Starke Frauen
#3
Heute will ich auch einmal von einer Schwester im Geiste erzählen, der meine tiefe Hochachtung und Zuneigung gilt.


Hypatia von Alexandria


Es gab in Alexandria eine Frau mit Namen Hypatia, Tochter des Philosophen Theon, die in Literatur und Wissenschaft so erfolgreich war, dass sie alle Philosophen ihrer Zeit übertraf. Zugelassen zur Schule Platons und Plotins hielt sie Vorlesungen über die Grundlagen der Philosophie. Viele Hörer kamen von weither, um von ihr unterrichtet zu werden. Dank ihres souveränen Auftretens und ihrer eleganten Erscheinung, die sie sich als Folge ihrer Geisteskultur angeeignet hatte, erschien sie häufig in der Öffentlichkeit in Gegenwart hoher Staatsbeamter. Sie scheute sich auch nicht, in öffentliche Versammlungen von Männern zu gehen. Alle Männer bewunderten sie dafür auf Grund ihrer außerordentlichen Würde und Tugend um so mehr.

Socrates Scholasticus, Kirchengeschichte


In den historischen Quellen werden Hypatia (ca. 370 – 415) außergewöhnliche Intelligenz und Charakterstärke nachgesagt. Socrates Scholasticus schildert sie als selbstbewußte Frau und preist ihr großes Wissen, mit dem sie sämtliche Philosophen ihrer Zeit ausstach. Hypatia war eine allseits bekannte Persönlichkeit. Ihre Teilnahme am öffentlichen Leben von Alexandria stellte in der damaligen Zeit eine nicht zu unterschätzende Besonderheit dar, denn das antike Weltbild legte den Frauen im wesentlichen Zurückgezogenheit und Bescheidenheit auf. „Die beste Frau ist die, von der man am wenigsten spricht“, lautete ein von dem antiken Historiker Thukydides verbreiteter Grundsatz. Das Leben der Frauen vollzog sich somit jenseits der Öffentlichkeit im Kreis der Familie. Die den Männern zugänglichen Bildungseinrichtungen blieben ihnen versperrt, der Unterricht durch Väter und Ehemänner stellte für viele Frauen die einzige Möglichkeit dar, überhaupt eine fundierte Bildung zu erlangen.
Hypatia hatte Glück.

Sie war die Tochter des Mathematikers Theon von Alexandria und die Schwester des Mathematikers Epiphanius. Ihr Vater, der als Gelehrter am Museion von Alexandria tätig war, unterrichtete sie zunächst in Mathematik. Im Museion und wohl auch in der neuplatonischen Schule von Alexandria, sowie in Athen und Italien dehnte sie ihr Studium dann weiter auf Philosophie, Astronomie und Musik aus. Nach und nach versammelte sie einen Kreis von Schülern um sich, die sie zunächst zuhause unterrichtete. Im Alter von 31 Jahren übernahm die unverheiratete Hypatia die Leitung der neoplatonischen Schule in Alexandria, deren Gedankengut im 19. Jahrhundert in England und Deutschland die ersten Vegetarier-Vereinigungen mit hervorgebracht hat. Dort umfaßte ihre Lehrtätigkeit das gesamte Gebiet der Philosophie im damaligen Verständnis, also neben der Philosophie im engeren Sinne auch Mathematik, Mechanik und Astronomie. Wahrscheinlich trug sie die neuplatonische Lehre im Sinne des Iamblichos von Chalkis vor. Zu ihren Schülern gehörten u.a. Synesius, mit dem sie auch privaten Briefwechsel pflegte.
Als ihr bedeutenstes Werk gilt der 13-bändige Kommentar zur ‚Aritmetica‘ des Mathematikers Diophantos (um 250), den man als ‚Vater der Algebra‘ bezeichnet. Dabei entwickelte sie alternative Lösungen und formulierte neue Problemstellungen, die jedoch später mit dem Werk Diophantos` verschmolzen wurden.
Der achtbändige Kommentar Hypatias zu den Kegelschnitten (eine Grundlage für den Durchbruch des heliozentrischen Weltbilds) des Mathematikers Appolonius von Perge (um 262 – 190 v. d. Z.) enthält auch eine Zusammenstellung astronomischer Übersichtstafeln. Wahrscheinlich verfaßte sie für ihren Vater auch den Kommentar zum Werk ‚Almagest‘ des Astronomen, Mathematikers und Geographen Ptolemäus (ca. 100 – 180), einer Sammlung des gesamten astronomischen und mathematischen Wissens seiner Zeit. Außerdem arbeitete sie an einer revidierten Fassung des Hauptwerkes ‚Elemente/Stoichea‘ des griechischen Mathematikers Euklid (ca. 300 v. d. Z.) mit.
Zudem befaßte sie sich mit Mechanik und angewandter Technologie und tat sich auch als Erfinderin hervor. Sie entwickelte ein Hydrometer und ein Astrolabium. Die Senkwaage zeigte das spezifische Gewicht von Flüssigkeiten an. Es handelte sich dabei um eine versiegelte Röhre, an deren einem Ende ein Gewicht angeschlossen ist. Je nachdem wie tief dieses Rohr in eine Flüssigkeit einsinkt, kann man auf einer Skala das spezifische Gewicht ablesen. Mit dem Astrolabium läßt sich der Stand der Sonne, der Sterne und Tierkreiszeichen bestimmen.
So kann vermutet werden, daß sie ihre Hörer vor allem durch anschaulich-experimentellen Vortrag beeindruckte, also eher moderne Naturwissenschaft trieb als antike spekulative Philosophie.

Von vielen Zeitgenossen wurde Hypatia bewundert und verehrt, und trotz ihrer Freundschaft zu verschiedenen Ch**sten blieb sie ihrem Glauben treu und war mit dem römischen Präfekten Orestes, einem erbitterten Gegner des Bischofs Cyrillus, befreundet. Man beschuldigte sie, Orestes gegen den Bischof aufgehetzt zu haben.
Ohnehin war sie – als Nichtch**stin und Anhängerin des aufklärerisch wirkenden hellenistischen Bildungsguts – den Vertretern des sich in Alexandria immer stärker ausbreitenden Ch**stentums ein Dorn im Auge. Dem Ch**stentum galt die hellenistische Wissenschaft und Philosophie als heidnisch, ketzerisch und als Werk des Teufels. Zudem provozierte Hypatia auch als Frau durch ihre unabhängige Lebensweise, da sie sich gegen eine Ehe entschieden hatte, die sie zur damaligen Zeit höchstwahrscheinlich in die Abhängigkeit eines Mannes gebracht hätte.
So nahm die Tragödie ihren Lauf.

Socrates Scholasticus schreibt wie folgt:

Aber sogar sie fiel dem politischen Neid zum Opfer, der zu jener Zeit herrschte. Denn da sie häufig mit Orestes Gespräche führte, wurde unter der ch**stlichen Bevölkerung verleumderisch verbreitet, dass sie es sei, die Orestes daran hindere, sich wieder mit dem Bischof zu versöhnen. Daher lauerten ihr einige, die von einem wilden und scheinheiligen Ehrgeiz getrieben wurden, deren Anführer ein Vorleser namens Petros war, auf ihrem Heimweg auf, zogen sie aus ihrer Kutsche, brachten sie in die Kirche namens Kaisarion, wo sie sie nackt auszogen und dann mit Ziegelsteinen erschlugen. Nachdem sie ihren Körper in Stücke gerissen hatten, brachten sie ihre verstümmelten Glieder zu einem Ort namens Kinaron und verbrannten sie dort...

Der koptische Bischof Johannes von Nikiu, ein Autor des 7. Jahrhunderts beschreibt ihre Ermordung in seiner Weltchronik folgendermaßen:

Und eine Menge Gläubiger erhob sich unter der Führung des Ratsherrn Peter – dieser Peter war ein vollkommen rechtsgläubiger Anhänger J*su Ch**sti – und sie zogen los, die Heidin zu suchen, die das Volk und den Präfekten durch ihre Zauberkünste behext hatte. Und als sie erfuhren, wo sie war, drangen sie zu ihr vor und fanden sie in einer Sänfte sitzend; und sie zwangen sie, auszusteigen und schleiften sie zur großen Kirche von Caesarion. Es war Fastenzeit. Sie rissen ihr die Kleider vom Leib und schleiften sie durch die Straßen, bis sie tot war. Dann brachten sie sie zu einem Ort, der Cinaron hieß, und verbrannten ihren Leichnam mit Feuer. Und alles Volk versammelte sich um den Patriarchen Kyrillos und nannten ihn den Theophilus; dafür, dass er zerstört hatte die letzte Reste der Götzenverehrung in der Stadt.

Hypatia lebte zu einer Zeit heftiger Machtkämpfe zwischen Heiden und Ch**sten in Alexandria auf der einen Seite und fanatischen, fundamentalistischen Ch**sten auf der anderen, welche die endgültige Vernichtung des Heidentums forderten. Im Jahr 391 hatte der Patriarch Theophilus von Alexandria alle heidnischen Tempel zerstören lassen, wie es ein Dekret des Kaisers Theodosius verlangt hatte. Einige Einblicke in die politischen Wirren der Zeit bieten die Briefe, die Hypatias prominentester Schüler und Bewunderer, der spätere Bischof Synesius von Kyrene an sie geschrieben hat. In einem Brief beklagt er sich über die ch**stlichen Eiferer: Ihre Philosophie besteht in der simplen Formel, stets G*tt als Zeugen anzurufen, wie es Platon tat, wenn sie etwas behaupten oder bestreiten. Jeder Schatten würde diese Leute übertreffen, wenn er sich zu irgendetwas äußern würde ( Fettes Grinsen ). Aber ihre Anmaßung ist enorm. In diesem Brief teilte er Hypatia außerdem mit, daß diese Leute ihn angeklagt hätten, weil er unautorisierte Kopien von Büchern in seiner Bibliothek verberge.
Die in der Spätantike aufkommende Bestrafung der Hexerei geht auf ein Dekret Kaiser Constantinus` zurück, der zur Bekämpfung des Aberglauben angeordnet hatte, daß alle Zauberer in Rom den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten; in den Provinzen aber sollte ihnen das Fleisch mit eisernen Haken heruntergerissen werden.
Hypatias Tod passt zu diesem Gesetz. So kann sie als eines der ersten, wenn nicht sogar als das erste Opfer der ch**stlichen Hexenverfolgung angesehen werden. Mit ihrer Ermordung gab es eine 'Ketzerin‘ und wohl auch eine Fürsprecherin für Natur und Tiere weniger und auch die alexandrinische Mathematikschule erlosch mit ihrem Tod. Vermutlich ist das Martyrium der heiligen Katharina eine spätere Umdichtung dieses Geschehens.

In diesem Sinne, um es mit Palladas zu sagen:

Darf ich dich sehen, hören, huldige ich kniend,
das Sternenhaus vor Augen, wo die Jungfrau wohnt.
Denn auf zum Himmel weist dein Handeln und die Kunst,
mit der du sprichst, erhabene Hypatia.


(Anthologia Palatina)


Ewig währt der Toten Tatenruhm.
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[Kein Betreff] - von Inara - 17.03.12006, 12:43
RE: Starke Frauen - von Paganlord - 23.11.12011, 00:09
RE: Starke Frauen - von Hælvard - 04.12.12011, 13:24
RE: Starke Frauen - von Hælvard - 25.06.12017, 18:04
[Kein Betreff] - von Saxorior - 17.03.12006, 18:22
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Re: Starke Frauen - von Hernes_Son - 18.04.12010, 20:05
Re: Starke Frauen - von Hælvard - 21.04.12010, 12:29
Re: Starke Frauen - von Hernes_Son - 21.04.12010, 19:57
Re: Starke Frauen - von Rahanas - 09.05.12010, 17:31
Re: Starke Frauen - von Hernes_Son - 19.05.12010, 00:52
Re: Starke Frauen - von Maurynna - 21.08.12010, 23:07
Re: Starke Frauen - von Wishmaster - 22.08.12010, 01:17
Re: Starke Frauen - von Maurynna - 22.08.12010, 09:48

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