26.07.12002, 08:03
Leseprobe aus:http://home.t-online.de/home/LundiPress/lpmy.htm
Island - Legende/Mythos/Wahrheit ???
Sehnsucht, eine tiefe, unbestimmte, hatte ich schon lange nach einem Land, von dem ich nicht wußte, wo es zu finden war. Schließlich begann ich zu suchen, dann hatte ich zumindest eine vage Vorstellung - alles Weitere muß man wollen. Unheimliches Knarren und Ächzen geben die mit Holz verkleideten Wände der stickigdunklen Kabine von sich. Ein Gebläse surrt permanent und versucht vergebens, die schwüle Luft abzusaugen. Oben in der Cafeteria sind die meisten Plätze unbesetzt. Diejenigen von den Passagieren, welche noch an den Tischen sitzen, oft schon den Angstschweiß auf der Stirn, überlegen, ob sie das Essen zu sich nehmen sollen, oder ob ein fluchtartiger Rückzug angebracht sei. Der Bug des Schiffes schießt unablässig in den Himmel und scheint sich im nächsten Moment wieder in den Grund bohren zu wollen.
Wolken, dick wie Wattebäusche, hängen über dem graublauen Wasser des Nordatlantiks. Weiße Schaumkronen blitzen - der Horizont geht auf und nieder. Mit schwankendem Gang und bleichem Gesicht erreiche ich, nachdem ich den vorhin gegessenen Fisch wieder zu seinen Artgenossen entlassen habe, endlich die Koje. Ich beschließe, die Ankunft des von soviel Wasser umspülten, sagenhaften äußersten Norden - der "Ultima Thule" - in der "Horizontalen" abzuwarten.
Nach einer fünftägigen Anreise und 1500 Kilometer Dahinschaukeln über wogendes Naß, stehe ich hier auf einer Insel am Rande der bewohnbaren Welt, von der ich so wenig zu sehen bekomme, weil ein feuchtes Grau alles in sich aufgesogen hat.
An den grünschwarzen Bergen, die den Fjord beidseitig säumen, hängt wolkiger Regen fest, und unzählige Wasserfälle sind wie weiße Fäden an ihre Flanken geheftet.
Der hohe schlanke Bug des Fährschiffes "Norröna" liegt dazwischen und ragt weit über die geduckten Holzhäuser von Seyðisfjörður. Wir sind angekommen.
Auch in einem Ostlandfjord, so will es eine Sage, erreichte einst ein Zauberer in Gestalt eines Walfisches diese Nordmeerinsel - ausgesandt von König Harald Gormsson von Dänemark, den die Isländer nicht als ihren Herrscher anerkennen wollten, um im späten 10. Jahrhundert Island zu erkunden. Als er nahe an das Land kam, fuhr er an der Nordküste hin und wandte sich nach Westen zu. Er gewahrte, daß das Land von Geistern in allerlei Gestalt bewacht war, etliche groß, etliche klein, und Berge und Hügel waren ihrer voll. Als er vor den Vopnafjord kam und hineinschwamm, um an Land zu steigen, fuhr aus dem Bergtal ein großer Drache nieder und hinter ihm Schlangen und allerhand Gewürm, die bliesen einen giftigen Odem gegen ihn und mit seinem Schweif peitschte der Drache das Wasser, daß die hohen Wogen gegen die Felsen schlugen.
Dann wandte er sich hinaus vor den Eyjafjord und schwamm von Norden kommend hinein. Da fuhr ihm ein Adler entgegen, der war so groß, daß er die Schlucht füllte, und seine Schwingen stießen an die Berge zu beiden Seiten, so daß sie das Licht der Sonne verdeckten. Dieser große Vogel wurde von einer Menge anderer Vögel begleitet.
Er wandte sich abermals hinweg und schwamm westwärts um das Land und gen Süden zum Breiðafjord hinein. Da fuhr ein wütender Stier auf ihn los, bis an die See hinaus, der war groß und fing an zu brüllen, daß es gellte unter dem Himmel und die Erde dröhnte. Aus seinen Nüstern schossen Feuergarben, und mit seinem mächtigen Schweif peitschte er die Luft.
Abermals wandte sich der Zauberer in Walgestalt ab und schwamm südlich um die Halbinsel Reykjanes und gedachte, hier an Land zu gehen. Aber siehe, da kam ihm ein Bergriese entgegen, der führte einen Eisenstab und ein Schild mit sich. Alle Berge und Felsen überragte der Riese, und eine Schar anderer Riesen begleitete ihn. Da entwich er und schwamm nach Osten zu, an endlosem Land entlang. "Da war nichts", sprach er, "als Sand und Öde und draußen davor große Brandung, und das Meer geht da so hoch", sagte er, "daß Langschiffe nicht fahren können." Nun, da der Zauberer gesehen hatte, wie die Geister ihr Land zu schützen wußten, kehrte er zurück nach Dänemark und riet König Harald Gormsson, die Eroberung Islands zu unterlassen.
Das Wappen Islands ist heute noch Zeugnis dieser vermeintlichen Begebenheit. Es enthält diese vier Symbolfiguren: den Drachen im Osten, den Adler im Norden, den Stier im Westen und den Riesen im Süden.
Dem heutigen Besucher wird die Einreise allerdings nicht so schwierig gemacht - nachdem wir unsere Pässe vorgezeigt und die Frage des beamteten Wikingers nach Whiskey und Wodka verneint haben, sind wir nunmehr auch offiziell angekommen. Ein "hochbeiniger" Linienbus schluckt uns, und die von den Passagieren wieder abgegebene Feuchtigkeit läßt im Nu alle Scheiben beschlagen. Mit niedrigem Gang und heulendem Motor quält sich das Fahrzeug aus der Senke den Berg hinauf. Unablässig schieben sich die Gummis der Wischer monoton über die Frontscheibe. Die Heckscheibe ist von rotem, aufgespritztem Schlamm bedeckt, der Blick zurück unmöglich.
Wasser, das beherrschende Element. Links unseres Weges ein Fluß, der über Felsstufen weiß und wild abwärts schäumt. Kleine Rinnsale, die ständig an den Scheiben hinunterlaufen, tief hängende, feuchtigkeitsgeschwängerte Wolken, die sich zwischen den grünlichen Hügelketten und den grauen Bergen gefangen haben. Meine Blicke versuchen, sich einen Weg durch den feuchten Dunst zu bahnen. Meine Gedanken treiben dahin. Auf und ab - wieder und wieder werden wir durchgeschaukelt, diesmal auf holprigen Pisten über Land.
Grüne, satte Wiesen gleiten vorbei, einzelne Gehöfte. Die Dächer aus grünem, blauem oder rotem Wellblech verlieren sich schnell in der großen Weite.
Wir fahren und fahren, und aus dem Radio klingt Bob Dylan s "Like a rolling stone". Schwarze Berge säumen den Weg - Berge auf einer Insel, die selbst ein einziger großer Berg ist. Eine gigantische Erhebung aus einer der gewaltigsten und längsten Gebirgskette der Erde - dem "Mittelatlantischen Rücken".
Längs durch die Scheitelzonen dieser Gebirgskette laufen tiefe, grabenartige Einschnitte, und aus diesen dringt das glutflüssige Erdinnere, das Magma, empor. So wächst dieses Gebirge unter Wasser ständig. Aber nur an einigen "Nahtstellen" am Meeresboden sprudelte so viel Gesteinsbrei, daß Land aus dem Meer aufstieg. Es entstanden Inseln. Die größte unter ihnen ist dieser nördliche "Eremit des Atlantiks" - Island.
Island wurde als letzte Insel im Nordatlantik entdeckt. Irische Mönche sollen das Land schon im achten Jahrhundert bewohnt haben. Weltabgeschiedene Lage und Verlassenheit kamen diesen Klerikern gerade recht. Die Mönche blieben aber nur kurze Zeit, weil sie nicht mit Heiden diesen Ort teilen wollten und sie hinterließen auch kaum Spuren.
Zwei Namen streiten sich um den Ruhm, Island entdeckt zu haben. Naddoður und Garðar Svavarsson. Beide waren kühne Wikinger, die um 850 durch einen Sturm an die Küsten jenes felsigen Eilands getrieben wurden. Naddoður wurde an die Ostküste Islands, in den Reyðarfjörður verschlagen. Er erstieg dort einen Berg und hielt Ausschau, ob das Land bewohnt sei, aber nirgends sah er den Rauch einer Hütte, und so verließ er bald die nutzlose Insel, die ihm zu Raub und Mord keine Gelegenheit gab.
Snaeland (Schneeland) nannte er das Land, da es in den Bergen oberhalb des Fjordes stark schneite, als er sich zur Abfahrt rüstete.
Garðar Svarvarsson, ein Schwede von Geburt, segelte an den Küsten entlang, um zu sehen, ob es eine Insel sei. Im Norden, im jetzigen Húsavík, baute er sich ein Haus, um dort zu überwintern. Im nächsten Frühjahr segelte er in seine Heimat zurück und hieß das Land Garðarshólmi - Inselchen des Garðar. Der Wikinger Flóki Vilgerðarson gab der Insel ihren heutigen Namen.
Er segelte südlich um die Insel bis an die prachtvolle Snaefells-Halbinsel im Westen, deren vulkangekrönte Spitze er umfuhr, um endlich im Süden der tiefzerschnittenen Nordwest-Halbinsel, im Vatnsfjörður, an Land zu gehen. Hier fand Flóki so viele Fische, daß er und seine Leute mit dem Fang so beschäftigt waren, daß sie vergaßen, Heu zu ernten für das Vieh, welches sie mitgebracht hatten. Infolge des harten Winters verhungerte das gesamte Vieh.
Im kommenden Frühjahr stieg Flóki auf einen hohen Berg und blickte nordwärts in den vom Treibeis gefüllten Arnarfjörður. Da nannte er das Land Island, das heißt Eisland.
So bekam das Land seinen Namen, der das Kälteste an ihm ist, denn das Nordland-Klima wird durch den Golfstrom gemildert, und nur etwa 11 Prozent des Landes gehören dem ewigen Eis - den Gletschern. Ein weiter nördlich gelegenes Land heißt Grönland, das bedeutet Grünland - ist aber zu 85 Prozent von Eis bedeckt.
Nun stehe ich hier im Land meiner Sehnsucht, die Wanderstiefel fest geschnürt und gut gefettet, den prallen Rucksack, das "Nordlandgepäck", auf dem Rücken, Blicke voller Neugier, das Herz voller Erwartung. Kaum daß sich der Körper auf die Last eingespielt hat, muß sie wieder abgesetzt werden. Die Hosenbeine hochgekrempelt, die Wanderstiefel ausgezogen - so furten mein Begleiter Wolfgang und ich den ersten Fluß, der eiskalte Gletschermilch zu Tal fördert.
Die Sonne steht zwischen vereinzelten Wolken am Himmel, der bald darauf von einem Teppich bizarrer Gebilde übersät ist, die den Reichtum ihrer ganzen Verwandlungskraft spielen lassen. Der Himmel als tägliches Brot der Augen. Steil geht es einen Berg hinauf. Furten und immer wieder furten. Die Insel ist nicht nur von gewaltigen Wassermassen umgeben, sondern scheint selbst zum größten Teil aus ihnen zu bestehen. Feiner Nieselregen aus einem tiefen Himmel ergießt sich - heftig treibt der Wind ihn uns fast waagerecht entgegen. Schwarze Wolken reißen auf, fransen aus in grauen Schleiern, die uns einhüllen in triefendes Naß.
Wir gehen direkt in südliche Richtung. Das breite, weiße Band des Vatnajökull leuchtet aus der Ferne; schwarz die Luft darüber. Wild faucht der Sturm, macht eine Unterhaltung kaum möglich - schweigend stapfen wir nebeneinander her.
Mit Island wird es jetzt ernst. Auf den endlosen Weiten der steinigen Hochflächen liegt drückend eine graue, vollendete Einsamkeit. Sie sinkt mit feuchter Kälte auf uns herab und spiegelt sich in unseren Gesichtern wider.
Eingepackt in dicke Haufenwolken liegt der schnee- und eisbedeckte Snaefell schon lange vor uns. Die durchnäßte Kleidung spüre ich kaum noch. Regentropfen, dicht an dicht auf der Brille, lösen die Landschaft in ein mosaikartiges, surreales Gebilde auf, wo Oben und Unten, von Wasseradern durchzogen, ineinander verschmilzt. Der Himmel ist so grau, daß man meint, ihn trösten zu müssen.
Wieder und wieder kreuzen rauschende, kalte Wasser unseren Weg. Schon fast automatisch, aber auch mit Widerwillen streife ich die naßkalten Turnschuhe über und wate durch einen eiskalten, wild schäumenden Fluß. Die Beine werden bis über die Knie umspült. Füße und Waden beginnen vor Kälte zu schmerzen, vorsichtig und prüfend taste ich mich mit schlurfenden Schritten über das steinige Flußbett aus rundgeschliffenem, schlüpfrigem Fels - nur nicht ausrutschen, nur nicht ganz im kalten Naß verschwinden. Am anderen Ufer angelangt, setzt sich unser Weg fort - auf verregneten, tristen Pfaden, die so öd wie Abschied sind, obwohl wir uns doch erst am Anfang unserer Reise befinden.
Lautlos, mit dunklen Schwingen hebt sich ein Rabe von einer Steinwarte am Weg. Ist es Huginn oder Muninn - einer der beiden Raben, die auf den Schultern von Odin sitzen?
Odin, der höchste G*tt, der sieghafte Kämpfer, sucht, findet und verkündet die höchste Weisheit. Er liebt die Verwandlung und das Wandern. Oft erscheint dieser G*tt mit einem großen, breitkrempigen Reiseschlapphut und einem Mantel.
In alle neun Reiche der Welt ist er auf der Suche nach Wissen und Weisheit gezogen. So war er bei den Menschen, den Zwergen, den Riesen, stieg hinab unter die Wurzeln der Weltesche und in die unheimliche Hel - die Unterwelt. Überall fragte er nach dem, was auch ihm verborgen ist: nach dem Schicksal, das ihn selbst und die Götter am Ende aller Tage erwartet. Doch wenn Odin sich nicht umhertreibt als Wanderer und Suchender, dann weilt er in seinem Schloß Hliðskjlf, welches in der Götterburg Asgard liegt. Von hier kann er die ganze Welt überblicken. Zu seinen Füßen liegen dort die Wölfe Geri und Freki, der Gierige und der Gefräßige. Honigmet wird ihm gereicht von den Walküren Hrist und Mist - Wolke und Nebel. Jeden Morgen in der Frühe kehren die beiden Raben Huginn und Muninn - was soviel heißt wie Gedanke und Gedächtnis - heim und raunen ihm die Neuigkeiten ins Ohr, die sie bei ihren Flügen über die ganze Welt erfahren haben. Es wird über den Göttervater auch berichtet, daß er auf einer Wanderung zu Mímir, einem weisen Riesen, gelangte, der am Quell der Weisheit saß. Odin bat ihn um einen Trank von jenem Wasser. Mímir aber forderte als Gegengabe eines von Odins Augen.
Seitdem ist der G*tt aller Götter einäugig, aber wissend. Er kennt die verborgenen Schätze und Kräfte der Erde und hat Macht über das Feuer.
Odin muß leiden - dann vielleicht wird er wissen.
Vom grauen Dunst ist der Rabe bald darauf verschluckt. Am Fuß des Berges endlich angelangt, neun Stunden nachdem wir uns die Last auf den Rücken geladen hatten, schlagen wir das Zelt auf - unser Haus im Unbehausten.
Wir rollen uns in die Schlafsäcke, ein wunderbarer Feierabend nach einer langen Wanderung, und vor Müdigkeit haben wir unseren Hunger ganz vergessen. Schneefelder strahlen hell, Flüsse, Bäche und Rinnsale mäandern glitzernd durch eine dunkle Ebene aus schwarzer Lavaasche. Von leuchtendem Grün gesäumt, rieseln sie Silberfäden gleich nieder schlängeln sich aus den abtauenden Schneefeldern an den Hängen des Berges herab wie lebendige Arabesken.
Der Himmel ist kobaltblau, die Sonne liegt breit und faul zwischen den Hügeln, wie in einem warmen Bett. Hier sanft, dort schroff und herb, zeichnet sich das Profil der Berge in die klare Luft - so empfängt uns der neue Tag und keine Schleier verbergen mehr die Schätze. Weite offenbart sich, und in Licht getaucht liegen Gebirgszüge, Hügelketten und Ebenen in ihrer Ursprünglichkeit vor uns.
Ewigkeit spiegelt sich wider in jedem noch so kleinen Teil jener Anhöhe dort, des Flusses oder der kleinen, weißen Wolke, die behäbig gen Westen zieht - eine Landschaft, die Menschenwerk unscheinbar macht.
Eisgekrönt ragt der über 1800 Meter hohe Schneeberg, der Snaefell, in den Himmel.
Nach Tee und Müsli haben wir uns für den Berg entschieden und wollen die gut 1000 Höhenmeter zum Gipfel unter die Sohlen nehmen. Hinauf über schotterige Hänge, schwarze Lavaasche und goldockerfarbenes Liparitgestein, danach folgt nur noch sulziger Schnee. Grau und braun, vage dazwischen seichtes Grün und Wasserströme, die sich ungebändigt durch die Landschaft zu unseren Füßen winden.
Berge verbläuen in der Ferne. Im Nordwesten öffnet sich der Himmel und senkt sich wie ein gewaltiger Vorhang herab. Wolken jagen heran, Wind umtost uns eisig, als wir den Gipfel erreichen. Ein grandioser Rundblick - das gleißende, eisige Band des Vatnajökull im Süden zum Greifen nah - entschädigt für die Strapazen des Aufstiegs.
Über steinige Pisten, dem Gletscherfluß Jökuls Brú folgend, verlassen wir den Schneeberg gen Norden, folgen der Ringstraße und fahren dann nach Westen zum Mückensee - dem Mývatn.
Die Gegend um den Mývatn vereinigt mit den fesselnden Folgeerscheinungen des Vulkanismus, die sich auf fast jedem Fußbreit Islands dem Auge bieten, eine außergewöhnlich ansprechende, landschaftliche Physiognomie. - Die alte Lava ist stellenweise üppig bewachsen, duftendes Birkengebüsch, Heidekraut, Moose, Blumen und Gräser schmücken sie; zahllose Einbrüche, in denen sich Wasser gesammelt hat, machen den Eindruck von künstlich angelegten Teichen in diesem gartenähnlichen Terrain. Majestätische Archangelica-Stauden schmücken ihre Ränder und oft befinden sich innerhalb dieser größeren Becken winzige Inselchen von Lavazacken, auf denen eine einzige, prächtig blühende Staude sich im stillen Wasser spiegelt. Eine Menge der in Island sehr zahlreich vertretenen Wasservögel beleben mit Rufen, Krächzen und Geschrei die weite Fläche des Mývatn und seiner Nebenteiche, auf einem sahen wir den sehr scheuen "großen Polartaucher". So beschreibt Ina von Grumbkow den See im Norden der Insel in ihrem 1909 erschienenen Buch "Isafold".
Dampfwolken ziehen zwischen dunklen Hügelketten mit dem Wind.
Die Erde atmet, läßt ihren schwefeldurchsetzten Odem in langen, weißen Dampfschwaden entweichen. Zischend steigen an vielen Stellen Dämpfe aus der lehmbraunen, rissigen Erde, die bedeckt ist von leuchtend gelben Flecken elementaren Schwefels, sublimiert und fein auskristallisiert - durch die Glut des Erdinneren heraufgetragen.
Sulfur sammelt sich, wird von den weißen Fahnen kochenden Wassers herangetragen wie die leuchtenden Blütenpollen an den Hosen emsiger Bienen. Eine wohlige Wärme entströmt dem Boden und behaglich schnurrend, wütend spuckend kocht und brodelt, zischt und faucht es. Ein schnaubendes Gestöhn, schwerer Atem, prustend und seufzend.
Der ganze Himmel ist von graublauen Wolkenbergen überzogen, die bedrohlich über der ockerfarbenen und schwefelgelben Erde stehen. Durch den tiefdunklen Himmel und die helle Tönung des Bodens offenbart sich ein seltsam anmutendes Szenario.
Kalter Wind bläst mir feinen Sand in die Augen. Schritt für Schritt, immer wieder die Tragfähigkeit des Bodens untersuchend, taste ich mich voran.
In unzähligen Siedetöpfchen, in weichen, teigigen Dampflöchern und Schlammkesseln blubbert eine zähe, grauviolette Masse. Schwarzgelbe Zwergvulkane fauchen und gurgeln, speien Dampf und flüssige Erde. Blauer, brauner und gelber Ton wird spritzend in diesen natürlichen Tiegeln verkocht. Jeder Pfuhl, jedes Schlammloch singt sein eigenes Lied, hat seine ureigene Melodie - eine unterirdische Erzählung, die man zu verstehen glaubt, solange man nicht genau hinhorcht.
Finsternis und Licht, Himmel und Erde, Unten und Oben, Nord und Süd: all dies war nicht F von Anbeginn - so sagt es die Edda. Vor dem Anbeginn von allem war nur Ginnungagap - ein gähnender, leerer Schlund, das Nichts.
Ginnungagap. Dort wo der Brodem in Blasen zerplatzt, wo Schwaden aus Solfataren und Fumarolen aufsteigen, wo Schlamm dumpf blubbert, dort wo man den Eingang zu einer Alchemistenküche vermuten könnte, da kann man dieses Ginnungagap hören.
Ich schließe die Augen, um den Stimmen, um dem vielfältigen Klang der verschiedenen Schlamm- und Siedetöpfe zu lauschen, und doch klingt es immer wieder Ginnungagap, Ginnungagap ...
Aus diesem Schlund, dem gähnenden Nichts, schuf der Geist Wasser und Feuer und gab ihnen auch eine Stätte: dem Wasser im Norden Niflheim, das Land der Nebel, der Kälte, der Finsternis. Dem Feuer im Süden Muspellsheim, das Heim der Glut, "welches der Riese Surtr mit flammendem Schwert schützt. Dem Norden entsprang eine tosende Quelle, Hvergelmir, der brausende Kessel. Zwölf Ströme brachen daraus hervor und stürzten in den tiefen unermeßlichen Abgrund von Ginnungagap und erfüllten ihn schließlich ganz, und alles Wasser erstarrte darauf zu Eis. Wo einst ein tiefer Schlund war, ist nun Gletscher. Norden und Süden waren jetzt nicht mehr voneinander getrennt, und dort, wo Eis und Feuer aneinandergrenzen, kann nun Leben entstehen. Die Funken, die aus Muspellsheim kommen, schmelzen zwei Wesen aus dem Eis: einen Riesen in Menschengestalt, Ymir, und eine riesenhafte Kuh, Auðumla. Da diese Kuh nirgends Gras fand, leckte sie am Eis, löste mit ihrer Zunge einen Mann aus dem Eise: am ersten Tage das Haar, am zweiten das Haupt, am dritten den Leib.
Dieser Mann hieß Búri. Er war groß, schön und stark. Sein Sohn hieß Burr, und dieser zeugte mit der Riesin Bestla drei Söhne: Odin, Vili und Ve , die ersten aus dem Göttergeschlecht der Asen.
Der Urriese Ymir aber, welcher sich von Auðumlas Milch nährte, fiel in tiefen Schlaf, und unter seinen Achselhöhlen wuchsen zwei gewaltige Wesen, ein männliches und ein weibliches, heran. Ein anderer Riese, der sechsköpfige Vafthrúðnir, entstand, als Ymir seine Füße aneinanderrieb.
Vafthrúðnir ist Stammvater aller Hrímthursen, der Frost- und Reifriesen.
Diese bleiben schwerfällig, gehemmt und dumpf, denn ihre Glieder sind aus Eis.
Odin und seine Brüder Vili und Ve, gewannen aber die Herrschaft über die Schöpfung und erschlugen Ymir. In seinem Blut, so heißt es weiter, ertranken alle Frostriesen bis auf einen einzigen, Bergelmir, der sich mit seinem Weib auf ein Boot rettete. Die Erde begann sich nun nach der Vorstellung der altnordischen Mythologie zu formen: Alle Wasser entstanden aus Ymirs Blut, aus seinem Fleisch wurde Erde, aus seinen Knochen Berge und Felsen, aus seinen Haaren wurden Bäume, aus seinem Schädel entstand der Himmel, dessen Gewölbe die Zwerge Austri, Vestri, Norðri und Suðri auf ihren Schultern trugen, aus seinem Gehirn formten sich die Wolken und aus seinen Augenbrauen ward schließlich der Wall, der Midgard, das Land der Menschen, gegen das Meer und die Riesen schützt.
Nachdem nun die Erde geformt war, ging Odin, der höchste der Götter, daran, die himmlischen Dinge zu ordnen. Der Riesentochter Nótt gab er ein schwarzes Roß mit Namen Hrímfaxi, welches bei Nacht einen schwarzen Wagen über den Himmel zieht. Ihrem Sohn Dagr aber, dem hellen Tag, einen goldschimmernden Wagen und Skinfaxi, was soviel wie Lichtpferd heißt.
Den ganzen Tag über gehe ich durch das große Solfatarengebiet östlich des Mývatn und kann mich kaum satt sehen an all den vielen Wundern.
Die Abendsonne gießt flüssiges Kupfer über die Silhouette der Hrossaborg am Rande des Óðaðahraun.
Ein Wirrwarr von Farben, giftiges Gelb, schreiendes Rot zeigt sich an den schlüpfrigen Hängen des Namafjall, die ich erklimme. Von hier oben sehe ich auf das weite, von Inseln gefleckte Wasser des Sees, das, wie in blauen Samt gehüllt, ins weiche Licht des Abends eingebettet ist. Die Sonne versinkt als roter Feuerball im Wasser, und zarte Wolkenschleier am Horizont leuchten noch einmal auf und verblassen dann schließlich in der Dämmerung. Eine friedliche Stille breitet sich aus, und nur ab und an trägt der warme Wind das permanente Fauchen der vulkanischen Exhalationen der Erde heran.
Mein Entdeckungsdrang führt mich am nächsten Tag nach Nordosten, vorbei an einem Thermalkraftwerk, das an eine gigantische Raumstation erinnert, in die Lavafelder der Krafla. Hier zeigt sich die Kontinentaldrift augenscheinlich: im Jahr 1984 brach die Erde zum letzten Mal an dieser Nahtstelle auf und spie Glutflüssiges in den Himmel.
"Es war so hell vom Feuerschein, daß man nachts auf der Straße die Zeitung lesen konnte", erzählt mir ein Einheimischer aus dem mehrere Kilometer entfernten Örtchen Reykjahlíð.
Scharfkantig und oft gefährlich dünn ist diese "neue" Lava - bizarr in ihren Strukturen, die mich an verkohlte, ineinander verschlungene Äste von urzeitlichen Bäumen oder an die im Kampf gewundenen und anschließend durch plötzlichen Tod erstarrten Körper von Fabelwesen erinnern. Dunstig tritt an vielen Stellen noch der letzte Hauch der Eruption aus.
Die heftigsten Ausbrüche fanden in den Jahren 1724 bis 1729 statt. Damals ergoß sich ein Lavastrom gegen das Seeufer herab, zerstörte und verbrannte das Gehöft Reykjahlíð und floß in das Mývatn, in dem er "einige Tage lang wie Öl im Wasser kochte" - wie von Augenzeugen berichtet wurde ....
Island - Legende/Mythos/Wahrheit ???
Sehnsucht, eine tiefe, unbestimmte, hatte ich schon lange nach einem Land, von dem ich nicht wußte, wo es zu finden war. Schließlich begann ich zu suchen, dann hatte ich zumindest eine vage Vorstellung - alles Weitere muß man wollen. Unheimliches Knarren und Ächzen geben die mit Holz verkleideten Wände der stickigdunklen Kabine von sich. Ein Gebläse surrt permanent und versucht vergebens, die schwüle Luft abzusaugen. Oben in der Cafeteria sind die meisten Plätze unbesetzt. Diejenigen von den Passagieren, welche noch an den Tischen sitzen, oft schon den Angstschweiß auf der Stirn, überlegen, ob sie das Essen zu sich nehmen sollen, oder ob ein fluchtartiger Rückzug angebracht sei. Der Bug des Schiffes schießt unablässig in den Himmel und scheint sich im nächsten Moment wieder in den Grund bohren zu wollen.
Wolken, dick wie Wattebäusche, hängen über dem graublauen Wasser des Nordatlantiks. Weiße Schaumkronen blitzen - der Horizont geht auf und nieder. Mit schwankendem Gang und bleichem Gesicht erreiche ich, nachdem ich den vorhin gegessenen Fisch wieder zu seinen Artgenossen entlassen habe, endlich die Koje. Ich beschließe, die Ankunft des von soviel Wasser umspülten, sagenhaften äußersten Norden - der "Ultima Thule" - in der "Horizontalen" abzuwarten.
Nach einer fünftägigen Anreise und 1500 Kilometer Dahinschaukeln über wogendes Naß, stehe ich hier auf einer Insel am Rande der bewohnbaren Welt, von der ich so wenig zu sehen bekomme, weil ein feuchtes Grau alles in sich aufgesogen hat.
An den grünschwarzen Bergen, die den Fjord beidseitig säumen, hängt wolkiger Regen fest, und unzählige Wasserfälle sind wie weiße Fäden an ihre Flanken geheftet.
Der hohe schlanke Bug des Fährschiffes "Norröna" liegt dazwischen und ragt weit über die geduckten Holzhäuser von Seyðisfjörður. Wir sind angekommen.
Auch in einem Ostlandfjord, so will es eine Sage, erreichte einst ein Zauberer in Gestalt eines Walfisches diese Nordmeerinsel - ausgesandt von König Harald Gormsson von Dänemark, den die Isländer nicht als ihren Herrscher anerkennen wollten, um im späten 10. Jahrhundert Island zu erkunden. Als er nahe an das Land kam, fuhr er an der Nordküste hin und wandte sich nach Westen zu. Er gewahrte, daß das Land von Geistern in allerlei Gestalt bewacht war, etliche groß, etliche klein, und Berge und Hügel waren ihrer voll. Als er vor den Vopnafjord kam und hineinschwamm, um an Land zu steigen, fuhr aus dem Bergtal ein großer Drache nieder und hinter ihm Schlangen und allerhand Gewürm, die bliesen einen giftigen Odem gegen ihn und mit seinem Schweif peitschte der Drache das Wasser, daß die hohen Wogen gegen die Felsen schlugen.
Dann wandte er sich hinaus vor den Eyjafjord und schwamm von Norden kommend hinein. Da fuhr ihm ein Adler entgegen, der war so groß, daß er die Schlucht füllte, und seine Schwingen stießen an die Berge zu beiden Seiten, so daß sie das Licht der Sonne verdeckten. Dieser große Vogel wurde von einer Menge anderer Vögel begleitet.
Er wandte sich abermals hinweg und schwamm westwärts um das Land und gen Süden zum Breiðafjord hinein. Da fuhr ein wütender Stier auf ihn los, bis an die See hinaus, der war groß und fing an zu brüllen, daß es gellte unter dem Himmel und die Erde dröhnte. Aus seinen Nüstern schossen Feuergarben, und mit seinem mächtigen Schweif peitschte er die Luft.
Abermals wandte sich der Zauberer in Walgestalt ab und schwamm südlich um die Halbinsel Reykjanes und gedachte, hier an Land zu gehen. Aber siehe, da kam ihm ein Bergriese entgegen, der führte einen Eisenstab und ein Schild mit sich. Alle Berge und Felsen überragte der Riese, und eine Schar anderer Riesen begleitete ihn. Da entwich er und schwamm nach Osten zu, an endlosem Land entlang. "Da war nichts", sprach er, "als Sand und Öde und draußen davor große Brandung, und das Meer geht da so hoch", sagte er, "daß Langschiffe nicht fahren können." Nun, da der Zauberer gesehen hatte, wie die Geister ihr Land zu schützen wußten, kehrte er zurück nach Dänemark und riet König Harald Gormsson, die Eroberung Islands zu unterlassen.
Das Wappen Islands ist heute noch Zeugnis dieser vermeintlichen Begebenheit. Es enthält diese vier Symbolfiguren: den Drachen im Osten, den Adler im Norden, den Stier im Westen und den Riesen im Süden.
Dem heutigen Besucher wird die Einreise allerdings nicht so schwierig gemacht - nachdem wir unsere Pässe vorgezeigt und die Frage des beamteten Wikingers nach Whiskey und Wodka verneint haben, sind wir nunmehr auch offiziell angekommen. Ein "hochbeiniger" Linienbus schluckt uns, und die von den Passagieren wieder abgegebene Feuchtigkeit läßt im Nu alle Scheiben beschlagen. Mit niedrigem Gang und heulendem Motor quält sich das Fahrzeug aus der Senke den Berg hinauf. Unablässig schieben sich die Gummis der Wischer monoton über die Frontscheibe. Die Heckscheibe ist von rotem, aufgespritztem Schlamm bedeckt, der Blick zurück unmöglich.
Wasser, das beherrschende Element. Links unseres Weges ein Fluß, der über Felsstufen weiß und wild abwärts schäumt. Kleine Rinnsale, die ständig an den Scheiben hinunterlaufen, tief hängende, feuchtigkeitsgeschwängerte Wolken, die sich zwischen den grünlichen Hügelketten und den grauen Bergen gefangen haben. Meine Blicke versuchen, sich einen Weg durch den feuchten Dunst zu bahnen. Meine Gedanken treiben dahin. Auf und ab - wieder und wieder werden wir durchgeschaukelt, diesmal auf holprigen Pisten über Land.
Grüne, satte Wiesen gleiten vorbei, einzelne Gehöfte. Die Dächer aus grünem, blauem oder rotem Wellblech verlieren sich schnell in der großen Weite.
Wir fahren und fahren, und aus dem Radio klingt Bob Dylan s "Like a rolling stone". Schwarze Berge säumen den Weg - Berge auf einer Insel, die selbst ein einziger großer Berg ist. Eine gigantische Erhebung aus einer der gewaltigsten und längsten Gebirgskette der Erde - dem "Mittelatlantischen Rücken".
Längs durch die Scheitelzonen dieser Gebirgskette laufen tiefe, grabenartige Einschnitte, und aus diesen dringt das glutflüssige Erdinnere, das Magma, empor. So wächst dieses Gebirge unter Wasser ständig. Aber nur an einigen "Nahtstellen" am Meeresboden sprudelte so viel Gesteinsbrei, daß Land aus dem Meer aufstieg. Es entstanden Inseln. Die größte unter ihnen ist dieser nördliche "Eremit des Atlantiks" - Island.
Island wurde als letzte Insel im Nordatlantik entdeckt. Irische Mönche sollen das Land schon im achten Jahrhundert bewohnt haben. Weltabgeschiedene Lage und Verlassenheit kamen diesen Klerikern gerade recht. Die Mönche blieben aber nur kurze Zeit, weil sie nicht mit Heiden diesen Ort teilen wollten und sie hinterließen auch kaum Spuren.
Zwei Namen streiten sich um den Ruhm, Island entdeckt zu haben. Naddoður und Garðar Svavarsson. Beide waren kühne Wikinger, die um 850 durch einen Sturm an die Küsten jenes felsigen Eilands getrieben wurden. Naddoður wurde an die Ostküste Islands, in den Reyðarfjörður verschlagen. Er erstieg dort einen Berg und hielt Ausschau, ob das Land bewohnt sei, aber nirgends sah er den Rauch einer Hütte, und so verließ er bald die nutzlose Insel, die ihm zu Raub und Mord keine Gelegenheit gab.
Snaeland (Schneeland) nannte er das Land, da es in den Bergen oberhalb des Fjordes stark schneite, als er sich zur Abfahrt rüstete.
Garðar Svarvarsson, ein Schwede von Geburt, segelte an den Küsten entlang, um zu sehen, ob es eine Insel sei. Im Norden, im jetzigen Húsavík, baute er sich ein Haus, um dort zu überwintern. Im nächsten Frühjahr segelte er in seine Heimat zurück und hieß das Land Garðarshólmi - Inselchen des Garðar. Der Wikinger Flóki Vilgerðarson gab der Insel ihren heutigen Namen.
Er segelte südlich um die Insel bis an die prachtvolle Snaefells-Halbinsel im Westen, deren vulkangekrönte Spitze er umfuhr, um endlich im Süden der tiefzerschnittenen Nordwest-Halbinsel, im Vatnsfjörður, an Land zu gehen. Hier fand Flóki so viele Fische, daß er und seine Leute mit dem Fang so beschäftigt waren, daß sie vergaßen, Heu zu ernten für das Vieh, welches sie mitgebracht hatten. Infolge des harten Winters verhungerte das gesamte Vieh.
Im kommenden Frühjahr stieg Flóki auf einen hohen Berg und blickte nordwärts in den vom Treibeis gefüllten Arnarfjörður. Da nannte er das Land Island, das heißt Eisland.
So bekam das Land seinen Namen, der das Kälteste an ihm ist, denn das Nordland-Klima wird durch den Golfstrom gemildert, und nur etwa 11 Prozent des Landes gehören dem ewigen Eis - den Gletschern. Ein weiter nördlich gelegenes Land heißt Grönland, das bedeutet Grünland - ist aber zu 85 Prozent von Eis bedeckt.
Nun stehe ich hier im Land meiner Sehnsucht, die Wanderstiefel fest geschnürt und gut gefettet, den prallen Rucksack, das "Nordlandgepäck", auf dem Rücken, Blicke voller Neugier, das Herz voller Erwartung. Kaum daß sich der Körper auf die Last eingespielt hat, muß sie wieder abgesetzt werden. Die Hosenbeine hochgekrempelt, die Wanderstiefel ausgezogen - so furten mein Begleiter Wolfgang und ich den ersten Fluß, der eiskalte Gletschermilch zu Tal fördert.
Die Sonne steht zwischen vereinzelten Wolken am Himmel, der bald darauf von einem Teppich bizarrer Gebilde übersät ist, die den Reichtum ihrer ganzen Verwandlungskraft spielen lassen. Der Himmel als tägliches Brot der Augen. Steil geht es einen Berg hinauf. Furten und immer wieder furten. Die Insel ist nicht nur von gewaltigen Wassermassen umgeben, sondern scheint selbst zum größten Teil aus ihnen zu bestehen. Feiner Nieselregen aus einem tiefen Himmel ergießt sich - heftig treibt der Wind ihn uns fast waagerecht entgegen. Schwarze Wolken reißen auf, fransen aus in grauen Schleiern, die uns einhüllen in triefendes Naß.
Wir gehen direkt in südliche Richtung. Das breite, weiße Band des Vatnajökull leuchtet aus der Ferne; schwarz die Luft darüber. Wild faucht der Sturm, macht eine Unterhaltung kaum möglich - schweigend stapfen wir nebeneinander her.
Mit Island wird es jetzt ernst. Auf den endlosen Weiten der steinigen Hochflächen liegt drückend eine graue, vollendete Einsamkeit. Sie sinkt mit feuchter Kälte auf uns herab und spiegelt sich in unseren Gesichtern wider.
Eingepackt in dicke Haufenwolken liegt der schnee- und eisbedeckte Snaefell schon lange vor uns. Die durchnäßte Kleidung spüre ich kaum noch. Regentropfen, dicht an dicht auf der Brille, lösen die Landschaft in ein mosaikartiges, surreales Gebilde auf, wo Oben und Unten, von Wasseradern durchzogen, ineinander verschmilzt. Der Himmel ist so grau, daß man meint, ihn trösten zu müssen.
Wieder und wieder kreuzen rauschende, kalte Wasser unseren Weg. Schon fast automatisch, aber auch mit Widerwillen streife ich die naßkalten Turnschuhe über und wate durch einen eiskalten, wild schäumenden Fluß. Die Beine werden bis über die Knie umspült. Füße und Waden beginnen vor Kälte zu schmerzen, vorsichtig und prüfend taste ich mich mit schlurfenden Schritten über das steinige Flußbett aus rundgeschliffenem, schlüpfrigem Fels - nur nicht ausrutschen, nur nicht ganz im kalten Naß verschwinden. Am anderen Ufer angelangt, setzt sich unser Weg fort - auf verregneten, tristen Pfaden, die so öd wie Abschied sind, obwohl wir uns doch erst am Anfang unserer Reise befinden.
Lautlos, mit dunklen Schwingen hebt sich ein Rabe von einer Steinwarte am Weg. Ist es Huginn oder Muninn - einer der beiden Raben, die auf den Schultern von Odin sitzen?
Odin, der höchste G*tt, der sieghafte Kämpfer, sucht, findet und verkündet die höchste Weisheit. Er liebt die Verwandlung und das Wandern. Oft erscheint dieser G*tt mit einem großen, breitkrempigen Reiseschlapphut und einem Mantel.
In alle neun Reiche der Welt ist er auf der Suche nach Wissen und Weisheit gezogen. So war er bei den Menschen, den Zwergen, den Riesen, stieg hinab unter die Wurzeln der Weltesche und in die unheimliche Hel - die Unterwelt. Überall fragte er nach dem, was auch ihm verborgen ist: nach dem Schicksal, das ihn selbst und die Götter am Ende aller Tage erwartet. Doch wenn Odin sich nicht umhertreibt als Wanderer und Suchender, dann weilt er in seinem Schloß Hliðskjlf, welches in der Götterburg Asgard liegt. Von hier kann er die ganze Welt überblicken. Zu seinen Füßen liegen dort die Wölfe Geri und Freki, der Gierige und der Gefräßige. Honigmet wird ihm gereicht von den Walküren Hrist und Mist - Wolke und Nebel. Jeden Morgen in der Frühe kehren die beiden Raben Huginn und Muninn - was soviel heißt wie Gedanke und Gedächtnis - heim und raunen ihm die Neuigkeiten ins Ohr, die sie bei ihren Flügen über die ganze Welt erfahren haben. Es wird über den Göttervater auch berichtet, daß er auf einer Wanderung zu Mímir, einem weisen Riesen, gelangte, der am Quell der Weisheit saß. Odin bat ihn um einen Trank von jenem Wasser. Mímir aber forderte als Gegengabe eines von Odins Augen.
Seitdem ist der G*tt aller Götter einäugig, aber wissend. Er kennt die verborgenen Schätze und Kräfte der Erde und hat Macht über das Feuer.
Odin muß leiden - dann vielleicht wird er wissen.
Vom grauen Dunst ist der Rabe bald darauf verschluckt. Am Fuß des Berges endlich angelangt, neun Stunden nachdem wir uns die Last auf den Rücken geladen hatten, schlagen wir das Zelt auf - unser Haus im Unbehausten.
Wir rollen uns in die Schlafsäcke, ein wunderbarer Feierabend nach einer langen Wanderung, und vor Müdigkeit haben wir unseren Hunger ganz vergessen. Schneefelder strahlen hell, Flüsse, Bäche und Rinnsale mäandern glitzernd durch eine dunkle Ebene aus schwarzer Lavaasche. Von leuchtendem Grün gesäumt, rieseln sie Silberfäden gleich nieder schlängeln sich aus den abtauenden Schneefeldern an den Hängen des Berges herab wie lebendige Arabesken.
Der Himmel ist kobaltblau, die Sonne liegt breit und faul zwischen den Hügeln, wie in einem warmen Bett. Hier sanft, dort schroff und herb, zeichnet sich das Profil der Berge in die klare Luft - so empfängt uns der neue Tag und keine Schleier verbergen mehr die Schätze. Weite offenbart sich, und in Licht getaucht liegen Gebirgszüge, Hügelketten und Ebenen in ihrer Ursprünglichkeit vor uns.
Ewigkeit spiegelt sich wider in jedem noch so kleinen Teil jener Anhöhe dort, des Flusses oder der kleinen, weißen Wolke, die behäbig gen Westen zieht - eine Landschaft, die Menschenwerk unscheinbar macht.
Eisgekrönt ragt der über 1800 Meter hohe Schneeberg, der Snaefell, in den Himmel.
Nach Tee und Müsli haben wir uns für den Berg entschieden und wollen die gut 1000 Höhenmeter zum Gipfel unter die Sohlen nehmen. Hinauf über schotterige Hänge, schwarze Lavaasche und goldockerfarbenes Liparitgestein, danach folgt nur noch sulziger Schnee. Grau und braun, vage dazwischen seichtes Grün und Wasserströme, die sich ungebändigt durch die Landschaft zu unseren Füßen winden.
Berge verbläuen in der Ferne. Im Nordwesten öffnet sich der Himmel und senkt sich wie ein gewaltiger Vorhang herab. Wolken jagen heran, Wind umtost uns eisig, als wir den Gipfel erreichen. Ein grandioser Rundblick - das gleißende, eisige Band des Vatnajökull im Süden zum Greifen nah - entschädigt für die Strapazen des Aufstiegs.
Über steinige Pisten, dem Gletscherfluß Jökuls Brú folgend, verlassen wir den Schneeberg gen Norden, folgen der Ringstraße und fahren dann nach Westen zum Mückensee - dem Mývatn.
Die Gegend um den Mývatn vereinigt mit den fesselnden Folgeerscheinungen des Vulkanismus, die sich auf fast jedem Fußbreit Islands dem Auge bieten, eine außergewöhnlich ansprechende, landschaftliche Physiognomie. - Die alte Lava ist stellenweise üppig bewachsen, duftendes Birkengebüsch, Heidekraut, Moose, Blumen und Gräser schmücken sie; zahllose Einbrüche, in denen sich Wasser gesammelt hat, machen den Eindruck von künstlich angelegten Teichen in diesem gartenähnlichen Terrain. Majestätische Archangelica-Stauden schmücken ihre Ränder und oft befinden sich innerhalb dieser größeren Becken winzige Inselchen von Lavazacken, auf denen eine einzige, prächtig blühende Staude sich im stillen Wasser spiegelt. Eine Menge der in Island sehr zahlreich vertretenen Wasservögel beleben mit Rufen, Krächzen und Geschrei die weite Fläche des Mývatn und seiner Nebenteiche, auf einem sahen wir den sehr scheuen "großen Polartaucher". So beschreibt Ina von Grumbkow den See im Norden der Insel in ihrem 1909 erschienenen Buch "Isafold".
Dampfwolken ziehen zwischen dunklen Hügelketten mit dem Wind.
Die Erde atmet, läßt ihren schwefeldurchsetzten Odem in langen, weißen Dampfschwaden entweichen. Zischend steigen an vielen Stellen Dämpfe aus der lehmbraunen, rissigen Erde, die bedeckt ist von leuchtend gelben Flecken elementaren Schwefels, sublimiert und fein auskristallisiert - durch die Glut des Erdinneren heraufgetragen.
Sulfur sammelt sich, wird von den weißen Fahnen kochenden Wassers herangetragen wie die leuchtenden Blütenpollen an den Hosen emsiger Bienen. Eine wohlige Wärme entströmt dem Boden und behaglich schnurrend, wütend spuckend kocht und brodelt, zischt und faucht es. Ein schnaubendes Gestöhn, schwerer Atem, prustend und seufzend.
Der ganze Himmel ist von graublauen Wolkenbergen überzogen, die bedrohlich über der ockerfarbenen und schwefelgelben Erde stehen. Durch den tiefdunklen Himmel und die helle Tönung des Bodens offenbart sich ein seltsam anmutendes Szenario.
Kalter Wind bläst mir feinen Sand in die Augen. Schritt für Schritt, immer wieder die Tragfähigkeit des Bodens untersuchend, taste ich mich voran.
In unzähligen Siedetöpfchen, in weichen, teigigen Dampflöchern und Schlammkesseln blubbert eine zähe, grauviolette Masse. Schwarzgelbe Zwergvulkane fauchen und gurgeln, speien Dampf und flüssige Erde. Blauer, brauner und gelber Ton wird spritzend in diesen natürlichen Tiegeln verkocht. Jeder Pfuhl, jedes Schlammloch singt sein eigenes Lied, hat seine ureigene Melodie - eine unterirdische Erzählung, die man zu verstehen glaubt, solange man nicht genau hinhorcht.
Finsternis und Licht, Himmel und Erde, Unten und Oben, Nord und Süd: all dies war nicht F von Anbeginn - so sagt es die Edda. Vor dem Anbeginn von allem war nur Ginnungagap - ein gähnender, leerer Schlund, das Nichts.
Ginnungagap. Dort wo der Brodem in Blasen zerplatzt, wo Schwaden aus Solfataren und Fumarolen aufsteigen, wo Schlamm dumpf blubbert, dort wo man den Eingang zu einer Alchemistenküche vermuten könnte, da kann man dieses Ginnungagap hören.
Ich schließe die Augen, um den Stimmen, um dem vielfältigen Klang der verschiedenen Schlamm- und Siedetöpfe zu lauschen, und doch klingt es immer wieder Ginnungagap, Ginnungagap ...
Aus diesem Schlund, dem gähnenden Nichts, schuf der Geist Wasser und Feuer und gab ihnen auch eine Stätte: dem Wasser im Norden Niflheim, das Land der Nebel, der Kälte, der Finsternis. Dem Feuer im Süden Muspellsheim, das Heim der Glut, "welches der Riese Surtr mit flammendem Schwert schützt. Dem Norden entsprang eine tosende Quelle, Hvergelmir, der brausende Kessel. Zwölf Ströme brachen daraus hervor und stürzten in den tiefen unermeßlichen Abgrund von Ginnungagap und erfüllten ihn schließlich ganz, und alles Wasser erstarrte darauf zu Eis. Wo einst ein tiefer Schlund war, ist nun Gletscher. Norden und Süden waren jetzt nicht mehr voneinander getrennt, und dort, wo Eis und Feuer aneinandergrenzen, kann nun Leben entstehen. Die Funken, die aus Muspellsheim kommen, schmelzen zwei Wesen aus dem Eis: einen Riesen in Menschengestalt, Ymir, und eine riesenhafte Kuh, Auðumla. Da diese Kuh nirgends Gras fand, leckte sie am Eis, löste mit ihrer Zunge einen Mann aus dem Eise: am ersten Tage das Haar, am zweiten das Haupt, am dritten den Leib.
Dieser Mann hieß Búri. Er war groß, schön und stark. Sein Sohn hieß Burr, und dieser zeugte mit der Riesin Bestla drei Söhne: Odin, Vili und Ve , die ersten aus dem Göttergeschlecht der Asen.
Der Urriese Ymir aber, welcher sich von Auðumlas Milch nährte, fiel in tiefen Schlaf, und unter seinen Achselhöhlen wuchsen zwei gewaltige Wesen, ein männliches und ein weibliches, heran. Ein anderer Riese, der sechsköpfige Vafthrúðnir, entstand, als Ymir seine Füße aneinanderrieb.
Vafthrúðnir ist Stammvater aller Hrímthursen, der Frost- und Reifriesen.
Diese bleiben schwerfällig, gehemmt und dumpf, denn ihre Glieder sind aus Eis.
Odin und seine Brüder Vili und Ve, gewannen aber die Herrschaft über die Schöpfung und erschlugen Ymir. In seinem Blut, so heißt es weiter, ertranken alle Frostriesen bis auf einen einzigen, Bergelmir, der sich mit seinem Weib auf ein Boot rettete. Die Erde begann sich nun nach der Vorstellung der altnordischen Mythologie zu formen: Alle Wasser entstanden aus Ymirs Blut, aus seinem Fleisch wurde Erde, aus seinen Knochen Berge und Felsen, aus seinen Haaren wurden Bäume, aus seinem Schädel entstand der Himmel, dessen Gewölbe die Zwerge Austri, Vestri, Norðri und Suðri auf ihren Schultern trugen, aus seinem Gehirn formten sich die Wolken und aus seinen Augenbrauen ward schließlich der Wall, der Midgard, das Land der Menschen, gegen das Meer und die Riesen schützt.
Nachdem nun die Erde geformt war, ging Odin, der höchste der Götter, daran, die himmlischen Dinge zu ordnen. Der Riesentochter Nótt gab er ein schwarzes Roß mit Namen Hrímfaxi, welches bei Nacht einen schwarzen Wagen über den Himmel zieht. Ihrem Sohn Dagr aber, dem hellen Tag, einen goldschimmernden Wagen und Skinfaxi, was soviel wie Lichtpferd heißt.
Den ganzen Tag über gehe ich durch das große Solfatarengebiet östlich des Mývatn und kann mich kaum satt sehen an all den vielen Wundern.
Die Abendsonne gießt flüssiges Kupfer über die Silhouette der Hrossaborg am Rande des Óðaðahraun.
Ein Wirrwarr von Farben, giftiges Gelb, schreiendes Rot zeigt sich an den schlüpfrigen Hängen des Namafjall, die ich erklimme. Von hier oben sehe ich auf das weite, von Inseln gefleckte Wasser des Sees, das, wie in blauen Samt gehüllt, ins weiche Licht des Abends eingebettet ist. Die Sonne versinkt als roter Feuerball im Wasser, und zarte Wolkenschleier am Horizont leuchten noch einmal auf und verblassen dann schließlich in der Dämmerung. Eine friedliche Stille breitet sich aus, und nur ab und an trägt der warme Wind das permanente Fauchen der vulkanischen Exhalationen der Erde heran.
Mein Entdeckungsdrang führt mich am nächsten Tag nach Nordosten, vorbei an einem Thermalkraftwerk, das an eine gigantische Raumstation erinnert, in die Lavafelder der Krafla. Hier zeigt sich die Kontinentaldrift augenscheinlich: im Jahr 1984 brach die Erde zum letzten Mal an dieser Nahtstelle auf und spie Glutflüssiges in den Himmel.
"Es war so hell vom Feuerschein, daß man nachts auf der Straße die Zeitung lesen konnte", erzählt mir ein Einheimischer aus dem mehrere Kilometer entfernten Örtchen Reykjahlíð.
Scharfkantig und oft gefährlich dünn ist diese "neue" Lava - bizarr in ihren Strukturen, die mich an verkohlte, ineinander verschlungene Äste von urzeitlichen Bäumen oder an die im Kampf gewundenen und anschließend durch plötzlichen Tod erstarrten Körper von Fabelwesen erinnern. Dunstig tritt an vielen Stellen noch der letzte Hauch der Eruption aus.
Die heftigsten Ausbrüche fanden in den Jahren 1724 bis 1729 statt. Damals ergoß sich ein Lavastrom gegen das Seeufer herab, zerstörte und verbrannte das Gehöft Reykjahlíð und floß in das Mývatn, in dem er "einige Tage lang wie Öl im Wasser kochte" - wie von Augenzeugen berichtet wurde ....