25.04.12002, 11:49
ANTI-DISKRIMINIERUNGSGESETZ
[b:12a7d5]Scheitert das Gesetz für die Toleranz?[/b:12a7d5]
Die vor drei Jahren angekündigte Verabschiedung eines Gesetzes gegen die Benachteiligung von Minderheiten steht auf der Kippe. Vordergründig streiten Rot und Grün um den Schutz religiöser Minderheiten. Doch die Regierung fürchtet vor allem den Widerstand der Industrie.
Berlin - Schon in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten SPD und Grüne die Verabschiedung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes (ADG) versprochen: "Niemand darf wegen seiner Behinderung, Herkunft, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung diskriminiert werden", heißt es im Wortlaut des Koalitionsvertrages. Noch vergangene Woche kündigte schließlich Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) an, Deutschland werde "ein Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht" in Kraft setzen.
Seit Ende des vergangenen Jahres liegt auch ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium vor, in dem Ausländern, Alten und Behinderten Schutz vor Benachteiligung versprochen wird. Demnach könnten in Deutschland lebende Bürger, wenn sie wegen ihrer Hautfarbe nicht in eine Disco eingelassen oder wegen ihrer Behinderung von einer Reise oder einem Restaurant ausgeschlossen werden, sich künftig vor Gericht dagegen wehren. Dabei sollen nicht die Opfer die Beweislast tragen, sondern Gaststätten, Versicherungen oder Vermieter müssen belegen, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat. Außerdem sollen nach dem Gesetzentwurf auch Verbände stellvertretend für ihre Mitglieder gegen Ungleichbehandlung durch Unternehmen oder Dienstleistungsanbieter auf Unterlassung klagen dürfen.
Mit der Verabschiedung des Entwurfs im Bundestag würde Rot-Grün die Vorgaben einer EU-Richtlinie vom Juni 2000 einlösen - die Frist läuft bis 2003. Der EU-Rat hatte "Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft gefordert", die "über die Gewährleistung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit hinausgehen" und auch Bildung oder Sozialschutz abdecken, also den Zugang zu öffentlichen Gütern und zu Wohnraum.
Der deutsche Entwurf geht noch weiter und zählt die Punkte Geschlecht, Behinderung, Alter, Weltanschauung sowie Religion auf. Auf das Merkmal Alter wollen SPD und Grüne allerdings mittlerweile verzichten. Bei einer Anhörung hatte der Einwand der Experten überzeugt, dass Banken, Theater oder die Bahn mit einer solchen Regelung Klagen riskieren würden, wenn sie Sonderkonditionen für junge Kunden oder Bahncards für Senioren anbieten. Auch das Kriterium Weltanschauung soll gestrichen werden, um nicht extremen Organisationen wie der NPD die Klage auf Räumlichkeiten zu erleichtern.
DPA
Muslime in Deutschland bei ihrem Freitagsgebet in einer Moschee: "Über den Punkt Religion werden wir noch verhandeln müssen"
Über das Kriterium Religionszugehörigkeit können sich die rot-grünen Rechtsexperten dagegen nicht einig werden. Nachdem es heftige Kritik von Seiten der Kirchen hagelte, die befürchten, die Vorschrift würde sie verpflichten, ihre Kindergärten oder Altersheime auch Nichtkonfessionsangehörigen zu öffnen, wollen die Sozialdemokraten diese Passage gänzlich aus dem Gesetzeskatalog der Tatbestände streichen. "Über den Punkt Religion werden wir noch verhandeln müssen", sagte Alfred Hartenbach, rechtspolitischer Sprecher der SPD. Die Grünen hingegen wollen dieses Kriterium behalten. Sie wären zwar zu Änderungen bereit, heißt es aus Fraktionskreisen, aber sie wollen gewahrt wissen, dass etwa Muslime oder Juden Schutz vor religiöser Diskriminierung finden.
Die Verhandlungen zwischen den Koalitionären sollen in dieser Woche weitergeführt werden. "Wir können im Moment wenig dazu sagen", erklärt Hartenbach. Die Grünen halten aber eine Entscheidung in dieser Woche für möglich.
Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass die SPD-Seite das Gesetzgebungsverfahren möglichst in die Länge ziehen möchte, um vor der anstehenden Bundestagswahl Streit mit der Wirtschaftslobby zu vermeiden. So hatte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gewarnt, das Gesetz berge "Sprengstoff für die Wirtschaftsordnung" und produziere nur "einen Haufen neuer Bürokratie".
Warum überhaupt erst jetzt zum Ende der Legislatur über das Gesetz verhandelt wird, darüber möchten die Koalitionäre zurzeit lieber keine Auskunft geben. Gerhard Schröder und seine Partei, von den Wählern derzeit stark angezählt, brauchen Ruhe an der inneren Koalitionsfront - ein Wunsch, dem die Grünen kaum noch zu widerstehen vermögen.
<a href="http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,193308,00.html]spiegel online</a>
[b:12a7d5]Scheitert das Gesetz für die Toleranz?[/b:12a7d5]
Die vor drei Jahren angekündigte Verabschiedung eines Gesetzes gegen die Benachteiligung von Minderheiten steht auf der Kippe. Vordergründig streiten Rot und Grün um den Schutz religiöser Minderheiten. Doch die Regierung fürchtet vor allem den Widerstand der Industrie.
Berlin - Schon in ihrer Koalitionsvereinbarung hatten SPD und Grüne die Verabschiedung eines Anti-Diskriminierungsgesetzes (ADG) versprochen: "Niemand darf wegen seiner Behinderung, Herkunft, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung diskriminiert werden", heißt es im Wortlaut des Koalitionsvertrages. Noch vergangene Woche kündigte schließlich Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) an, Deutschland werde "ein Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht" in Kraft setzen.
Seit Ende des vergangenen Jahres liegt auch ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium vor, in dem Ausländern, Alten und Behinderten Schutz vor Benachteiligung versprochen wird. Demnach könnten in Deutschland lebende Bürger, wenn sie wegen ihrer Hautfarbe nicht in eine Disco eingelassen oder wegen ihrer Behinderung von einer Reise oder einem Restaurant ausgeschlossen werden, sich künftig vor Gericht dagegen wehren. Dabei sollen nicht die Opfer die Beweislast tragen, sondern Gaststätten, Versicherungen oder Vermieter müssen belegen, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat. Außerdem sollen nach dem Gesetzentwurf auch Verbände stellvertretend für ihre Mitglieder gegen Ungleichbehandlung durch Unternehmen oder Dienstleistungsanbieter auf Unterlassung klagen dürfen.
Mit der Verabschiedung des Entwurfs im Bundestag würde Rot-Grün die Vorgaben einer EU-Richtlinie vom Juni 2000 einlösen - die Frist läuft bis 2003. Der EU-Rat hatte "Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft gefordert", die "über die Gewährleistung des Zugangs zur Erwerbstätigkeit hinausgehen" und auch Bildung oder Sozialschutz abdecken, also den Zugang zu öffentlichen Gütern und zu Wohnraum.
Der deutsche Entwurf geht noch weiter und zählt die Punkte Geschlecht, Behinderung, Alter, Weltanschauung sowie Religion auf. Auf das Merkmal Alter wollen SPD und Grüne allerdings mittlerweile verzichten. Bei einer Anhörung hatte der Einwand der Experten überzeugt, dass Banken, Theater oder die Bahn mit einer solchen Regelung Klagen riskieren würden, wenn sie Sonderkonditionen für junge Kunden oder Bahncards für Senioren anbieten. Auch das Kriterium Weltanschauung soll gestrichen werden, um nicht extremen Organisationen wie der NPD die Klage auf Räumlichkeiten zu erleichtern.
DPA
Muslime in Deutschland bei ihrem Freitagsgebet in einer Moschee: "Über den Punkt Religion werden wir noch verhandeln müssen"
Über das Kriterium Religionszugehörigkeit können sich die rot-grünen Rechtsexperten dagegen nicht einig werden. Nachdem es heftige Kritik von Seiten der Kirchen hagelte, die befürchten, die Vorschrift würde sie verpflichten, ihre Kindergärten oder Altersheime auch Nichtkonfessionsangehörigen zu öffnen, wollen die Sozialdemokraten diese Passage gänzlich aus dem Gesetzeskatalog der Tatbestände streichen. "Über den Punkt Religion werden wir noch verhandeln müssen", sagte Alfred Hartenbach, rechtspolitischer Sprecher der SPD. Die Grünen hingegen wollen dieses Kriterium behalten. Sie wären zwar zu Änderungen bereit, heißt es aus Fraktionskreisen, aber sie wollen gewahrt wissen, dass etwa Muslime oder Juden Schutz vor religiöser Diskriminierung finden.
Die Verhandlungen zwischen den Koalitionären sollen in dieser Woche weitergeführt werden. "Wir können im Moment wenig dazu sagen", erklärt Hartenbach. Die Grünen halten aber eine Entscheidung in dieser Woche für möglich.
Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass die SPD-Seite das Gesetzgebungsverfahren möglichst in die Länge ziehen möchte, um vor der anstehenden Bundestagswahl Streit mit der Wirtschaftslobby zu vermeiden. So hatte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gewarnt, das Gesetz berge "Sprengstoff für die Wirtschaftsordnung" und produziere nur "einen Haufen neuer Bürokratie".
Warum überhaupt erst jetzt zum Ende der Legislatur über das Gesetz verhandelt wird, darüber möchten die Koalitionäre zurzeit lieber keine Auskunft geben. Gerhard Schröder und seine Partei, von den Wählern derzeit stark angezählt, brauchen Ruhe an der inneren Koalitionsfront - ein Wunsch, dem die Grünen kaum noch zu widerstehen vermögen.
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