Wirtschaft
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[b:7d9ee5]WALL STREET[/b:7d9ee5]

Das Vertrauen ist zerstört

[i:7d9ee5]Von Carsten Matthäus [/i:7d9ee5]



Mit Geldgier und Betrug haben amerikanische Banker und Firmenchefs für die größte Vertrauenskrise seit 1929 gesorgt. Der Fall Worldcom hat einen gefährlichen Teufelskreislauf beschleunigt - fallende Börsenkurse und die Dollarschwäche bedrohen die Weltwirtschaft.



Erschreckender könnte eine Zeitungsseite kaum sein: Worldcom gibt einen Bilanzbetrug in Höhe von 3,8 Milliarden Dollar zu, Europas Aktienmärkte brechen ein, der Dollar ist auf Crash-Kurs. Jedes dieser drei Top-Themen des "Wall Street Journal" (Online-Ausgabe) vom Mittwoch wäre schon allein in der Lage, Anleger in Angst und Schrecken zu versetzen.
Gemeinsam belegen sie die größte Vertrauenskrise, die die US-Wirtschaft seit der großen Depression in den dreißiger Jahren erlebt hat. Die Wall Street ist wieder drauf und dran, Amerikas Staatsfeind Nummer eins zu werden. Wie 1929 ist in amerikanischen Medien eine beispiellose Hetzjagd auf diejenigen losgebrochen, die sich in den fetten Jahren die Taschen vollgestopft haben: Firmenchefs, Analysten, Investmentbanker und Wirtschaftsprüfer werden derzeit schon bei kleinen Vergehen brutalstmöglich vorgeführt.



Jüngstes Beispiel ist Lifestyle-Königin Martha Stewart. Die Frau, die in den USA rund eine halbe Milliarde Dollar mit Tipps rund um Geranien und Kaffeesatz verdient hat, wird derzeit durch die Gazetten gejagt, als wäre sie ein Monster der Gier. Der Verdacht: Sie könnte vor dem Verkauf von 4000 Imclone-Aktien einen Insidertipp bekommen haben und damit einem Spekulationsverlust von rund 60.000 Dollar entgangen sein. Neben der Empörung der ganzen Nation bekommt die Star-Hausfrau jetzt auch noch zu spüren, wie der sonst krisenfeste Börsenkurs ihrer Firma Martha Stewart Living Omnimedia in sich zusammenfiel. Allein seit Anfang des Monats brach der Kurs um rund 40 Prozent ein und vernichtete rund 100 Millionen Dollar des Börsenwertes.

Diese harsche Reaktion der Anleger zeigt, wie schlecht es um ihr Vertrauen momentan bestellt ist. Hank Paulson, Chef der Investmentbank Goldman Sachs, findet für die derzeitige Situation keine aufmunternden Worte mehr: "In meinem Leben wurde die amerikanische Wirschaft noch nie so hart auf die Probe gestellt wie zur Zeit. Und - um ehrlich zu sein - sie verdient es nicht besser".



Längst wird von allen Seiten nach radikalen Reformen gerufen, um das bitter nötige Vertrauen in amerikanische Unternehmen und ihre Aktien wiederherzustellen. Stanley O Neal, Co-Chef von Merill Lynch: "Dieser Zynismus geht über berechtigte Skepsis hinaus und könnte leicht zerstörerisch werden". Dummerweise verschließt sich aber noch eine Person dieser Sicht der Dinge: Präsident George W. Bush. Er kommentierte das Börsengeschehen bisher folgendermaßen: "Ich glaube, es gibt einen Überhang an Misstrauen in Hinblick auf den Markt. 95 Prozent der Geschäftswelt ist ehrlich, aber es gibt ein paar faule Äpfel."

Dies ist eine grobe Verniedlichung der Tatsachen. Um im Bild zu bleiben: Die Wall Street ist derzeit mit faulen Äpfeln geradezu gepflastert.

Firmen und ihre Chefs haben keine Möglichkeit ausgelassen, ihren Anlegern Märchen zu erzählen



Neben den spektakulären Fällen wie Enron, Global Crossing, Tyco und Worldcom haben US-Unternehmen aller Branchen ihre Anleger lange über die wahren Geschäfstverhältnisse im Unklaren gelassen. Von Amazon.com bis Yahoo! haben die Gurus der New Economy nur von ihren Pro-Forma-Gewinnen gesprochen und damit die tatsächliche Finanzsituation gekonnt überspielt. Auch andere Firmen haben alle Möglichkeiten der Bilanzierungskunst genutzt, um ihre Milliardengräber unter der Decke zu halten. Als dann AOL Time Warner mit einem Verlust von 54,2 Milliarden Dollar an die Presse ging, wurde auch dem letzten Anleger klar, dass viele Unternehmenszahlen eher von Wunschdenken denn von harten Fakten bestimmt werden. Außerdem sind viele Geschäftsberichte schlicht das Hochglanzpapier nicht wert, auf denen sie Anlegern und Journalisten präsentiert werden. Seit 1997 mussten laut "Economist" fast 1000 US-Firmen ihre Gewinnmeldungen korrigieren, weil diese zuvor falsch oder irreführend waren.

Wirtschaftsprüfer haben nicht geprüft, sondern vertuscht. Und sie tun es weiterhin.

Eigentlich werden Wirtschaftsprüfer dafür bezahlt, die Bilanzen von Unternehmen nachzuprüfen und auf mögliche Unsauberkeiten hinzuweisen. Da aber nicht wenige Prüfungsfirmen gleichzeitig als Berater für die Unternehmen tätig sind, verkehrte sich diese eigentlich sinnvolle Einrichtung teilweise in ihr Gegenteil: Die Buchhalter in den Firmen bekamen von den eingekauften Bilanzexperten die Tricks und Kniffe beigebracht, mit denen es auch für die besten Zahlenleser unmöglich ist, die Leichen im Keller noch zu finden. Eine traurige Berühmtheit erlangte Arthur Andersen als Schredder-Gehilfe des Milliardenpleitiers Enron. Doch die sonst so diskrete Prüfergilde ist nicht etwa bereit, Wirtschaftsprüfung und Beratung voneinander zu trennen. Mit rund vier Millionen Dollar an Wahlkampfhilfen haben sie laut "Business Week" dafür gesorgt, dass ein entsprechender Gesetzesentwurf abgewürgt wurde. Die Wirtschaftszeitung fragt deshalb in der Überschrift: "What Cleanup?" (Welche Säuberungsaktion?)



Nicht allein Henry Blodget von Merrill Lynch oder Jack Grubman von Salomon Smith Barney waren mehr Werbefiguren als Analysten. Die Irreführung der Anleger hatte System, um damit lukrative Aufträge für Börsengänge oder Firmenkäufe an Land zu ziehen. Dazu verkauften die meisten Banken die Geschichte der unüberwindlichen chinesischen Mauer zwischen Investment Bankern und Analysten. Diese Mauer bestand, das weiß man spätestens seit der Anklageschrift des New Yorker Staatsanwalts Eliot Spitzer, nicht einmal aus Reispapier. Um wieder Vertrauen zurückzugewinnen, müssten die Banken ihre Investmentabteilungen komplett vom restlichen Bankgeschäft abspalten. Davon ist bisher noch nichts zu sehen. Im Gegenteil - selbst der "schlechteste Analyst aller Zeiten" ("Money Magazine" über Jack Grubman) wird von seiner Bank noch als wertvoller Mitarbeiter bezeichnet und bekommt weiter sein Millionengehalt bezahlt.


Es klingt zunächst Vertrauen erweckend, dass die US-Börsenaufsicht fast täglich neue Ermittlungen gegen Bilanzsünder ankündigt. Viel Erfolg darf man sich von der chronisch unterbesetzten unterbezahlten und überforderten Behörde allerdings nicht erwarten. Gerade einmal 100 Anwälte sind bei der SEC beschäftigt, um die finanziellen Machenschaften der rund 17.000 börsennotierten Unternehmen zu durchleuchten. Einer der Chefprüfer der Behörde gab kürzlich zu, dass nur eines von 15 eingehenden Zahlenwerken überhaupt angeschaut wird.

Es sind also nicht nur ein paar faule Äpfel. Wegen des Fäulnisgestanks läuft die Wall Street und damit die gesamte US-Wirtschaft Gefahr, in einen Teufelskreis zu geraten. Fließt nämlich immer weniger Kapital in die USA, wird das den Dollar als internationale Leitwährung weiter schwächen. Eine Abwertung des Dollar wirkt vernichtend auf den Wert der Aktien für ausländische Anleger. Die Folge: Sie ziehen weiter Kapital aus den USA ab und die Kurse an der Wall Street brechen ein. Das wiederum trifft ins Herz der amerikanischen Wirtschaft, denn Amerikaner halten eine großen Teil ihres Vermögens in Wertpapieren. Sinkt der Wert ihres Depots, werden sie weniger konsumieren. Da rund 70 Prozent der US-Wirtschaft vom inländischen Konsum getragen werden, ergibt das ein ernstes Problem für die US-Wirtschaft.

Stephen Roach, Chefökonom von Morgan Stanley befürchtet, dass dieser Teufelskreis einen neuen Abschwung der US-Wirtschaft einläuten könnte. "Der Dollar profitierte von den Stärken der US-Wirtschaft, jetzt könnte er das Opfer ihrer Schwächen werden." Sollte sich die Dollarschwäche fortsetzen, so ist laut Roach erneut eine "harte Landung" der US-Konjunktur in Sicht.


[i:7d9ee5]Anmerkung: das sind doch wirklich mehr als deutliche Zeichen![/i:7d9ee5]

Quelle: <a href="http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,202728,00.html]spiegel online</a>





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Wirtschaft - von Sothis - 08.04.12002, 08:01
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