Georg Heym - Dionysos
#1
Dionysos

Am Wege sitzt er. An der Felder Schwelle.
Die Winde, die im weißen Korne spielen,
Sie tragen ihm des Landes Würze zu.

Des Ölbaums grüner Schatten folgt der Sonne.
Im Kreise ziehn am Himmel hin die Stunden.
Nun ward es Mittag. Und der Wind schläft ein.

Die Panther stehen müde im Geschirr.
Wo ist ihr Goldglanz, der von India kam,
Der Welt Entzücken. – Sie sind alt und matt.

Der G*tt ist manches Jahr herumgestreift,
Verstoßnen Sklaven gleich, durchs Waldgebirge
Und niemand hat sich seiner mehr erbarmt.

Durch Städte kam er, wo er einst geherrscht.
Die Tempel sind zerstört und schon zerfallen.
Kein Opfer netzt den heilgen Boden mehr.

Durch Dörfer kam er, wo sein Säulchen sonst
Mit Rosen jeden Morgen ward bekränzt
Und wo der Herden Erstling er empfing.

Der Exorzisten Horde in den Kutten
Trieb ihn mit Flüchen aus. Und Scheiterhaufen
Verbrannten seine letzten Söhne lang.

Ein neuer G*tt ist in das Land gekommen.
Des Kreuzwegs Heiligkeit ward frech entweiht
Von seinem Bilde, das am Kreuze hängt.

Nackt, fahl, und wund, so hängt er in dem Tag
Im goldnen Licht des Mittags, anzuschaun,
Ein Schandfleck der geschändeten Natur.

Wo sind die Spiele hin, die Philosophenschulen,
Heros Akademos. Der Männer Schönheit.
Wo ist der Sang der stolzen Olympiaden.

Wo sind die Götter hin. Sie sind verwandelt,
Sie sind zerstreut. Sie wohnen in der Erde.
O Aphrodite, die zur Spinne ward.

Er sieht herüber zu dem Götterberge.
Des eisern Haupt ins Blau des Himmels ragt.
Verlassen ist er. Einsam alle Zeit.

»Warum, warum.« Und seine Hände suchen
Beim Weinlaub Trost, das ihm zu Häupten hängt,
Und zitternd streicheln sie das reife Korn.

Die Tränen rinnen langsam ins Gesicht
Des greisen Gottes, in den Falten hängend.
Und wie ein Kind schläft er vom Weinen ein.

Dryaden zwei, die in den Wald geflohn,
Sie treten aus des Waldes Schatten vor.
Vorsichtig spähn sie über Weg und Feld.

Sie sehn den G*tt und stürzen ihm zu Fuß:
O Vater, Vater. Ach er schläft. Sie tragen
Behutsam ihn zum Walde Schritt vor Schritt.

Die Panther folgen ihres Herren Spur.
Der Zug verzieht im Wald. Ein goldner Schein
Des Wagens schimmert durch die Stämme noch.

Doch atemlos und stumm wird die Natur.
»Er ist gestorben« ruft es in den Dörfern.
Ein heißer Ostwind streicht durch Asia.

Die Pest tritt in die niedren Türen ein.
Vorm Kruzifix zergeißelt sich das Fleisch,
Blut netzt des neuen Gottes bleichen Fuß.

Kehr wieder, G*tt. Kehr wieder aus dem Reich
Des grünen Waldes. Denn erfüllt ist nun
Des neuen Gottes kummervolles Reich.

Der Usurpator muß vom Throne stürzen,
Die Bettlergilde die sich angemaßt,
Der Himmlischen Paläste zu bespein.

Der Himmel ist zum Tollhaus nun geworden.
Krankheit und Wahnsinn herrschen im Olymp.
Drei ward gleich eins. Und Brot ward dort zu Fleisch.

Sie passen in die Königskleider nicht,
Die Zwerge, die wie kleine Affen hocken
Im Götterpurpur auf der Blitze Thron.

Kehr wieder G*tt, dem Pentheus einst erlag.
Du G*tt der Feste und der Jugendzeit.
Kehr wieder aus des Waldes grünem Reich.

Kehr wieder, G*tt. Erlösung, rufen wir.
Erlöse uns vom Kreuz und Marterpfahl.
Tritt aus dem Walde. Finde uns bereit.

Wir wolln dir wieder Tempel bauen, Herr.
Wir wollen Feuer an die Kirchen legen,
Vergessen sei des Lebens 'Traurigkeit.

Wir flehn zu dir in mancher stillen Nacht.
Wir sehen hoffend zu den Sternen auf.
Tritt aus den Sternen. Hör das Rufen, Herr.
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#2
Das Gedicht ist mir zu polarisierend. Ich brauche keinen G*tt, der gnädig wieder herabsteigt. Ich nenne mich nicht mal gerne Atheist, weil mir das schon zu polarisierend klingt, lieber Philosoph, (nur klingt das wieder für manche zu hochtrabend, geht also auch nicht wirklich). Vielleicht sehe ich die Götter ja deshalb nicht, weil ich sie nicht mal so benennen möchte? Für mich ist das Göttliche überall, in jedem Strauch und auch in menschlichen Kindern noch kann ich es erkennen. Die Personifizierung der Götter ist für mich eine Abstraktion, eine Versinnbildlichung, das kann ich auch nachvollziehen. Aber dieses Gedicht ist mir doch schon zu arg. Eine Macht, die retten kann, die kann auch verdammen, es ist ja alles von ihrer Gutwill abhängig. Und wenn sie denn mal Böswill hat?

Zitat:Drei ward gleich eins. Und Brot ward dort zu Fleisch.

Die Zeile allerdings hat was! Ogrins
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#3
Das Gedicht hat ein 15jähriger Junge geschrieben, und das zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Leider ist der Dichter bereits als Kind verstorben – und dafür finde ich das Gedicht sehr beachtlich und eine gelungene Auseinandersetzung mit der vorherrschenden Religion vs. alte Religion. Schau mal unter Georg Heym im Netz nach! Vielleicht hast Du dann einen anderen Blickwinkel zu diesem Gedicht?
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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#4
Ich habe selbst auch Elemente gefunden, die mir nicht zusagen. Es riecht für meinen Geschmack noch zu sehr nach "Erlöse mich".

Es ist jedoch eine schöne Lobeshymne auf PAN, ähm, Dionysos, und enthält vieles, was ich interessant genug fand, um es hier zur Anischt und Diskussion hineinzustellen.


Inte schrieb:Vielleicht sehe ich die Götter ja deshalb nicht, weil ich sie nicht mal so benennen möchte?
Huch? Hat soeben jemand die Sonne geklaut? Uns die Erde unter den Füßen gemopst?
Also ich glaube ich sehe schon Götter Lächeln


Inte schrieb:Eine Macht, die retten kann, die kann auch verdammen, es ist ja alles von ihrer Gutwill abhängig. Und wenn sie denn mal Böswill hat?
Hmm, stimmt das so? Meinst Du gerade eine fiktive Allmacht oder eine beliebige göttliche Macht? Letztere unterliegt doch auch gewissen Einschränkungen (Naturgesetze) und kann eben nicht ungestraft "alles" mit uns machen.

Deine Argumentation würde doch nur ziehen wenn es um eine Allmacht nach Art der Monotheisten ginge; wenn Du dich selbst als klein und schwach ansiehst und nur wenn der übellaunigen Macht ihr eigenes Tun, ihr eigenes Karma völlig egal ist.


Inte schrieb:
Zitat:Drei ward gleich eins. Und Brot ward dort zu Fleisch.

Die Zeile allerdings hat was! Ogrins
Also ein paar mehr schöne Zeilen fand ich da schon, aber ja, diese ist mir auch positiv aufgefallen.

Nachtrag: Ich sehe gerade Paganlords Ergänzungen. 15 Jahre alt war er zu dem Zeitpunkt? Sagenhaft!

Ave Dionysos!

Schöne Grüße

Glückskind
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#5
Ja, Paganlord, ich bin allerdings ziemlich ungebildet in so manchen Gebieten. Traurig Gut, der Schreiber war 15. Und es war Anfang letzten Jahrhunderts. Ich habe jetzt nur bei Wikipedia auf die Schnelle etwas zu ihm gelesen, aber mir durchaus dort schon mal eine schnelle Meinung gebildet. Ein junger Mann, unter der strengen Fuchtel des Vaters zum ungeliebten Beruf gezwungen, gegen den er voller Wut ist, gegen den Beruf wohlgemerkt. Fälschlicherweise ist er nämlich wütend auf die Juristerei, eine Sache. Statt gegen den Vater, der ihn zwingt, etwas zu tun, was er nicht möchte. Hier ist der erste „Fehler“ seines Lebens, die Selbstlüge (meiner Meinung nach). Und eben die treibt ihn auch zu weiterer Polarität, den drängend gewollten Beitritt zum Militär sowie auch zum Inhalt diesen Gedichtes. Für mich auf den schnellen und etwas oberflächlichen Blick ist es die Dauerrebellion eines jungen Mannes, die sich gegen die ihn ureigenst einschränkende und über ihn und sein Leben herrschende Person richten müsste, den Vater, dies aber nicht tut, und der deswegen gegen jedwede sonstige Macht an dessen Statt rebelliert. Sein zweiter Fehler ist meiner Meinung nach, dass er in diesem „Kampf um die eigene Unabhängigkeit“ einen „mächtigen Mitstreiter“ sucht, eigentlich sogar jemanden, der es für ihn an seiner Stelle erledigt.
Nur weil jemand das gleiche Ziel hat, hat man ja noch lange nicht einen gemeinsamen Weg.

Glückskind, ich meine schlechthin jede Macht, die diese über einen anderen ausüben will. Z.B. bei Heym die Macht seines Vaters über ihn. Auch er hätte sich nicht gebeugt, diese Macht nicht respektiert, sondern sie „rücksichtslos ignoriert“, wenn er nicht mit Gutwill oder Böswill des Vaters „gerechnet“ hätte. Man muß aufhören zu rechnen, aufhören, sich in die Rechnung einzufügen, aber auch aufhören, der Polarität „entgegenzutreten“. Was mich hier im Forum immer begeistert, ist die Betonung der Neutralität. Es gibt Naturgesetze, ja. Aber sie sind eben „gesetzt“, es sind gesetzte Regeln (ich beharre hier ein wenig darauf, dass Worte in ihrem „ersten Sinn“ dann auch in einer weiter gespannten Verwendung diesen Sinn letztlich noch wiedergeben, ähnlich wie Symbole einen Sinn beinhalten). Auch in der Natur funktioniert das Leben nach Naturgesetzen, und doch ist die Natur selbst neutral. Und sie neutralisiert.
Ja, und hier verließen sie ihn, bzw. mich. Das muß ich mir erst einmal ganz genau überlegen, wie ich das schreibe, damit ich mich verständlich machen kann, was ich genau meine, oder genauer, ja „nur“ empfinde.
Liebe Grüsse
Inte
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#6
Zitat:Für mich auf den schnellen und etwas oberflächlichen Blick ist es die Dauerrebellion eines jungen Mannes, die sich gegen die ihn ureigenst einschränkende und über ihn und sein Leben herrschende Person richten müsste, den Vater, dies aber nicht tut, und der deswegen gegen jedwede sonstige Macht an dessen Statt rebelliert.

Hallo Inte!

Das mag durchaus sein, was Du zu seiner Persönlichkeit/Entwicklung aufführst. Das will ich gar nicht abstreiten. Sein Gedicht ist eine flammende PAN-Verehrung, die garantiert nicht seiner Persönlichkeit oder irgendeiner Rebellion entspringt. Die Zeilen hat er irgendwo anders her. Ich habe den übrigens auch nicht gekannt, sondern bin auch heute erst auf diesen jungen Mann gestoßen. Unser Glückskind gab auch mir den Wink. :-)

Was Du meinst, werte Inte, das verstehe ich schon. Glaube ich jedenfalls. Winken Ich will Dir sagen, wie ich es sehe.

Da ist zum einen die neutrale Natur, und dann ist da der Mensch (Heym) mit seiner Logik. Diese Logik schafft es selbst dann nicht, werturteilsfrei zu bleiben, obwohl sie gute Absichten besitzt. Das ist dann die anerzogene Verhaltensschablone/Denkschablone. Trotzdem leuchtet durch die Zeilen des jungen Heym etwas durch, ein Licht, das ihn von den anderen Existenzen unterschieden haben muß.
Entweder man findet einen Weg oder man schafft einen Weg!
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#7
Heym hat durch dieses Gedicht seinen Ekel, seine abgrundtiefe Abneigung gegen die Kirche und die gesellschaftliche Entwicklung zum Ausdruck gebracht. Seine Erziehung oder Kindheit hatten keine Auswirkungen auf diese Zeilen. Es ist ein Hilfeschrei nach Altem, Heiligem, als die Erde noch die heidnischen Götter kannte. Und die Natur als solche war/ist die einzig noch "ersichtliche" Gottheit. (Dionysos, Pan)
Manchmal muss man Grenzen überschreiten, um neue Wege zu schaffen!
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#8
Also, nur um das mal kurz klarzustellen. Der Schreiber war nicht 15, sondern ungefähr 23!
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