiner "Seele"
Lass mich einsam! Ich befehle: Fort von meiner Tür Dich scher!
Hacke mich ins Herz nicht länger! Pack Dich! Hinweg Dich scher!
Rief der Rabe „Nimmermehr“.

Und der Rabe rührt sich nimmer, sitzt noch immer, sitzt noch immer
auf der weißen Palasbüste überm Türsims wie vorher:
Einem Dämon gleich mit seinen Augen, die zu träumen scheinen.
Unten auf erhelltem Steinen liegt sein Schatten schwarz und schwer.
Und es hebt sich dem Schatten dort am Boden schwarz und schwer
meine "Seele" - nimmermehr.

:kaeffchen:
Inspiriert durch Sundermanns Übersetzung, mit einigen Veränderungen von Hernes Son
Im A & O das Geheimnis liegt - Omega siegt!
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Edgar Allan Poe - Der Rabe - von Hernes_Son - 02.05.12008, 23:48
RE: Edgar Allan Poe - Der Rabe - von Pamina - 22.09.12011, 09:50
Re: Edgar Allan Poe - Der Rabe - von Anuscha - 14.07.12008, 14:23
Re: Edgar Allan Poe - Der Rabe - von Gast - 21.03.12011, 17:32
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Re: Edgar Allan Poe - Der Rabe - von Hernes_Son - 21.03.12011, 20:43
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Der Rabe - von Pamina - 18.09.12011, 00:13
RE: Der Rabe - von Benu - 18.09.12011, 08:36

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