Föten essen
#1
Ein Schönheitstipp für alle Damen und Herren:

"Sie wollen jung und schön werden"

Föten essen als verbreitete Strategie gegen das Altern: von Kannibalismus, ungeschlüpften Küken und dem Jugendkult in der chinesischen Gesellschaft. Ein Gespräch mit dem Hongkonger Kultregisseur Fruit Chan über seinen neuen Film "Dumplings" und Wege, sich filmisch dem Alltag zu nähern

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Chan, Sie haben einen großartigen Film gemacht. Mir ist ganz übel geworden, als ich ihn sah!

Fruit Chan: Danke! Vielen Dank!

taz: Wie kam es, dass sich "Dumplings" so eingehend mit Kannibalismus beschäftigt?

Fruit Chan: Föten zu essen ist doch kein Kannibalismus! Föten sind noch keine Menschen.

taz: Einer der abgetriebenen Föten, der dann gegessen wird, ist bereits fünf Monate alt, und ein fünf Monate alter Embryo gilt hierzulande zumindest juristisch als Mensch. Ist das in Hongkong anders?

Fruit Chan: Nein, und natürlich ist es in Hongkong verboten, Föten zu essen - egal, wie alt sie sind.

taz: Einer Ihrer Filme handelt von einer Stinkfrucht, ein anderer handelt von öffentlichen Toiletten. Und jetzt also die Föten. Was fasziniert Sie so sehr am Ekel?

Fruit Chan: Ich finde diese Dinge nicht ekelhaft, sondern lebensnah. Jeder muss im Alltag seine Notdurft verrichten - diese Dinge sind für mich einfach ein gutes Mittel, mich dem Alltag zu nähern.

taz: Gehört für Sie Kannibalismus zum Alltag?

Fruit Chan: Natürlich nicht. Obwohl: Zumindest in Asien ist das Thema Kannibalismus allgegenwärtig.

taz: Soll das heißen, dass in China tatsächlich Föten gegessen werden?

Fruit Chan: Ja, und es ist kein neues Phänomen. Außerdem werden in ganz Asien, also auch auf den Philippinen und in Vietnam, angebrütete Eier, ungeschlüpfte Küken oder früh geborene Mäusebabys verzehrt - und in manchen Naturvölkern essen Frauen ja auch ihre Nachgeburten ...

taz: Aber eigentlich ist Kannibalismus nur vordergründig das Thema meines Films. Das Thema, das mir viel wichtiger war, ist der Jugendkult in der chinesischen Gesellschaft - dass meine Heldinnen Föten essen, weil sie um jeden Preis wieder jung und schön werden wollen.

Fruit Chan: Mei verarbeitet Embryos zu Dumplings, zu kleinen Maultaschen. Früher war sie Gynäkologin und hat noch heute gute Kontakte zu einer Klinik, in der sie sich abgetriebene Föten besorgt. Als sie einmal einen männlichen Fötus erwischt, freut sie sich besonders: Männliche Embryos werden viel seltener abgetrieben und sind daher wertvoller.

taz: Ist Ihr Film auch ein Film über Geburtenkontrolle und die Ein-Kind-Republik in der Volksrepublik?

Fruit Chan: Offiziell nicht. Aber natürlich schwingt auch mit, dass im Zuge dieser Politik sehr viel Leben vernichtet wurde. Vor allem aber ging es mir um die Frauen und um ihre Sehnsucht nach Verjüngung.

taz: Also gut, sprechen wir über die Frauen. Neben dem Kannibalismus lebt Ihr Film vor allem von den beiden Hauptfiguren: von Mei und von Qing, der Frau des reichen Geschäftsmannes, die ihre Schauspielerkarriere für die Ehe aufgegeben hat. Jetzt hat sie nur noch ihre Schönheit und die Liebe ihres Mannes - und beides ist sie drauf und dran zu verlieren. Unterschiedlichere Frauenfiguren hätte man sich nicht ausdenken können.

Fruit Chan: Immer, wenn die beiden zusammentreffen, schlagen sie Funken. Die eine scheint zunächst eine ganz einfache Frau zu sein, die andere repräsentiert Chinas neue Schicht der Nouveaux Riches. Beide gehen aber nicht in ihren Rollen auf: Die Arme ist viel unabhängiger und die Reiche ist viel schwächer, als es zunächst den Anschein hat.

taz: Der Film scheint mir auch ein Film über die wenigen Möglichkeiten zu sein, in China als Frau ein emanzipiertes Leben zu leben.

Fruit Chan: Mei ist eine Figur, die sehr schwer zu kategorisieren ist. Anders als Qing kommt sie nicht aus Hongkong, sondern wurde in der Volksrepublik geboren. Auf der einen Seite ist sie sehr böse, eine Art moderne Hexe - auf der anderen Seite hat sie sehr viel Ehre. Ich finde die Lebenskraft dieser Figur sehr interessant, ihre Fähigkeit, sich in der heutigen Gesellschaft zu behaupten.

taz: Gibt es Hexen in China?

Fruit Chan: Eine Hexenverfolgung hat es in China nicht gegeben. Aber besonders in der Volksrepublik gibt es viele mystische Frauenberufe - zum Beispiel Wahrsagerinnen -, und diese werden natürlich umso interessanter, als dass Aberglaube dort verboten ist.

taz: Betrachten Sie als Regisseur aus Hongkong diesen Aberglauben in der Volksrepublik als etwas Exotisches?

Fruit Chan: Die Gesellschaft in der Volksrepublik ist nicht so offen wie die in Hongkong. Vielleicht ist sie deshalb viel explosiver, viel kraftvoller und wilder als die in Hongkong.

taz: Geht Mei deshalb am Ende zurück in die Volksrepublik - noch dazu nach Shenzhen, eine der vitalsten Wirtschaftsstädte in der Volksrepublik?

Fruit Chan: Genau. In Shenzhen kann sie besser ihren Geschäften nachgehen - sie kommt einfacher und schneller an ihre Ware heran.

taz: Ist Shenzhen in Ihren Augen also zukunftsträchtiger als das altmodische Hongkong?

Fruit Chan: Dem ist wohl kaum zu widersprechen. China hat das größere Potenzial.

taz: Und trotzdem wird Ihr Film natürlich nicht in China gezeigt werden können?

Fruit Chan: Nein, in China kann er nur im Untergrund gezeigt werden und auf raubkopierten DVDs erscheinen. Das ist sehr schade.


taz Berlin lokal Nr. 7594 vom 18.2.2005, Seite 23, 175 Zeilen (Interview), SUSANNE MESSMER
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