Arme Jungs
#1
Fehlen Männliche Vorbilder - Ich meine ja!



01.03.2006 · 07:20 Uhr
Gerade in Kindergarten und Schule fehlt es den männlichen Kindern an Vorbildern. (Bild: AP) Gerade in Kindergarten und Schule fehlt es den männlichen Kindern an Vorbildern. (Bild: AP)
Arme Jungs
Wenn die Vorbilder fehlen...
Von Wolfgang Bergmann

Kleine Jungs haben es schwer, die älteren übrigens auch. Allein die Zahl der Medikamente für überimpulsive, nervöse und depressive Jungen ist in den letzten zehn Jahren fast um das zehnfache gestiegen. Irgendetwas ist ganz und gar aus dem Ruder gelaufen, in der Erziehung der Jungen heute.

Nun hat sich in der pädagogischen Diskussion eine Begründung für die Probleme der Jungen herumgesprochen. Sie klingt auf den ersten Blick ganz plausibel. Sie lautet: Die männlichen Kindern treffen im Kindergarten und in den Grundschulen fast ausschließlich Frauen an. Ihnen fehlen deshalb die konkreten männlichen Vorbilder.

Das stimmt, ist aber nur die halbe Wahrheit. Das Problem liegt tiefer. Prinzipieller.

Horchen wir dem Wort einmal nach: Vor-bilder. Für die seelische Entwicklung eines Fünf- oder Zehnjährigen ist es wichtig, dass sie Männern bei ihrer Arbeit zuschauen können - und dann auch mal selber mit anpacken! Tischler, Bauern, Förster, aber auch bildende Künstler.

Männliche Autorität, freundlich aber bestimmt, handfeste Aufgaben, die den ganzen kleinen Körper und Geist in Anspruch nehmen - da strengen sich die Kleinen an, und zwar auch die allerschwierigsten, sie sind hochkonzentriert, und wollen überhaupt nicht wieder aufhören.

Was zeigt das? Zum einen belegt es, dass sich viele Lehrer in vielen Grundschulen eine Menge Ärger ersparen würden, wenn sie die kleinen Zappelphillips nicht mit Klassenkonferenzen oder sonderpädagogischen Überprüfungen überziehen würden, sondern diesen Jungen während des Unterrichts immer mal wieder eine Stunde Zeit gäben, sich seelisch zu erholen. Und zwar genau so, wie ich es eben gesagt habe: dass sie ihn zum Hausmeister schicken. Stühle reparieren, den Hof fegen - nicht als Strafe, überhaupt nicht, sondern als eine andere Art des Lernens.

Vorbilder, ganz im Sinn des Wortes, das fehlt den Jungen. Ein bisschen derb dürfen sie ruhig sein, ein bisschen brummig. In einem beschützenden Sinn autoritär. So entwickeln viele kleine Jungen einen Sinn für Ordnung, die ihnen sonst so schwer fällt.

In meiner Kindheit lernten wir dies alles auf den Bauernhöfen, auf denen wir damals noch spielen durften. In den Scheunen und auf dem Heuwagen, im Wald oder den Hinterhöfen der Städte. Dort haben wir uns das soziale Miteinander selber beigebracht. Die Welt hatte noch ihre versteckten Winkel, in der wir unsere Lust auf Toben und Kämpfen und Wieder-Versöhnen auslebten und zugleich zähmten und disziplinierten. Gerade die wilden Spiele, die Kampfspiele, hatten und haben eine große seelische Bedeutung.

Solche unkontrollierte Orte der Kindheit gibt nicht mehr. Soziales Lernen entwickelt sich nicht mehr "von selbst". Es muss angeleitet werden.

Das passiert in den Erziehungseinrichtungen - also im Kindergarten und in den Schulen - viel zu wenig. Da herrscht oft ein merkwürdig besänftigtes Klima. Aggressionsgehemmt, könnte man psychologisch sagen. Und zwar auch dann, wenn dort Männer mitarbeiten. Da ist oft eine weiche Verständnisinnigkeit am Werk, die Kinder manchmal als beengend empfinden. Viele Pädagogen und -Innen rücken den Jungen mit ihrer Einfühlung viel zu nah auf Leib und Seele und wirken, wenn sie zurückgewiesen werden, gekränkt und kleinmütig. Was soll ein acht- oder zehnjähriger Junge mit solchen Erwachsenen anfangen, egal ob Mann oder Frau? Worin besteht eigentlich die ganze Erziehung, fragte Fröbel, der die Kindergärten erfunden hat. Ein großer Pädagoge. Seine Antwort lautete: Liebe und Vorbilder.

Wo die fehlen, da suchen sich die Jungen andere Bilder. Aber eben nicht in der Wirklichkeit, in der Schule, im Kindergarten oder zuhause, sondern in ihren Computerspielen, im Kino und auf ihren Handys. Wir müssen ja nur hinschauen, was da für Heroen und Gestalten in den Computerspiele und vielen Spielzeugabteilungen zu finden sind - martialische Gestalten, oft ohne Gesicht, gepanzert als lebten sie in einer ganz und gar feindlichen Welt. Und sie haben keine Spur von Mitgefühl. Hier suchen die kleinen und größeren Jungen heute oft die Bilder, an denen sie sich orientieren. Und stecken damit sofort in einer Klemme. Entweder sie machen den Terminator nach, dann bekommen sie kräftige Probleme in der Schule und zuhause auch. Oder sie orientieren sich an dem fortwährend milden Erziehungsklima. Aber wohin dann mit ihrer natürlichen Kraft und Wildheit?

Kleine Jungen brauchen Autorität und freies ungebundenes und wildes Spiel, mutiges Erproben des Körpers und der Seele. Wenigstens das sollten wir ihnen gönnen. So schwer ist es doch gar nicht.


Wolfgang Bergmann ist einer der profiliertesten Kinder- und Familienpsychologen Deutschlands. Er ist selbst Vater von drei Kindern. Bergmann arbeitet als Kinder- und Familientherapeut mit den Schwerpunkten Legasthenie und Aufmerksamkeitsstörung (Hyperaktivität) in eigener Praxis. Er war von 1990 bis 1995 Chefredakteur der "Deutschen Lehrer Zeitung".



http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/474362/

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#2
Apollo, ich kann Dir nur zustimmen. Vorbilder, gibt es die noch?
Man muß sie schon suchen im jetzigen Leben.
Die meisten Gestalten, die man in Funk, Fernsehen und Illustrierten sieht,
sind käuflich, lassen sich von jedem vor den Karren spannen, ehrlos, verweichlichte Gestalten.

Ein Beispiel fällt mir ein, paßt zwar nicht in dieses Forum, trotzdem.
Er hat mit seinem breiten Wissen einen Sport wieder attraktiv gemacht,
er hat seine Mannschaft zur Nummer Eins gemacht,
es gibt keine schlechten Nachrichten über sein Familienleben,
er spendete Millionen bei einer Naturkatastrophe.
Er ragt aus der Masse durch sein Verhalten heraus.
Ich meine, da vereinen sich doch viele positive Eigenschaften, die man sich als Vorbild nehmen kann. Achso, ich meine Michael Schumacher, den Rennfahrer.
Sicher kann man über ihn streiten, aber ich finde ein gutes Beispiel.
Und der geistige Halt, den ein Vorbild geben kann, ist nicht zu unterschätzen.
Wenn es eine ausweglose Situation zu geben scheint, was hätte mein Vorbild gemacht, wie hätte mein Vorbild dieses Problem gelöst?
Die Beantwortung dieser Fragen reicht dann meist schon.
Das Vorbild also als Gerüst für die eigene persönliche Entwicklung.
An diesem Gerüst kann die Pflanze zu ungeahnten Höhen aufsteigen.

Lebe für Deine Ideale!
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#3
*zustimm*
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#4
Mein erster Gedanke war dem von Saxorior sehr ähnlich - sprich, ganz allgemein sind Vorbilder rar. Das gilt zumindest für taugliche.
Inwieweit das nun für Jungs im speziellen zutrifft, darüber denke ich noch nach.
Es stimmt schon, in Kindergärten und Grundschulen treffen Kinder zumeist auf weibliche `Vorbilder` (bzw. sind die männlichen Vorbilder, die man dort anfindet, oftmals nicht gerade `der Mann` in Person). Nur war das früher auch nicht viel anders. Bis zu einem gewissen Alter waren Kinder bzw. deren Erziehung doch eher Angelegenheit der Frau oder der Frauen in der Familie.
Wie weiter oben geschrieben steht - erst ab ca. 5 Jahren wird es m.M. richtig wichtig, Vorbilder des eigenen Geschlechtes zu haben. Anmerken will ich übrigens, daß auch viele der weiblichen Vorbilder nun nicht gerade bilderbuchmäßige sind.

Ich denke, das eigentliche Problem ist in zweierlei Bereichen zu suchen.
Zum einen - und das ist wirklich unschön an vielen pädagogischen Einrichtungen - ist man sehr dazu übergegangen, Kinder zu beschäftigen. Für den Erzieher ist das eine recht bequeme Angelegenheit - er kann Tagesabläufe relativ genau planen, die kleinen Plagen haben etwas zu tun, und sind auf diese Weise zumindest halbwegs aufgeräumt. Zudem lernen sie dabei noch `etwas Nützliches` und werden so bereits von klein auf an Konkurrenzdenken und das Leben einer Arbeiterameise gewöhnt.
Das Ding ist nur - in der Regel muß man Kinder nicht beschäftigen. Wenn sie den entsprechenden Raum und die Möglichkeit bekommen, können sie das selbst sehr phantasievoll und oftmals viel sinnvoller. Sich Kinder auf diese Art entwickeln zu lassen, fordert allerdings ein großes Maß an Flexibilität (man fügt dann eben nicht mehr das Kind irgendwie in den Tagesplan ein, sondern gestaltet den Tag mehr oder minder um das Kind herum).
Eigentliche Aufgabe eines Erziehers wäre, in der Hauptsache sein zu lassen, zu beobachten, sich bei Bedarf der Kinder mit einbeziehen zu lassen, und dann und wann korrigierend/erklärend einzugreifen, als Ansprechpartner da zu sein.
So wird es nur leider oft nicht gehandhabt.

Und - das ist dann nämlich Bereich zwei - das trifft nicht nur auf pädagogische Einrichtungen zu, sondern auch und vor allem auf die Familien. Zum einen sind wirkliche Vorbilder meist gar nicht präsent. Große Familienzusammenschlüsse gibt es - zumindest in deutschen Familien - kaum mehr, Väter sind häufig nur abendliche Erscheinungen am Rande, die Mütter oftmals schlichtweg zu dumm, oder aber komplett neurotisch, was sie dann auf ihre Kinder übertragen. Und auch hier gilt in leider viel zu vielen Fällen - Kinder werden ruhiggestellt.
Novalis schrieb hier neulich einen schönen Bericht über die Verdummung durch den Fernseher. Fakt ist, daß man mit der Flimmerkiste oftmals das aktivste Kind zum Stillsitzen bringt.
Wie man sich sinnvoll mit sich selbst beschäftigt - das wird Kindern aberzogen (denn im Grunde ist das meinen Beobachtungen nach ein ganz natürlich vorhandenes Wissen) - was zur Folge hat, daß sie später nichts mit sich anzufangen wissen. Und da sie darauf konditioniert werden, sich Beschäftigungen/Ablenkungen immer im Außen zu suchen, verlieren sie einen ganz entscheidenden Draht zu sich selbst, da entsteht eine Lücke, die später einmal weder Designerklamotten, körperliche oder berufliche Hochleistungen, Drogen oder wilder Sex zu füllen vermag - lediglich zum Ablenken taugt all das, zumindest dann und wann.

Zitat:Wo die fehlen, da suchen sich die Jungen andere Bilder. Aber eben nicht in der Wirklichkeit, in der Schule, im Kindergarten oder zuhause, sondern in ihren Computerspielen, im Kino und auf ihren Handys.

Und so ist auch genau das lediglich eine Fortsetzung dessen, worauf sie von Anfang an gedrillt wurden.
Das gilt übrigens für beiderlei Geschlechter.
Denn - wie bereits eingangs erwähnt - es reicht nicht, daß vom einen oder anderen Geschlecht eine größere Anzahl an Vorbildern vorhanden ist, wenn es sich auch hier nach dem Prinzip Masse-statt-Klasse verhält, und das tut es.
Es ist eben einfach so, daß schlechte Vorbilder erst ab einem gewissen Reifegrad zumindest noch als abschreckende Beispiele dienen können.


An dieser Stelle breche ich übrigens mal eine Lanze für all die wirklich fähigen Pädagogen, die es durchaus gibt, wenn es derer auch nicht viele sein mögen:
Es ist nahezu unmöglich, innerhalb einiger Stunden, die man mit den Kindern hat, grundlegende Mißstände, die in Familien vorherrschen, gänzlich zu korrigieren. Man kann bereits von einem echten Erfolg sprechen, wenn es gelingt, diese zumindest halbwegs auszugleichen und zu entschärfen.
Oftmals wird viel, woran man lange Zeit behutsam arbeitet, zuhause innerhalb weniger Augenblicke wieder im Keim erstickt.
Und ich bin nach wie vor der Ansicht, es ist nicht die Aufgabe der Pädagogen, die Familie zu ersetzen.
In erster Linie findet aber eben genau dort statt, was für das Kind entscheidend und prägend ist.

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#5
Zitat:verlieren sie einen ganz entscheidenden Draht zu sich selbst, da entsteht eine Lücke, die später einmal weder Designerklamotten, körperliche oder berufliche Hochleistungen, Drogen oder wilder Sex zu füllen vermag -

Man kann nicht verlieren, was man gar nicht hat. Glaub mir, manche von denen machen das aus "Überzeugung" so. Die Fragezeichen enstehen nur für "uns". Sich über eine andere Spezies den Kopf zu zerbrechen ist fruchtlos.
Ich versuche mich hin und wieder auch "abzulenken", es bringt aber nichts, im Gegenteil. Ich nehme bewußt wahr, daß ich mich ablenke und weiß sogar haargenau von was ich mich ablenke. Das ist aber nicht unbedingt bei jedem so, habe ich festgestellt (außer bei Trivialitäten wie sich mit Spielen von der Arbeit ablenken etc.). Manche haben offensichtlich gar keine Alternative bzw. "Wahl" wie man so schön sagt. Es sind nur Reiz-Reaktionsmaschinen. Man steckt was rein und je nach Programm kommt dann was entsprechendes raus.


Grüße
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#6
Sehr schöner Beitrag, Abnoba!

Der Gesellschaft fehlt es deswegen an echter Männlichkeit, weil dieselbe jahrelang (bis heute) verpönt wird. Kampfsport wird als primitiv hingestellt, und der Mann wird von vermännlichten Frauen mehr und mehr entmündigt. Weicheier werden modisch eingekleidet und unmännliches Verhalten wird allenortens propagiert. (Fast) jede Rauferei führt zu einer Anzeige, Pathos wird belächelt und Heldensagen mag man schon gar nicht mehr. Es ist verpönt, junge Männer zu Härte, Disziplin und trotzdem Sensibilität zu erziehen. Die vorgenannten Eigenschaften werden pauschal verurteilt und als ein Auswuchs des Militarismus gebranntmarkt. Deswegen ist die männliche nachwachsende Generation vor allem das: Waschlappen und Heulsuse.

Meine Grüße

Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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#7
Zitat:Deswegen ist die männliche nachwachsende Generation vor allem das: Waschlappen und Heulsusen.

Meiner Ansicht fängt diese Memmenentwicklung schon in den Köpfen der Eltern an. Sie erziehen, sofern man überhaupt von Erziehung sprechen kann, ihre Zweibeiner mit westlichen "Werten". Der Umgang mit dem Rest der Brut, also anderen gleichaltrigen Zweibeinern, dem die Kinder dann im Kindergarten und Schule ausgesetzt sind, erfüllt den Rest des Verweichlichungs- und Zombiefizierungsprogramms.

Meine Grüße
Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!
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#8
@ Nucu:

Ich gehe hier rein nach persönlichen Beobachtungen, und die zeigen bei der Mehrzahl der Kinder etwas anderes.
Zumindest noch bis zu einem gewissen Alter.

@ Paganlord:

Wohl wahr. Bei mir entsteht da der Eindruck, Problem ist unter anderem, daß sich viele Väter zu sehr raushalten, Erziehung ganz allgemein der Frau überlassen.
Sie sind einfach nicht präsent, und wenn sie es sind, wollen sie ihre Ruhe. Viele Mütter sind im Grunde bereits mit sich selbst überfordert. Was dazu führt, daß sie entweder leicht hysterische Züge aufweisen, oder aber - wie Du es ausdrücktest - vermännlicht sind (was sicherlich zum einen gesellschaftsbedingt ist, zum anderen aber auch damit zu tun hat, daß sich viele Frauen aufgrund der mangelnden Präsenz oder des mangelnden Interesses der Väter genötigt sehen, irgendwie auch den männlichen Teil zu übernehmen - ich sprach das mal in einer anderen Diskussion an).
Wenn ich mir die neurotischen Muttertiere so anschaue - Anwesende natürlich wie immer ausgenommen - wundert es mich nicht, wenn aus den Söhnen kleine Waschlappen werden.
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