27.09.12017, 21:10
Die Göttin in der Schweiz – Frau Verena
Frau Verena, auch Frau Vrenes, Frene, Vreneli, Vereina oder die große Ahnfrau genannt, ist eine sehr bekannte Gestalt in der Schweiz. Eine große Göttin, die bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist. Alte Volkslieder über sie werden noch immer gesungen, und Geschichten werden noch immer erzählt.
Stöbert man auf der Suche nach ihr in Sagen, Geschichten und alten Büchern, findet man hier und dort Ähnlichkeiten zu Göttinnen anderer Regionen und Kulturen, z.B. zu Frau Holle, Venus und Freya (bei letzteren ist natürlich auch eine etymologische Verbindung zu sehen).
Früher wurde in der Schweiz in fast jeder Familie ein Mädchen nach Frau Verena benannt. Ihr waren und sind Berge und Hügel, Quellen und Flüsse, Schluchten und Kultsteine geweiht, an denen die Menschen sie besuchen und um Heilung oder ähnliches bitten.
Die Kirche machte aus der lieben Göttin die „Heilige Verena“. Die meisten kennen sie nur noch unter diesem Namen. So wird heute von einer Frau aus Theben in Ägypten berichtet, die im 3. Jh. n.d.Z. zusammen mit der „thebäischen Legion“, deren Existenz umstritten ist, erst nach Italien und dann in die Schweiz gelangte, wo sie sich, nach dem Tod ihres Verlobten und Soldaten der thebäischen Legion in eine Höhle einer Schlucht zurückzog, die heute „Verenaschlucht“ heißt. Daraufhin soll sie sich der Kranken und Bedürftigen angenommen haben. Armen Kindern soll sie die Haare gekämmt und das Gesicht gewaschen haben, und die Kinder lauschten ihren Geschichten.
So jedenfalls wird berichtet, wenn man über die heilige Verena liest.
Man erzählt sich aber auch, dass Verena zusammen mit einer alten weisen Frau in dieser Höhle gelebt haben soll, die an einem Spinnrad ihre Fäden sponn und danach webte. Verena soll ihre Webarbeiten verkauft haben. Und man erzählt sich, dass sie die Neugeborenen aus den Felsen der Schlucht geholt hat. Noch heute kann man die Löcher dort erkennen.
Als Einsiedlerin soll Verena oben in der Schlucht gelebt haben. Und auch heute noch ist es Tradition, dass jemand dort oben als Eremit/in in der Schlucht bei der Höhle in einem kleinen Häuschen lebt. Eine davon hieß sogar Verena. Seit Jahrhunderten war sie die erste Frau, die diese Funktion übernahm.
Heute wimmelt es in der Schlucht bei Solothurn von Chr*stlichen Symbolen. Die Höhle der Verena kann nicht mehr betreten werden, denn sie wurde mit einer Kapelle zugebaut. Eine weitere Kapelle steht direkt gegenüber.
Interessant anzusehen sind drei Frauenstatuen, die vor dem Kreuz am Altar einer der Kapellen aufgestellt wurden, in der Mitte davon Verena mit Krug und Kamm, und auch in einem dunklen Gang im hinteren Teil kann man drei weibliche Statuen nebeneinander bestaunen.
Aber auch eine liegende Statue von Verena ist zu finden, hinter Gitter gesperrt, mit Totenschädel und Kreuz im Arm.
Es wurden jedenfalls keine Mühen gescheut, die Göttin an diesem und anderen Orten in Vergessenheit geraten zu lassen, „die zum Märchen gewordene Gestalt einer heidnischen Hilfs- und Heilgöttin allmählich zur demütigen Erscheinungsweise einer Grauen Schwester zu entgöttern“ und den Kult damit zu zerstören. Und dennoch gelang es nicht, Frau Verena gänzlich zu überdecken.
„Etliche Spuren der Heidengöttin bleiben hinter dem kirchlichen Heiligenschein immer noch erkennbar, wie denn Verena noch heute zuweilen den ihr geweihten Altar verlässt, um unter mancherlei Namen und Gestalt draußen an den gewohnten Huschen und Quellen des Waldes einer wilden Naturfreude nachzuschweifen. Kaum würde man dann […] die Heilige noch in ihr vermuthen, trüge sie nicht ihren alten Namen oder ihre geweihten Abzeichen. Denn dann wird sie wieder ein »alt heidnisch Wassergötzli« (Die drei Gaugöttinnen)
Verena mit Krug und Kamm
Verena-Statue auf der Rheinbrücke bei Zurzach-Rheinheim
Verena wird üblicherweise mit Krug und Kamm dargestellt. Aus Sicht der Kirche kommen diese Attribute daher, da sie mit beiden Gegenständen die Kranken und Bedürftigen gewaschen und gekämmt haben soll. Also eine unter vielen ihrer erklärten Heiligen, die ihr Leben selbstlos den Armen gewidmet haben?
Der Kamm als Symbol ist natürlich viel älter und taucht in unseren Märchen und Sagen sowie auch in der Mythologie auf.
So sitzt zum Beispiel Loreley auf dem Rheinfelsen und kämmt sich ihr Haar. Besonders an dieser Sage ist, dass ihr goldenes Haar auch bezeichnet wird als „flachsenes Haar“. Wenn man nun den Kamm nicht nur als erotisches Symbol bzw. als Schönheitswerkzeug der Frauen sieht, kann man darin durchaus auch einen Webkamm sehen. Unsere liebe Loreley kämmt also nicht nur verführerisch ihr Haar, nein sie verwebt den eben gesponnenen Flachs mit ihrem Webkamm, so wie die Nornen am Urdbrunnen das Schicksal weben/spinnen.
Interessant ist hier auch die Verbindung zu der Erzählung, dass Verena in ihrer Höhle mit einer Weberin gelebt haben soll.
„Der Kamm gilt überhaupt als Symbol des Weibes, der großen weiblichen Naturgottheit, der großen Weberin. Der Kamm ist der große Weberkamm, mit dessen Zähnen die Muttergöttin das große Gewebe der Natur schafft.“ (Aigremont)
Damit wäre der Kamm ein magisches Werkzeug der Göttin. In Dänemark und in Deutschland konnten sogar Kämme mit Runeninschrift gefunden werden.
Kamm von Vimose
Ein weiteres Beispiel für die magische Verwendung des Kammes ist im Märchen „Schneewittchen“ vorhanden. Die böse Königin will hier Schneewittchen mit einem goldenen verzauberten bzw. vergifteten Kamm töten.
Auch Verenas Krug ist laut Heide Göttner-Abendroth ein erotisches Symbol, denn „Krug, Schüssel, Schale oder Kelch bedeuten den weiblichen schöpferischen Schoß.“ Zusätzlich als Wassergöttin verehrt, vermochte sie nicht nur zu heilen, sondern auch den Boden zu wässern und fruchtbar zu machen, um so die Menschen mit Nahrung zu versorgen. Gelegentlich wird sie daher auch mit Brot dargestellt.
Verena als Dienstmagd in Zurzach
„Als Dienstmagd eines Priesters in Zurzach hatte sich Verena die tägliche Nahrung abgebrochen, um die benachbarten Siechen zu speisen. Darüber wird sie eines Unterschleifs verdächtigt, der argwöhnische Priester tritt ihr plötzlich in den Weg; doch siehe! Der Wein ist nun in Lauge, und die mitgenommenen Brotschnitte in einen Kamm verwandelt; beides ist zur Reinigung der Aussätzigen bestimmt.
Daher kommt es, dass die Verenabilder bald Waschkanne und Kamm, bald Weinkrug und Brotgipfel in der Hand haben. Da das Krüglein der heiligen ursprünglich steinern war, kann es auch ein Trockenmaß bedeutet haben, weil Steinkrüge in jener Zeit auch Kornviertel vorstellen.“
In einer anderen Version dieser Erzählung verrät sie der Knecht des Zurzacher Priesters der Veruntreuung, woraufhin er erblinden muss und elende Schmerzen ertragen, und auch keiner seiner Blutsverwandten stirbt daraufhin ohne Siechtum, Blindheit und Schmerz.
Fortsetzung folgt