Gestern, 20:01
NENA
Mit Angst sind Menschen steuerbar und richtig gut zu kontrollieren
Gerade erst hat Nena umjubelte Auftritte in der Berliner Max-Schmeling-Halle und im Pariser Le Trianon gespielt. Mit dabei als Zugabe hatte sie ihren Song „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, in dem Nena voll positiver Energie singt: „Liebe wird aus Mut gemacht.“ Wie denkt Nena über Mut? Ein Gespräch über Angst, Zweifel, Corona-Kritik, West-Berlin in den 1980ern und Nenas große Friedenshymne, die sie nun mit neuem Text singt.
Nena, was bedeutet für Sie Mut?
Mut ist für mich nicht die Abwesenheit von Angst. Mut ist die Überwindung von Angst. Mut öffnet die Tür, über eigene Grenzen zu gehen und neues, ungewohntes Land zu betreten. Ein mutiger Moment ist für mich die Überwindung, etwas zu tun, was ich schon immer tun wollte, mich aber vorher nie getraut habe. Und dann springst du eben ins eiskalte Wasser mitten im Winter ... (lacht) Das kann sehr befreiend sein. Mut ist der „Genau jetzt“-Moment, der uns immer wieder angeboten wird, und jedes Mal kann man ja oder nein sagen.
Und der Übermut?
Der Übermut ist schneller, wilder und unausweichlich. Im übermütigen Zustand gibt es nur ein klares, starkes Ja, und dann machst du genau das, was in diesem Moment dran ist. Bei mir war es zum Beispiel irgendwann mal ein Eins-a-Salto vorwärts mit Anlauf ins Wasser. Ausgelöst durch ein starkes Glücksgefühl. Ich hatte noch nie einen Salto vorwärts gemacht und konnte es gar nicht fassen, dass das in diesem Moment einfach so ging.
Wie viel Angst darf man haben?
Über welche Art von Angst wollen wir sprechen? Die Angst vor Veränderung? Höhenangst? Angst zu Versagen? Oder die Angst vor der Angst ... ? Unser Angstkatalog ist unendlich lang. Aber ist im Grunde nicht jede Art von Angst die Angst vor dem Tod? Vor dem, über das wir lieber nicht nachdenken oder sprechen möchten ... Angst ist für uns alle ein Riesenthema. Mit Angst sind Menschen steuerbar und richtig gut zu kontrollieren ...
Haben Sie einen Mut-Trick gegen Lampenfieber?
Das sogenannte Lampenfieber ist für mich eine gute Sache. Da laufen die Motoren warm bis heiß, und mein Energielevel steigt. Mich gegen dieses Gefühl zu wehren, würde Energieverlust bedeuten. Gefühle sind zum Fühlen da. Das Gefühl, den Zustand, den Trigger annehmen und willkommen heißen. Von dort aus ist aus meiner Erfahrung vieles lösbar.
„Liebe wird aus Mut gemacht“ singen Sie in „Irgendwie irgendwo irgendwann“. Und weiter heißt es „Denk nicht lange nach. Wir fahr’n auf Feuerrädern Richtung Zukunft durch die Nacht.“ Kann zu viel Grübeln den Mut und die Liebe zerstören?
Liebe kann man nicht zerstören. Sie ist unkaputtbar, die stärkste Kraft, die wir haben. Aber man kann Liebe verweigern. Ständiges Grübeln, nicht zu verwechseln mit Denken, verschließt das Herz, und so kann man Liebe weder empfangen noch senden. Das kann eine Beziehung zerstören ..., aber niemals die Liebe.
Woher schöpfen Sie Mut, wenn Sie doch mal Zweifel hegen?
Der Zweifel ist nicht mein Feind, daher würde ich auch nie direkt auf ihn losgehen und versuchen, ihn zu verjagen. „Hau ab Zweifel“ funktioniert bei mir nicht ... (lacht) Ich lasse ihn sprechen und höre zu, was er zu sagen hat. Zweifel kann nerven, weil er nicht müde wird, uns immer wieder unsere Grundfragen aufs Tablett zu bringen, wie: „Bin ich gut genug“? „Bin ich liebenswert“? An dieser Stelle mutig reinzugehen, würde bedeuten, ehrlich mit sich zu sein und sich eventuell einzugestehen, dass es immer wiederkehrende Themen gibt, die man sich mal anschauen könnte. In unserer Kindheit haben sicherlich viele von uns oft diese Sprüche von Möchtegernerwachsenen zu hören bekommen: „Du darfst dich nicht selber loben“, „Das macht man nicht“, „Tu, was man dir sagt“, „Du bist zu laut, zu leise, zu irgendwas ...“. Diese Liste kann man endlos fortsetzen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie die „99 Luftballons“ dieser Tage auf Tournee spielen – angesichts von Kriegen in der Ukraine, in Israel und an vielen Orten mehr?
„99 Luftballons“ ist eine Friedensbotschaft, die von den Menschen bis heute auch so verstanden wird. Ich liebe die Kraft, die dieses Lied hat. Seitdem es erschienen ist, vor 40 Jahren, verging kein Jahr, in dem nicht irgendwo auf der Welt Krieg war. Wie konnte das passieren? Krieg ist ein Mittel der Mächtigen auf Kosten der Menschen. Und wir Menschen wollen Frieden. Davon bin ich überzeugt. „Ich seh die Welt in Trümmern liegen“, so habe ich es früher gesungen; heute ist das für mich nicht mehr stimmig, und in meinen Konzerten singe ich: „Ich seh die Welt NOCH NICHT in Trümmern liegen.“ Denn ich vertraue darauf, dass wir wieder zueinander finden werden.
Sie haben früh und prominent Kritik geübt an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und am Druck, der aufgebaut wurde, sich impfen zu lassen. Wie haben Sie da den Mut aufgebracht, sich gegen den Mainstream zu stellen?
Ich stehe zu dem, was ich sage, denke, fühle und tue. Das tut mir gut. Manchmal ergeben sich daraus Konsequenzen, die herausfordernd sein können. Das ist es mir wert. Hier ist viel Unrecht geschehen, das mir bis heute durch Mark und Bein geht. Wenn ich daran denke, dass Menschen einsam sterben mussten, weil ihren Angehörigen mit aller Macht der Zugang verweigert wurde, muss ich jedes Mal weinen. Ich werde das alles nie vergessen.
„Wir gehören zusammen“ heißt Ihre aktuelle Tour. Wieso hat Musik diese Kraft, uns zusammenzubringen?
Musik kann Brücken bauen. „Wir gehören zusammen“ ist eine einfache Botschaft. Es geht darum, dass wir Menschen uns bewusst machen, dass wir alle ein Teil vom Ganzen sind und wir dieses Ganze in voller Eigenverantwortung gestalten müssen. Das nimmt uns niemand ab.
https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/nena-im-exklusiven-interview-mit-angst-sind-menschen-steuerbar-und-richtig-gut-zu-kontrollieren-li.2269106
Mit Angst sind Menschen steuerbar und richtig gut zu kontrollieren
Gerade erst hat Nena umjubelte Auftritte in der Berliner Max-Schmeling-Halle und im Pariser Le Trianon gespielt. Mit dabei als Zugabe hatte sie ihren Song „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“, in dem Nena voll positiver Energie singt: „Liebe wird aus Mut gemacht.“ Wie denkt Nena über Mut? Ein Gespräch über Angst, Zweifel, Corona-Kritik, West-Berlin in den 1980ern und Nenas große Friedenshymne, die sie nun mit neuem Text singt.
Nena, was bedeutet für Sie Mut?
Mut ist für mich nicht die Abwesenheit von Angst. Mut ist die Überwindung von Angst. Mut öffnet die Tür, über eigene Grenzen zu gehen und neues, ungewohntes Land zu betreten. Ein mutiger Moment ist für mich die Überwindung, etwas zu tun, was ich schon immer tun wollte, mich aber vorher nie getraut habe. Und dann springst du eben ins eiskalte Wasser mitten im Winter ... (lacht) Das kann sehr befreiend sein. Mut ist der „Genau jetzt“-Moment, der uns immer wieder angeboten wird, und jedes Mal kann man ja oder nein sagen.
Und der Übermut?
Der Übermut ist schneller, wilder und unausweichlich. Im übermütigen Zustand gibt es nur ein klares, starkes Ja, und dann machst du genau das, was in diesem Moment dran ist. Bei mir war es zum Beispiel irgendwann mal ein Eins-a-Salto vorwärts mit Anlauf ins Wasser. Ausgelöst durch ein starkes Glücksgefühl. Ich hatte noch nie einen Salto vorwärts gemacht und konnte es gar nicht fassen, dass das in diesem Moment einfach so ging.
Wie viel Angst darf man haben?
Über welche Art von Angst wollen wir sprechen? Die Angst vor Veränderung? Höhenangst? Angst zu Versagen? Oder die Angst vor der Angst ... ? Unser Angstkatalog ist unendlich lang. Aber ist im Grunde nicht jede Art von Angst die Angst vor dem Tod? Vor dem, über das wir lieber nicht nachdenken oder sprechen möchten ... Angst ist für uns alle ein Riesenthema. Mit Angst sind Menschen steuerbar und richtig gut zu kontrollieren ...
Haben Sie einen Mut-Trick gegen Lampenfieber?
Das sogenannte Lampenfieber ist für mich eine gute Sache. Da laufen die Motoren warm bis heiß, und mein Energielevel steigt. Mich gegen dieses Gefühl zu wehren, würde Energieverlust bedeuten. Gefühle sind zum Fühlen da. Das Gefühl, den Zustand, den Trigger annehmen und willkommen heißen. Von dort aus ist aus meiner Erfahrung vieles lösbar.
„Liebe wird aus Mut gemacht“ singen Sie in „Irgendwie irgendwo irgendwann“. Und weiter heißt es „Denk nicht lange nach. Wir fahr’n auf Feuerrädern Richtung Zukunft durch die Nacht.“ Kann zu viel Grübeln den Mut und die Liebe zerstören?
Liebe kann man nicht zerstören. Sie ist unkaputtbar, die stärkste Kraft, die wir haben. Aber man kann Liebe verweigern. Ständiges Grübeln, nicht zu verwechseln mit Denken, verschließt das Herz, und so kann man Liebe weder empfangen noch senden. Das kann eine Beziehung zerstören ..., aber niemals die Liebe.
Woher schöpfen Sie Mut, wenn Sie doch mal Zweifel hegen?
Der Zweifel ist nicht mein Feind, daher würde ich auch nie direkt auf ihn losgehen und versuchen, ihn zu verjagen. „Hau ab Zweifel“ funktioniert bei mir nicht ... (lacht) Ich lasse ihn sprechen und höre zu, was er zu sagen hat. Zweifel kann nerven, weil er nicht müde wird, uns immer wieder unsere Grundfragen aufs Tablett zu bringen, wie: „Bin ich gut genug“? „Bin ich liebenswert“? An dieser Stelle mutig reinzugehen, würde bedeuten, ehrlich mit sich zu sein und sich eventuell einzugestehen, dass es immer wiederkehrende Themen gibt, die man sich mal anschauen könnte. In unserer Kindheit haben sicherlich viele von uns oft diese Sprüche von Möchtegernerwachsenen zu hören bekommen: „Du darfst dich nicht selber loben“, „Das macht man nicht“, „Tu, was man dir sagt“, „Du bist zu laut, zu leise, zu irgendwas ...“. Diese Liste kann man endlos fortsetzen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie die „99 Luftballons“ dieser Tage auf Tournee spielen – angesichts von Kriegen in der Ukraine, in Israel und an vielen Orten mehr?
„99 Luftballons“ ist eine Friedensbotschaft, die von den Menschen bis heute auch so verstanden wird. Ich liebe die Kraft, die dieses Lied hat. Seitdem es erschienen ist, vor 40 Jahren, verging kein Jahr, in dem nicht irgendwo auf der Welt Krieg war. Wie konnte das passieren? Krieg ist ein Mittel der Mächtigen auf Kosten der Menschen. Und wir Menschen wollen Frieden. Davon bin ich überzeugt. „Ich seh die Welt in Trümmern liegen“, so habe ich es früher gesungen; heute ist das für mich nicht mehr stimmig, und in meinen Konzerten singe ich: „Ich seh die Welt NOCH NICHT in Trümmern liegen.“ Denn ich vertraue darauf, dass wir wieder zueinander finden werden.
Sie haben früh und prominent Kritik geübt an den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und am Druck, der aufgebaut wurde, sich impfen zu lassen. Wie haben Sie da den Mut aufgebracht, sich gegen den Mainstream zu stellen?
Ich stehe zu dem, was ich sage, denke, fühle und tue. Das tut mir gut. Manchmal ergeben sich daraus Konsequenzen, die herausfordernd sein können. Das ist es mir wert. Hier ist viel Unrecht geschehen, das mir bis heute durch Mark und Bein geht. Wenn ich daran denke, dass Menschen einsam sterben mussten, weil ihren Angehörigen mit aller Macht der Zugang verweigert wurde, muss ich jedes Mal weinen. Ich werde das alles nie vergessen.
„Wir gehören zusammen“ heißt Ihre aktuelle Tour. Wieso hat Musik diese Kraft, uns zusammenzubringen?
Musik kann Brücken bauen. „Wir gehören zusammen“ ist eine einfache Botschaft. Es geht darum, dass wir Menschen uns bewusst machen, dass wir alle ein Teil vom Ganzen sind und wir dieses Ganze in voller Eigenverantwortung gestalten müssen. Das nimmt uns niemand ab.
https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/nena-im-exklusiven-interview-mit-angst-sind-menschen-steuerbar-und-richtig-gut-zu-kontrollieren-li.2269106
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