Das versunkene Glöckchen im Hilgenpoth (Heiliger Teich)
Noch heute gibt es in Gevelsberg, am Fuß des Buchenbergs, eine Treppe mit Namen »Hilgenpothtreppe«.
»Wo hast du wieder so lange gesteckt?«, schimpft die Mutter, als Karl in die kleine dunkle Stube stürmt und sich auf die Holzbank fallen lässt. »Hast du nicht die Abendglocke gehört? Du sollst nach Hause kommen, wenn das Glöckchen läutet.« »Eins von den Schweinen war ausgerissen«, keucht der Junge »ich musste es suchen im Wald und zurücktreiben.« »Ausreden, Ausreden«, brummt die Mutter und kneift die Augen zusammen vom Rauch in der Stube. Aus dem großen Topf, der über dem offenen Feuer hängt, schöpft sie dem Jungen Haferbrei auf. »Ich habe Bruder Markus am Teich getroffen«, erzählt Karl, »er sagt, ihr sollt mal wieder zur Kirche kommen.« »So, so«, murmelt die Mutter, bläst in die Glut und legt Holzstücke nach. »Er hat euch auch lange nicht gesehen in der Kirche, dich und den Vater nicht und die anderen Bauern auch nicht, sagt er.« »Ich bete genug in meiner Kammer!, meint die Mutter. Jetzt ist sie ärgerlich. Karl merkt es daran, wie schnell sie das Spinnrad dreht. Und sofort wendet sich ihr Ärger gegen ihn. »Bist also wieder am Teich gewesen, am Hilgenpoth; darum bist du so spät gekommen.« »Ach Mutter«, sagt Karl, »da lass ich die Schweine saufen und geh´ schnell in die Kirche, um für gutes Wetter zu beten. Wenn sonst keiner mehr in die Kirche kommt, da muss ich doch wenigstens hin und für euch alle bitten.« Er übertreibt ein bisschen. In Wahrheit hat er am Wasser gespielt und sich vorgestellt, wie hier vor langer Zeit die ungläubigen Sachsen getauft wurden, ob sie wollten oder nicht. Ein eigensinniges, heidnisches Volk muss das gewesen sein. Gleich an mehrere Götter haben sie geglaubt und ihnen Opfer gebracht. Manchmal wird den Karl ganz unheimlich bei dem Gedanken, weil er meint, gleich trete einer von ihnen aus den Wald; und er ist dann jedes Mal froh, wenn Bruder Markus den Weg herankommt, um die Abendglocke zu läuten. Nur heute hatte Karl sich nicht freuen können. »G*ttlose Menschen seid ihr allesamt, keiner will mehr G*ttes Wort hören. Immer bleibt die Kirche leer«, hatte Bruder Markus gesagt und dabei sehr ernst ausgesehen. Langsam zieht der Herbst über die Berge. Immer früher legt sich an den Nachmittag die Dämmerung über die Wiesen und den Wald, wo Karl die Schweine hütet. Vor Einbruch der Dunkelheit muss er zu Hause sein. Nebel steigt zwischen den mächtigen Buchen hoch und der Wald wird immer gespenstiger. Schnell jagt Karl die grunzenden Tiere mit dem Stock zum Hilgenpoth hinüber. Dann muss er zu Hause kein Wasser mehr in den Stall schleppen, wenn er sie hier noch saufen lässt. Er läuft, springt und pfeift ein bisschen. Da wird einem nicht ganz so eng um die Brust. Schon sieht er den kleinen Teich. Da – plötzlich bleiben die Tiere mitten im Lauf stehen und stemmen die Klauen gegen den Boden, schrill quieken sie auf.
Karl bleibt wie angewurzelt stehen. Entsetzen packt ihn. Wo die Kirche stand, klafft ein Wasserloch. Der Teich ist abgesunken und das Wasser gurgelt böse. Nebelschwaden kommen vom Wald. Da rennt Karl los, lässt die Schweine, wo sie sind, rennt, was die Beine hergeben, stolpert, rappelt sich hoch, rennt, als sei der Teufel hinter ihm her. [...] Seit jedem Tag macht Karl nie mehr den Umweg am Teich vorbei. Aber wenn es ganz still ist, abends, wenn der Wind schläft, kann er das Glöckchen aus dem Hilgenpoth läuten hören.
Quelle: sagenhaftes-ruhrgebiet.de