02.05.12016, 12:23
"Maximale Verdummung von Kindern"
Zu viel Internet und Zocken an der Playstation macht dick, dumm und aggressiv - so wurde der 2012 erschienene Bestseller "Digitale Demenz" von Professor Manfred Spitzer gern zusammengefasst. Der Psychiater und Neurowissenschaftler sagt selbst, für seine Thesen habe ihn ein Shitstorm ereilt. Doch an seinen Warnungen vor der Onlinewelt hält der 56-Jährige fest. In seinem jetzt erschienenen Buch "Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert" vergleicht Spitzer die Risiken ständiger Smartphone-Nutzung gar mit denen des Rauchens. Andreas Rentsch sprach mit ihm.
Professor Spitzer, Sie beschreiben ein neues Zivilisationsleiden. Was ist das - "cyberkrank"?
Es ist für mich ein Sammelbegriff für die krankhaften Veränderungen, die durch digitale Informationstechnik ausgelöst werden und die wir beobachten können.
Wie kommen Sie darauf, dass es so schlimm um uns steht? Ist dafür der Begriff Krankheit gerechtfertigt?
Als ich "Digitale Demenz" schrieb, ging es mir vor allem um die negativen Auswirkungen intensiver Mediennutzung auf unser Denkvermögen. Es sind seit 2012 viele Studien zu Auswirkungen digitaler Informationstechnik erschienen, und in vielen von ihnen ging es um anderes: Ängste, Depressionen, Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen - also um Krankheiten, die in mein Fachgebiet, die Psychiatrie, fallen. Zugleich haben wir erlebt, wie sich das Smartphone rasend schnell verbreitet hat und sich massiv negativ auf Bildung und soziale Entwicklung junger Menschen auswirkt.
Sie warnen speziell vor Gefahren für Kinder und Jugendliche. Wenn man weiß, dass 12- bis 16-Jährige derzeit 7,5 Stunden täglich Bildschirmmedien nutzen, kommt diese Warnung ziemlich spät.
Solche Warnungen kommen immer zu spät. Nehmen Sie das Rauchen: Hier hat es über ein halbes Jahrhundert gedauert von der Einsicht, dass Rauchen Lungenkrebs verursacht, bis zu Gesetzen, die Zigarettenwerbung verbieten und das Rauchen einschränken. Während dieser Zeit starben sieben Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Die Tabaklobby hatte ganze Arbeit geleistet. Jetzt haben wir wieder eine Lobby - Google, Apple, Facebook, Microsoft und Co. -, die behauptet: Digitale Medien machen klug, sozial und sind genial für den Unterricht. Richtig ist hingegen, dass Computer und Tablets in der Schule die Leistungen verschlechtern - insbesondere die der schwächeren Schüler.
Was ist schlecht daran, wenn ein Kind scheinbar intuitiv auf einem Touchscreen herumwischt oder -tippt? Zeigen sich hier nicht auch Lerneffekte?
In Wahrheit ist es das Verheerendste für die Gehirnentwicklung. Gerade kleine Kinder müssen die Dinge ergreifen, um sie zu begreifen! Es ist nachgewiesen, dass die sensomotorische Entwicklung entscheidend für die Entwicklung höherer geistiger Leistungen ist. Schauen Sie einem vierjährigen Kind zu, wie es mit einer Nadel, einem Schlüssel oder anderen komplizierten Gegenständen wunderbar hantiert. Diese Handgriffe lernt es nicht, wenn es mit immer gleicher Handbewegung über eine Glasoberfläche wischt. Das ist eine maximale Verdummung der Sensomotorik. Man muss deshalb vor der Benutzung von Tablets im Kindergarten-Alter warnen.
Das heißt, Sie argumentieren auch dagegen, Kinder altersgerechte Apps nutzen zu lassen?
Ja, die sind Quatsch. Leute, die damit Geld verdienen, erzählen Ihnen natürlich was anderes. Aber da geht es um Kommerz, nicht um die Kinder.
Aber wann und wie ist denn dann die Nutzung digitaler Informationstechnik aus Ihrer Sicht akzeptabel?
Im Grunde ist es einfach: In der Kindheit und Jugend sollte die Freizeit nicht mit digitalen Medien gestaltet werden. Kinder gehören raus in die Natur, zum Sport. Sie lernen Musik nicht mit einer App, sondern, indem sie ein Instrument in die Hand nehmen oder auf Kochtöpfen trommeln. Was bleibt, ist die Verwendung als Werkzeug. Doch wenn die Frage lautet, ob digitale Medien Bildungswerkzeuge sind, lautet meine Antwort: Nein. Wenn wir in einem Buch lesen, dann merken wir es uns besser, als wenn wir es googeln. Wer in einer Vorlesung mittippt, behält weniger als der, der mitschreibt. Das Alter, ab dem digitale Technik der Entwicklung von jungen Menschen nicht mehr schadet, ist schwer zu ermitteln. Bei 16-Jährigen sind Schäden definitiv noch deutlich, mit 18 darf jeder, was er will. Immer gilt: Die Dosis macht das Gift.
Es entspricht aber nicht der Realität, dass Jugendliche erst mit 16 Jahren beginnen, ein Smartphone zu benutzen.
Genau dies ist ja das Problem! Wir haben noch nicht begriffen, wie schädlich digitale Medien für die Gesundheit und Bildung junger Menschen sind. Übrigens fallen Smartphones und Spielkonsolen ja nicht vom Himmel. Wir kaufen sie! Und wenn wir so etwas kaufen, um es an unsere Kinder zu verschenken, müssen wir überlegen: Tut es ihnen gut? Die Antwort ist: Nein. Also kaufen wir es ihnen nicht. Punkt, aus, Schluss.
Dann gilt es allerdings den Gruppendruck auszuhalten, weil alle anderen ein Smartphone haben.
Dafür sind Eltern eben zuständig. Da ist die Sorge, dass man sein Kind zum Außenseiter macht, wenn man ihm Smartphone, Facebook oder WhatsApp verbietet. Ich sage, es ist genau umgekehrt: Wer zu viel Facebook und WhatsApp benutzt, wird empathielos und asozial.
Das gesamte Interview hier:
http://www.freiepresse.de/RATGEBER/FAMILIE/Maximale-Verdummung-von-Kindern-artikel9346011.php
Zu viel Internet und Zocken an der Playstation macht dick, dumm und aggressiv - so wurde der 2012 erschienene Bestseller "Digitale Demenz" von Professor Manfred Spitzer gern zusammengefasst. Der Psychiater und Neurowissenschaftler sagt selbst, für seine Thesen habe ihn ein Shitstorm ereilt. Doch an seinen Warnungen vor der Onlinewelt hält der 56-Jährige fest. In seinem jetzt erschienenen Buch "Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert" vergleicht Spitzer die Risiken ständiger Smartphone-Nutzung gar mit denen des Rauchens. Andreas Rentsch sprach mit ihm.
Professor Spitzer, Sie beschreiben ein neues Zivilisationsleiden. Was ist das - "cyberkrank"?
Es ist für mich ein Sammelbegriff für die krankhaften Veränderungen, die durch digitale Informationstechnik ausgelöst werden und die wir beobachten können.
Wie kommen Sie darauf, dass es so schlimm um uns steht? Ist dafür der Begriff Krankheit gerechtfertigt?
Als ich "Digitale Demenz" schrieb, ging es mir vor allem um die negativen Auswirkungen intensiver Mediennutzung auf unser Denkvermögen. Es sind seit 2012 viele Studien zu Auswirkungen digitaler Informationstechnik erschienen, und in vielen von ihnen ging es um anderes: Ängste, Depressionen, Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen - also um Krankheiten, die in mein Fachgebiet, die Psychiatrie, fallen. Zugleich haben wir erlebt, wie sich das Smartphone rasend schnell verbreitet hat und sich massiv negativ auf Bildung und soziale Entwicklung junger Menschen auswirkt.
Sie warnen speziell vor Gefahren für Kinder und Jugendliche. Wenn man weiß, dass 12- bis 16-Jährige derzeit 7,5 Stunden täglich Bildschirmmedien nutzen, kommt diese Warnung ziemlich spät.
Solche Warnungen kommen immer zu spät. Nehmen Sie das Rauchen: Hier hat es über ein halbes Jahrhundert gedauert von der Einsicht, dass Rauchen Lungenkrebs verursacht, bis zu Gesetzen, die Zigarettenwerbung verbieten und das Rauchen einschränken. Während dieser Zeit starben sieben Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Die Tabaklobby hatte ganze Arbeit geleistet. Jetzt haben wir wieder eine Lobby - Google, Apple, Facebook, Microsoft und Co. -, die behauptet: Digitale Medien machen klug, sozial und sind genial für den Unterricht. Richtig ist hingegen, dass Computer und Tablets in der Schule die Leistungen verschlechtern - insbesondere die der schwächeren Schüler.
Was ist schlecht daran, wenn ein Kind scheinbar intuitiv auf einem Touchscreen herumwischt oder -tippt? Zeigen sich hier nicht auch Lerneffekte?
In Wahrheit ist es das Verheerendste für die Gehirnentwicklung. Gerade kleine Kinder müssen die Dinge ergreifen, um sie zu begreifen! Es ist nachgewiesen, dass die sensomotorische Entwicklung entscheidend für die Entwicklung höherer geistiger Leistungen ist. Schauen Sie einem vierjährigen Kind zu, wie es mit einer Nadel, einem Schlüssel oder anderen komplizierten Gegenständen wunderbar hantiert. Diese Handgriffe lernt es nicht, wenn es mit immer gleicher Handbewegung über eine Glasoberfläche wischt. Das ist eine maximale Verdummung der Sensomotorik. Man muss deshalb vor der Benutzung von Tablets im Kindergarten-Alter warnen.
Das heißt, Sie argumentieren auch dagegen, Kinder altersgerechte Apps nutzen zu lassen?
Ja, die sind Quatsch. Leute, die damit Geld verdienen, erzählen Ihnen natürlich was anderes. Aber da geht es um Kommerz, nicht um die Kinder.
Aber wann und wie ist denn dann die Nutzung digitaler Informationstechnik aus Ihrer Sicht akzeptabel?
Im Grunde ist es einfach: In der Kindheit und Jugend sollte die Freizeit nicht mit digitalen Medien gestaltet werden. Kinder gehören raus in die Natur, zum Sport. Sie lernen Musik nicht mit einer App, sondern, indem sie ein Instrument in die Hand nehmen oder auf Kochtöpfen trommeln. Was bleibt, ist die Verwendung als Werkzeug. Doch wenn die Frage lautet, ob digitale Medien Bildungswerkzeuge sind, lautet meine Antwort: Nein. Wenn wir in einem Buch lesen, dann merken wir es uns besser, als wenn wir es googeln. Wer in einer Vorlesung mittippt, behält weniger als der, der mitschreibt. Das Alter, ab dem digitale Technik der Entwicklung von jungen Menschen nicht mehr schadet, ist schwer zu ermitteln. Bei 16-Jährigen sind Schäden definitiv noch deutlich, mit 18 darf jeder, was er will. Immer gilt: Die Dosis macht das Gift.
Es entspricht aber nicht der Realität, dass Jugendliche erst mit 16 Jahren beginnen, ein Smartphone zu benutzen.
Genau dies ist ja das Problem! Wir haben noch nicht begriffen, wie schädlich digitale Medien für die Gesundheit und Bildung junger Menschen sind. Übrigens fallen Smartphones und Spielkonsolen ja nicht vom Himmel. Wir kaufen sie! Und wenn wir so etwas kaufen, um es an unsere Kinder zu verschenken, müssen wir überlegen: Tut es ihnen gut? Die Antwort ist: Nein. Also kaufen wir es ihnen nicht. Punkt, aus, Schluss.
Dann gilt es allerdings den Gruppendruck auszuhalten, weil alle anderen ein Smartphone haben.
Dafür sind Eltern eben zuständig. Da ist die Sorge, dass man sein Kind zum Außenseiter macht, wenn man ihm Smartphone, Facebook oder WhatsApp verbietet. Ich sage, es ist genau umgekehrt: Wer zu viel Facebook und WhatsApp benutzt, wird empathielos und asozial.
Das gesamte Interview hier:
http://www.freiepresse.de/RATGEBER/FAMILIE/Maximale-Verdummung-von-Kindern-artikel9346011.php
-