Barrie Kosky inszeniert Wagner / Bayreuther Festspiele 2017
Von der Villa Wahnfried bis in den Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse führt die wahnwitzige Reise, die Regisseur Barrie Kosky auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses bringt. Am 25. Juli 2017 feierte Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen Premiere.
Barrie Kosky hat immer gesagt, er hasse die „Meistersinger von Nürnberg“. Jetzt inszeniert er die Oper bei den Wagner-Festspielen.
Bayreuth 2017. Richard Wagner wird auf der Bühne der Bayreuther Festspiele mit Kappe und Davidstern karrikiert. Was Antisemiten unbedingt sehen wollen, kriegen sie irgendwann auch zu sehen – etwa das angeblich "typisch jüdische" Gestikulieren. Das ist beklemmend und komisch zugleich, schwarzer Slapstick in opulenter Bühnenoptik. Die Darsteller der Familienaufführung verkleiden sich in Renaissancekostümen - kerndeutsche Rembrandt-Menschen, wie sie die reaktionären Wagnerianer propagierten.
Plötzlich fährt die Villa Wahnfried nach hinten und gibt einen weiten Raum frei. Es ist der Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalasts. Hier fanden 1945/46 die Kriegsverbrecherprozesse statt, hier spielen zweiter und dritter Akt. Keine muntere Massenschlägerei ist die Prügelfuge, sondern ein Angriff aller gegen einen. Während Beckmesser geschlagen wird, ploppt eine riesig aufgeblasene Judenkarikatur aus dem Nazihetzblatt "Stürmer" auf.
Deutlich spannender der Schluss: Die Festwiese, zuvor optisch fesselnd choreographiert, entvölkert sich schlagartig. Hans Sachs vulgo Richard Wagner bleibt allein im Gerichtssaal zurück und hält seine berüchtigte Rede über die echte deutsche Kunst an uns, ans Publikum. Als triumphal der Chor einstimmt, fährt ein Orchester auf die Bühne, von Richard dirigiert. Seine Ideologie ist gerichtet, seine Musik ist gerettet.
Der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin inszeniert die diesjährigen Bayreuther Festspiele.
Kosky ist der Mann fürs Unerwartete. Es gibt wohl keine Musiktheater-Tradition, auf die er sich nicht mit rebellischer Geste stürzt. In Berlin will er außerdem die von den Nazis in die Vergessenheit getriebenen Operetten jüdischer Komponisten neu entdecken. In seinen Operninszenierungen spielt Kosky gern auch mit der eigenen jüdischen Identität. Das Thema treibt den bekennenden Wagner-Kritiker umso mehr um, seit er sich entschlossen hat, bei den Bayreuther Festspielen als Regisseur mit den "Meistersingern von Nürnberg" zu debütieren. Die Premiere fand nun zum Festspielauftakt am 25. Juli statt.
Barrie Kosky sagt dazu: Wenn ich, Barrie Kosky, "Die Meistersinger" mache, dann nur in Bayreuth. Vor einigen Jahren hat mir ein großes europäisches Opernhaus das Stück angeboten. Ich habe gesagt, darin ist zu viel C-Dur. Zwei Jahre später hat mich die Festspielleiterin Katharina Wagner gefragt. Auch ihr habe ich gesagt, dass ich das Stück zu deutsch finde und nichts dazu zu sagen habe. Wir hatten dann mehrere Gespräche, und sie hat mir versichert, dass ich erzählen kann, was ich will. Also bin ich in einen Dialog mit dem Stück getreten.
Ich habe immer gedacht, das Stück ist eine starke Metapher auf die deutsche Kultur, Geschichte und Identität, was mich als Nicht-Deutschen eigentlich nicht interessiert. Ich habe zu Katharina Wagner zunächst gesagt, dass ich Probleme mit dem Stück habe und Zeit brauche, um darüber nachzudenken. Sie stimmte mir zu, dass es ein schwieriges Stück sei, und hat mir sechs Monate für meine Entscheidung gegeben. Dann hat sich meine Meinung geändert, denn ich habe entdeckt, dass es kein Stück über die deutsche Kultur ist. Es handelt von Wagners Idee einer deutschen Identität und Kultur. Das ist aber etwas ganz anderes. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl, dass ich die ganze Last der deutschen Identität auf meinen Schultern tragen muss. Nein, ich habe mich nur mit Wagners Fantasie auseinanderzusetzen.
Ich war jedenfalls sehr erleichtert, als mir bewusst wurde, dass "Die Meistersinger" vor allem ein Stück über Wagners Narzissmus ist. Wagner hielt sich nicht nur für das Zentrum der deutschen Kultur, sondern auch für ihren Motor, ihre Seele und ihr Heil.
Von der Villa Wahnfried bis in den Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse führt die wahnwitzige Reise, die Regisseur Barrie Kosky auf die Bühne des Bayreuther Festspielhauses bringt. Am 25. Juli 2017 feierte Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" bei den Bayreuther Festspielen Premiere.
Barrie Kosky hat immer gesagt, er hasse die „Meistersinger von Nürnberg“. Jetzt inszeniert er die Oper bei den Wagner-Festspielen.
Bayreuth 2017. Richard Wagner wird auf der Bühne der Bayreuther Festspiele mit Kappe und Davidstern karrikiert. Was Antisemiten unbedingt sehen wollen, kriegen sie irgendwann auch zu sehen – etwa das angeblich "typisch jüdische" Gestikulieren. Das ist beklemmend und komisch zugleich, schwarzer Slapstick in opulenter Bühnenoptik. Die Darsteller der Familienaufführung verkleiden sich in Renaissancekostümen - kerndeutsche Rembrandt-Menschen, wie sie die reaktionären Wagnerianer propagierten.
Plötzlich fährt die Villa Wahnfried nach hinten und gibt einen weiten Raum frei. Es ist der Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalasts. Hier fanden 1945/46 die Kriegsverbrecherprozesse statt, hier spielen zweiter und dritter Akt. Keine muntere Massenschlägerei ist die Prügelfuge, sondern ein Angriff aller gegen einen. Während Beckmesser geschlagen wird, ploppt eine riesig aufgeblasene Judenkarikatur aus dem Nazihetzblatt "Stürmer" auf.
Deutlich spannender der Schluss: Die Festwiese, zuvor optisch fesselnd choreographiert, entvölkert sich schlagartig. Hans Sachs vulgo Richard Wagner bleibt allein im Gerichtssaal zurück und hält seine berüchtigte Rede über die echte deutsche Kunst an uns, ans Publikum. Als triumphal der Chor einstimmt, fährt ein Orchester auf die Bühne, von Richard dirigiert. Seine Ideologie ist gerichtet, seine Musik ist gerettet.
Der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin inszeniert die diesjährigen Bayreuther Festspiele.
Kosky ist der Mann fürs Unerwartete. Es gibt wohl keine Musiktheater-Tradition, auf die er sich nicht mit rebellischer Geste stürzt. In Berlin will er außerdem die von den Nazis in die Vergessenheit getriebenen Operetten jüdischer Komponisten neu entdecken. In seinen Operninszenierungen spielt Kosky gern auch mit der eigenen jüdischen Identität. Das Thema treibt den bekennenden Wagner-Kritiker umso mehr um, seit er sich entschlossen hat, bei den Bayreuther Festspielen als Regisseur mit den "Meistersingern von Nürnberg" zu debütieren. Die Premiere fand nun zum Festspielauftakt am 25. Juli statt.
Barrie Kosky sagt dazu: Wenn ich, Barrie Kosky, "Die Meistersinger" mache, dann nur in Bayreuth. Vor einigen Jahren hat mir ein großes europäisches Opernhaus das Stück angeboten. Ich habe gesagt, darin ist zu viel C-Dur. Zwei Jahre später hat mich die Festspielleiterin Katharina Wagner gefragt. Auch ihr habe ich gesagt, dass ich das Stück zu deutsch finde und nichts dazu zu sagen habe. Wir hatten dann mehrere Gespräche, und sie hat mir versichert, dass ich erzählen kann, was ich will. Also bin ich in einen Dialog mit dem Stück getreten.
Ich habe immer gedacht, das Stück ist eine starke Metapher auf die deutsche Kultur, Geschichte und Identität, was mich als Nicht-Deutschen eigentlich nicht interessiert. Ich habe zu Katharina Wagner zunächst gesagt, dass ich Probleme mit dem Stück habe und Zeit brauche, um darüber nachzudenken. Sie stimmte mir zu, dass es ein schwieriges Stück sei, und hat mir sechs Monate für meine Entscheidung gegeben. Dann hat sich meine Meinung geändert, denn ich habe entdeckt, dass es kein Stück über die deutsche Kultur ist. Es handelt von Wagners Idee einer deutschen Identität und Kultur. Das ist aber etwas ganz anderes. Ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl, dass ich die ganze Last der deutschen Identität auf meinen Schultern tragen muss. Nein, ich habe mich nur mit Wagners Fantasie auseinanderzusetzen.
Ich war jedenfalls sehr erleichtert, als mir bewusst wurde, dass "Die Meistersinger" vor allem ein Stück über Wagners Narzissmus ist. Wagner hielt sich nicht nur für das Zentrum der deutschen Kultur, sondern auch für ihren Motor, ihre Seele und ihr Heil.
Was man will – nicht was man wünscht – empfängt man.
Cosima Wagner
Cosima Wagner