Big Brother
#20
Die Genesis der neuen Kriegsordnung

Das ist das wirkliche Katastrophenszenario: Die transatlantische Supermacht strebt eine militärische Lösung des Nord-Süd-Konfliktes an

Es war nicht bloß von düstererer Symbolik, daß das Ende des Kalten Krieges mit einem heißen Krieg eingeleitet wurde. Dieser Krieg hatte programmatische Bedeutung. Im Irak ist das Wesen der neuen imperialistischen Weltordnung mit Blut festgeschrieben worden.

Noch vor ihrer Auflösung war die Sowjetunion als weltpolitischer Faktor eliminiert worden. Der Golfkrieg 1991 fand bereits jenseits des Ost-West-Konfliktes statt. Die Sieger im Kalten Krieg haben sich keine Sekunde auf ihren Lorbeeren ausgeruht, sondern umgehend mit der Beseitigung der Ergebnisse der antikolonialen Befreiungsrevolutionen des 20. Jahrhunderts begonnen. Der sozialen Revanche folgte die nationale.

Wie jedes Dorf seinen Dorftrottel, hat auch diese Weltordnung ihren Tölpel. Bis heute glaubt Michail Gorbatschow, der Begründer der ganzheitlichen Welt gewesen zu sein. Das von ihm kreierte »Neue Denken« postulierte die Priorität allgemein-menschlicher Werte sowie das Recht der Nationen auf einen unabhängigen Entwicklungsweg. Schien es ursprünglich, als hätte der Sozialismus die für das Überleben der Menschheit entscheidenden, den Klassenantagonismus tangierenden Themen besetzt, so erwies sich bald, daß die Neudenker die eigene Gesellschaftsordnung und nicht das den Menschheitsinteressen widersprechende Profitsystems als negativen Bezugspunkt ihrer Kritik gedacht haben. Die allgemein-menschlichen Werte sahen sich in der Universalität der kapitalistischen Marktwirtschaft aufgehoben, und der unabhängige Entwicklungsweg erwies sich als Triumphzug der Konterrevolution in die Abhängigkeit der sowjetischen und osteuropäischen Völker vom Westen.

Die Tatsache, daß der neue Universalismus keine Solidargemeinschaft globaler Marktwirtschaftsaktivisten, sondern ein Projekt der Unterwerfung, ein noch nicht dagewesenes hierarchisches Weltsystem begründete, wurde im Irak-Krieg erstmals klargestellt. Er bildete eine programmatische Absage an die Bipolarität, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Grenzen imperialistischer Expansion markierte. Ein für die Hasardeure der sozialistischen Systemdemontage äußerst peinliches Ergebnis. Ihre Abrüstungsdividende war die Dividende zum Krieg.

Im Irak kam erstmals die neue amerikanische Kriegsdoktrin zur Anwendung. Die Doktrin eines Krieges, der die Statistenrolle des Kriegsgegners zur Voraussetzung hat. Ein Krieg, in dem die eine Seite Krieg führt, ohne sich wirklich im Krieg zu befinden und in dem sich die andere Seite im Krieg befindet, ohne wirklich in der Lage zu sein, ihn zu führen. Der Golfkrieg 1991 hatte in Irak sein Angriffsziel, nicht aber seinen eigentlichen politischen Inhalt. Der ergab sich aus der Instrumentalisierung der UNO zu einem Akklamationsorgan des westlichen Interventionismus, was die schrittweise Übernahme des von der Weltorganisation ausgeübten Gewaltmonopols durch die USA zur Konsequenz hatte.

Die UNO war nie ein von den realen Kräfteverhältnissen abgehobenes Organ gewesen. In ihren besten Zeiten reflektierte sie die Bipolarität und den gewachsenen Einfluß der blockunabhängigen Staaten, die der allgemein-demokratischen Idee des Völkerrechts als Recht auf nationale Souveränität am stärksten Ausdruck verliehen. Die Ironie der Geschichte lag darin, daß die Gorbatschowisten, indem sie sich selbst in eine Position einer klassenneutralen Blockfreiheit begaben, in dem Glauben, mit dem einseitigen Ausstieg aus der Blockkonfrontation das Ende der Blöcke einzuleiten, der Blockfreienbewegung den Todesstoß versetzten. Denn nicht das Ende der Blöcke stand auf dem Programm der neuen Weltordnung, sondern die Herstellung eines hegemonialen Blocks zur dauerhaften Unterwerfung der Zukurzgekommenen. Damit waren den Blockfreien alle Voraussetzungen, sich als Bewegung der nationalen Selbstbestimmung zu behaupten, entzogen worden.

Als von den jeweils bestehenden Kräfteverhältnissen nie unabhängig gewesene Organisation ist der UNO in Zeiten des Unilateralismus die Tendenz zur Selbstentmachtung immanent. Das ergibt sich auch aus ihrer Struktur der Unterordnung der Vollversammlung unter den Sicherheitsrat. In dessen Funktion als Unterabteilung der elitären Weltordnung liegt es begründet, daß UN-Beschlüsse gefaßt werden, die in Widerspruch zum Geist der UNO-Charta stehen. So die Resolution 688 von 1991, in der die nationale Souveränität eines UN-Mitgliedstaates erstmals zur Disposition gestellt wurde. Über den Irak wurde nicht nur eine internationale Waffeninspektion verhängt: Der militärisch besiegte Staat verlor auch noch die Kontrolle über Teile seines Territoriums, deren Ökonomie dem direkten Regime von IWF und Weltbank unterstellt wurden. (Siehe Werner Ruf: »Zurück zur Anarchie?« in Z. Nr. 50). Diese Resolution verankerte auch das Prinzip der »humanitären Intervention«. Die Carde blanche für den Menschenrechtsinterventionismus war ausgestellt.

Doch selbst diese zur Durchsetzung hegemonialer Interessen umfunktionierte UNO wurde von der Interventionszentrale zunehmend als Altlast empfunden. Weil erstens die UN-Strukturen nur sehr schwerfällig mit den »Schnellen Eingreiftruppen« korrespondieren und weil zweitens die UNO immer noch ein Hindernis zur vollen Entfaltung der imperialistischen Selbstherrschaft darstellt. Dem imperialistischen Prinzip entspricht die Selbstmandatierung. Zwar wäre der NATO-Krieg gegen Jugoslawien um nichts weniger völkerrechtswidrig gewesen, hätte er ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gehabt, daß ein solches aber nicht zustandekam, bewies, daß die Automatismen der neuen Weltordnung noch nicht reibungslos funktionieren. Sie können das überhaupt nur, wenn das bestehende, durch das Prinzip der »humanitären Intervention« bereits entscheidend ausgehöhlte Völkerrecht restlos beseitigt ist.

Der Krieg gegen Jugoslawien war auch ein Konflikt zwischen Verfassungsanspruch (UNO-Charta) und der von der neuen Weltordnung hergestellten Verfassungsrealität. Mit Jugoslawien blieb das Völkerrecht auf der Strecke. Das auf Befehl der NATO von der UNO installierte Protektoratsregime, das die Zerstörung der territorialen Integrität Serbiens zur Voraussetzung hat, bedeutete eine bisher noch nicht dagewesene Verletzung der UNO-Charta durch die UNO.

Die wirklichen oder erfundenen humanitären Katastrophen reichten offenbar nicht aus, um das Prinzip der Nichteinmischung aus dem System der internationalen Beziehungen zu verbannen. Ein globales Katastrophenszenario mußte her, um das imperialistische Gewaltprinzip zur bestimmenden Norm des zwischennationalen »Zusammenlebens« zu erheben. Ab dem 11. September 2001 wird so richtig »zurückgeschossen«. Die transatlantische Supermacht strebt eine militärische Lösung des Nord-Süd-Konfliktes an. Das ist das wirkliche Katastrophenszenario.

Die Bush-Administration kündigte einen permanenten, »vielleicht nie endenden Krieg gegen den Terror« an, als wäre dies die größte Verheißung in der bisherigen Menschheitsgeschichte. Der Krieg als der vollkommenste Ausdruck des ewigen Kampfes des Guten gegen das Böse.

Der Krieg als Fortsetzung gewalttätiger Videospiele. Doch was so unwirklich anmutet, ist die Klassenkampfrealität des 21. Jahrhunderts. Die Bushmänner sind zur globalen Aufstandsbekämpfung angetreten. Sie haben einen Krieg Reich gegen Arm angezettelt, noch bevor die Armen zum Widerstand befähigt waren. Der »Krieg gegen den Terror« begann nicht von ungefähr in einem der ärmsten und rückständigsten Länder der Welt. Sozialer Sadismus als Triebkraft des neuen Krieges. Die Liste der »neuen Feinde« ist lang und läßt sich beliebig verlängern. Um den Terror bereits im Ansatz zu unterbinden, behalten sich die USA das Recht auf den Erstschlag vor. Wer als »neuer Feind« betrachtet wird, erfährt es zwecks Sicherung des Überraschungseffekts, im ersten Bombenhagel. In der Konsequenz bedeutet das die Verhängung des US-Kriegsrechtes über die ganze Welt. Die Mafia-Mentalität der modernen Kriegsherren ist unverkennbar: Wer seine Unabhängigkeit bewahren und sich nicht dem Diktat des Kartells beugen will, hat seine Existenz verwirkt.

Das wesentliche am neuen Krieg ist der Kult der Gesetzlosigkeit im Namen einer höheren Moral und das nihilistische Verhalten gegenüber den gesamtmenschheitlichen Interessen. Die nihilistische Stimmung, die Koketterie mit dem Weltuntergang auf »High-Tech«-Niveau breitet sich aus. Im Kaschmir-Konflikt wird laut über den Einsatz von Atombomben nachgedacht. Die neue Weltordnung hält, was George Bush sen. versprochen hat und nicht, was Gorbatschow herbeiphantasieren wollte: nämlich eine Kriegs- und keine Friedensordnung zu sein.


(Diese Nachricht wurde am 07.06.02 um 10:04 von Wishmaster geändert.)
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