Giftpflanzen
#10
Tollkirsche

Atropa bella-donna L.

[Bild: tollkirsche5.jpg]


Mythen und Geschichte:

Das sagenumwobene Moly war die berühmteste Pflanze aus dem Garten der Kirke.
Nach wie vor ist es jedoch nicht gelungen, der homerischen Zauberpflanze eine eindeutige botanische Identität zuzuordnen. So wird das Wort moly, das im frühen Altertum vermutlich soviel wie 'Entheogen' oder 'Zauberpflanze' bedeutet hat, als Überbegriff für psychoaktive, magisch verwendete Pflanzen benutzt (ähnlich den Worten Haomo oder Soma).
Wie beispielsweise die Alraune, der Nachtschatten oder die Steppenraute, wird auch die Tollkirsche zu den mit Moly identifizierten Pflanzen gezählt.

Die Mandragora der Aphrodite, welche auch den Beinamen Mandragoritis, >die Göttin der Alraune< trägt, war eindeutig die Echte Alraune (Mandragora officinarum), die noch heute bei ihrem Heiligtum von Paphos - im ehemaligen >heiligen Garten< üppig gedeiht.
Die Mandragora der Hekate hingegen war die Tollkirsche (Atropa belladonna L.).
Beide Mandragoras gehören zu den Nachtschattengewächsen (Solanacea); beide Arten werden seit frühester Zeit miteinander verwechselt, beide sind psychoaktiv, beide erzeugen Halluzinationen und beide gehören zu den wichtigsten Aphrodisiaka und Ingredienzien für Liebestränke und Hexensalben.
Die Tollkirsche, auch Belladonna, >schöne Frau< genannt, ist mit der Morion genannten >anderen, bei Höhlen wachsenden<, >männlichen< Mandragora identisch.
Der Name Morion weist auf die Verwendung als Tollkraut (mhd. Toll = geil) hin. Auch andere psychoaktive Pflanzen, die als Aphrodisiaka Verwendung finden, heißen Tollkraut, wie z.B. das Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) und das Glockenbilsenkraut (Scopolia carniolica). Übrigens heißen sowohl Atropa belladonna als auch Scopolia Walkenbaum oder Walkenbeere. Diese Namen sollen sich wohl von dem Wort Walküre ableiten.

Der von Linné geprägte botanische Gattungsname der Tollkirsche, Atropa, leitet sich von Atropos (>die Unabwendbare<) ab. Sie ist eine der drei Moiren, diejenige, welche den Faden des Lebens durchschneidet. Und bekanntlich ist auch Hekate eine >Schwester der Nacht<.
Die Tollkirsche wird weiterhin der kappadokischen Göttin Mâ zugeordnet.

Bereits Hildegard von Bingen hat mit der Dämonisierung der ehemals heidnischen Ritualpflanze begonnen:
"Die Tollkirsche hat Kälte in sich, hält aber dennoch Ekel und Erstarrung in dieser Kälte, und in der Erde, und an dem Ort, wo sie wächst, hat die teuflische Einflüsterung einen gewissen Teil und eine Gemeinschaft ihrer Kunst. Und sie ist für den Menschen gefährlich zu essen und zu trinken, weil sie seinen Geist zerrüttet, wie wenn er tot wäre." (Physica I, 52)
Die Tollkirsche wurde in der frühen Neuzeit weiter verteufelt ('Teufelsbeere', 'Teufelsgäggele', 'Teufelskirsche') und als gefährliche, giftige und dämonische Hexenpflanze mit den Hexensalben in Verbindung gebracht (letzteres nicht zu Unrecht).
Da die Tollkirsche aber zu leicht zu Vergiftungen führte, hat sie nie eine wirklich große Rolle als Zauberpflanze gespielt. Wahrscheinlich wird sie seit dem Altertum ähnlich wie die Alraune oder das Krainer Tollkraut genutzt. Möglicherweise diente die Tollkirschenwurzel auch als Ersatz für die Alraune oder wurde alternativ zu ihr eingesetzt - jedenfalls haben sich im Volkstum Rudimente eines Tollkirschenkultes erhalten, die darauf schließen lassen.
So wird beispielsweise in Ungarn die Wurzel >in der Georgennacht nackt unter Darbringung eines Brotopfers wie an einen elbischen Unhold ausgegraben< (HÖFLER 1990: 90).
In Rumänien heißt die Tollkirsche auch 'Wolfkirsche' ( Fettes Grinsen ), 'Blume des Waldes', 'Dame des Waldes' und 'Kaiserin der Kräuter'.
Obwohl sie als klassische Hexenpflanze gilt, gibt es nur sehr wenig Angaben über ihren magischen Gebrauch in Ritualen.

[Bild: tollkirsche3.jpg]


Seit der Antike wird die Tollkirsche zu Giftmorden und natürlich medizinisch verwendet, u.a. als Schmerz- und Narkosemittel. Sie wurde oft zur >Vertreibung von Dämonen< eingesetzt, d. h. sie wurde wohl zur Therapie von Depressionen, Psychosen und Geisteskrankheiten benutzt. Man schrieb >der Belladonna heilsame Wirkung gegen die 'Fahren' zu, eine >auf dämonistischen Anschauungen beruhende Krankheit<, die meist plötzlich Kopf und Glieder auf schmerzhafte Weise befiel. Rudimente der volkspsychiatrischen Anwendung haben sich bis heute in Nordafrika erhalten.
Unter dem Volksnamen 'Bärmutz' bekannt, wurde sie als Abtreibungsmittel verwendet.
Im 19. Jahrhundert wurden Wurzel- und Krautextrakte zur Behandlung von Gelbsucht, Wassersucht, Keuchhusten, konvulsivischem Husten, Nervenkrankheiten, Scharlach, Epilepsie, Erkrankungen der Harnorgane und Atemwege, auch des Schlundes und der Speiseröhre, Neurosen, Nierenkoliken, verschiedenen Hautkrankheiten und Augenentzündungen verwendet.

Die heftigen Halluzinationen durch Tollkirschen werden meist als bedrohlich, dunkel, dämonisch, sehr angstvoll und zutiefst erschreckend beschrieben. Viele Benutzer sprechen von einem >Hieronymus-Bosch-Trip< und sind meist nicht gewillt, derartige Experimente zu wiederholen. Lol

Bella-donna ist aus dem italienischen übernommen, denn im Mittelalter war es große Mode unter den Damen, die Pupillen mit Hilfe des Atropins zu erweitern. Der 'kleine Nachteil' der beträchtlich herabgesetzten Sehfähigkeit wurde offenbar nach deren Ansicht durch den Vorteil der strahlenden Augen wettgemacht.
Der rote Saft der Beeren diente nicht nur zum Schminken, sondern auch zum Nachfärben des Rotweines.


Bestimmungsmerkmale und Biologie:

Die Tollkirsche gehört zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanacea).
Von einem ausdauernden, dicken, mehrköpfigen Wurzelstock treibt sie jedes Jahr einen bis zu 2 m hoch werdenden Stengel, der sich erst in etwa 1 m Höhe verzweigt. Dem Habitus nach sieht Atropa wie ein Strauch aus, da der Hauptstrauch jedoch nicht verholzt, spricht man hier von einer Staude.
Nahezu alle Zweige breiten sich waagrecht aus - das ermöglicht jedem Laubblatt die größtmögliche Lichtausbeute. Die Laubblätter sind eiförmig-elliptisch, ganzrandig, zugespitzt und flaumig behaart. Sie werden bis zu 15 cm lang und 8 cm breit. Eigentlich entspringen alle Laubblätter wechselständig. Durch Verschiebungen rückt das Tragblatt des Blütensprosses aber in direkte Nachbarschaft der Blütenknospe, die in der Achsel eines eigenen kleinen Tragblattes entspringt. So ergibt sich das eigenartige Bild, daß an den 'Ecken' der schwach 'zickzackförmigen' Zweige immer zwei Laubblätter stehen, und zwar jeweils ein größeres und ein kleineres.
Die einzelnen, an längeren Stielen überhängenden Blüten haben einen fünfspaltigen Kelch und eine glockenröhrige etwa 3 cm lange Blütenkrone, die außen braun-violett und innen schmutzig-gelb mit purpurroten Adern gefärbt ist. Den Saum der Blütenkrone bilden fünf abgerundete, etwas zurückgerollte Lappen. Ein zweispaltiger Griffel überragt fünf wandständige Staubblätter.
Aus dem zweifächerigen Fruchtknoten entwickelt sich eine kugelige, kirschgroße, saftige, glänzend schwarze Beere, die zahlreiche nierenförmige Samen mit wabenartiger Oberflächenstruktur enthält. Von Juli bis September sieht man an einer Staude gleichzeitig Blüten, unreife und reife Früchte.

Die Gattung Atropa umfaßt fünf Arten, die von Westeuropa bis zur Mongolei verbreitet sind. In Mitteleuropa gibt es nur die eine Art Atropa bella-donna, die selten, ähnlich dem Bilsenkraut, in der Varietät var. flava mit gelblichgrünen Blüten und gelben Beeren vorkommt.

Man findet die Tollkirsche ziemlich häufig in Schlagfluren, auf Kahlschlägen und an Waldrändern, bevorzugt auf kalkhaltigen, humusreichen oder reinen Tonböden.

Atropa wird als Lichtkeimer bezeichnet. Ihre Samen können bei Beschattung mehrere Jahre überliegen. Wie bei allen Schlagpflanzen (beispielsweise Digitalis - folgt noch) sind die Samen sehr klein, wodurch die Windverbreitung sehr erleichtert wird. Da Drosseln, Amseln und Spatzen die schwarzen Beeren gerne verzehren, sorgen sie zusätzlich für die Verbreitung.

[Bild: tollkirsche2.jpg]


Heilwirkung:

In der Allopathie sind Extractum Belladonnae, Atropin-Base (l-Hyoscyamin wirkt als Therapeuticum doppelt so stark) oder Atropinsulfat wertvolle Pharmaka. Sie kommen zum Einsatz bei Augenentzündungen und Verletzungen von Cornea oder Iris, als krampflösendes Mittel, z. B. bei Asthma, Darmkoliken u. a. gegen Bradykardie, Parkinsonismus und anderes mehr.
Die Homöopathie verwendet die aus blühenden Pflanzen bereiteten Essenzen besonders bei Epilepsie, Krämpfen, Meningitis, Entzündungen von Luftwegen, Lungen, Augen, Ohren, Leber, Niere, Blase etc.


<span style='color:red'>Vergiftung - Wirkung, Symptome und Therapie:

Alle Organe enthalten die Alkaloide Hyoscynamin und Scopolamin. Die höchsten Konzentrationen (bis 1 %) kommen in den Wurzeln vor. Der bekannte Wirkstoff Atropin ist ein Gemisch (Razemat) aus zwei Formen des Hyoscynamins.
Zwischen 4 bis 20 Beeren können als für den Menschen tödliche Dosis angegeben werden, die Mortalität liegt bei 10 %, wenngleich ernsthafte Vergiftungen heute selten sind.

Typische Symptome sind fehlendes Erbrechen und die sog. Glanzaugen mit maximal erweiterten starren Pupillen. Auch die scharlachrote, trockene, heiße Haut und die Trockenheit in Mund und Kehlkopf - damit verbunden Sprach- und Schluckstörungen - sind charakteristisch.
Zunehmende Bewußtlosigkeit geht in einen narkoseähnlichen Schlaf über.
Durch fortschreitende Atemlähmung kann es zur Cyanose und schließlich zum Tod im Koma kommen.

Da zu Vergiftungsbeginn nur äußerst selten Erbrechen erfolgt, muß rasch der Magen mit geöltem Schlauch durchgespült werden. Salzwasser als Brechmittel und kalte Umschläge sind bis zur weiteren Behandlung zu empfehlen.
Die früher als spezifische Gegengifte empfohlenen Opiate werden heute wegen der Gefahr der Atemschädigung nicht mehr verwendet. Statt dessen verwendet die Schulmedizin Physostigmin i. v. gegen die peripheren und zentralen Symptome.

Bei günstigem Verlauf der Vergiftung bleiben Augen- und psychische Störungen noch tage- bis wochenlang bestehen!</span>

[Bild: tollkirsche1.jpg]
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[Kein Betreff] - von Violetta - 06.03.12006, 14:32
RE: Giftpflanzen - von Ela - 09.04.12018, 16:26
RE: Giftpflanzen - von Ela - 23.06.12018, 17:16
[Kein Betreff] - von Abnoba - 04.04.12006, 14:31
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