30.03.12002, 08:39
"Immer untendurch"
Bei Korruption gelten für Abgeordnete bis heute Sonderregeln - sie sorgen dafür, dass Parlamentarier bislang noch nie wegen Bestechlichkeit verurteilt wurden. Vor dem Gesetz, wie könnte es im Rechtsstaat anders sein, sind alle gleich. Nur jener Berufsstand, der selbst die Gesetze macht, kann schon mal dafür sorgen, dass er im Zweifelsfall ein wenig gleicher davonkommt. Wozu ist man schließlich Volksvertreter?
Von dieser Segnung des Parlamentarier-Daseins hat Wilfried Müller, 63, einst CDU-Geschäftsführer und Kreistagsmitglied im hessischen Hochtaunuskreis, auf schöne Weise profitiert. Mindestens 300 000 Mark Schmiergelder hatte Müller, der gern als "Oberlandrat" tituliert wurde, innerhalb von rund zehn Jahren dafür kassiert, dass er Baufirmen zu lukrativen Aufträgen verhalf; meist wurde das Bare auf einer Herrentoilette überreicht.
"Moralisch verwerflich" sei das gewesen, urteilte das Frankfurter Landgericht im Juli 1996 - und sprach den Mann vom Vorwurf der Bestechlichkeit frei. Die Tatsache, dass er Mitglied eines Kreisparlaments war, rettete ihn vor der Verurteilung. Das Kuriosum, befand der Vorsitzende Richter lakonisch, habe wohl damit zu tun, "dass Abgeordnete die Gesetze machen".
Das war kein Scherz.
Bis heute gelten für Parlamentarier in Deutschland bei der Korruption andere Regeln als für jeden anderen staatlichen Entscheidungsträger. Abgeordnete - egal ob im Bundestag, Landtag oder im Stadtrat von Köln - können lediglich in einem einzigen Fall wegen Bestechlichkeit verurteilt werden: beim konkret nachgewiesenen Stimmenkauf. Also nur dann, wenn der Politiker mit jemandem vor einer Abstimmung abgemacht hat, seine Hand zu dessen Gunsten zu heben - oder auch nicht zu heben - und dafür Geld oder andere Vorteile kassiert. So regelt es das Strafgesetzbuch im Paragrafen 108e.
Wie gut es sich mit dieser Vorschrift leben lässt, zeigt beispielhaft der Fall des Kölner Klüngels. Die "Dankeschön-Spenden" der Firmen, die beim 820 Millionen Mark teuren Bau der Müllverbrennungsanlage im Stadtteil Niehl mit Aufträgen bedacht wurden, können demnach gar kein Korruptionsdelikt sein. Aus einem einfachen Grund: Gezahlt wurde an den Ex-SPD-Ratsfraktionschef Norbert Rüther und dessen Parlamentarier-Clique erst nach den jeweiligen Abstimmungen im Stadtrat. So kann die Justiz Rüther und seine Genossen allenfalls wegen Untreue und Steuerhinterziehung, nicht aber wegen Bestechlichkeit verfolgen.
Die Methode "Erst Auftrag, dann Spende" entsprach also ganz den fein ziselierten Erfordernissen des Strafgesetzbuchs für Abgeordnete. "Wenn jemand einem Parlamentarier nach einer Abstimmung als Dankeschön einen ganzen Geldsack auf den Schreibtisch stellt, darf uns das nicht einmal interessieren", empört sich der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, Chef der dortigen Korruptionsabteilung. Das Gesetz zur Abgeordnetenbestechung sei deshalb "ein reines Placebo".
Unter dem Druck republikweit immer größer werdender Korruptionsaffären hatte die Politik seit Anfang der neunziger Jahre an Gesetzen herumgebastelt, um Amtsträger, die den Verlockungen schmierender Unternehmer erliegen, härter zu bestrafen. Sogar die Annahme kleiner Gefälligkeiten wie eines warmen Mittagessens oder einer Flasche Schampus zu Weihnachten kann einem Polizeibeamten oder Sachbearbeiter im Bauamt seitdem die Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt eintragen.
Für ihre eigene Branche jedoch blieben die Abgeordneten vornehm zurückhaltend. Zwar führten sie 1994 den Paragrafen 108e neu ins Strafgesetzbuch ein, um - wie es in der Begründung hieß - den Vorwurf der "ungerechtfertigten Privilegierung von Mandatsträgern" zu entkräften; den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung hatte es nämlich seit 1953 überhaupt nicht mehr gegeben.
Doch schon bei den Beratungen über das neue Gesetz hatten Praktiker abgewinkt - so bringe das nichts. Der damalige Bonner Oberstaatsanwalt Dieter Irsfeld, einst Chefermittler in der Flick-Affäre, urteilte bei einer Anhörung im Bundestag 1993, der Gesetzentwurf sei "nicht geeignet", politische Korruption zu verhindern: "Manipulation des demokratischen Prozesses ist nämlich nicht nur bei Abstimmungen möglich."
Irsfeld mahnte, das Gesetz sei so eng gefasst, dass "auf dem weiten Feld der Zuwendungen zur Pflege der politischen Landschaft" jede Menge Möglichkeiten zur Korruption von Abgeordneten übrig blieben, die strafrechtlich nicht sanktioniert würden. In der Praxis werde der neue Paragraf deshalb wohl kaum eine Rolle spielen. Irsfeld behielt Recht. Es gibt keinen einzigen bekannt gewordenen Fall, in dem einer der über 100 000 Parlamentarier im Lande wegen Abgeordnetenbestechung verurteilt wurde.
Von Anfang an habe er das Bemühen der Parlamentarier in eigener Sache als "halbherzig" empfunden, urteilt der einstige Präsident des Bundeskriminalamts, Hans-Ludwig Zachert. "Wir als Praktiker hatten den festen Eindruck, die wollen für sich selbst gar keine wirklichen strafrechtlichen Sanktionen im Bereich der Korruption." Man habe "die Schwelle so hoch gelegt, dass die Abgeordneten immer untendurch schlüpfen", bemängelt Zachert.
Nur bei anderen legten sie die Hürde niedrig. 1998 verabschiedete der Bundestag ein "Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung". Strafbar ist demnach ganz allgemein, wenn ein deutscher Unternehmer einem Parlamentarier im Ausland "einen Vorteil als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt", dass dieser "mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängend" künftig etwas tut oder unterlässt. Eine viel weitergehende Regelung als hier zu Lande also.
Die Bestechung eines Parlamentariers im Kongo oder in Kamerun durch eine deutsche Firma wiegt seitdem in der Bundesrepublik strafrechtlich schwerer als die eines Abgeordneten im Bundestag. Läge Köln im Kongo, hätten Rüther & Co. den Ermittlern längst genug Grund und Anlass gegeben, Verfahren wegen der Bestechung von Abgeordneten einzuleiten.
Öffentlich ist die Empörung der Politiker aller Couleur über die mafiaähnlichen Vorfälle am Rhein seit Wochen groß. Doch an die Abgeordnetenbestechung will trotzdem niemand richtig ran.
Ihre Überlegungen gingen "eher in eine andere Richtung als in den Bereich des Strafrechts", verkünden unisono der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, und der Grünen-Abgeordnete Hans-Chr*stian Ströbele. "Noch einmal nachdenken" über die jetzige Rechtslage wollen zumindest Bayerns Justizminister Manfred Weiß (CSU) und der SPD-Obmann im Spenden-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Frank Hofmann.
Viel Konkretes oder gar Schmerzhaftes für Abgeordnete wird dabei, das lässt sich schon jetzt vermuten, wohl nicht herauskommen.
Immerhin hat der schonende Umgang der Parlamentarier mit ihresgleichen auch sein Gutes - bietet er doch Korruptionssündern eine besondere Chance der Resozialisierung.
Ex-Kreistagsmitglied Müller, das heute für schärfere Sanktionen gegen bestechliche Abgeordnete plädiert ("Da muss der Gesetzgeber was machen"), hat sich nach seinem Gerichtsverfahren von der aktiven Politik abgewandt. Statt die Geschäfte einer Partei führt Müller nun Kirchenbücher,ganz zur Zufriedenheit einer evangelischen Gemeinde.
WOLFGANG KRACH, GEORG MASCOLO
30.März 2002 Spiegel Online
DAS LaßT EUCH MAL AUF DIE ZUNGE ZERGEHEN!
Die bekommen Steuergelder von uns als Gehalt (und das auch nicht zu knapp), um dann eine Gelddruckmaschine im Keller zu haben!
Da bleibt mir glatt der Gruß im Hals stecken.
Lilith
Bei Korruption gelten für Abgeordnete bis heute Sonderregeln - sie sorgen dafür, dass Parlamentarier bislang noch nie wegen Bestechlichkeit verurteilt wurden. Vor dem Gesetz, wie könnte es im Rechtsstaat anders sein, sind alle gleich. Nur jener Berufsstand, der selbst die Gesetze macht, kann schon mal dafür sorgen, dass er im Zweifelsfall ein wenig gleicher davonkommt. Wozu ist man schließlich Volksvertreter?
Von dieser Segnung des Parlamentarier-Daseins hat Wilfried Müller, 63, einst CDU-Geschäftsführer und Kreistagsmitglied im hessischen Hochtaunuskreis, auf schöne Weise profitiert. Mindestens 300 000 Mark Schmiergelder hatte Müller, der gern als "Oberlandrat" tituliert wurde, innerhalb von rund zehn Jahren dafür kassiert, dass er Baufirmen zu lukrativen Aufträgen verhalf; meist wurde das Bare auf einer Herrentoilette überreicht.
"Moralisch verwerflich" sei das gewesen, urteilte das Frankfurter Landgericht im Juli 1996 - und sprach den Mann vom Vorwurf der Bestechlichkeit frei. Die Tatsache, dass er Mitglied eines Kreisparlaments war, rettete ihn vor der Verurteilung. Das Kuriosum, befand der Vorsitzende Richter lakonisch, habe wohl damit zu tun, "dass Abgeordnete die Gesetze machen".
Das war kein Scherz.
Bis heute gelten für Parlamentarier in Deutschland bei der Korruption andere Regeln als für jeden anderen staatlichen Entscheidungsträger. Abgeordnete - egal ob im Bundestag, Landtag oder im Stadtrat von Köln - können lediglich in einem einzigen Fall wegen Bestechlichkeit verurteilt werden: beim konkret nachgewiesenen Stimmenkauf. Also nur dann, wenn der Politiker mit jemandem vor einer Abstimmung abgemacht hat, seine Hand zu dessen Gunsten zu heben - oder auch nicht zu heben - und dafür Geld oder andere Vorteile kassiert. So regelt es das Strafgesetzbuch im Paragrafen 108e.
Wie gut es sich mit dieser Vorschrift leben lässt, zeigt beispielhaft der Fall des Kölner Klüngels. Die "Dankeschön-Spenden" der Firmen, die beim 820 Millionen Mark teuren Bau der Müllverbrennungsanlage im Stadtteil Niehl mit Aufträgen bedacht wurden, können demnach gar kein Korruptionsdelikt sein. Aus einem einfachen Grund: Gezahlt wurde an den Ex-SPD-Ratsfraktionschef Norbert Rüther und dessen Parlamentarier-Clique erst nach den jeweiligen Abstimmungen im Stadtrat. So kann die Justiz Rüther und seine Genossen allenfalls wegen Untreue und Steuerhinterziehung, nicht aber wegen Bestechlichkeit verfolgen.
Die Methode "Erst Auftrag, dann Spende" entsprach also ganz den fein ziselierten Erfordernissen des Strafgesetzbuchs für Abgeordnete. "Wenn jemand einem Parlamentarier nach einer Abstimmung als Dankeschön einen ganzen Geldsack auf den Schreibtisch stellt, darf uns das nicht einmal interessieren", empört sich der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, Chef der dortigen Korruptionsabteilung. Das Gesetz zur Abgeordnetenbestechung sei deshalb "ein reines Placebo".
Unter dem Druck republikweit immer größer werdender Korruptionsaffären hatte die Politik seit Anfang der neunziger Jahre an Gesetzen herumgebastelt, um Amtsträger, die den Verlockungen schmierender Unternehmer erliegen, härter zu bestrafen. Sogar die Annahme kleiner Gefälligkeiten wie eines warmen Mittagessens oder einer Flasche Schampus zu Weihnachten kann einem Polizeibeamten oder Sachbearbeiter im Bauamt seitdem die Bekanntschaft mit dem Staatsanwalt eintragen.
Für ihre eigene Branche jedoch blieben die Abgeordneten vornehm zurückhaltend. Zwar führten sie 1994 den Paragrafen 108e neu ins Strafgesetzbuch ein, um - wie es in der Begründung hieß - den Vorwurf der "ungerechtfertigten Privilegierung von Mandatsträgern" zu entkräften; den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung hatte es nämlich seit 1953 überhaupt nicht mehr gegeben.
Doch schon bei den Beratungen über das neue Gesetz hatten Praktiker abgewinkt - so bringe das nichts. Der damalige Bonner Oberstaatsanwalt Dieter Irsfeld, einst Chefermittler in der Flick-Affäre, urteilte bei einer Anhörung im Bundestag 1993, der Gesetzentwurf sei "nicht geeignet", politische Korruption zu verhindern: "Manipulation des demokratischen Prozesses ist nämlich nicht nur bei Abstimmungen möglich."
Irsfeld mahnte, das Gesetz sei so eng gefasst, dass "auf dem weiten Feld der Zuwendungen zur Pflege der politischen Landschaft" jede Menge Möglichkeiten zur Korruption von Abgeordneten übrig blieben, die strafrechtlich nicht sanktioniert würden. In der Praxis werde der neue Paragraf deshalb wohl kaum eine Rolle spielen. Irsfeld behielt Recht. Es gibt keinen einzigen bekannt gewordenen Fall, in dem einer der über 100 000 Parlamentarier im Lande wegen Abgeordnetenbestechung verurteilt wurde.
Von Anfang an habe er das Bemühen der Parlamentarier in eigener Sache als "halbherzig" empfunden, urteilt der einstige Präsident des Bundeskriminalamts, Hans-Ludwig Zachert. "Wir als Praktiker hatten den festen Eindruck, die wollen für sich selbst gar keine wirklichen strafrechtlichen Sanktionen im Bereich der Korruption." Man habe "die Schwelle so hoch gelegt, dass die Abgeordneten immer untendurch schlüpfen", bemängelt Zachert.
Nur bei anderen legten sie die Hürde niedrig. 1998 verabschiedete der Bundestag ein "Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung". Strafbar ist demnach ganz allgemein, wenn ein deutscher Unternehmer einem Parlamentarier im Ausland "einen Vorteil als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt", dass dieser "mit seinem Mandat oder seinen Aufgaben zusammenhängend" künftig etwas tut oder unterlässt. Eine viel weitergehende Regelung als hier zu Lande also.
Die Bestechung eines Parlamentariers im Kongo oder in Kamerun durch eine deutsche Firma wiegt seitdem in der Bundesrepublik strafrechtlich schwerer als die eines Abgeordneten im Bundestag. Läge Köln im Kongo, hätten Rüther & Co. den Ermittlern längst genug Grund und Anlass gegeben, Verfahren wegen der Bestechung von Abgeordneten einzuleiten.
Öffentlich ist die Empörung der Politiker aller Couleur über die mafiaähnlichen Vorfälle am Rhein seit Wochen groß. Doch an die Abgeordnetenbestechung will trotzdem niemand richtig ran.
Ihre Überlegungen gingen "eher in eine andere Richtung als in den Bereich des Strafrechts", verkünden unisono der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, und der Grünen-Abgeordnete Hans-Chr*stian Ströbele. "Noch einmal nachdenken" über die jetzige Rechtslage wollen zumindest Bayerns Justizminister Manfred Weiß (CSU) und der SPD-Obmann im Spenden-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Frank Hofmann.
Viel Konkretes oder gar Schmerzhaftes für Abgeordnete wird dabei, das lässt sich schon jetzt vermuten, wohl nicht herauskommen.
Immerhin hat der schonende Umgang der Parlamentarier mit ihresgleichen auch sein Gutes - bietet er doch Korruptionssündern eine besondere Chance der Resozialisierung.
Ex-Kreistagsmitglied Müller, das heute für schärfere Sanktionen gegen bestechliche Abgeordnete plädiert ("Da muss der Gesetzgeber was machen"), hat sich nach seinem Gerichtsverfahren von der aktiven Politik abgewandt. Statt die Geschäfte einer Partei führt Müller nun Kirchenbücher,ganz zur Zufriedenheit einer evangelischen Gemeinde.
WOLFGANG KRACH, GEORG MASCOLO
30.März 2002 Spiegel Online
DAS LaßT EUCH MAL AUF DIE ZUNGE ZERGEHEN!
Die bekommen Steuergelder von uns als Gehalt (und das auch nicht zu knapp), um dann eine Gelddruckmaschine im Keller zu haben!
Da bleibt mir glatt der Gruß im Hals stecken.
Lilith