Insel der Schwäne
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Insel der Schwäne

Kapitel I

Seine Augen schmerzten, als er sie öffnete. Langsam wichen die Nebel, die seinen Blick trübten. Die junge Frau, die an seiner Seite saß, bemerkte sein Erwachen. Sie lächelte zärtlich, als sie ein feuchtes Tuch auf seine Stirn legte. Dann wurde alles wieder dunkel....
„Argos! Das ist eine Falle!“ Der Schmerz beim Aufschrecken seines Körpers, ließ ihn zusammenzucken. „Ihr habt schlecht geträumt...Beruhigt euch.“ Die junge Frau hatte immer noch an seiner Seite gewacht. Sie half ihm, sich wieder niederzulegen. Er atmete sehr schwer, fasste sich an seine schmerzende Brust und verzog seine Gesicht. Es dauerte einige Zeit bis er wieder Ruhe fand. Die junge Frau hatte ihm wieder ein feuchtes Tuch auf die Stirn gelegt und sah nun nach dem Verband, der seine Brust umschlang. Sie lächelte wieder. „Ihr habt sehr lange geschlafen. Eure Wunden waren sehr schwer, doch ihr ward stark genug.“ Sie hatte den Verband gelöst und war dabei eine Salbe auf die große Wunde, die sich über seine ganze Brust zog, aufzutragen. „Wo bin ich?“ Seine Stimme klang belegt und schwach. Die junge Frau antwortete ohne ihre Bemühungen mit dem Verband zu unterbrechen. „Ihr seid auf Ledos.“ „Ich kann mich nicht erinnern.“ Die junge Frau blickte zu ihm. „Dieser Ort ist nur Wenigen bekannt.“ Er blickte ihr völlig klar in die Augen. „Das meine ich nicht...Ich kann mich an nichts erinnern.“

„Er hat sein Gedächtnis verloren.“ Der junge Mann betrachtete den Ring, den er trug und hörte das Gespräch, welches die junge Frau mit einer anderen führte. „Das war zu befürchten. Es ist erstaunlich, daß er überhaupt überlebt hat. Es grenzt an ein Wunder.“
Es vergingen viele Wochen, bis er sein Lager verlassen konnte. Oft entzündete sich die Wunde auf seiner Brust wieder und ließ ihn schmerzhaft fiebern. Im Fieberwahn schrie er oft auf und rief immer wieder die gleichen Namen. Jetzt konnte er schon aufstehen und begab sich jeden Tag in den Garten. Er setzte sich immer auf die Bank, von der aus man das Meer betrachten konnte. Dort saß er meistens den ganzen Tag. Er sprach mit Niemandem.
„Du hast ihn sehr gut gepflegt Wala.“ Menos hatte sich zu ihr gestellt. „Körperlich kann ich ihn heilen aber sein Inneres hat noch einen langen Weg vor sich.“ Sie lächelte Menos an und richtete dann wieder den Blick auf den jungen Mann, der am Horizont nach Antworten suchte. Menos ließ ein Lächeln über sein gesicht gleiten, als er den Blick der jungen Frau verstand und begab sich zurück in den Tempel.
„Wala! Wala!“ Der junge Mann drehte sich um und erkannte die junge Frau, die ihn pflegte. Eine Frau war auf sie zugelaufen und überbrachte ihr aufgeregt eine Botschaft. Nachdem sie alles besprochen hatten, blickte die junge Frau in seine Richtung. Er senkte den Blick und wandte ihn wieder dem Meer zu.
„Ihr schaut auf das Meer der tausend Tränen.“ Wala war neben ihn getreten. Er erhob seinen Blick in ihre Richtung. Sie trug ein helles Gewand, daß mit einer Brosche an der Schulter verziert war. Die Sonne blendete ihn und er mußte die Augen zusammenkneifen, um das Symbol auf ihr zu erkennen. Er sprang auf und griff danach. Wala zuckte vor Schreck zusammen, bis sie verstand was gerade passierte. Der junge Mann betrachtete es sehr intensiv. Dann blickte er ihr tief in die Augen. Sie wußte, daß er sich versuchte zu erinnern. Dann blickte er auf den Ring, den er trug, dann wieder in ihre Augen. „Was hat das zu bedeuten?“ Wala freute sich innerlich, daß er mit ihr sprach aber auf diese Frage durfte sie im nicht antworten. Das waren Dinge, die er selbst herausfinden mußte. Sie blickte traurig und schwieg. Er verstand. Er senkte enttäuscht seinen Blick und begab sich auf den Weg der zum Strand hinunter führte.
Er war sehr lange am Strand entlanggelaufen und hatte dabei nicht einmal seinen Blick erhoben. Nun blieb er stehen. Ein Geräusch hatte ihn auf horchen lassen. Es war ein Schwan, der ihn aus seinen Gedanken riss. Als er sich umsah, konnte er ihn in wenigen Schritten Entfernung erblicken. Der Schwan ließ sich gerade an das Ufer treiben. Er schüttelte sich und erblickte den jungen Mann, der ihn betrachtete. Erhaben hob er seine Flügel. Die Sonne spiegelte sich auf jedem kleinen Wassertropfen, der sein Gefieder noch schmückte. Es war ein prachtvoller Anblick.
„Sie kommen jeden Tag hierher.“ Er blickte sich um und sah Wala, die in geringer Entfernung hinter ihm stand. Sie wendete ihren Blick zum Meer. „Ich verbringe hier viel Zeit, wenn ich allein sein möchte.“ Der junge Mann sah wieder in die Richtung, wo er den Schwan erblickt hatte. Auf den Wogen des Meeres konnte er nun noch weitere Schwäne entdecken. Auch sie ließen sich an Land treiben und gesellten sich zu dem anderen Schwan, der sich schon im Sand niedergelassen hatte.
„Man sagt, daß jeder von ihnen ein Mensch gewesen ist. Sie lebten auf einer Insel, die vor langer Zeit untergegangen ist. Ihr König und ihre Königin wurden verraten und ermordet. Sie warten auf den Tag an dem sie wiedergeboren werden und sie gemeinsam in ihre Heimat zurückkehren können.“
Wala hatte sich nun neben den jungen Mann gestellt und beide betrachteten die Schwäne, wie sie jede Brise, die vom Meer kam, zu genießen schienen. „Sie wirken so zart und rein...und doch so stolz und anmutig.“ Wala staunte, solche Worte von ihm zu hören. Sie schaute zu ihm herüber und ließ ein flüchtiges Lächeln über ihre Lippen gleiten.
Als sie nun langsam am Ufer des Meeres zurückgingen, brach er wieder das Schweigen: „Wie lange bin ich jetzt bei euch?“ „Es ist über drei Monate her, daß Du...“ Wala stockte... „daß Du bei uns bist.“ „Warum darfst Du mir nicht sagen, wer ich bin und wie ich hergekommen bin?“ Der junge Mann blieb stehen und hatte auch Wala durch einen sanften Griff an ihrem Oberarm zum Halten bewegt. Sie blickte zu ihm auf. „Auch das darf ich dir nicht sagen.“ Er sah an ihrem Blick, daß sie ihm gern geholfen hätte, aber es ihr wirklich nicht gestattet war. Langsam ließ er ihren Arm los, den er die ganze Zeit nicht losgelassen hatte. „Ich möchte noch etwas allein sein.“ Er senkte wieder seinen Blick und wanderte nun in die andere Richtung des Strandes weiter.
Er war schon ein Stück gegangen als sie ihm nachrief: „Manchmal helfen unsere Träume uns Antworten zu geben. Wir verarbeiten darin viel, was uns bewegt und was wir erlebt haben.“ Er verharrte so lange wie sie sprach, um dann seinen Weg weiter fortzusetzen.

Ein Zupfen an seiner Kleidung ließ ihn erwachen. Er war am Strand in der Sonne eingeschlafen. Es waren schon einige Wochen vergangen nachdem er mit Wala gesprochen hatte. Er zuckte vor Schreck leicht auf, als er sah, daß es ein Schwan war, der ihn weckte. Auch der Schwan schreckte zurück und schnatterte vor sich hin. Der jung Mann richtete sich auf und sah, daß die Sonne schon langsam unterging. Der Schwan stand vor ihm und schien darauf zu warten, daß er aufstand. Langsam erhob sich der junge Mann. Er befreite seine Kleidung, die von dem feinen Sand bedeckt war. Er blickte wieder zu dem Schwan, der einen kurzen Laut von sich ließ und sich weiter in die Richtung bewegte, die auch er eingeschlagen hatte. Er hatte das Gefühl, als wolle der Schwan, daß er ihm folgt. Er zögerte. Doch als der Schwan sich nochmals umdrehte und das gleiche Geräusch von sich gab, tat er einfach, was sein Gefühl ihm sagte.
Oft flog der Schwan einige Meter voraus, setzte sich geduldig in den Sand, um dann wieder schweigend weiterzufliegen. Erst als die Sonne fast untergegangen war, erblickte der junge Mann, wo der Schwan ihn hingeführt hatte.

Es leuchteten Fakeln im aufkommenden Abendlicht. Als er näher kam, erkannte er Wala, die im Kreis dieser Fakeln stand.
"Schon lange verweilt ihr an diesem Ort." Walas Stimme klang sanft, doch ihr Gesicht wirkte auf ihn kühl und distanziert. Langsam ging sie auf den jungen Mann zu. Er bemerkte wie geschmeidig sie sich bewegte. Zart und bedacht setzte sie einen Fuß vor den anderen. Ihr blaues Gewand war aus dünnem Stoff und fügte sich jeder leichten Brise, die vom Meer aus den Strand erreichte. Er bemerkte erst jetzt wie schön sie war. Er hatte sich so krampfhaft mit seinen Erinnerungen beschäftigt, daß es ihm nicht auffallen konnte. Ihre Haare fielen geschmeidig über ihre Schultern. Sie waren leicht gewellt und glänzten im letzten Schein der Sonne. Sie streckte ihm ihre Hände entgegen und führte ihn in den Kreis. Ihre kleinen zarten Hände verloren sich in seinen. Sie waren weiß und wirkten so zerbrechlich. Als er seinen Blick wieder von ihren Händen erhob, sah sie ihm tief in die Augen. Er hatte noch nie in solche Augen geblickt. Sie funkelten voller innerlicher Kraft und er hatte das Gefühl sich in ihnen zu verlieren. Wala lächelte.
"Eure Vergangenheit liegt in dichtem Nebel... Eure Versuche die Nebel zu durchbrechen blieben bis zu diesem Tag ohne Erfolg." Der junge Mann senkte den Blick. Wala drückte leicht seine Hände, um ihm so zu bedeuten, daß er sie wieder ansah. Als er dies tat, lächelte sie erneut, ehe sie wieder begann zu sprechen.
"Diese Nebel erschaffen wir uns selbst... Um Unverarbeitetes zu verdrängen...uns selbst zu schützen...vielleicht auch...weil die Wahrheit zu schmerzhaft ist... Oder ist es die Angst, die unsere Vergangenheit in diese Nebel taucht...?" Wala löste ihre Hände aus seinen und wandte ihren Körper dem Meer zu. Ihre Augen konzentrierten sich auf den Horizont. "Es ist bei jedem unterschiedlich... Die Antwort kann nur jeder selbst finden, wenn er dafür bereit ist... Bereit sich selbst zu betrachten...ohne Furcht...ohne Stolz..." Wala wandte sich nun wieder zu ihm. Sie sah tief in seine Augen, die ihm bis in das Tiefste seines Selbst zu blicken schienen und fragte: "Ist es euer freier Wunsch die Vergangenheit zu erfahren?"
Er schluckte, und er hatte das Gefühl, die schwerste Entscheidung seines Lebens treffen zu müssen. Das erste Mal, seitdem er hier war, hatte er Zweifel an dem, was er immer wollte - zu wissen wer er war. Doch im gleichen Augenblick wurde ihm bewußt, daß es unvermeidlich war diesen Schritt zu gehen. Oder sollte er sagen zu wagen? Der Knoten in seinem Hals löste sich. Er erwiderte fest ihren Blick, und für einen kurzen Moment konnte er Bewunderung in ihren Augen erkennen. "Es ist mein freier Wille!"
Ihre Gesichtszüge nahmen den gleichen distanzierten Ausdruck an. Wala nahm nun wieder seine Hände. "Sieh mir tief in die Augen! Dringe vor in die Unendlichkeit, die sich in ihnen verbirgt. Sie ist auch eure Unendlichkeit... Alles ist...und alles ist nicht...Leere und Raum..." Er hatte seinen Blick auf ihre Augen fixiert. Sie wiederholte diese Worte immer und immer wieder. Er hatte das Gefühl in Dunkelheit zu schweben. Walas Stimme begleitete ihn. ..."Alles ist... Alles ist nicht..."...
Vom Meer her zog Nebel auf. So dicht wie seit vielen Jahren nicht mehr. Er umhüllte den Kreis, in dem sie standen... Umhüllte die ganze Insel...
Ihr letztes Wort - nur ein leises Flüstern...in den dichten Nebel gehaucht...ein Name...sein Name... "Arkas!"...

Stimmen erreichten sein Gehör. Erst weit entfernt und dann immer näher. Er lag auf etwas Weichem. Es war feucht und irgendwie warm. Er öffnete die Augen und sah in den Himmel. Rauchsäulen verdunkelten die Sonne. Es roch nach verbranntem Holz und nach Tod. Er konnte nur seinen Kopf bewegen. Etwas lag auf seinem Köprer. Als er seinen Kopf zur Seite wendete, sah er in das Gesicht eines toten Soldaten. Blut rann über seine Stirn und Nase. Es war schon geronnen. Der tote Soldat hatte seine Augen geschlossen. Hatte er Furcht empfunden, als er gefallen war? Er wirkte auf seltsame Weise frei.
"Arkas!... Männer!... Hierher!" Er blickte in die Augen eines alten Bekannten. Seine Stimme wirkte erleichtert. Nur leise konnte er seinen Namen aussprechen, ehe er von mehreren Männern auf eine Bahre gehoben wurde. "Argos..."
Seine Blicke wanderten über die Hände, Arme und Kleidung der Männer, die ihn trugen. Sie waren von Schmutz und Blut verschmiert. Ihre Rüstungen hatten sie abgelegt und trugen nur die Unterkleidung aus blauem Stoff, welcher ebenso gezeichnet war wie ihre nackten Arme. Als sein Blick zur Seite fiel, sah er Berge von Leichen auf dem Schlachtfeld, liegend in einer Senke, von Bergen umschlossen. Ihre Spitzen waren in reines Weiß gehüllt, und einer ihrer Gipfel schien, als küßte er die Sonne.
Erst jetzt bemerkte Arkas, wie ihm sein Körper schmerzte. Seine Beine schmerzten vom langen Stehen. Sie hatten den ganzen Tag gekämpft. Seine Arme und Hände vom Führen seiner Waffen. Die stärksten Schmerzen fühlte er auf seinem Oberkörper. Er hob seinen rechten Arm und ließ seine Hand zitternd über die schmerzende Stelle gleiten. Für einen kurzen Moment weitete er die Augen, um sie dann zu schmalen Schlitzen zusammen zu kneifen. Er hatte das Gefühl einer Erinnerung. So als hätte er ... Starke Schmerzen unterbrachen seinen Gedanken.
Die Männer steuerten auf ein Zelt zu. Stimmengewirr und Schreie schmerzerfüllter Soldaten durchdrangen die Luft. Er erkannte in dem Mann, der die Einteilung für die ankommenden Verwundeten vornahm, seinen alten Freund Samos. Als nun dieser seinen Blick auf die Bahre richtete, auf der er lag, verlor seine Mimik jegliche Fassung. Er stürzte auf ihn zu und ergriff seine linke Hand. "Arkas! Bei den Göttern!" Samos ließ seinen Blick über den verwundeten Körper gleiten. Nun blickte er auf die Männer, die auf seine Befehle warteten. Samos erlangte wieder seine Fassung und richtete sich auf. "Bringt Arkas in das Nebenzelt!" Ein kleiner Junge lief mit Wasser von Bett zu Bett, auf denen die Verwundeten lagen. Er reichte ihnen in einer Kelle Wasser. "Karan!" Der Junge erhob den Blick und sah in ihre Richtung. "Hol heißes Wasser und bring es in das Nebenzelt!" Der Junge nickte, setzte seine Schüssel behutsam auf der Erde ab und eilte nach draußen.
Grob aber vorsichtig wurde Arkas auf die Liege im Nebenzelt gehoben. Samos beugte sich über ihn und legte ein feuchtest Tuch auf seine Stirn. Plötzlich sah Arkas das Bild einer Frau. Die selbe Geste.... Lange konnte er jedoch nicht darüber nachdenken. Er sah noch, wie einer der Männer welche die Bahre getragen hatten, mit einem glühenden Eisen das Zelt betrat.
Sein Schrei durchzog das ganze Lager, über das Schlachtfeld mit seinen Leichen und hallte an den Bergen zurück. Arkas wurde ohnmächtig.
Finde Dich selbst!
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Insel der Schwäne - von Erato - 08.07.12008, 15:14
Re: Insel der Schwäne - von Erato - 14.04.12010, 21:27

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