Der Tod des Marcus Licinius Crassus
#5
Doch es sollte nicht sein – wie so vieles auf diesem zum Scheitern verurteilten Kriegszug. Plötzlich brauten sich aus dem Nichts heftige Stürme zusammen. Aus Angst, der Fluß könnte ansteigen, ließ Crassus die Überquerung sofort in Angriff nehmen. Also krochen die Soldaten auf allen vieren über die auf dem Wasser schaukelnden und tanzenden Pontons, während Blitze an vielen Stellen gleichzeitig einschlugen und der Donner die laut wiehernden Pferde durchgehen ließ. Die Luft war von schwefelgelben Glühen und einem seltsam süßlichen Geruch durchdrungen, der mich ans Meer erinnerte. Es war entsetzlich. Und die Stürme ließen überhaupt nicht mehr nach. Tagelang jagte einer den anderen. Dabei regnete es so heftig, daß sich der Boden in Matsch verwandelte, während der Fluß immer weiter anstieg und die Überquerung trotz allem weiter fortgesetzt wurde.

Ein größeres Chaos als in unserer Armee, nachdem Mann und Maus schließlich das Ostufer erreicht hatten, hast Du noch nicht gesehen. Alles war restlos durchnäßt, einschließlich des Weizens und der anderen Lebensmittelvorräte im Troß. Die Seile waren aufgequollen, die Sprungfedern der Wurfgeschütze hatten ihre Spannung verloren, die Holzkohle der Schmiede war unbrauchbar, die Zelte durchlässig wie Brautschleier und die wertvollen Befestigungspfähle zersplittert oder gesprungen. Falls es Deine Einbildungskraft nicht übersteigt, versuche Dir viertausend Pferde, zweitausend Maultiere und ein paar tausend Ochsen vorzustellen, die nur noch von panischer Angst regiert werden. Wir brauchten zwei nundinae, um sie wieder zu beruhigen – sechzehn kostbare Tage, die uns ein gutes Stück weiter nach Mesopotamien hätten bringen sollen. Die Legionäre waren in kaum besserer Verfassung als die Tiere. Der Feldzug, so sagten sie unter sich, stehe unter einem Fluch, und Crassus sei auch verflucht. Sie würden alle sterben müssen.

Doch dann kam Abgarus mit seinen viertausend leichtbewaffneten Fußsoldaten und Reitern. Wir hielten Kriegsrat ab. Censorinus, Vargunteius, Megabocchus und Octavius, vier der fünf Legaten von Crassus, wollten entlang des Euphrat weitermarschieren. Das sei sicherer, die Tiere könnten unterwegs grasen und wir unsere Essensvorräte aufstocken. Ich pflichtete ihnen bei, worauf ich mir zu meinem Leidwesen sagen lassen mußte, daß es einem einfachen Quästor nicht zustehe, seinen Vorgesetzten Ratschläge zu erteilen.

Abgarus war dagegen, daß wir uns dicht am Ufer des Euphrat hielten. Der Strom macht nämlich, falls Du es nicht weißt, unterhalb Zeugmas eine große Biegung Richtung Westen, was zugegebenermaßen den Marsch um etliche Meilen verlängert hätte. Erst nach der Einmündung des Bilechas fließt der Euphrat mehr oder weniger gerade in südöstlicher Richtung nach Mesopotamien.

Abgarus zufolge konnten wir daher mindest vier oder fünf Tagesmärsche einsparen, wenn wir uns von Zeugma aus direkt nach Osten wandten und durch die Wüste bis zum Bilechas marschierten. Dem Bilechas bräuchten wir nach einer scharfen Südkehre nur noch flußabwärts zum Euphrat zu folgen, und schon seien wir dort, wo wir hinwollten – in Nicephorium. Mit ihm als Führer, sagte Abgarus, könnten wir uns nicht verirren, außerdem sei der Marsch durch die Wüste nur kurz und gut zu überstehen.

Crassus stimmte Abgarus zu, und Publius Crassus stimmte wie immer seinem Vater zu. Wir würden also die Abkürzung durch die Wüste nehmen. Die vier Legaten versuchten zwar noch einmal, Crassus davon abzubringen, doch erfolglos. Schließlich habe er Carrhae und Sinnaca befestigen lassen, und diese Befestigungen seien zu unserem Schutz völlig ausreichend – abgesehen davon halte er sowieso jegliche Schutzmaßnahmen für überflüssig. Freund Abgarus konnte dem nur zustimmen. So hoch im Norden gebe es bekanntlich keine Parther.

Und ob es sie gab! Dafür hatte Abgarus gesorgt. Seleukeia wußte über jeden unserer Schritte bescheid, und König Orodes war ein bei weitem besserer Stratege als der arme, geldgierige Marcus Crassus.

Da ich mir denken kann, daß Du, werte Sevilia, im fernen Rom höchstens eine vage Vorstellung vom Reich der Parther hast, sollte ich Dir zunächst erklären, daß es aus sehr vielen verschiedenen Regionen besteht. Das eigentliche Parthien liegt östlich des Kaspischen Meeres, weshalb wir nicht vom König von Parthien, sondern vom König der Parther sprechen. Orodes, der König der Parther, herrscht über Medien, Medien Atropatene, Persien, Gedrosien, Carmanien, Baktrien, Margiana, Sogdiana, Susiana, Elymais und Mesopotamien – ein größeres Gebiet als alle römischen Provinzen zusammen.

Jede dieser Regionen wird von einem Satrapen regiert, der den Titel eines Surenas trägt. Die meisten sind Söhne, Neffen, Vettern, Brüder oder Onkel des Königs. Im eigentlichen Parthien läßt sich der König nie blicken; im Sommer regiert er in Ekbatana, einer Stadt in der sanften Hügellandschaft Mediens, im Winter in Seleukeia am Tigris in Mesopotamien; im Frühling und Herbst weilt er in Susa. Daß er sich fast nur in den westlichen Regionen seines riesigen Reiches aufhält, liegt vermutlich an Rom. Uns fürchtet er nämlich, während er die Inder oder die Sericaner, zwei große Völker, offenbar für keine besondere Bedrohung hält.

Zufällig ist der von Orodes mit dem Feldzug gegen Crassus beauftragte Surenas von Mesopotamien ein äußerst fähiger Satrap. Während der König in Begleitung seines Sohnes Pacorus zu einem Treffen mit König Artavasdes nach Norden in die armenische Hauptstadt Artaxata reiste – begleitet von ausreichend Soldaten, um sofort willkommen geheißen zu werden –, blieb der Pahlawi Surenas in Mesopotamien, wo er ein Heer gegen uns aufstellte. Das Heer bestand aus zehntausend Bogenschützen und zweitausend Kataphrakten – alle zu Pferd.


Fortsetzung folgt.

Kein besserer Freund – kein schlimmerer Feind!
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[Kein Betreff] - von Hælvard - 03.05.12007, 23:14
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Re: Der Tod des Marcus Licinius Crassus - von dennis - 22.10.12008, 17:13
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Re: Der Tod des Marcus Licinius Crassus - von KATANA - 23.08.12010, 00:18
Re: Der Tod des Marcus Licinius Crassus - von Maurynna - 23.08.12010, 10:21

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