Das Lied von Troja
#1
Die Geschichte um Achilles Geburt!

Peleus erzählt:

Als in meinem Königreich Thessalien alles geregelt war und ich darauf vertrauen konnte, dass jene, die ich in Iolkos zurückließ, sich um alles kümmern würden, machte ich mich auf den Weg zur Insel Skyros. Ich war müde und sehnte mich nach dem Beistand eines Freundes, aber bisher hatte ich in Iolkos keinen Freund wie König Lykomedes von Skyros. Er war vom Glück begünstigt: Er war nicht, wie ich, von seinem Vater verbannt worden, hatte nicht, wie ich, mit Klauen und Zähnen kämpfen müssen, um sich ein eigenes Reich zu erwerben, und hatte es nicht, wie ich, im Krieg verteidigen müssen. Seine Vorfahren hatten sein felsiges Eiland von allem Anbeginn der Zeit regiert, und er hatte den Thron bestiegen, nachdem sein Vater in seinem eigenen Bett, umgeben von seinen Söhnen und Töchtern, seinen Freunde und Konkubinen, gestorben war; denn der Vater von Lykomedes hing noch, wie sein Sohn, der Alten Religion an: Für die Herrscher von Skyros gab es keine Monogamie!

Alte oder Neue Religion, Lykomedes konnte gelassen einem ebenso friedlichen Tod entgegensehen, während meine Aussichten nicht so gut waren. Ich beneidete ihn um seine geruhsame Existenz, aber während ich mit ihm durch seine Gärten schlenderte, erkannte ich, dass ihm viele Freuden des Lebens entgangen waren. Sein Reich und seine Königswürde bedeuteten ihm weniger als mir; er erfüllte seine Pflichten gründlich und gewissenhaft, war ein nachsichtiger und zugleich tüchtiger Herrscher, aber es fehlte ihm an der äußersten Entschlossenheit, das zu behalten, was ihm gehörte, weil niemand es ihm je streitig gemacht hatte. Ich kannte das Gefühl des Verlustes, des Hungers, der Verzweiflung zur Genüge. Und ich liebte mein hart erkämpftes Königreich Thessalien mehr als er je sein Skyros. Thessalien, mein Thessalien! Ich, Peleus, war König von Thessalien! Fürsten schuldeten mir Gefolgschaft, mir, Peleus, der bis vor ein par Jahren keinen Fuß nördlich von Attika gesetzt hatte. Ich herrschte über die Myrmidonen, das Ameisenvolk von Iolkos.

Lykomedes unterbrach mein Grübeln. „Du denkst an Thessalien“, sagte er.
Er wedelte mit seiner weißen, schlaffen Hand. „Mein lieber Peleus, ich bin nicht mit deinem kraftvollen Enthusiasmus gesegnet. Während ich nur langsam vor mich hinglimme, brennst du hell und klar. Doch ich bin ganz zufrieden damit. Wärst du an meiner Stelle, du hättest nicht geruht, bis du sämtliche Inseln zwischen Kreta und Samothraki besessen hättest.“
Seufzend lehnte ich mich gegen einen Nussbaum. „Und dennoch bin ich sehr müde, alter Freund. Ich bin nicht mehr so jung wie einst.“
„Eine so offensichtlich Tatsache, dass man sie nicht zu erwähnen braucht.“ Seine blassen Augen betrachten mich nachdenklich. „Weißt Du eigentlich, Peleus, dass du den Ruf hast, Griechenlands bester Mann zu sein? Selbst in Mykene achtet man dich.“
Ich streckte mich und ging weiter. „Ich bin nicht besser oder schlechter als alle anderen.“

„Streite es ab, wenn du musst, aber es stimmt gleichwohl. Du hast alles Peleus! Einen gesunden Körper, einen klugen und scharfsinnigen Verstand, eine Begabung zu führen, du bringst Untertanen dazu, dich zu lieben – ja, du hast sogar ein gutes Aussehen!“
„Fahr nur fort, mir so zu schmeicheln, Lykomedes, und ich werde meine Sachen packen und heimfahren.“
„Sei still, ich bin schon fertig. Ich möchte übrigens etwas anderes mit dir bereden. Mein Lobgesang war die Einleitung.“
Ich sah in verblüfft an. „Oh“.
Er leckte sich die Lippen, runzelte die Stirn, und dann beschloss er, ohne weiter Umschweife zur Sache zu kommen. „Peleus, du bist jetzt dreiunddreißig Jahre alt. Du bist einer der vier vornehmsten Könige Griechenlands und hast dadurch beträchtliche Macht.
Aber du hast keine Frau. Keine Königin. Und äh – da du ja der Neuen Religion anhängst und dich dadurch zur Monogamie bekannt hast, wie willst Du in Thessalien die Thronfolge sicherstellen ohne eine Frau?“
Ich musste grinsen. „Lykomedes, du Schurke! Du hast eine Frau für mich ausgewählt.“
Er sah verschmitzt drein. „Könnte sein. Es sein denn, du hast andere Pläne.“
„Ich denke oft an Heirat. Leider sagt mir nur keine der Kandidatinnen besonders zu.“
„Ich kenne eine Frau, die dir sehr gefallen könnte. Sie wäre sicher eine vortreffliche Gefährtin.“
„Sprich weiter, ich bin ganz Ohr.“

„Und voller Ironie. Aber ich fahre trotzdem fort. Die Frau ist Poseidons Hohepriesterin in Skyros. Ihr G*tt hat ihr befohlen zu heiraten, aber bis jetzt hat sie es noch nicht getan. Ich kann eine so hochstehende Würdenträgerin nicht zwingen zu gehorchen, aber um das Wohl meines Volkes und meiner Insel willen muss ich sie überreden, sich zu verehelichen.“
Bei diesen Worten starrte ich ihn erstaunt an. „Lykomedes! Ich soll Mittel zum Zweck sein!“
„Nein, nein“, rief er mit zerknirschter Miene. „Hör mir zu, Peleus.“
„Poseidon hat ihr befohlen zu heiraten?“
„Ja, die Orakel haben verkündet, wenn sie nicht heiratet, wird der Herr der Meere die Erde von Skyros aufbrechen und meine Insel zu sich in die Tiefe ziehen.“
„Orakel in der Mehrzahl. Du hast also mehrere befragt?“
„Sogar die Pythia in Delphi und deinen Eichenhain in Dodona.
Die Antwort war immer die gleiche – verheirate sie oder verdirb.“
„Warum ist sie so wichtig?", fragte ich fasziniert.

Ehrfurcht erschien auf Peleus Gesicht. „Weil sie die Tochter von Nereus ist, des Alten Mannes der Meere. Dadurch ist sie eine Halbgöttin - und in einem Gewissenskonflikt. Nach ihrer Herkunft gehört sie zur Alten Religion, doch sie dient der Neuen. Du weißt, wie sehr sich unser Griechenland seit dem Niedergang von Kreta und Thera verändert hat, Peleus! Nimm nur Skyros! Das Matriarchat hat bei uns nie eine solche Rolle gespielt wie in Kreta oder Thera oder in den Königreichen auf der Insel Pelops. Bei uns haben immer Männer regiert – aber die Alter Religion ist stark. Poseidon jedoch gehört zum Neuen Glauben, und wir sind ihm untertan – er ist nicht nur Herr der Meere, die uns umgeben, er ist auch der Beweger der Erde.“
„Ich verstehe“, sagte ich langsam, „dass Poseidon zornig darüber ist, dass ein Frau der Alten Religion seine Hohepriesterin ist. Aber er muss ihrer Ernennung doch zugestimmt haben.“
„Das hat er auch. Aber mittlerweile ist er wütend - du weißt, wie die Götter sind, Peleus.
Wann sind sie schon jemals konsequent? Trotz seiner früheren Zustimmung ist er jetzt jedenfalls empört und hat erklärt, er wolle nicht, dass eine Tochter von Nereus seinen Altar betreue.“

„Lykomedes, Lykomedes! Glaubst Du wirklich diese Göttergeschichten?, fragte ich ungläubig. „Ich hätte dich für klüger gehalten! Ein Mann oder eine Frau, die behaupten, einen G*tt als Elternteil zu haben, wurde gewöhnlich als Bastard geboren – und meist, weil ein Hütejunge daran nicht ganz unbeteiligt war.“
Er flatterte mit den Armen wie ein aufgeregtes Huhn. „Ja, ja , ja. Das weiß ich alles, Peleus, und dennoch glaube ich. Du hast sie nicht gesehen, du kennst sie nicht. Aber ich. Sie ist das merkwürdigste Wesen…!
Ein Blick, und du bist felsenfest davon überzeugt, dass sie aus dem Meer kommt.“
Jetzt war ich aufgebracht. „Ich traue meinen Ohren nicht! Vielen Dank für das Kompliment! Du willst dem König von Thessalien irgendeine verrückte Frau aufhalsen? Nun, ich will sie nicht haben!“
Mit beiden Händen ergriff er meinen Arm. „Peleus, traust du mir wirklich einen solchen Trick zu? Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt - ich wollte dich nicht beleidigen, ich schwöre es. Es ist nur so: Kaum hatte ich dich nach so vielen Jahren wieder gesehen, war ich mir plötzlich völlig sicher, dass sie die Frau für dich ist. Es fehlt ihr nicht an edlen Freiern, jeder hochgeborene Junggeselle auf Skyros hat ihr schon einen Antrag gemacht. Aber sie hat sie alle verschmäht. Sie sagt, sie warte auf den, der mit dem von ihrem G*tt versprochene Zeichen kommt.“
Ich seufzte. „Schön, Lykomedes, ich werde sie mir ansehen. Aber ich verpflichte mich zu nichts, verstanden?“
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#2

Poseidons heiliger Bezirk und Altar – er hatte keinen eigentlichen Tempel – lagen am anderen Ende der Insel, im weniger fruchtbaren und besiedelten Teil. Ein ziemlich merkwürdiger Ort für das Haupheiligtum des MeeresG*ttes. Sein Wohlwollen war für jede Insel lebenswichtig, da sie schließlich ringsum von seinem Wasser reich eingeschlossen war. Seine Launen und seine Gnade entschieden darüber, ob Wohlstand oder Hunger vorherrschte, und man nannte ihn auch nicht umsonst den Beweger der Erde. Ich hatte selbst die Folgen seines Zorns miterlebt, ganze Städte hatten anschließend flacher dagelegen als Gold unter dem Hammer eines Goldschmiedes. Poseidon war jähzornig und sehr auf seine Reputation bedacht; zweimal seit Menschengedenken war Kreta von seiner Rache zermalmt worden, weil dessen Könige so von ihrer eigenen Herrlichkeit überzeugt gewesen waren, dass sie vergessen hatten, was sie ihm schuldeten. Und Thera war es genauso ergangen.

Wenn diese Frau, die Lykomedes mir unbedingt zeigen wollte, wirklich ein Nachfahrin Nereus sein sollte, der über die Meere geherrscht hatte, als Kronos vom Olymp aus die Welt regierte, konnte ich verstehen, dass die Orakel ihre Abberufung verlangten. Zeus und seine Brüder hatten nichts mehr übrig für die alten Götter, die sie gestürzt hatten- und wer vermochte auch schon einem Vater zu vergeben, der einen auffraß?

Ich ging allein und zu Fuß zu dem Bezirk. Ich trug einfache Jagdkleidung und führte meine Opfergabe an einem Seil mit mir. Ich wollte, dass sie mich für eine gewöhnlichen Sterblichen hielt und in mir nicht den König von Thessalien erkannte. Der Altar stand auf einer Landzunge, die eine kleine Bucht überragte. Behutsam bahnte ich mir den Weg durch den geheiligten Hain, der davor lag. Die Stille und die schwere, erstickende Atmosphäre machten mich benommen. Selbst das Meer war kaum zu hören, obwohl die Wellen gemächlich heranrollten und sich dann in weißer Gischt an den zackigen Felsen am Fuß der Klippe brachen. Vor dem einfachen, quadratischen Altar brannte in einem goldenen Dreifuß das Ewige Feuer. Ich trat vor, blieb stehen und zog meine Opfergabe zu mir heran.

Fast zögernd trat sie ins Sonnenlicht, als ob sie den Aufenthalt an einem kühlen und feuchten Platz vorzog. Fasziniert starrte ich sie an. Klein, schmal und fraulich wie sie war, besaß sie dennoch eine Ausstrahlung, die ganz und gar nicht feminin wirkte. Statt der üblichen Kleidung mit Rüschen und Stickereien trug sie eine einfache Robe aus edlen, durchsichtigen Leinen, wie es die Ägypter weben. Die Farbe ihrer Haut, blass und bläulich, war deutlich zu erkennen. An einigen Stellen hatte der Stoff Streifen, denn er war nicht gleichmäßig gefärbt worden. Ihre vollen Lippen waren blassrosa, und ihre Augen changierten in allen Schattierungen des Meeres - grau, blau, grün und sogar purpur wie dunkler Wein. Sie war nicht geschminkt; nur eine dünne schwarze Linie zog sich um ihre Augen und war weiter nach außen gezogen worden, was ihr ein etwas unheimliches Aussehen verlieh. Ihr Haar war völlig farblos, weiß wie Asche mit einem leichten Schimmer, der es im Dunkeln bläulich erschienen ließ.

Ich näherte mich ihr und bot ihr meine Opfergabe an. „Edle Frau, ich bin zu Besuch auf Eurer Insel, und ich bin gekommen, um Vater Poseidon zu opfern.“
Mit einem Nicken streckte sie die Hand aus und ergriff das Seil. Dann musterte sie mit Kenneraugen das weiße Bullenkalb. „Vater Poseidon wird erfreut sein. Es ist lange her, dass ich ein solches schönes Tier gesehen habe.“ „Da ihm Pferde und Bullen heilig sind, hielt ich es für das Beste, ihm darzubringen, was er am liebsten hat.“
Sie starrte eindringlich in die Altarflamme. „Der Augenblick ist nicht günstig für eine Opfergabe. Ich werde es ihm später darbieten.
„Wie ihr wünscht, edle Dame.“ Ich wandte mich zum Gehen.
„Wartet“
„Ja?“
„Was soll ich dem G*tt sagen, wer ihn da opfert?“
„Peleus, König in Iolkos und Thessalien.“
Ihre Augenfarbe wechselte unvermittelt von einem hellen Blau in ein dunkles Grau.
„Kein gewöhnlicher Mann. Euer Vater war Aiakos, und dessen Vater war Zeus selbst. Euer Bruder Telamon ist König von Salamis, und auch Ihr seid von königlichem Geblüt.“
Ich lächelte. „Ja, ich bin der Sohn des Aiakos und Bruder von Telamon. Wer mein Großvater ist - ich habe keine Ahnung. Obwohl ich bezweifle, dass es der Göttervater selbst war. Wahrscheinlich eher ein Räuber, dem meine Großmutter gefiel.“
„Frevelhaftigkeit, König Peleus“, entgegnete sie in gemessenem Ton, „ lassen die Götter nicht ungestraft.“
„Ich kann nicht erkennen, dass ich frevle, edle Frau. Ich bete und opfere im vollen Glauben an die Götter.“
„Dennoch leugnet ihr Zeus als Euren Großvater.“
„Solche Geschichten werden erzählt, um das Recht eines Mannes auf einen Thron zu bekräftigen, wie es bei meinem Vater Aiakos zweifellos der Fall war.“
Geistesabwesend streichelte sie die Nase des weißen Bullenkalbs. „Ihr hättet im Palast bleiben müssen. Warum ließ König Lykomedes Euch allein und unangemeldet herkommen?“
„Weil ich es wünschte.“
Nachdem sie das Kalb an einen Ring an einer Säule gebunden hatte, wandte sie sich von mir ab.
„Und wer, edle Dame, hat meine Opfergabe angenommen?“
Aus völlig unbeteiligt dreinsehenden grauen Augen warf sie mir über die Schulter einen Blick zu.
„Ich bin Thetis, Tochter des Nereus. Und zwar nicht vom Hörensagen, König Peleus. Mein Vater ist ein großer G*tt.“

Es war Zeit zu gehen. Ich dankte ihr und verließ sie.


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#3
Aber ich ging nicht sehr weit. Während ich sorgfältig darauf achtete, dass mich niemand vom Heiligtum beobachten konnte, glitt ich einen gewundenen Pfad hinunter zur Bucht, versteckte Speer und Schwert hinter einem Felsen und legte mich unter einem Felsvorsprung in den warmen gelben Sand. Thetis. Thetis.
Sie war wirklich von einer Meeraura umgeben. Ich ertappte mich bei dem Wunsch zu glauben, dass sie tatsächlich die Tochter eines G*ttes war, denn ich hatte zu tief in diese Chamäleonaugen geblickt, hatte all die Stürme und Flauten erblickt, die mit dem Meer verbunden sind, hatte den Widerschein eines kalten Feuers entdeckt, das sich jeglicher Beschreibung entzog. Und ich wollte sie zur Frau haben.

Auch sie interessierte sich für mich; ich war alt und erfahren genug, um dies zu spüren. Die Frage war nur, wie stark ihre Zuneigung wohl sein mochte; eine Stimme in mir warnte mich vor einer Niederlage. Thetis würde mich ebenso wenig heiraten wie die anderen Freier, die um sie geworben hatten. Obwohl ich durchaus nicht Männern zugetan war, hatte ich mir nie besonders viel aus Frauen gemacht, außer dass ich bei ihnen Befriedigung für jenen Trieb suchte, unter dem selbst die größten Götter so schmerzhaft wie die Menschen leiden. Gelegentlich schlief ich mit einer der Frauen aus meinem Palast, aber bis jetzt hatte ich noch nie geliebt. Ob sie es wusste oder nicht, Thetis gehörte zu mir. Und da ich der Neuen Religion in allen Geboten folgte, würde sie keine andere Frau neben sich dulden müssen. Ich würde nur der Ihre sein.
Die Sonne brannte immer stärker auf meinen Rücken. Es wurde Mittag; ich zog meinen Jagdanzug aus, damit Helios Strahlen tief in meine Haut eindringen konnten. Aber ich konnte nicht stillliegen, musste mich aufrichten und hinaus aufs Meer starren, das ich für mein neues Ungemach verantwortlich machte. Dann schloss ich die Augen und kniete nieder.
„Vater Zeus, blicke gnädig auf mich herab! Nur wenn ich wirklich nicht mehr weiter wusste und in großer Not war, habe ich bislang zu dir gebetet, wie ein Mann, der die Unterstützung seines Großvaters sucht. Aber genauso bete ich jetzt, flehe jenen Teil von dir an, der am freundlichsten und großherzigsten ist. Du hast mir immer dein Ohr geliehen, denn ich habe dich nie mit Kleinkram behelligt. Jetzt bitte ich dich: Hilf mir! Gib mir Thetis, wie du mir Iolkos und die Myrmidonen gegeben hast, wie du ganz Thessalien in meine Hände gelegt hast. Gib mir eine Königin, die auf den Myrmidonenthron passt, gib mir starke Söhne, die meine Platz einnehmen, wenn ich tot bin.“

Mit geschlossen Augen kniete ich eine ganze Weile. Als ich mich erhob, stellte ich fest, dass sich nichts verändert hatte. Aber das war zu erwarten; die Götter vollbringen keine Wunder, um damit Menschen zum Glauben zu bekehren.
Dann sah ich sie. Sie stand da, ihr dünnes Kleid wie ein Banner im Wind flatternd, ihr Haar kristallen in der Sonne, ihr Gesicht verzückt emporgereckt. Neben ihr stand das weiße Bullenkalb, und in der rechten hielt sie einen Dolch. Still fügte sich das Tier in sein Schicksal, legte sich sogar über ihr ihre Knie, als sie sich am Rand der Wellen niederkauerte, und ließ sich ohne Widerstand die Kehle durchtrennen. Dann hielt sie es, während leuchtende Purpurstreifen über ihre Schenkel und bloßen Arme liefen. Das Wasser um sie herum färbte sich schwach rot, als die Flut das Blut des Kalbes mit sich nahm.

Sie hatte mich nicht gesehen, sah mich auch nicht, als sie nun weiter ins Wasser glitt, wobei sie das Kalb mit sich zog, bis sie tief genug in den Wellen war, um sich den Körper um die Schultern zu legen und hinauszuschwimmen. In einiger Entfernung vom Ufer streifte sie das Tier von ihren Schultern, und es versank sofort. Ein großer, flacher Felsen ragte aus dem Wasser; auf den hielt sie nun zu, kletterte hinauf und hob sich dann wie eine Silhouette von dem blassen Himmel ab. Schließlich legte sie sich auf den Rücken, bettete den Kopf in ihre im Nacken gekreuzten Arme und schien schlafen zu wollen.

Ein seltsames Ritual, das nicht zur Neuen Religion passte. Thetis hatte meine Opfergabe im Namen von Poseidon angenommen, hatte sie dann aber Nereus dargeboten. Ein Sakrileg! Und sie war die Hohepriesterin Poseidons. Oh, Lykomedes, du hattest recht! In ihr schlummern die Samen für die Zerstörung von Skyros. Sie gibt dem Heern der Meere nicht, was ihm zusteht, und sie respektiert ihn auch nicht als den Beweger der Erde.
Die Luft war milchig und still, das Wasser hell und klar, aber als ich zu den Wellen hinabging, zitterte ich wie im Fieber. Das Meer konnte mich nicht abkühlen, als ich schwamm; Aphrodite hatte mich so fest im Griff, dass sie mir die Knochen hätte brechen können. Thetis gehörte mir, und ich wollte sie haben – egal, was mit dem armen Lykomedes und seiner Insel geschah.

Als ich den Felsen erreichte, fasste ich mit den Händen eine vorstehende Kante und zog mich so heftig empor, dass meine Muskeln schmerzten. Ich hockte über ihr auf dem Stein, noch bevor sie erkannte, dass ich mich durchaus nicht auf dem Weg zum Palast über Skyros gemacht hatte. Aber sie schlief nicht. Ihre sanften, träumerisch grünen Augen standen offen. Dann wich sie vor mir zurück und starrte mich düster an.
„Rührt mich nicht an! „ sagte sie schwer atmend. „Niemand wagt es, mich zu berühren! Ich habe mich G*tt geweiht.“
Meine Hand zuckte vor, hielt knapp vor ihrem Fußgelenk inne.
„Euer Versprechen an G*tt ist nicht für die Ewigkeit, Thetis. Ihr seid frei zu heiraten. Und ihr werdet meine Frau.“
„Ich gehöre meinem G*tt!“
„Und wenn, welchem G*tt? Leistet Ihr dem einen Lippendienste und opfert dem andern? Ihr gehört zu mir, und ich nehme es mit allen auf. Wenn ein G*tt - welcher auch immer! dafür meinen Tod verlangt, werde ich dieses Urteil akzeptieren.“
Mit einem Aufschrei der Verzweiflung und des Schreckens versuchte sie, vom Felsen ins Meer zu gleiten. Aber ich war schneller, ergriff ihr Bein und zog sie zurück, während ihre Fingernägel über die rauhe Oberfläche des Steines kratzten. Als ich ihr Handgelenk zu fassen bekam, ließ ich ihr Bein los und stellte sie auf die Füße.
Sie kämpfte wie zehn Wildkatzen, mit Händen und Füßen, biss und kratzte stumm, während ich die Arme um sie schlang. Ein Dutzend Mal entwand sie sich mir, ein Dutzend Mal packte ich sie erneut. Wir waren beide über und über voll mit Blut, meine Schulter war aufgerissen, ihr Mund aufgeplatzt, Haarbüschel von ihr und mir flatterten im Wind davon. Dies war keine Vergewaltigung, und ich hatte auch nicht die Absicht dazu; es handelte sich vielmehr um ein schlichtes Kräftemessen, Mann gegen Frau, die Neue Religion gegen die Alte. Es endete, wie alle diese Kämpfe enden müssen: Der Mann ist der Sieger.
Wir fielen mit solcher Wucht auf den Felsen, dass es uns den Atem verschlug. Während ich meinen Körper auf ihren presste und ihre Schultern niederdrückte, sah ich ihr ins Gesicht.
„Der Kampf ist vorbei. Ich habe dich erobert.“
Ihre Lippen bebten, sie wandte den Kopf zur Seite. „Du bist es. Ich habe es in dem Augenblick gewusst, als du das Heiligtum betreten hast. Als ich in mein Amt eingeführt wurde, verkündete der G*tt mir, dass eines Tages ein Mann übers Meer kommen würde, ein Mann des Himmels, der das Meer aus meinen Gedanken vertreiben und mich zu seiner Königin machen würde.“ Sie seufzte. „So sei es.“

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#4
Ich erklärte Thetis mit allen Ehren und aller Pracht in Iolkos zu meiner Königin. Schon in unserem ersten gemeinsamen Jahr wurde sie schwanger und machte damit das Glück unserer Ehe vollkommen. Wir waren nie so glücklich wie in den langen Monaten, in denen wir auf unseren Sohn warteten. Keiner von uns träumte von einem Mädchen.

Meine eigene Amme Aresune wurde zur ersten Hebamme bestellt, sodass ich, als die Wehen bei Thetis begannen, nicht das Geringste mehr zu sagen hatte; das alte Weib setze seine ganze Autorität ein und verbannte mich ans andere Ende des Palastes. Einen vollen Umlauf von Phoibos Triumphwagen saß ich dort allein, ignorierte die Diener, die mir Speis und Trank darboten, und wartete, wartete… Bis Aresune schließlich kann. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, die blutbespritzte Geburtsschürze abzunehmen; gebeugt und runzlig stand die Alte da, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Aus ihren tief eingesunkenen Augen rannen Tränen.

„Es war ein Sohn, Herr, aber er lebte nicht lange genug, um atmen zu können. Die Königin ist in Sicherheit. Sie hat Blut verloren und ist sehr müde, aber ihr Leben ist nicht in Gefahr.“ Sie rang die knochigen Hände. „Herr, ich schwöre, ich habe nichts falsch gemacht! So ein großer, schöner Knabe! Aber es ist der Wille der Göttin!“

Ich konnte es nicht ertragen, dass sie mein Gesicht sah. Unfähig zu weinen, wandte ich mich ab und ging davon. Mehrere Tage verstrichen, ehe ich mich aufraffte, Thetis aufzusuchen. Als ich schließlich ihr Zimmer betrat, entdeckte ich voller Erstaunen, dass sie aufrecht in ihrem großen Bett saß und gesund und glücklich aussah. Sie sagte kein unpassendes Wort, gab auch ihrem Kummer Ausdruck, aber nichts davon meinte sie wirklich. Thetis war erfreut!

„Unser Sohn ist tot, Weib! Platzte ich heraus. „Wie kannst du das so leicht hinnehmen? Nie wird er wissen, was es heißt zu leben! Nie wird er auf meinem Thron sitzen. Neun Monate hast du ihn getragen – vergeblich!!
Sie streckte die Hand aus und tätschelte fürsorglich die meine. „Oh, liebster Peleus, gräme dich nicht! Unser Sohn hat kein sterbliches Leben, hast du denn vergessen, dass ich eine Göttin bin? Weil er keine irdische Luft geatmet hat, habe ich meinen Vater gebeten, ihm das ewige Leben zu gewähren, und das hat er nur zu gern getan. Unser Sohn lebt jetzt auf dem Olymp – er isst und trinkt mit den anderen Göttern, Peleus! Nein, er wird nie in Iolkos herrschen, aber ihm ist vergönnt, was keinem Sterblichen vergönnt ist. Indem er gestorben ist, wird er niemals sterben.“

Mein Erstaunen wandelte sich in Abscheu; ich starrte sie an und fragte mich, wie dieser G*tteswahn jemals eine solche Macht über sie gewinnen konnte. Sie war sterblich wie ich und ihr Kind so sterblich wie wir beide. Dann bemerkte ich, wie vertrauensvoll sie mich anblickte, und brachte es nicht übers Hers, ihr zu sagen, was mir auf der Zunge lag. Wenn der Glaube an diesen Unsinn ihren Schmerz über den Verlust milderte, sollte es mir recht sein. Das Leben mit Thetis hatte mich gelehrt, dass sie nicht wie andere Frauen dachte und handelte. Ich strich ihr übers Haar und verließ sie.

Sechs Söhne gebar sie mir im Laufe der Jahre, und alle kamen tot zur Welt. Als Aresune mir den Tod meines zweiten Sohnes mitteilte, wurde ich fast verrückt und wich Thetis viele Monate aus, denn ich wusste, was sie mir sagen würde – das unser Sohn ein G*tt sei. Aber schließlich brachten Liebe und Gier mich immer wieder zurück zu ihr, und wir durchlebten den schrecklichen Kreislauf von neuem.
Als das sechste Kind tot zur Welt kam – wie konnte es nur tot sein, da es doch die volle Zeit ausgetragen worden war und nun, trotz seiner dunkelblauen Haut, so kräftig aussah in seinem kleinen Begräbniswagen? -, gelobte ich, dem Olymp keine Söhne mehr zu schenken. Ich ließ die Pythia in Delphi befragen und bekam zur Antwort, dass es Poseidon war, der mir zürnte, weil er mir den Raub seiner Priesterin nachtrug. Was für eine Scheinheiligkeit! Was für ein Wahnsinn! Erst mochte er sie nicht haben, dann wieder doch. Ein Mensch kann wirklich nicht begreifen, was die Götter nun eigentlich wollen, seien es die alten oder die neuen.
Zwei Jahre wohnte ich Thetis nicht bei, obwohl sie darum bettelte, weitere Söhne für den Olymp zu empfangen. Dann, am Ende des zweiten Jahres, nahm ich ein weißes Fohlen und opferte es Poseidon, der auch der G*tt der Pferde ist, in aller Öffentlichkeit, vor meinem Volk der Myrmidonen.
„Hebe deinen Fluch auf und segne mich mit einem lebenden Sohn“, rief ich.
Aus dem Erdinnern drang ein Grollen, die heilige Schlange schoss wie ein brauner Blitz unter ihrem Altar hervor, der Boden wankte und hob sich. Eine Säule brach neben mir auseinander, doch ich rührte mich nicht. Auch als sich ein Riss zwischen meinen Füßen auftat und ekliger Schwefelgeruch hervordrang, blieb ich stehen, bis das Beben nachließ und die Öffnung sich wieder schloss. Das weiße Fohlen lag ausgeblutet und mitleiderregend still auf dem Altar.
Drei Monde später erfuhr ich von Thetis, dass sie mit unserem siebten Kind schwanger war.

In der darauf folgenden, mühseligen Zeit sorgte ich dafür, dass man besser auf sie Acht gab als eine Henne ihr Küken hütet. Aresune musste jede Nacht in ihrem Bett schlafen, ich drohte den Frauen des Hauses unaussprechliche Foltern an, sollten sie Thetis auch nur eine Augenblick allein lassen, wenn Aresune nicht da war. Thetis ertrug diese „Grillen“, wie sie es nannte, mit Geduld und guter Laune; sie stritt nicht und widersetzte sich keiner meiner Anordnungen. Einmal schaffte sie es allerdings, das mir die Haare zu Berge standen und Schauer über meine Haut liefen, als sie anhub, eine seltsame, klanglose Weise zu singen, die aus der Alten Religion stammte. Aber als ich ihr befahl aufzuhören, gehorchte sie und stimmte sie nie wieder an. Allmählich rückte ihre Zeit heran. Ich begann zu hoffen. Ganz gewiss hatte ich immer in gerechter Furcht vor den Göttern gelebt! Ganz gewiss waren sie mir einen lebendigen Sohn schuldig!

Ich besaß eine Rüstung, die einst Minos gehörte hatte; sie zählte zu meinen größten Schätzen. Das herrliche Stück hatte über vier Bronze- und weiteren drei Zinnsschichten eine Goldhaut, die Einlagen aus Lapislazuli und Bernstein, Korallen und Kristallen formten ein großartiges Muster. Der ähnlich gefertigte Schild war mannshoch und sah aus, als hätte man zwei runde Schilde übereinandergesetzt, sodass er in der Mitte eine Art Taille besaß. Harnisch und Beinschienen, Helm, Rock und Armschutz waren für einen größeren Mann als mich gemacht, und ich bewunderte den toten Minos noch im Nachhinein, der mit dieser Rüstung in seinem kretischen Königreich herumspaziert und fest davon überzeugt war, dass er sich nie damit schützen müssen, sondern sie nur vorzeigte, um zu demonstrieren, wie reich er war. Doch als er fiel, hatte sie ihm nichts genutzt, denn Poseidon packte ihn mitsamt seinem Reich und zertrümmerte es, weil er sich nicht der Neuen Religion anschließen wollte. Mutter Kubaba, die große Göttin, der Alten Religion und allmächtige Königin der Erde, hatte immer über Kreta und Thera geherrscht.
Zu der Rüstung des Minos hatte ich einen Speer aus Eschenholz gestellt, das von den Hängen des Berges Pelion stammt; seine kleine Spitze bestand aus einem Metall, das Eisen genannt wurde und so selten und kostbar war, dass die meisten es für eine Legende hielten, denn kaum einer hatte es je gesehen. Versuche hatten gezeigt, dass der Speer, der leicht wie eine Feder in meiner Hand lag, unfehlbar zu seinem Ziel flog. Als ich ihn nicht mehr für meine Feldzüge benötigte, legte ich ihn zu der Rüstung. Der Speer hatte einen Namen: Alt-Pelion.
Vor der Geburt meines ersten Sohnes hatte ich diese Kostbarkeit wieder hervorgeholt, um sie zu reinigen und zu polieren; sicher würde mein Sohn zu einem so stattlichen Mann heranwachsen, dass er sie tragen konnte. Aber als meine Söhne einer nach dem anderen tot zu Welt kamen, hatte ich die Rüstung zurück in die Schatzkammer bringen lassen, wo sie in einr Düsternis lagen, die kaum weniger tief als meine Verzweiflung war.

Etwa fünf Tage, bevor Thetis mit unserem siebten Kind niederkommen sollte, nahm ich eine Lampe und stieg damit die ausgetreten Steinstufen hinab, die in die unteren Räume des Palastes führten. Ich schritt durch etliche Gänge, bis ich an die große Holztür kam, die unsere Schatzkammer versperrt. Was wollte ich hier? fragte ich mich, ohne mir eine befriedigende Antwort geben zu können. Ich öffnete die Tür, um einen Blick in das Halbdunkel zu werfen – und erblickte stattdessen am anderen Ende des riesigen Gewölbes einen golden leuchtenden Lichtfleck. Ich löschte meine Lampe, und mit der Hand am Dolch schlich ich vorwärts. Der Boden war bedeckt mit Krügen und Kisten, Truhen und abgestellten Devotionalien; ich musste mir vorsichtig den Weg bahnen.
Als ich näher kam hörte ich das unverwechselbare Geräusch einer weinenden Frau. Meine Amme Aresune saß auf dem Boden und wiegte in ihren Armen den Goldhelm, der einst Minos gehört hatte; seine zarten Federn flossen über ihre runzligen Hände. Sie schluchzte leise, aber bitterlich, und in ihr Jammern mischte sich das Klagelied von Aigina, der Insel, von der sie und ich ursprünglich kamen und die zum Königreich des Aiakos gehörte. O Kore!
Aresune beweinte bereits meinen siebten Sohn.
Ich konnte sie nicht ungetröstet lassen, konnte nicht wieder davonschleichen und so tun, als hätte ich sie nicht bemerkt. Als meine Mutter ihr befohlen hatte, mir die Brust zu geben, war sie schon eine reife Frau gewesen; sie hatte mich unter den desinteressierten Blicken meiner Mutter aufgezogen; sie war mit mir, treu wie ein Hund, durch ein dutzend Länder gezogen, und als ich Thessalien erobert hatte, bekam sie eine hohe Stellung in meinem Haushalt. Also trat ich näher, berührte sanft ihre Schulter und bat sei , nicht mehr zu weinen. Ich nahm ihr den Helm ab, zog ihren steifen, alten Körper an mich und sagte viele dumme Dinge, um sie trotz meines eigenen Kummers zu trösten. Schließlich verstummte sie, um mit ihren knochigen Fingern an meine Hemd zu zupfen. „Mein Herr, warum?“, krächzte sie.“ Warum lässt du sie das tun?“
„Wieso? Was tun? Wen meinst Du?“
„Die Königin“, antwortete sie schluchzend.
Hinterher wurde mir bewusst, dass ihr Gram sie so aus der Fassung gebracht hatte; sonst hätte ich ihr das Geheimnis nie entlocken können. Obwohl sie mir weitaus lieber war, als meine Mutter es jemals gewesen war, hatte sie nie den Unterschied unserer Herkunft vergessen.
Ich packte sie so hart, dass sie sich wand und wimmerte.
„Was ist mit der Königin? Was tut sie?
„Ermordet Eure Söhne.“


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#5
Ich geriet ins Wanken. „Thetis? Meine Söhne? Was heißt das? Sprich!“
Ihre Aufregung verebbte, und stattdessen erkannte sie mit wachsendem Erschrecken, dass ich nichts wusste. Sie starrte mich an.
Ich schüttelte sie. „Du fährst besser fort, Aresune. Wie bringt meine Frau ihre Söhne um? Und warum? Warum?“
Aber sie presste die Lippen zusammen und schwieg. Entsetzen lag in ihren Augen. Ich zog meinen Dolch hervor und setzte seine Spitze auf ihre schlaffe, alte Haut.
„Sprich, Frau, oder ich schwöre beim Allmächtigen Zeus, dass ich dein Augenlicht auslösche, dir die Nägel ausreiße, alles werde ich tun, um dir die Zunge zu lösen. Rede, Aresune, rede!
„Sie würde mich verfluchen, Peleus, und das ist schlimmer als jede Folter“, stammelte sie.
„Der Fluch wäre G*ttlos. Und G*ttlose Flüche fallen auf den zurück, der sie ausspricht. Erzähl mir alles, bitte.“
„Ich war mir sicher, Ihr wüsstet es und wäret einverstanden, Herr. Und vielleicht hat sie Recht, vielleicht ist Unsterblichkeit ja wirklich einem leben auf der Erde vorzuziehen, wenn man dabei nicht alt wird.“
„Thetis ist verrückt“, sagte ich.
„Nein, Herr. Sie ist eine Göttin.“
„Das ist sie nicht, Aresune, ich würde mein Leben darauf verwetten. Thetis ist eine gewöhnliche sterbliche Frau.“
Aresune sah ungläubig drein; ich hatte sie nicht überzeugt.
„Sie hat alle Eure Söhne umgebracht, Peleus, das ist alles. Mit den besten Absichten.“
„Und wie? Gibt sie ihnen Gift?“
„Nein, edler Herr. Viel einfacher. Wenn wir sie auf den Gebärstuhl gehoben haben, schickt sie alle Frauen außer mir aus dem Zimmer. Dann muss ich einen Eimer mit Meerwasser unter sie stellen. Sobald der Kopf hervortritt, taucht sie ihn ins Wasser und hält ihn dort so lange, bis das Kind keine Luft mehr schöpfen kann.“
Meine Fäuste schlossen und öffneten sich. „Deshalb also sind sie alle so blau!“ Ich richtete mich auf. „Geh wieder zu ihr, Aresune, sie wird dich sonst vermissen. Ich gebe Dir meinen Eid als König, dass ich nie enthüllen werde, wer mir das erzählt hat. Ich werde dafür sorgen, dass sie keine Gelegenheit erhält, dir ein Leid anzutun. Beobachte sie. Wenn die Wehen einsetzen, sag mir sofort Bescheid. Hörst Du?“
Sie nickte. Ihre Tränen waren versiegt, und ihr schreckliches Schuldgefühl war verflogen. Sie küsste mir die Hände und trippelte davon.

Ich stand da, ohne mich zu rühren, bei erloschenem Licht. Thetis hatte meine Söhne getötet und wofür? Für irgendeinen verrückten, unmöglichen Traum. Irrglauben. Einbildung. Sie hatte sie ihres Rechts beraubt, zu Männern heranzuwachsen, sie hatte so ungeheuerliche Verbrechen begangen, dass ich sie am liebsten mit meinem Schwert durchbohrt hätte. Aber noch trug sie mein siebtes Kind in ihrem Leib. Das Schwert musste noch warten. Und Rache stand den Göttern der Neuen Religion zu.

Am fünften Tag, nachdem ich mit Aresune gesprochen hatte, kam die alte Frau mit aufgelösten, wild im Wind flatterndem Haar zu mir gerannt. Es war spät am Nachmittag, und ich war zu den Pferdengehegen gegangen, um meine Hengste zu begutachten. Die Paarungszeit stand kurz bevor, und die Stallmeister wollten mir berichten, welches Tier von welchem gedeckt werden sollte.
Mit Aresune auf den Schultern eilte ich zurück in den Palast, wobei ich mir selbst wie eine Art Schlachtross vorkam.
„Was werdet ihr tun?“, fragte sie, als ich sie vor Thetis Tür absetzte.
„Mit Dir hineingehen“, erwiderte ich.
Keuchend schrie sie auf. „Herr, Herr! Das ist verboten!
„Genau wie das Töten“, sagte ich und öffnete die Tür.

Die Geburt ist ein weibliches Mysterium, das nicht durch männliche Anwesenheit entweiht werden darf. Es ist eine ganz eigene Welt, eine Erde, zu der kein Himmel gehört. Als die Neue Religion die Alte ablöste, blieben einige Dinge gleichwohl unverändert; Mutter Kubaba, die Große Göttin, gebietet immer noch über die Dinge der Frauen. Vor allem über all jenes, was mit dem Heranwachsen einer neuen menschlichen Frucht zu tun hat – und ihrem Pflücken, sei es zur Zeit der Reife oder des Vergehens.
Als ich eintrat, bemerkte mich zunächst niemand; ich hatte Zeit zu beobachten, zu riechen, zu hören. Das Zimmer stank nach Schweiß und Blut und nach anderen fremden und für einen Mann abstoßenden Dingen. Die Wehen waren weit fortgeschritten, denn die Frauen des Hauses waren dabei, Thetis vom Bett zum Gebährstuhl zu geleiten, während die Hebammen herumstanden, Anweisungen gaben, sich wichtig machten. Meine Frau war nackt, ihr grotesk angeschwollener Unterleib glänzte. Vorsichtig legten sie ihre Schenkel auf das harte Holz zu beiden Seiten der großen Öffnung in der Sitzfläche des Stuhls, die das Ende des Geburtskanals bilden sollte. Hier sollte der Kopf des Neugeborenen erscheinen und der Körper folgen.
Ein hölzener Wassereimer stand daneben auf dem Boden, aber keine der Frauen würdigte ihn eines Blickes, denn sie wussten nicht, weshalb er dastand.
Dann entdeckten sie mich und eilten mit empörten Gesichtern auf mich zu. Sie nahmen an, der König sei verrückt geworden, und waren entschlossen, ihn zu vertreiben. Ich versetzte der nächsten einen Stoß, der sie niederstürzen ließ; die übrigen wichen zurück. Aresune hatte sich über den Eimer gebeugt. Sie murmelte irgendwelche Zaubersprüche, um das Auge des Bösen zu vertreiben, und rührte sich nicht, als ich die Frauen hinausjagte und den Riegel vor die Tür legte.
Thetis hatte alles gesehen. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, und ihre Augen waren schwarz, aber sie zähmte ihre Wut.
„Geh hinaus, Peleus“, sagte sie leise.
Statt einer Antwort schob ich Aresune beiseite, ging zu dem Eimer mit Seewasser, nahm ihn und schüttete das Wasser auf den Boden.
„Keine Morde mehr, Thetis. Dieser Sohn gehört mir.“
„Mord? Mord? Oh, Du Narr! Ich habe niemanden getötet! Ich bin eine Göttin! Meine Söhne sind unsterblich!“
Ich packte sie bei den Schultern, als sie sich vornübergebeugt auf den Gebährstuhl setzte. „Deine Söhne sind tot, Weib! Sie sind dazu verdammt, wesenlose Schatten zu sein, weil du ihnen keine Gelegenheit gegeben hast, große Taten zu vollbringen, um damit die Liebe und Bewunderung der Götter zu gewinnen. Keine Elysischen Felder, keine Heldentum, kein Platz zwischen den Sternen. Du bist keine Göttin! Du bist eine sterbliche Frau!“
Ihre Antwort war ein gequälter Aufschrei. Sie bog den Rücken durch, und mit den Händen ergriff sie so heftig die Holzlehnen des Stuhls, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Aresune erwachte zum Leben. „Der Augenblick ist da!, rief sie.
„Es kommt!“
„Du wirst es nicht bekommen, Peleus! knurrte Thetis.
Sie fing an, die Beine zusammenzupresssen, entgegen allen ihren Instinkten, die sie eigentlich veranlassten, sie weit zu öffnen. „Ich werde den Kopf zu Mus zerquetschen“, fauchte sie, und dann schrie sie unaufhörlich. „ O Vater! Vater Nereus! Er reißt mich auseinander!“
Die Adern über ihren Brauen traten hervor wie Purpurstränge, Tränen rollten über ihre Wangen, und immer noch kämpfte sie darum, die Beine zu schließen. Obwohl sie fast wahnsinnig vor Schmerzen war, wandte sie ihren ganzen Willen auf und presste ihre Beine unerbittlich zusammen, kreuzte sie und wand sie umeinander, damit sie nicht mehr zu öffnen waren.
Aresune hockte auf dem Boden, mit dem Kopf unter dem Stuhl. Ich hörte, wie sie aufschrie, dann folgte ein schrilles Auflachen.“Ai!Ai!“ kreischte sie. „Peleus, das ist der Fuß. Es wird eine Steißgeburt, der Fuß ist schon da. „Sie krabbelte hervor, stand auf und riss mich mit der Kraft eines jungen Mannes in ihrem alten Arm herum.
„Wollt Ihr eine lebendigen Sohn?“ fragte sie.
„Ja, ja“
„Dann öffnet ihr die Beine, Herr. Er kommt mit dem Fuß zuerst, sein Kopf ist noch unverletzt.“
Ich kniete mich nieder und legte meine linke Hand auf Thetis oberes Knie, dann ließ ich meine Rechte daruntergleiten, um ihr anders Knie zu packen, und zwang sie auseinander.
Thetis hob den Kopf und schleuderte Flüche und Speichel wie einen ätzenden Regen auf mich herab; ihr Gesicht - ich schwöre es - , ihr Gesicht hatte sich, als wir uns anblickten, in das schuppige, keilförmige Antlitz einer Schlange verwandelt. Ihre Knie öffneten sich; ich war zu stark für sie. Wenn das nicht ihre Sterblichkeit bewies, was dann?
Aresune taucht unter meinen Armen durch. Ich schloss die Augen und wartete. Plötzlich ein scharfes, kurzes Geräusch, ein krampfhaftes Keuchen, und dann war der Raum erfüllt von dem Geschrei eines Neugeborenen.
Meine Augen öffneten sich, ungläubig starrte ich Aresune an und das, was sie kopfüber in einer Hand hielt – ein grässliches, nasses, glitschiges Etwas, das hin und herzuckte und bis zum Himmel hoch schrie – Ein Etwas mit einem Penis und Hoden. Ein Sohn? Ich hatte einen lebendigen Sohn!
Thetis saß stumm da, ihr Gesicht leer und unbewegt. Aber ihre Augen waren nicht auf mich gerichtet, sondern auf meinen Sohn, den Aresune jetzt säuberte, von der Nabelschnur befreite und in frisches weißes Linnen wickelte.

„Ein Sohn, der Euer Herz erfreuen wird, Peleus!“, lachte die Hebamme. „Der größte, gesündeste Säugling, den ich je gesehen habe. Ich habe ihn an seinem kleinen rechten Hacken herausgezogen.“
Panik erfasste ich. „Sein Hacken! Sein rechter Hacken, Alte! Ist er gebrochen? Deformiert?“
Sie hob die Wickelbahnen, um mir einen gesunden – linken – Hacken zu zeigen und einen geschwollenen, verletzten Fuß.“ Sie sind beide in Ordnung, Herr. Der Rechte wird verheilen, und die Wundmale werden verschwinden.“
Thetis lachte, ein schwaches, heiseres Geräusch. „Seine rechte Ferse. So hat er also irdische Luft eingeatmet. Sein Fuß kam als erstes… Kein Wunder ,dass er so an mir gezerrt hat. Ja, die Male werden verschwinden, aber der rechte Hacken wird sein Verderben sein. Eines Tages, wenn er ihn stark und sehnig braucht, wird er sich an den Tag seiner Geburt erinnern und ihn im Stich lassen.“
Ich hörte nicht auf sie, streckte nur meine Arme aus. „Gib ihn mir! Lass ihn mich ansehen, Aresune! Herz meines Herzens, Fleisch von meinem Fleisch, mein Sohn! Mein Sohn!“

Ich unterrichtete den Königshof, dass ich einen lebenden Sohn besaß. Dieser Jubel, diese Freude! Ganz Iolkos, ganz Thessalien hatte mit mir die Jahre hindurch gelitten.
Aber nachdem alle wieder gegangen waren, saß ich auf meinem schneeweißen Marmorthron, den Kopf zwischen den Händen, und war so müde, dass ich kaum noch denken konnte. Die Stimmen erstarben allmählich in der Entfernung, und die dunkelste, einsamste Nacht breitete sich aus. Ein Sohn. Ich hatte einen lebenden Sohn, aber ich hätte sieben lebende Söhne haben sollen. Meine Frau war eine Verrückte.

Sie kam barfuß in den kaum erleuchtenden Raum, trug wieder das durchsichtige, fließenden Gewand wie in Skyros. Ihr Gesicht sah alt aus. Langsam ging sie über den kühlen Fliesenboden; ihr Gang verriet, dass ihr Körper schmerzte.
„Peleus“, sagte sie am Fuß des Throns.
Ich hatte Thetis durch meine Hände schauend kommen sehen, jetzt ließ ich sie sinken und hob den Kopf.
„Ich gehe zurück nach Skyros, mein Ehemann.“
„Lykomedes wird dich nicht mehr haben wollen, Weib.“
„Dann gehe ich dahin, wo ich erwünscht bin.“
„Wie Medea, in einem von Schlangen gezogenen Wagen?“
„Nein. Ich werden auf den Rücken eines Delphins reiten.“

Ich sah sie nie wieder.
Im Morgengrauen kam Aresune mit zwei Bediensteten, stellte mich auf die Füße und brachte mich in mein Bett. Eine vollen Umlauf von Phoibos endloser Reise um unsere Welt schlief ich, ohne mich später an einen einzigen Traum zu erinnern, dann erwachte ich mit dem Gedanken, dass ich einen Sohn hatte. Auf Hermes geflügelten Sandalen eilte ich hinauf zu ihm, um gerade noch zu sehen, wie Aresune ihn seiner Amme abnahm – einer gesunden, jungen Frau, die ihre eigenes Kind verloren hatte, wie die Alte ausplauderte. Sie hieß Leukippe: die weiße Stute.
Nun reichte sie ihn mir. Ich nahm ihn in die Arme und fand ihn recht schwer. Doch das war nicht weiter verwunderlich bei einem Kind, das aussah, als sei es aus Gold gemacht. Goldene Locken, goldene haut, goldene Brauen und Wimpern. Die Augen, die mich unverwandt anblickten, waren dunkel, aber ich stellte mir vor, dass sie später einen goldenen Schimmer annehmen würden.
„Wie werdet ihr ihn nennen, Heer?“ fragte Aresune.
Das wusste ich nicht. Er sollte einen eigenen Namen haben, nicht den eines anderen. Aber welchen? Ich betrachtete die Nase, Wangen, Kinn, Stirn, Augen und fand alles vortrefflich geformt. Er sah mehr nach Thetis als nach mir aus. Die Lippen waren allerdings ganz seine, denn er besaß keine; ein gerader Schlitz in seiner unteren Gesichtshälfte, der zugleich wild entschlossen und herzzerreißend traurig wirkte, diente ihm als Mund.
„Achilles“, sagte ich.
Sie nickt zustimmend. „Der Lippenlose. Ein guter Name für ihn, lieber Herr. Dann seufzte sie. Seine Mutter hat ihm geweissagt. Werdet ihr das Orakel in Delphi befragen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Meine Frau ist verrückt; ich glaube nicht an ihre Prophezeiungen. Die Pythia jedoch spricht die Wahrheit. Ich will nicht wissen, was meinen Sohn erwartet.
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#6
Die Ausbildung Achilles'

Chiron erzählt:

Ich hatte einen Lieblingsplatz vor meiner Höhle, die von den Göttern viele Äonen, bevor Menschen auf den Berg Pelion kamen, in den Stein gemeißelt worden war. Er lag am äußersten Ende des Felsens, und ich saß dort viele Stunden auf einem Bärenfell, um meine alten Knochen vor der harten Liebkosung des Steins zu schützen, und blickte über Land und Meer wie ein König, der ich nie war.
Ich war zu alt. Vor allem im Herbst, wenn die Schmerzen anfingen, die Vorboten des Winters. Keiner erinnert sich, wie alt ich wirklich war, ich am allerwenigsten. Es kommt eine Zeit, da die Realität des Alters einfriert und einem all die Jahre und Jahreszeiten nur noch wie eine einzige lange Tageswache auf den Tod vorkommen.

Die Morgendämmerung versprach einen schönen und beschaulichen Tag. Also erledigte ich noch vor Sonnenaufgang meine wenigen häuslichen Pflichten und ging hinaus in die klare graue Luft. Meine Höhle lag hoch oben an der Südseite des Pelion, knapp unter dem Gipfel am Rand eines großen Felsvorspungs. Ich sank auf mein Fell, um die Sonne zu beobachten. Die Aussicht vor mir langweilte mich nie; zahllose Jahre hatte ich von der Spitze des Pelion über die Welt unter mir geblickt, auf die Küste Thessaliens und das Ägäische Meer. Und während ich zusah, wie die Sonne emporstieg, fischte ich eine tropfende Honigwabe aus meiner Alabasterdose mit Süßigkeiten, schob sie in meinen zahnlosen Mund und sog sie hungrig aus. Sie schmeckte nach Wildblüten, Zephirbrisen und Pinienwäldern. Mein Geschlecht, die Kentauren, haben länger auf dem Pelion gelebt, als Menschen zurückrechnen können. Sie haben den Königen Griechenlands als Erzieher ihrer Söhne gedient, denn sie waren einzigartige Lehrer. Ich sage „waren“, denn ich bin der letzte Kentaur; mit mir werden sie aussterben. Im Interesse unserer Arbeit hatten sich die meisten von uns für Keuschheit entschieden, und zudem paarten wir uns ohnehin nur mit unseren eigenen Frauen; doch eines Tages waren die Kentaurinnen ihr unwichtiges Leben leid, packten ihre Sachen und verließen uns. Immer weniger Nachkommen wurden geboren, denn die meisten Kentauren wollten nicht die Mühe auf sich nehmen, nach Thrakien zu reisen, wo sich unsere Frauen den Mänaden angeschlossen hatten und Dionysos huldigten. Und allmählich entstand eine Legende: dass Kentauren unsichtbar seien, denn sie scheuten sich, vor anderen zu erscheinen, weil sie halb Mensch, halb Pferd seien. Ein interessantes Geschöpf, wenn es denn existiert hätte, aber das war nicht der Fall. Kentauren sind einfach nur Menschen.

Mein Name war in ganz Griechenland bekannt: Ich bin der Chiron, der die meisten der Burschen erzogen hat, die später berühmte Helden geworden sind: Peleus und Telamon, Tydeus, Herakles, Atreus und Thyestes, um nur einige zu erwähnen. Das ist allerdings schon lange her, und ich dachte nicht im geringsten an Herakles und seine Sippe, als ich den Sonnenaufgang betrachtete
Pelion ist über und über mit Eschenwäldern bedeckt, die hier größer und gerader wachsen als anderswo. Um diese Jahreszeit sind sie ein schimmerndes, hellgelb leuchtendes Meer, denn jedes einzelne Blatt bewegt sich beim leisesten Windhauch. Unter mir fiel der Felsen steil ab, fünfhundert Ellen, an denen nicht der kleinste grüne oder gelbe Fleck zu entdecken war, doch darunter ragte wieder Eschenwald empor, aus dem Vogelgezwitscher erklang. Menschliche Geräusche hörte ich nie, denn zwischen mir und den Höhen des Olymp befand sich kein Sterblicher. Weit unter mir lag Iolkos, reduziert auf die Größe eines Ameisenreiches – ein gar nicht so weit hergeholter Vergleich, denn die Leute in Iolkos werden Myrmidonen genannt, Ameisen.
Als einzige Stadt auf der ganzen Welt (außer denen in Kreta und Thera, bevor Poseidon sie dem Erdboden gleichmachte) ist Iolkos nicht von Mauern umgeben. Wer würde schon die Heimat der Myrmidonen, dieser unvergleichlichen Krieger, angreifen? Dafür liebte ich Iolkos umso mehr. Mauern empörten mich. In den alten Tagen, als ich noch reiste, konnte ich es nie länger als ein oder zwei Tage aushalten, im Mykene oder Tiryns eingeschlossen zu sein. Mauern waren Gebilde die der Tod aus Steinen errichtete, die aus den Felsbrüchen von Tartaros kamen.
Ich warf die leere Honigwabe fort und langte nach meinem Weinschlauch - geblendet von der Sonne, die ihr rotes Licht über die weite Bucht von Pagasai warf, die goldenen Figuren auf dem Palastdach von Iolkos erglänzen ließ und die Farben der Säulen und Mauern in der Stadt zum Leuchten brachte.

Von Iolkos führte eine gewundene Straße hinauf in meine Abgeschiedenheit aber sie wurde nie benutzt – außer an diesem Morgen. Ich hörte, wie sich ein Fahrzeug näherte. Ärger vertrieb meine Meditation. Ich erhob mich und humpelte los, um dem vermeintlichen Eindringling entgegenzutreten und ihm eine Abfuhr zu erteilen. Es war ein Adliger, der in einem schnellen Jagdgefährt saß, das von zwei thessalischen Brauen gezogen wurde. Auf seinem Hemd trug er die Insignien des Königspalastes. Mit blitzenden Augen und lächelnd sprang er so behände, wie es nur die Jugend vermag, von seinem Wagen und kam auf mich zu. Ich wich zurück; Menschengeruch war mir in jenen Tagen verhasst.
„Der König sendet Euch Grüße, mein Herr“ sage der junge Mann.
„Was ist los, was ist los?“ wollte ich wissen, wobei ich missmutig feststellte, dass meine Stimme rau und brüchig klang.
„Der König hat mich beauftragt, Euch eine Botschaft zu überbringen, edler Chiron. Morgen werden er und sein königlicher Bruder zu euch kommen und ihre Söhne in Eure Obhut geben, bis sie zu jungen Männern herangewachsen sind. Ihr sollt ihnen alles beibringen, was sie wissen müssen.“
Ich erstarrte. König Peleus sollte es besser wissen! Ich war zu alt, um mich mit wilden Bengeln herumzuschlagen, ich unterrichtete nicht mehr, nicht einmal die Nachkommen aus einem so vornehmen Haus wie dem des Aiakos. “Sagt dem König, dass ich durchaus nicht erfreut bin. Ich wünsche weder seinen noch den Sohn von Telamon zu erziehen. Sagt ihm, dass er seine Zeit verschwendet, wenn er morgen in die Berge kommt. Chiron ist im Ruhestand.“
Mit einem Gesicht, das mur Missbilligung ausdrückte, sah der junge Mann mich an. „Edler Chiron, ich traue mich nicht, ihm diese Nachricht zu überbringen. Ich hatte den Auftrag, Euch zu sagen, dass er kommen wird, und den habe ich erfüllt. Ich bekam keine Befehl, eine Antwort auszurichten.“
Als der Bote wieder verschwunden war, ging ich zurück zu meinem Platz, um festzustellen, dass die Aussicht von einem schachroten Schleier überdeckt wurde. Zorn überkam mich. Wie konnte er es wagen anzunehmen, ich würde seine Sprösslingen erziehen, oder den von Telamon? Vor Jahren war es Pelsus selbst gewesen, der Herolde mit der Nachricht, dass Chiron, der Kentaur, sich zurückgezogen habe, durch ganz Griechenland geschickt hatte. Jetzt missachtete er seine eigene Botschaft.
Telamon, Telamon…. Er hatte viele Kinder, aber nur zwei waren seine Lieblinge. Das ältere war ein Bastard, den er mit der trojanischen Prinzessin Hesione gezeugt hatte, er hieß Teukros. Das andere, zwei Jahre jünger, war sein legitimer Nachfolger: Ajax.
Peleus andererseits hatte nur ein Kind, einen Sohn, den seine Königin Thetis nach sechs Totgeburten wundersamerweise lebend zur Welt gebracht hatte. Achilles. Wie alt mochten Ajax und Achilles sein? Sie waren sicherlich noch kleine Jungen. Übel riechend, verrotzt, kaum menschenähnlich. Uhh.
Jegliche Freude wich aus mir. Verdrossen kehrte ich in meine Höhle zurück. Ich würde mich der Aufgabe nicht entziehen können. Peleus war König in Thessalien; ich war sein Untertan und musste ihm gehorchen. Und während ich mich in meinem weiten, luftigen Refugium umsah, überkam mich Angst vor den Monaten und Jahren, die mir bevorstanden. Meine Leier lag auf einem Tisch hinten in der Wohnkammer, ihre Saiten staubbedeckt, weil sie so lange nicht benutzt worden war. Mürrisch und widerwillig betrachtete ich sie, ehe ich sie aufnahm und die Spuren meiner Vernachlässigung fortblies. Die Saiten waren schlaff, ich musste jede einzelne spannen und stimmen; erst danach konnte ich sie spielen.
Ach, und erst meine Stimme! Dahin, dahin. Während Phoibos seinen Sonnenwagen von Osten nach Westen lenkte, sang ich und spielte, versuchte, meine steifen Finger wieder geschmeidig zu machen, streckte Hände und Gelenke, während ich die Tonleiter trällerte. Da es ziemlich unangenehm war, vor den eigenen Schülern zu üben, musste ich vor ihrem Eintreffen eingespielt sein. Und so kam es, dass schon Zwielicht in meiner Höhle herrschte und bereits die stummen, schwarzen Schatten der Fledermäuse herumhuschten, die irgendwo tiefer im Berg ihr Ruche suchten, ehe ich aufhörte zu spielen und zu singen - unsagbar müde, frierend, hungrig und obendrein schlecht gelaunt.

Peleus und Telamon kamen am Mittag. Sie saßen beide im Königswagen, gefolgt von einem weiteren Gefährt und einem rumpelnden Ochsenkarren. Ich ging ihnen auf der Straße entgegen und blieb mit gesenktem Kopf stehen. Es war Jahre her, dass ich den König gesehen hatte, und noch länger war ich Telamon nicht begegnet. Meine Stimmung hob sich, als ich sie näher kommen sah.
Ja, sie waren König, diese Männer strahlten Kraft und Entschlossenheit aus. Peleus war so groß, Telamon so schlank wie immer. Beide hatten ihre Sorgen dahinschwinden sehen, wenn auch erst nach langen Zeiten voller Streit und Krieg. Und die Schmiede des Schicksals hatten in ihren Herzen unauslöschliche Spuren hinterlassen. Das Gold ihrer Haare erstarb allmählich, um dem Silber Platz zu machen, aber an ihren robusten Körpern und in ihren harten, ernsten Gesichtern konnte ich kein Zeichen des Verfalls entdecken.
Peleus stier als erster aus und kam auf mich zu, bevor ich noch zurückweichen konnte; ich verspürte eine Gänsehaut, als er mich liebenswürdig umarmte, doch dann schmolz meinen Abneigung unter seiner warmen Herzlichkeit.
„Früher oder später, Chiron, erreicht man wohl einen Punkt, an dem man aufhört älter auszusehen. Geht es Dir gut?“
„Alles in allem, Herr, sehr gut.“
Wir schlenderten ein wenig von den anderen fort. Ich warf Peleus einen herausfordernden Blick zu.
„Wie könnt ihr mich bitten, wieder zu unterrichten, Herr? Habe ich nicht genug getan? Gibt es denn niemanden sonst, der mit Euren Söhnen umgehen könnte?“
„Chiron, niemand ist besser als du.“ Während er auf mich herabblickte, ergriff Peleus meinen Arm. „Du kannst dir doch sicher vorstellen, wie viel Achilles mir bedeutet. Er ist mein einziger Sohn, es wird keine weiteren geben. Wenn ich tot bin, muss er beide Throne besteigen, also muss er erzogen werden. Ich kann vieles selbst in die Hand nehmen, aber nicht ohne eine solide Grundlage. Nur du kannst sie schaffen, Chiron, und das weißt du auch. Erbkönige haben in Griechenland einen prekären Stand. Es gibt immer Konkurrenten, die nur auf eine günstige Gelegenheit warten.“ Er seufzte. „Und außerdem liebe ich Achilles mehr als mein Leben.“ Wie kann ich ihm die Ausbildung verweigern, die mir zuteil wurde?“
„Das klingt, als würdet ihr den Jungen verzärteln.“
„Nein, ich glaube, er lässt sich nicht verderben.“
„Ich will diese Aufgabe nicht übernehmen, Peleus.“
Stirnrunzelnd wandte er den Kopf zur Seite.“ Es ist töricht, ein totes Pferd zu schlagen, aber willst du die die Jungen nicht zumindest einmal ansehen? Du könntest deine Meinung ändern.“
„Nicht einmal für einen neuen Herakles oder Peleus, Herr. Aber wenn Ihr es wünscht, schaue ich sie mir an.“
Peleus drehte sich um und winkte zwei Burschen heran, die neben dem zweiten Gefährt standen. Langsam kamen sie einer hinter dem anderen näher; den hinteren der beiden konnte ich nicht erkennen. Kein Wunder: Der Knabe vor ihm zog wirklich den Blick auf sich. Dennoch war ich enttäuscht. War das Achilles, der geliebte einzige Sohn? Nein bestimmt nicht. Das musste Ajax sein; für Achilles schien er mir zu alt. Vierzehn? Dreizehn? Er hatte schon die Statur eines Mannes, besaß lange Arme und muskulöse Schultern. Kein übel aussehender Bursche, aber auch nicht außergewöhnlich. Nur ein aufgeschossener Jüngling mit einer leichten Stupsnase und gleichgültigen grauen Augen, in denen kein Funke von wirklicher Intelligenz leuchtete.
„Das ist Ajax“, sagte Telamon stolz. „Er ist erst zehn, obwohl er viel älter aussieht.“
Ich winkte Ajax beiseite.
„Ist das Achilles?“ Meine Stimme klang gepresst.
„Ja“, sagte Peleus bemüht beiläufig. „Er ist auch groß für sein Alter. An seinem letzten Geburtstag ist er sechs geworden.“
Meine Kehle fühlte sich trocken an. Ich schluckte. Schon jetzt besaß er eine ganz eigene Ausstrahlung, einen Zauber, den er unbewusst einsetzte, um sich die Menschen geneigt zu machen. Er war nicht so stämmig wie sein Vetter Ajax, aber doch auch ein großer, gutgebauter Junge. Für sein Alter stand er sehr selbstbewusst da, das Gewicht auf das eine Bein verlagert, das andere anmutig ein kleines Stück davorgesetzt; seine Arme hingen locker, aber nicht ungelenk herab. Er wirkte unbewusst königlich und schien aus purem Gold zu bestehen, mit Haaren wie Helios Strahlen, geschwungenen Brauen wie gelbe Kristalle und einer Haut wie poliertes Edelmetall. Er war sehr schön, bis auf den lippenlosen Mund: schmal wie ein Schlitz und zugleich so herzerweichend traurig und entschlossen, dass er mich dauerte. Ernst sah er mich aus Augen an, die - gelb und umwölkt – die Farbe des späten Morgens hatten; Augen, die erfüllt waren von Neugier, Schmerz, Kummer, Erstaunen und Intelligenz.
Ich schrieb sieben von meinem schwindenden Vorrat an Jahren ab, als ich mich sagen hörte:
„Ich werde sie unterrichten.“


wird fortgesetzt ...
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Es bedanken sich:
#7
Peleus strahlte, und Telamon umarmte mich; sie waren ihrer Sache nicht sicher gewesen.
„Wir könne nicht länger bleiben“, sagte Peleus. „In dem Karren ist alles, was die Jungen brauchen, und ich habe Bedienstete mitgebracht, die dir zur Hand gehen werden. Steht das alte Haus noch?“ Ich nickte.
„Dann können die Diener es als Unterkunft benutzen. Sie haben Befehl, dir aufs Wort zu gehorchen. Du sprichst in meinem Namen.“ Kurz darauf fuhren sie davon.
Während die Sklaven mit dem Entladen des Karrens beschäftigt waren, ging ich zu den Knaben. Ajax stand wie ein Berg da; träge und gefügig, mit blanken Augen. Seinem Dickschädel würde man erst mal ein paar kräftige Schläge verpassen müssen, bevor der Geist darin sich seiner richtigen Funktion bewusst wurde. Achilles sah immer noch die Straße hinunter seinem Vater nach; in seinen Augen schimmerten unvergossene Tränen. Dieser Abschied war für ihn von großer Bedeutung.
„Kommt mit, ihr beiden. Ich bringe euch in euer neues Heim.“ Stumm folgten sie, als ich sie zu meiner Höhle führte und ihnen zeigte, wie gemütlich so ein merkwürdiger Wohnort sein konnte. Ich wies sie auf die weichen Felle hin, auf denen sie schlafen würden, zeigte ihnen den Teil des Hauptraumes, in dem sie mit mir sitzen und lernen würden. Dann ging ich mit ihnen an den Rand des Felsvorsprungs und setzte mich in meinen Stuhl; sie blieben rechts und links von mir stehen.
„Freut ihr euch auf den Unterricht?“, fragte ich, mehr zu Achilles als zu Ajax gewandt.
„Ja, mein Herr“, antwortete Achilles höflich; sein Vater hatte ihm zumindest schon gute Manieren beigebracht.
„Ich heiße Chiron. Und so werdet ihr mich nennen.“
„Ja, Chiron. Vater sagt ich soll mich darauf freuen.“
Ich richtete mein Wort an Ajax. „Auf einem Tisch in der Höhle findest du eine Leier. Bring sie mir – und pass auf, dass du sie nicht fallen lässt.“
Der schwerfällige Bursche sah mich ohne gekränkt zu sein an. „Ich lasse nie etwas fallen“, stellte er sachlich fest.
Ich hob die Brauen und erlaubte mir ein kleines amüsiertes Zwinkern, aber das vermochte in den grauen Augen von Telamons Sohn keine Reaktion hervorzurufen. Stattdesssen tat er wie ihm geheißen, wie ein guter Soldat, der ohne zu fragen jeden Befehl ausführt. Das war das Beste, was ich für Ajax tun konnte, überlegte ich. Aus ihm einen perfekten Soldaten, voller Kraft und Wendigkeit, zu formen. In den Augen von Achilles hingegen entdeckte ich, dass ihm meine kleine Geste der Heiterkeit nicht entgangen war.
„Ajax wird Euch immer genau beim Wort nehmen“, sagte er in jener angenehmen, festen und gemessenen Stimme, die ich schon jetzt so gern vernahm. Er streckte die Hand aus, um auf die Stadt weit unten zu weisen. „Iolkos?“
„Ja.“
Dann muss das dort auf dem Hügel der Palast sein. Wie klein er von hier oben aussieht! Ich dachte immer, der Pelion würde hinter ihm verschwinden, aber von Pelion aus ist er bloß ein gewöhnliches Haus.“
„Das sind alles Paläste, wenn du dich weit genug von ihnen entfernst.“
„Ja, das wird mir jetzt klar.“
„Du vermisst schon Deinen Vater.“
„Ich dachte, ich müsste weinen, aber das ist vorbei.“
„Im Frühjahr wirst Du ihn wieder sehen, und die Zeit bis dahin wird wie im Flug vergehen. Und du wirst keine Gelegenheit zum Müßiggang haben, denn daraus erwachsen Unzufriedenheit, Zwietracht, Boshaftigkeit und Übermut.“
Er holte tief Luft.
„Was muss ich lernen, Chiron? Was muss ich wissen, um ein großer König zu werden?“
„Zu viel um es einzeln aufzuzählen, Achilles. Ein großer König ist eine Quelle des Wissens. Jeder König ist ein Anführer, aber ein großer König weiß, dass er der Vertreter seines Volkes vor G*tt ist.“
„Dann kann ich mit dem Lernen gar nicht früh genug beginnen.“
Ajax kam mit der Leier in der Hand zurück, hielt sie sorgfältig über dem Boden. Es war ein großes Instrument, das eher einer Harfe, wie sie die Ägypter spielen, ähnelte. Es bestand aus dem riesigen Panzer einer Schildkröte, glänzte in allen Braun- und Bernsteintönen und hatte goldene Wirbel. Ich legte die Leier über meine Knie und strich so federleicht über die Saiten, dass nur ein hübscher Klang entstand, aber keine Melodie.
„Ihr müsst die Leier spielen können und die Lieder eurer Völker kennen. Die größte Sünde ist, unkultiviert und ungeschlacht zu erscheinen. Ihr werdet die Geschichte und die Geografie der Welt auswendig lernen, all die Wunder der Natur kenne lernen und die Schätze im Schoß von Mutter Kubaba, die unsere Erde ist. Ich werde euch beibringen, wie man jagt, tötet, wie man mit Waffen kämpft und sich seine eigenen herstellt. Ich werde euch die Kräuter zeigen, mit denen man Krankheiten und Wunden heilen kann, und euch lehren, wie man aus ihnen Medizin macht, und ich werde euch beibringen, gebrochenen Glieder zu schienen. Ein großer König legt mehr Wert auf das Leben als auf den Tod.“
„Auch Redekunst?“, fragte Achilles.
„Ja, natürlich. Wenn wir fertig sind, wird eure Beredsamkeit euren Zuhörern vor Schmerz oder Freude das Herz in der Brust zusammenziehn. Und ich werde euch lehren, Menschen zu beurteilen, Gesetze zu beschließen und sie zu annullieren. Ich werde euch lehren, was die Götter von euch erwarten, denn ihr seid Auserwählte.“ Ich lächelte. „Und das ist erst der Anfang.“
Jetzt nahm ich die Leier, stellte sie auf den Boden und legte die Hände über die Saiten. Ein paar Augenblicke spielte ich nur. Allmählich gewannen die Töne an Kraft, und dann, als der letzte Akkord in der Stille verklang, begann ich zu singen.

Er war allein, umgeben von Feindseligkeit.
Königin Hera breitete düster die Hände aus,
Und der Olymp schüttelte sein goldenes Gebälk,
Als sie ruhelos sich umwandte, um ihn zu beobachten.
Unversöhnlich ihr göttlicher Zorn! König Zeus
In allen seinen Himmeln war machtlos,
Denn versprochen hatte er der ruhmreichen Hera
Ächzende Knechtschaft für seinen Sohn auf Erden.
Eruystheus, ihr kalter und herzloser Günstling,
Lächelte, als er die Rinnen zählte
Vom Schweiß, mit dem Herakles zahlte.
Denn die Kinder der Götter müssen büßen,
Weil die Götter selbst erhaben sind über Vergeltung,
Und das unterscheidet die Menschen
Von den Göttern, die sie zu ihrer Beute machen.
Bastard, der er war, ohne jenen Tropfen Götterblut,
Nahm Herakles den Preis der Leidenschaft auf sich.
Voll Qual und Pein beglich er ihn,
Während Hera lachend zusah, wie Zeus weinte …“

Es war das Lied des Herakles, das auch nach so vielen Jahren noch in mir lebendig war; und während ich sang, beobachtete ich die beiden Knaben. Ajax lauschte aufmerksam, aber Achilles hatte sich gespannt vorgebeugt, das Kinn auf die Hände gestützt, beide Ellbogen auf eine Lehne meines Stuhls gelegt, und seine Augen waren nur eine Hand breit von meinem Gesicht entfernt. Als ich die Leier schließlich weglegte, ließ er die Hände mit einem erschöpften Seufzer sinken.

So begann es, und so ging es weiter, während die Jahre dahinflossen. Achilles stürmte in allem voran, während Ajax gewissenhaft seine Aufgaben erfüllte. Doch Telamons Sohn war kein Narr. Er besaß einen Mut und eine Entschlossenheit, um die ihn jeder König beneiden konnte, und es gelang ihm stets bei allem mitzuhalten. Aber Achilles war mein Knabe, meine Freude. Was immer ich ihm erzählte, er sog es begierig in sich auf – damit er es, wie er lächelnd zu sagen pflegte, benutzen konnte, wenn er ein großer König war.
Er genoss es zu lernen und war auf allen Gebieten hervorragend; konnte die Hände ebenso gut gebrauchen wie den Verstand. Noch jetzt besitze ich einige seiner Tonkrüge und kleinen Zeichnungen.
Aber bei aller Wissbegier – Achilles war geboren, um zu handeln, Kriege zu führen und große Taten zu vollbringen. Selbst körperlich überflügelte er seinen Vetter, denn er war behände wie Quecksilber und sorgte sich um seine Waffen wie eine habgierige Frau um ihren Schmuck. Sein Speer verfehlte niemals das Ziel, und mit dem Schwert war er so schnell, dass ich ihm kaum folgen konnte. Wusch, zisch, zack. O ja, er war geboren, um zu befehlen! Mühelos, instinktiv begriff er das Kriegshandwerk. Jäger, der er war, kam er manchmal mit einem Eber im Schlepptau zurück zu meiner Höhle, der zu schwer war, als dass er ihn tragen konnte; und er war auch in der Lage, eigenhändig einen Hirsch zu erlegen.
Nur einmal sah ich, wie er in Schwierigkeiten geriet, als er seiner Beute mit aller Kraft nachsetzte und dabei so schwer stürzte, dass er einige Zeit brauchte, um wieder zu Sinnen zu kommen. Sein rechter Fuß, so erklärte er, habe versagt.
Ajax konnte gelegentlich außerordentlich zornig werden, doch Achilles habe ich nie seinen Gleichmut verlieren sehen. Obwohl er weder schüchtern noch in sich gekehrt war, besaß er eine innere Ruhe und Zurückhaltung. Ein Krieger mit Verstand. Höchst selten. Nur in einer Beziehung verriet der Schmale Mund, dass es auch eine andere Seite seines Wesens gab:
Wenn er etwas für nicht angemessen hielt, konnte er so kalt und unnachgiebig sein wie der Nordwind, der Schnee mit sich bringt.

Ich genoss diese sieben Jahre mehr als mein ganzes übriges Leben, nicht nur dank Achilles, sondern auch dank Ajax. Die Unterschiede zwischen den beiden Vettern waren so ausgeprägt und ihre Fähigkeiten zugleich so überragend, das es für mich eine mit viel Liebe erfüllte Pflicht wurde, aus ihnen Männer zu machen. Von allen Knaben, die ich unterrichtet habe, liebte ich Achilles am meisten. Als er schließlich für immer fortging, weinte ich, und viele Monde plagte mich Lebensüberdruss wie eine Mücke, die mich so beharrlich heimsuchte wie jene, die einst Io quälte. Es dauerte lange, ehe ich wieder von meinem Stuhl aufsehen und den goldenen Schmuck am Dach des Palastes von Iolkos betrachten konnte, ohne dass ein Schleier vor meinen Augen trat, in dem sich das Gold und die Dachziegel auflösten wie Erz in einem Schmelztiegel.
Im A & O das Geheimnis liegt - Omega siegt!
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#8
The death of patrocles

Oh friend of mine, how to say goodbye
This was your time, but the armor you wore was mine
I will not rest, until HECTORS blood is spilled
His bones will all be broken dragged across the field
This dear friend is how we'll say goodbye
until we meet in the sky


Der Tod von Partroclus

oh mein Freund, wie sage ich dir Aufwidersehen
dies war deine zeit aber die Rüstung die du trugst war mein
ich werde nicht ruhen bist Hektors Blut vergossen ist
seine Knochen werden alle gebrochen sein, über das ganze Schlachtfeld verstreut
dies, lieber Freund, ist wie ich auf wiedersehen sage
bis wir uns im Himmel wiedersehen


Смъртта на Патрокъл

О, мой приятелю, как да кажа сбогом.
Това беше твоето време, но бронята, която носи бе моя.
Hяма да се успокоя докато кръвта на Хектор не се пролее,
Всичките негови кости ще бъдат счупени, разпиляни по полето.
Така, моя приятелю, ще си кажем довиждане,
Докато се срещнем на небето.


La morte di Patroclus (Patroclo)

Oh amico mio, come dire addio
Questa era la tua ora, ma l’armatura che tu
Indossavi era mia, non riposerò finché
Il sangue di Hector non sarà versato
Le sue ossa saranno tutte rotte
Trascinato attraverso un prato
Questo caro amico è quello che diremo
Addio, finché c’incontreremo nel cielo


Patroklus'un ölümü

Ah, dostum, nasýl veda etmeli
Gün senindi, ama kuþandýðýn zýrh benim
Durup dinlenmeyeceðim
Hektor'un kaný akana dek
Tüm kemikleri kýrýlacak
Savaþ alanýnda sürüklenirken
Bu sevgili dostum, bizim vedamýz
Elveda, gökyüzünde buluþana dek


Patroclusin kuolema

Voi, yst„v„ni - kuinka sanoa hyv„sti.
T„m„ oli teid„n aikaanne, mutta haarniskat joilla taistelitte olivat minun.
Mutta min„ en lep„„ -
ennen kuin Hectorin veri on vuodatettu.
Kaikki luunsa murskattu ja maahan kylvetty.
T„m„, rakas yst„v„ni - on hyv„stini.
Kunnes tapaamme taas - taivaalla.
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