Die Wahrheit ist eine Bedrohung
#1
Hallo!

Der folgende Artikel vom 9. 3. 2004 aus der telepolis Redaktion zeigt, dass Satiere bei sehr spezialisierten Leuten nicht mehr als Satiere ankommt, sondern durchaus ernst genommen wird, selbst dann bzw. erst recht nicht, wenn man die Satiere ins absolut Laecherliche zuspitzt.

Ach ja, eine Anmerkung noch dazu: Es wir dunter anderem der satiereische Vorschlag gemacht Faekalien zu recyceln und als Hamburger in die 3. Welt zu verschachern. Was das Recyceln betrifft, wurde dies schon von einer japanischen Firme vorexerziert (siehe dazu das Buch "Die Suppe luegt"). Das Verschachern wird also wahrscheinlich auch noch kommen, auch wenn das ganze von den "Yes Men", wie sich die Satiriker nennen, eher zur Belustigung gedacht war.

Beste Gruesse

vom Ritter, der sich bei dem Artikel koestlich amuesiert hat. Lächeln

*****
Die "Yes Men" über Blutegel, Identitätskorrektur, eindeutige und zweideutige Parodie, Freedom Camps und Bösewichte

Da hatten sich zwei gesucht und gefunden: Schon unabhängig voneinander hatten sie subtile Verunsicherungen in unsere Welt getragen, hatten mit Humor der vertrauten Realität ein bisserl ans Bein gepinkelt. Andy Bichlbaum hat, damals Angestellter von Maxis, im Auftrag von Rtmark dafür gesorgt, dass bei dem Computerspiel SimCopter zu gewissen Zeiten sich die virtuellen Passanten der simulierten Welt in schwule Bodybuilder verwandeln. Mike Bonanno hat mit der Barbie Liberation Organization sprechende Barbie- und G.I.Joe- Puppen gekauft, deren Voiceboxes ausgestauscht, und das Spielzeug mittels - wie sie es nannten - "shopgiving" wieder in den Handel gebracht, so dass die Kleinen unter dem Weihnachtsbaum dann Plastiksoldaten hatten, die "I wanna go shopping with you!" quiekten oder Miniatur-Blondinen, die knurrten, dass ein Toter keine Geschichten mehr erzähle.

Als sie sich schließlich kennen gelernt hatten, wendeten sie ihre kreative, subversive Energie dem Internet zu: Erste Aufmerksamkeit erregten sie mit einer gefakten Homepage von George W. Bush. Und dann sicherten sie sich den Domainnamen GATT und errichteten dort ("GATT" war die Grundlage der World Trade Organisation) eine gefälschte Seite der WTO - die so überzeugend gelungen war, dass bald erste ernsthafte Anfragen an die WTO per Mail eintrafen.

Bichlbaum und Bonanno - sich als Team The Yes Men nennend - nutzten die Gelegenheit: Bald vertraten sie nicht nur im virtuellen Raum die WTO, sondern nahmen auch Einladungen zu Kongressen in deren Namen an oder stellten Interviewpartner für Fernseh-Diskussionen. Nach einem eher zaghaften Debut bei einer Konferenz in Salzburg merkten sie bald, dass der Schwindel nicht wie erwartet sofort auffliegen würde, sobald sie gewisse WTO-Geisteshaltungen ins Karikaturhafte krass übersteigert zum Besten gaben. Also wurden ihre Auftritte immer gewagter und bizarrer: Sie stellten ("The Future of Textiles") goldene Freizeitanzüge für Manager vor, mit einem aufblasbaren Riesenphallus, an dessen Spitze ein Monitor die Überwachung der in irgendwelchen weit entfernten Billiglohnländern schuftenden Arbeiter erlaubt.

Sie präsentierten ein Projekt, die Fäkalien der westlichen Industrienationen zu McDonald's-Burgern zweiter Generation für die Hungerregionen zu recyclen. Und sie verkündeten schließlich sogar die Selbstauflösung der WTO an die Weltpresse. Nun haben Chris Smith, Dan Ollman und Sarah Price eine Dokumentation über The Yes Men gedreht, die auf der diesjährigen Berlinale einem weitgehend begeisterten Publikum vorgestellt wurde. Dort traf Telepolis-Autor Thomas Willmann Andy Bichlbaum und Mike Bonanno zum Gespräch.

Thomas: Woher weiß ich, dass Ihr die echten Yes Men seid und nicht jemand von der WTO, die sich als die Yes Men ausgeben?

Mike: Das kannst Du wohl nicht. Und wir genauso wenig, eigentlich. (Lacht) Das ist das Problem. Normalerweise stellen wir uns diese Frage gegenseitig.
Andy: Das ist sehr MATRIX-mäßig...

Thomas: Ich denke, Ihr habt Glück, dass die Leute von der WTO nicht so kreativ sind. Ich meine, wäre das nicht eine gute Methode für die, um es Euch heimzuzahlen?

Mike: Das wäre es. Aber tatsächlich finden wir, dass die unglaublich kreativ sind. Diese Vorstellung, die sie haben über die Weise, wie die Weltwirtschaft funktioniert, ist eine sehr kreative Sache. Sie ist sehr spekulativ und offen, und egal, was für miese Ergebnisse sie damit zu bekommen scheinen, schaffen sie es, sich kreative Lösungen einfallen zu lassen, um ihre Politik und Theorien trotzdem wasserdicht zu halten... So nach dem Motto: "Wir haben die Einschränkungs-Maßnahmen nicht streng genug angewandt. Sie müssen noch einschränkender werden. Man muss mehr goldene Zwangsjacken anlegen, und letztendlich werden wir alle die Früchte ernten und alle werden florieren." Wir finden also, dass die super-kreativ sind - unglücklicherweise zu kreativ...

Andy: Kreativ mit dem falschen Material...

Mike: Ja. Traurig.

Thomas: Wie groß seid ihr als Bedrohung für die WTO in deren Wahrnehmung?

The Yes Men: Sie haben sich ein bisschen Sorgen gemacht. Wir sind selbstverständlich in Wirklichkeit überhaupt keinerlei Bedrohung. Das sind andere Leute.

Mike: Die Popularisierung des Gedankens, dass sie eine Illusion kreiert haben, IST eine Bedrohung für sie. Das betrifft nicht uns speziell, sondern das betrifft all diese verschiedenen Gruppen, die plötzlich anfangen, die Fakten zu betrachten - oder die schon seit Jahren die Fakten betrachten... Wenn mehr und mehr Menschen anfangen, sich mit den Fakten vertraut zu machen, welche Auswirkungen diese Politik für die Menschen hat - dann ist es eine Bedrohung.

Andy: Tatsächlich gibt es einige Dokumente, die dem World Development Movement zugespielt wurden, die über das World Development Movement und über spezielle Kampagnen, die es hat, reden - und wie man diesen Kampagnen entgegenwirken kann. Denn sie betrachten diese definitiv als eine sehr reale Bedrohung.

Mike: Die Wahrheit ist eine Bedrohung.

Andy: Die Wahrheit. Jeder, der systematisch die Fakten der letzten 40 Jahre untersucht und sie offen legt; zeigt, wo ihre Theorien falsch waren.

Thomas: Wieviel Theorie habt IHR denn bei dem, was ihr tut?

The Yes Men: Wir haben andrer Leute Theorien.

Mike: Nein, wir haben in Wirklichkeit gar keine.

Andy: Da wäre die Theorie, dass die Wahrheit wichtig ist...

Mike: Wir mussten uns keine Theorien anschauen, denn wir haben diese Fakten, mit denen gerüstet wir losziehen können. Und nachdem wir in keiner Machtposition sind... Die Leute an der Macht sind diejenigen, die unter diesem theoretischen Schleier arbeiten. Wir können einfach sagen: Schaut euch an, was los ist. Und: Schaut euch an, was ihr tut. Sie benutzen ihre Theorien, um sich zu verteidigen, aber wir können einfach nur, auf eine taktische Art und Weise, sagen: Wir müssen dieses Ding zu Fall bringen.

Andy: "Tatsachen sind entscheidend" ist eine Theorie. Das ist eine Theorie,

Mike: (lacht)

Andy: Ich meine, man kann immer sagen, dass man den Patienten nicht genug geschröpft hat. Dass, hätte man ihn nur ein bisschen mehr geschröpft, er sich erholt hätte. Argentinien wäre in Ordnung gekommen, wenn sie wirklich 100% statt 99% den IMF-Vorschriften gefolgt wären, aber das haben sie nicht. Also, das ist eine Theorie. Aber es ist freilich auch eine Theorie zu sagen, dass, nein, dies nicht wahr ist, dass die Tatsache ist, dass sie diesen Vorschriften gefolgt sind und gerade deshalb... Auch das ist eine Theorie.

Mike: Die wahrscheinlicher scheint. Für einen Nicht-Spezialisten. (Lacht.)

Andy: Gewiss wird das, was im 19. Jahrhundert - oder 18. Jahrhundert - in der Medizin funktioniert hat, da heute angewendet. Man hat Blutegel sogar in der Sowjetunion tatsächlich angewendet. Man konnte in eine Apotheke gehen, und die hatten einen Bottich Blutegel da. Also...

Thomas: Blutegel verwendet man noch heute. Die haben etwas im Speichel, das Gerinnung verhindert und das tatsächlich heilbringende Wirkung hat.

Mike: Ja, die sind wieder in Gebrauch. Speziell für blaue Flecken, um Blutgerinsel loszuwerden...

Andy: Wow, also vielleicht... Denkt ihr, die IMF-Politik könnte irgendwelche heilbringende Wirkung haben, die nur bisher mysteriöser Weise unentdeckt geblieben ist...?

Mike: Könnte sein, könnte sein. Nun, die Sache ist: Es ist nicht so, das ALLE die Theorien, die sie haben, falsch sind; und in manchen Fällen könnte die Theorie, angewendet in genau den richtigen Umständen, genau das sein, was den Leuten hilft. Und so ist es auch mit den Blutegeln. Wenn da eine bestimmte Art Blutgerinsel ist, dann, ja, bringen sie ein wünschenswertes Resultat.

Andy: Nun, die USA und England sind ein perfektes Beispiel dafür. Für die Theorie, die genau im richtigen Zeitpunkt angewendet wurde. NACHDEM die amerikanische und britische Wirtschaft sich zu dem Punkt entwickelt hatten, wo sie sich gegen globale Konkurrenz verteidigen konnten - dann war die Theorie der freien Märkte toll, denn, nicht wahr, wir kontrollierten die Märkte, also konnten wir die Theorie anwenden und sie half uns, uns sogar noch mehr zu entwickeln.

Mike: Aber sie universell anzuwenden, und die Effekte zu ignorieren dessen, was auf der untersten Ebene passiert, was Individuuen und bestimmten Regionen passiert, ist das Problem. Das ist, als wenn man sagt: Okay, Blutegel funktionieren, um Blutgerinsel loszuwerden, also lasst sie uns überall am ganzen Körper dieser Person anwenden...

Andy: ...am Körper JEDER Person, unter jeglichen Umständen...

Mike: ...und dann wird diese Person ausgesaugt.

Thomas: Jetzt gibt es diesen schönen Dokumentarfilm über Euch. Ist da nicht das Problem: Je mehr Publicity ihr bekommt, umso leichter werdet Ihr zu erkennen und enttarnen sein?

Mike: Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Eines der Ziele, für das wir unsere Aktionen überhaupt machen, ist es, so viel Publicity wie möglich zu bekommen für die gute Sache. Wenn wir je wirklich allzu wieder erkennbar würden, können wir immer noch andere Leute losschicken, die Aktionen zu machen. Das müssen wir nicht selbst sein.

Thomas: Was der Popularität des Films in Deutschland auf die Sprünge helfen könnte, falls er hierzulande einen Verleih finden sollte, ist, dass Ihr dieses kurze Interview mit Michael Moore drinhabt, der hier sehr beliebt ist.

Mike: Michael Moore ist in dem Film, weil Chris, der Regisseur, ihn angesprochen hat und für ihn vorher schon bei Filmen die Kamera gemacht hat - er hat THE BIG ONE fotografiert. Es waren also weniger wir, es war mehr er, der Moore dazu bringen konnte, ein Interview zu machen, aber wir freuen uns sehr darüber, dass er es getan hat, denn wir haben schon immer seine Bücher und Filme und Fernsehsendungen geliebt.

Thomas: Seht Ihr das, was ihr tut, in einer ähnlichen Tradition wie Michael Moore?

Mike: Ja, es ist definitiv eine verwandte Tradition.

Andy: Wir SEHEN nicht, was wir tun, Punkt. Die meiste Zeit. (Lacht) Wir verbringen einen Großteil der Zeit unbewusst, und pflügen einfach vorwärts...

Mike: Interessant!

Andy: Nein? Ich finde nicht, dass wir viel Zeit damit verbringen, zurückzuschauen und zu sagen: "Sind wir diesem ähnlich, oder jenem...?"

Thomas: Als ich vorhin nach der Theorie fragte, die hinter dem steckt, was ihr tut, dachte ich mehr in die Richtung des politischen Aktivismus der späten '60er und der '70er, der jede Menge theoretischen Background hatte. Wo die Leute all diese marxistischen Denker lasen und dies sehr stark angewendet haben auf das, was sie taten. Habt ihr nicht etwas in dieser Art?

Andy: Ich bin mir sicher, dass wir davon beeinflusst sind. Ich habe über Jahre eine Menge gelesen der Situationisten, Absurdisten und Surrealisten und solch Zeugs. Aber ich denke nicht bewusst: "Oh, das ist..." Ich weiß nicht. Ich bin mir sicher, dass das irgendwie reinspielt...

Mike: Da sind jede Menge Sachen, die ich mir angeschaut und die ich studiert habe. Und ich denke, wir sind beide vertraut mit Satirikern wie Jonathan Swift. Und auch Früheres: Ich finde Sachen bei Aristophanes wirklich packend. Wie in "Die Wolken", wo die Frauen die Akropolis übernehmen und gegen ihre Männer verteidigen.

Andy: Und indianische Mythologie. Ich erinnere mich an einen Apache-Medizinmann als Kind, der im Haus seines blinden Onkels das Mobiliar umgestellt hat, nur um zu sehen, was passiert. Und er fand heraus, dass blinde Menschen sehen können! (Gelächter) Es sind Dinge wie diese. Allerlei kleine Erlebnisse...

Thomas: Ihr seid also nicht dogmatisch in irgendeiner Hinsicht, wie es der politische Aktivismus der '60er war?

Andy: Nun: Tatsachen sind wichtig!

(Gelächter)

Mike: Was das angeht, sind wir absolut dogmatisch.

Thomas: Aber Homer Simpson sagt: "Tatsachen sind bedeutungslos. Man kann alles, was im entferntesten wahr ist, mit Tatsachen beweisen."

The Yes Men: (Gelächter)

Mike: Auf eine seltsame Weise sind derzeit Tatsachen in der amerikanischen Politik tatsächlich unwichtig. Es ist nur wichtig, wie laut man etwas sagt. Obwohl es dokumentiert ist, dass er zu seinem Dienst bei der National Guard in den '60ern während des Vietnamkriegs nie erschienen ist, hat Bush unlängst eine im Fernsehen übertragene Ansprache gehalten, in der er sagte: "Ich war dort!" Und dann sagte sein Sprecher: Nun, er sagt er war dort - also war er dort. Und mehr brauchen die Leute nicht zu hören - und CNN hat offensichtlich genau so drüber berichtet, nicht wahr?

Andy: Ja, die haben nur das ausgestrahlt und keine kritische Stimme dazu, niemanden der sagte: "Also war er nun dort oder nicht? Wir wissen es nicht." Es kam nur sein Sprecher zu Wort.

Mike: Es gab schon vor langer Zeit jede Menge Zeitungsartikel, die so ziemlich bewiesen haben, dass er NICHT dort war, indem sie all die Leute interviewt haben, die seine Vorgesetzten waren. Aber wenn er es nur laut sagt... Die Leute bekommen nicht sehr viel kritische Meinungen mit.

Andy: Oder dieser Gedanke, es wäre die Schuld der Geheimdienste gewesen, dass man im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden hat. Dass irgendwie die Geheimdienstinformation falsch war. Als wäre was mit der CIA nicht in Ordnung. Als ob! Ich meine, es ist dermaßen schwarz auf weiß erwiesen, dass das Weiße Haus das Office of Special Plans im Pentagon gegründet hat, um auf ihre eigene Weise die Geheimdienstinformationen zu durchforsten, weil die CIA das nicht befriedigend gemacht hatte. Man nicht zu den gewünschten Schlussfolgerungen kam. Aber sie können einfach behaupten: "Nun, die CIA haben ihren Job nicht erledigt," und das Office of Strategic Plans kann behaupten, es hätte in Wahrheit keine direkten Informationen untersucht. Sie wiederholen das einfach nur laut genug...

Thomas: Was ich beim Ansehen des Films über Euch am faszinierendsten fand war dieser Aspekt: Wie werden Wirklichkeiten hergestellt? Ein Aspekt, den ich auf einem noch größeren, allgemeineren Level sehe als spezifischen politischen Aktivismus.

Mike: Wir befinden uns auf einem Feld, wo dauernd all diese Fiktionen gesponnen werden. Und so werden schließlich wir ein bisschen kreativ in Hinblick darauf, wie WIR Fiktionen erzeugen, um an eine Wahrheit heranzukommen. Wie bei unserem Konzept der "identity correction", der "Identitäts-Korrektur": Jemandes Identität annehmen - was beinhaltet, dass man Informationen fälscht - und sich als jemand ausgeben, mit dem Endziel, etwas über diese Leute offen zu legen. Es geht also darum, an eine Wahrheit heranzukommen, aber unter der Benutzung der selben Waffen der Fiktion, die die Leute AN der Macht die ganze Zeit auch benutzen.

Andy: Beispielsweise die Form der Pressemitteilung zu nutzen, die auf ihre Weise eine Art der Fiktion ist. Und so viel unserer Nachrichten BESTEHT direkt aus Pressemitteilungen von Unternehmen, oder Video-Nachrichten-Releases; alle verwenden so was.

Thomas: Wie viele Leute haben eigentlich wirklich Eure Pressemitteilung geglaubt von der Selbstauflösung der WTO?
Andy: Das war tatsächlich unsere einzige gefälschte Pressemitteilung, die wir je geschrieben haben. Alle haben sie geglaubt. Na gut, nicht alle. Aber eine Menge Leute haben sie geglaubt. Weil die Sache einfach so zutiefst vernünftig war.

(Gelächter)

Mike: Die Sache bei der Geschichte war, dass die Leute sie glauben wollten. Es gab eine Menge Leute, die erkannt haben, dass es eine Fälschung war, als sie sie sahen. Aber sie haben an uns zurück geschrieben und Sachen gesagt wie: "Nun, ich kann nicht wirklich glauben, dass das wahr ist, aber ich wünschte es wäre wahr."

Thomas: Im Film spekuliert Ihr, dass die Leute deswegen nicht aufbegehrt haben gegen Eure Vorträge, weil sie von der WTO nichts anderes erwartet hatten, oder mit den parodierten Positionen übereinstimmten. Aber ich hatte stellenweise auch das Gefühl, dass das nur etwas über Gruppenverhalten sagt, und darüber, wie so etwas wie Höflichkeit in unserer Gesellschaft funktioniert...

Mike: Man kann gut das Milgram-Experiment als eine Art klinische Variante dieses Phänomens betrachten. Dass Leute einer Autorität gefolgsam sind. Und dann gibt es natürlich alle möglichen Versuche zu Gruppenverhalten, die zeigen, dass Menschen in Gruppen sogar noch bereitwilliger... Nicht nur Versuche, sondern auch gewisse Ereignisse der Geschichte haben das ziemlich deutlich demonstriert. Besonders hier (in Deutschland)...

Andy: Das ist schwer auseinanderzuklamüsern, aber was immer auch die Mechanismen sein mögen, die Resultate sind die selben - es passiert dort, und wir sagen diese Dinge, und sie machen das mit. Kann sein, dass sie es tun, weil sie höflich sind, aber vielleicht ist das auch der Grund, warum sie WTO-Politik mitmachen - weil sie höflich sind. In Australien, als wir ihnen das Gegenteil erzählt haben und all das, was wir wirklich glauben, da sprachen sie alle sehr aufrichtig davon, dass sie genauso fühlten und sich auch über diese Dinge Sorgen machten. Also SIND sie höflich, wenn sie WTO-Politik mitmachen, wenn sie sich damit arrangieren, sie einfach hinnehmen, damit leben.

Mike: Das Beängstigende ist: Man kann das derzeit auf einem globalen Level beobachten. Man kann uns alle irgendwie da mitmachen sehen bei dieser Sache - zumindest viele von uns. Dort, wo diese Entscheidungen getroffen werden, halbwegs mitmachen und es für irgendwie vage akzeptabel halten, wenn es in Wahrheit überhaupt NICHT akzeptabel ist.

Andy: Auf allen möglichen Ebenen, jeden Tag: Wenn man einfach nur in Städten rumgeht, all diese Sachen akzeptierend die eindeutig grauenerregend sind, wie Obdachlosigkeit oder Ladenketten. All diese Dinge...

Mike: ...die eine Dosis von Gewalt beinhalten, selbst wenn man das nicht direkt sieht.

Andy: Oder auch, wenn man's direkt sieht. Bei Obdachlosigkeit sieht man's direkt. Aber die Höflichkeit besteht vielleicht darin, keine Gewalt auszuüben gegen den zur Markenkette gehörenden Laden...

Mike: Es hat diese großartige Sache gegeben, als wir nach Australien gingen und dort, mit der Autorität der WTO, alle ermächtigen konnten, eine Veränderung willkommen zu heißen und mit diesen Dingen auf eine Weise umzugehen, die sicherlich positiver war, oder die unter dem Strich die Interessen der Menschen im Auge hatte - da waren alle wirklich enthusiastisch. Ich fand das ermutigend.

Thomas: Eine Frage zu dieser Konferenz in Finnland, wo ihr letztlich die Sklaverei verteidigt und Euren bizarren "Freizeitanzug für Manager" vorgestellt habt. Aus dem Film kann man ersehen, dass Ihr offenbar auch nach Eurer Präsentation auf der Konferenz geblieben ward und mit den Leuten dort gesprochen habt, aber man bekommt nicht zu sehen, wie genau das lief. Hattet Ihr damals da Gefühl, dass die Leute wirklich glaubten, dass Ihr von der WTO seid?

Andy: Meine Einschätzung ist, dass sie erkannt haben, dass da was Komisches dran war am Aufblasen eines riesigen Phallus, und sie haben begriffen, dass wir vielleicht nicht WIRKLICH vorschlugen, dass die Leute mit diesen Dingern rumlaufen sollen. Aber wenige von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe... Da gab's zum Beispiel einen Typ, der war von der Sache etwas genervt, ein sehr ernsthafter Typ, der einfach nur meinte: "Warum macht Ihr das hier? Wir sind keine Kleinkinder." Aber dann habe ich ihn angestachelt: "Nun, okay, davon abgesehen, gab's da irgendwas Anstößiges bei dem, was ich vorgetragen habe?" - "Nein, überhaupt nicht." Er war Chemiker...

Mike: Und da war dieser Typ aus Estland, der die Sache tatsächlich total geschnallt hat, der aber trotzdem davon ausging, dass wir von der WTO wären. Er sagte: "Nein, nein, ich verstehe das sehr gut. Ich bin aus Estland - wir haben damit unter dem Kommunismus gelebt, wir leben heute damit - da gibt's jemand neuen an der Macht, und die nehmen den goldenen Phallus und hauen ihn dir, "Bonk!", über den Kopf." Er hat es einfach total kapiert, und meinte: "Okay, das repräsentiert Macht. Und Ihr sagt WIR sind unter Eurem Stiefel. Okay. So ist es, auf die Art war es, seit ich auf der Welt bin. Ich bin unter Eurem Stiefel." Und er machte Witze drüber. Er sagte: "Das hier ist wenigstens lustig."

Andy: Und dann war da dieser Typ aus Holland, der - das war zwar völlig jenseits dieses Themas - sagte: "Ach, wissen Sie, all diese Leute, die kommen, um zu protestieren, die sollten einfach nicht da sein. Ich meine, man sollte seine Treffen im Geheimen haben können, ungestört von öffentlicher Interaktion..." und er hörte damit gar nicht mehr auf. Vielleicht war er auch ein Betrüger... (Lacht)

Thomas: Gab es einen Punkt, an dem die ganze Sache einen Aspekt annahm von: Ihr wolltet einfach sehen, wie weit Ihr gehen könnt?

Andy: Die ganze Zeit, ja. Jedesmal war's so: "Wann werden sie es merken?" Ja, ich denke das unmittelbare emotionale Erlebnis war eher von der Art: "Wie weit können wir gehen, was kriegen wir durch?" Aber es war auch: "Was lassen sich diese Leute alles gefallen?"

Mike: Und was braucht es, um wirklich Satire herzustellen? Für ein Publikum, das nicht weiß, dass es sich um Satire handelt. Ist das möglich? Und es stellte sich heraus, dass es NICHT möglich war.

Andy: Intellektuell haben wir das nachträglich rausgefunden, ja.

Mike: Zumindest für uns war es nicht möglich. Ich meine, wir hätten uns wahrscheinlich schon was einfallen lassen können, das ganz unzweideutige Parodie gewesen wäre. Aber etwas zu schaffen, das nur ein bisschen clever und satirisch war und von den Leuten erkannt wird, das stellte sich als sehr unmöglich heraus - ich meine, für dieses Publikum.

Thomas: Das passierte einfach gar nie?

Mike: Nun, es passierte, als wir vor den Studenten sprachen, die nicht in Wirtschaft ausgebildet waren. (Lacht)

Thomas: Aber das war auch eine soziale Umgebung, in der von ihnen erwartet wurde, kritisch zu sein und zu diskutieren.

Mike: Ja, ja. Und manche von ihnen waren gekommen, UM zu protestieren. Manche von den Leuten im Publikum kamen, weil sie gehört hatten, dass die WTO kommen würde und sie etwas dagegen sagen wollten. Jemand kam mit einem großen selbst gemachten Schild das sagte: "K.O. the WTO", "Schlagt die WTO K.O."...

Thomas: Aber niemand von den Studenten begriff, dass Ihr nicht wirklich von der WTO ward? Nichtmal, als Ihr diese Computeranimation gezeigt habt, wie Scheiße der "1. Welt" zu Hamburger-Buletten für die "3. Welt" gepresst wird?

Andy: Vielleicht die Hälfte von Ihnen merkte, dass dies unmöglich die echte WTO sein konnte.

Thomas: Habt Ihr sie nachher aufgeklärt?

Andy: Ja, diejenigen, die nachgefragt haben. Und ihre Professoren haben es ihnen später gesagt. Es war also ein zeitlich begrenzter Trick.

Thomas: Ganz andere Frage: Die WTO zahlt Euch wahrscheinlich nicht so gut wie ihre echten Repräsentanten. Wie verdient Ihr eigentlich Euren Lebensunterhalt?

Mike: Ich arbeite an einer Universität, unterrichte dort. Damit komme ich über die Runden.

Andy: Und ich habe das früher gemacht, ich habe auch an Unis unterrichtet. Und jetzt lebe ich von Stipendien, die zu bekommen wir das Glück hatten. Ein paar beschränkte Stipendien...

Thomas: Ist es wirklich wahr, was Ihr im Film erzählt, dass Herb Alpert, der mit "Herb Alpert and his Tijuana Brass" berühmt gewordene Trompeter, Euch ein Stipendium gegeben hat?

Andy: Ja, das ist seine Stiftung. Er hat eine Stiftung gegründet, mit seinem Geld, und ein unabhängiges Gremium eingesetzt mit Leuten, die in verschiedenen Kategorien, verschiedenen Kunstsparten entscheiden, wofür sie Geld geben wollen. Das kommt nur im Film etwas seltsam rüber.

Mike: Es war ein Kunst-Stipendium. Wir haben auch noch ein paar andere bekommen, von der Creative Capital Foundation, und ein paar anderen privaten Stiftungen, wie dem Lyn Blumenthal Fund for Independent Film and Video.

Thomas: Sind Eure nächsten Projekte wieder etwas, wo Ihr in der realen Welt Performances macht, oder etwas im Internet?

Andy: Rausgehen und performen.

Thomas: Der ganze Internet-Aspekt ist also nicht mehr so wichtig für Euch?

Andy: Er ist wichtig, um die Einladungen zu bekommen. Das ist alles.

Mike: Und es gibt ein gruseliges Gesetz, dass sie in den USA gerade durch den Kongress kriegen wollen, um Leute wegzusperren mit einer automatischen Strafe von sieben Jahren für das Fälschen von "Wer bist Du"-Information bei der Registrierung einer Website. (Der Fraudulent Online Identity Sanctions Act Wenn Du also unter einem Tarnnamen registrierst, sollst Du automatisch zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt werden können.

Thomas: Wie stehen die Chancen, dass dieses Gesetzt tatsächlich durchkommt?

Mike: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Eine Reihe von Bürgerrechtsgruppen bekämpfen es, weil sie sagen, dass dies der letzte Ort ist, wo man öffentlich anonyme Rede haben kann, auf einem Größenmaßstab, der auch erlaubt, dass man wirklich Leute erreicht. Und so bauen sie ihre Argumente auf der Frage auf nach dem Wert anonymer Rede und was diese in unserer Kultur bedeutet, und ob es wichtig ist, sie zu haben...

Andy: Es ist allerdings nicht undenkbar, dass es durchkommt, weil man schon jetzt in den USA kein Postfach mehr anonym registrieren kann.

Mike: Ja, die Chancen stehen gar nicht so schlecht, leider... Es ist denkbar. Sie machen derzeit verrückte Dinge; also wirklich, wirklich verrückte, dumme Dinge, so dass dies nur ein weiterer Punkt auf der Liste wäre. Im Kongress scheinen die Leute bereit, alles abzusegnen.

Thomas: Und das Problem: Selbst wenn eines Tages die Hysterie wieder weg sein wird, werden trotzdem diese Gesetze lange bleiben...

Mike: Ja, das ist ein GROSSES Problem.

Andy: Einige von ihnen sind zeitlich begrenzt. Der USA Patriot Act is zum Beispiel zeitlich begrenzt, weil niemand diese Sachen als dauerndes Gesetz akzeptieren würde; aber die Gefahr ist, dass sie verlängert werden. Und ich glaube es gab bereits eins, das tatsächlich verlängert wurde, das eigentlich schnell hätte auslaufen sollen. Gab es das nicht?

Mike: Ich weiß nicht... Ich weiß, dass sie da sind. Die stehen jetzt in den Gesetzbüchern. Und man kann immer noch abgeholt und ins Gefängnis gesteckt werden, ohne jeden Prozess und ohne jedes Wissen davon, wessen man angeklagt ist. Und das wurde bestätigt vom Obersten Gerichtshof! Der USA. Vor ein paar Monaten. Die haben gesagt: Das geht in Ordnung. Klar, ihr könnt jeden einsperren, der "unter dem Verdacht steht, Terrorist zu sein".

Andy: Wir haben dafür im Englischen kein geeignetes Wort. Aber wir suchen nach Wörtern dafür. Denn man kann nicht das Wort "Konzentrationslager" dafür verwenden, oder "Gulag", obwohl es der Sache am nächsten kommt. Wir brauchen also ein neues Wort für das, was Guantanamo Bay ist.

Thomas: Wie wär's mit "Freedom Camp"?

Andy: Ein "Freedom Camp"!

Mike: Die gibt's auch in New York, "Freedom Camps". Es gibt mehr als nur Guantanamo Bay - es gibt mehrere "Freedom Camps".

Andy: Oh ja, die gibt's überall auf der Welt. Es gibt da sogar eins in Afghanistan.

Mike: Jede Menge "Freedom Camps". Oder lasst sie uns einfach "French Camps" nennen.

(Gelächter)

Thomas: Und was ist konkret Euer nächstes Angriffsziel?

Andy: Kann ich Dir nicht verraten...

Thomas: Könnt Ihr eine grobe Richtung andeuten?

Andy: Böse...

(Gelächter)

Mike: Bösewichte. Wir kämpfen gegen Bösewichte.

Andy: Sogar noch schlimmer als die WTO...

(Gelächter)

Thomas: Werdet Ihr Euch irgendwie in die amerikanischen Präsidentschaftswahlen einmischen?

Andy: IRGENDwie! (Lacht) Ich glaube, das können wir guten Gewissens sagen.

Thomas: Ich bin gespannt und danke Euch für dieses Gespräch.
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