Der Bananenquark in der Bückzone
#5

Gegen den Uhrzeiger erhöht den Umsatz
Erinnern Sie sich, auf welcher Seite Sie den Laden betreten haben? Richtig: rechts. Menschen ziehen es vor, einen Laden im Gegenuhrzeigersinn zu begehen, deshalb werden die Eingänge meist rechts angelegt. Der Grund für diese eigentümliche Vorliebe ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Sie soll auf der Asymmetrie unseres Hirns beruhen.
Sorensen wollte wissen, ob sich aus der Bewegungsrichtung der Kunden wirklich ein Vorteil ergibt. Also verglich er in einem Testladen den Einkauf von Leuten, die linksherum und rechtsherum kreisten. Das Resultat war eindeutig: Wer im Gegenuhrzeigersinn durch den Laden ging, gab durchschnittlich 26,59 Dollar aus, wer sich im Uhrzeigersinn bewegte, 23,96 Dollar. Die Linksdreher sorgten für zehn Prozent mehr Einnahmen.
Sorensen studierte weitere 104 Supermärkte – 57 mit dem Eingang rechts, 22 mit dem Eingang in der Mitte, 25 mit dem Eingang links. Weil er keinen Zugang zu den vertraulichen Umsatzkanten hatte, zählten er und seine Mitarbeiter die Anzahl der Kunden im Laden, die Anzahl der geöffneten Kassen und die Anzahl der Autos auf dem Parkplatz. Sorensen nahm an: je höher diese Werte, desto höher der Umsatz. Bei den Läden mit dem Eingang rechts gab es 13 Prozent mehr Kunden, 4 Prozent mehr offene Kassen und 23 Prozent mehr parkende Autos.
Sie sind immer noch auf der Rennbahn. Neben dem Bier stehen die Chips. Chips standen nicht auf Ihrem Einkaufszettel, aber just nach dem Bier kommen Gedanken an einen gemütlichen Fernsehabend auf. Sie greifen sich einen Beutel.
Ihr Chips-Kauf gehört zu jenen siebzig Prozent der Kaufentscheide, die erst im Laden fallen. In der Tendenz zu ungeplanten Käufen liegt der Unterschied zwischen Einkaufen und Schopping. Einkaufen, das war, als Sie ein rotes T-Shirt wollten und mit einem roten T-Shirt den Laden verließen. Schopping ist, wenn Sie ein rotes T-Shirt wollen und mit blauen Hosen, grünen Socken und „3 für 2“-Kleiderrollern aus dem Laden kommen. Werbung kann die Leute anlocken, doch ob aus ihnen Käufer werden, entscheidet sich erst an Ort und Stelle. Die Entscheidungsschlacht um den Euro des Kunden findet vor dem Regal statt. Weil die Umsätze im Einzelhandel schwinden, wird heute nichts unversucht gelassen, den Kunden zu Spontankäufen zu verführen.
Die Erkenntnis, daß der Laden selbst sowie die darin dargebotenen Produkte genauso wirksame Marketinginstrumente sind wie Fernsehwerbung oder Sponsoring, ist neu und vielversprechend. „Eine Investition in die Regalpräsentation ist nachhaltiger als ein Dreißig-Sekunden-Fernsehspot“, sagt Bert Obermüller von der auf Ladenmarketing spezialisierten Firma Point-Of-Purchase Advertising International.

Die Gefahr lauert in den Gängen
Enge Durchgänge bedeuten Gefahr, da ist der Schopper ganz Mammutjäger geblieben – egal, ob die Wände aus Fels oder aus Katzenfutter bestehen. Sorensens typische Einkaufsrouten zeigen, daß er sich von der Rennbahn aus nur auf kurze Exkursionen in einen Gang begibt und dann auf dem gleichen Weg wieder flüchtet. Das führt dazu, daß die Produkte am Anfang und am Ende eines Ganges bis zu zehn Prozent mehr Kundenbesuche erhalten als jene in der Mitte.
Die Geschwindigkeit der Kunden ist dabei am Anfang des Ganges am höchsten. Diese „Anlaufzone“ ist ein blinder Bereich, der gern übersehen wird. Der Hotspot jedes Regals sollte nach Ansicht der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg aus München etwa nach einem Drittel der Ganglänge liegen, wo die Kunden langsamer werden und sich orientieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Regal Pfeffer oder Margarine steht. „Abgesehen von einigen Ausnahmen ist das Bewegungsverhalten der Kunden im Laden unabhängig von den Produkten, die sie vor sich haben“, sagt Sorensen.
Früher tendierte man dazu, den Fluß der Schopper durch den Laden vor allem durch die Plazierung der Waren zu steuern. In seinem einflußreichen Buch „Modern Supermarket Operation“ empfahl Edward Brand schon 1963, das Fleisch beispielsweise hinten anzubieten, um die Kunden durch den ganzen Laden zu zwingen oder durchgehende Regale aufzustellen, damit keine Abkürzungen möglich sind. Auch heute werden solche Tricks noch angewendet, aber der Kunde reagiert empfindlich auf die Einschränkung seiner Bewegungsautonomie.
In einem Lebensmittelgeschäft die Milch nur ganz hinten anzubieten ist ein riskantes Spiel. Wer bloß Milch, Brot und eine Fertigpizza kaufen will, wird auf längere Sicht ein anderes Geschäft wählen, das es ihm einfacher macht, diese Produkte zu finden. Sorensen hält es für sinnvoller, die Lieblingsrouten verschiedener Kundengruppen zu studieren und ihnen nach ihren Bedürfnissen die entsprechenden Waren an den Weg zu stellen. Viele Lebensmittelläden bieten mittlerweile Sandwiches, Fertigmahlzeiten und eine Auswahl an Getränken irgendwo entlang dem direkten Weg zwischen Eingang und Kasse an.
Aber Sie wollten ja Konfitüre. Wo finden Sie die bloß?
Die Zahl der im Supermarkt angebotenen Artikel explodierte von etwa 6.000 in den achtziger Jahren auf über 40.000 heute. In Deutschland haben sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der Artikel um bis zu 130 Prozent und die der Produktvarianten um bis zu 420 Prozent erhöht. Die Produktlebenszyklen wurden im gleichen Zeitraum um bis zu 80 Prozent verkürzt.
Ein großes Sortiment steht zwar tatsächlich ganz oben auf der Wunschliste der Kunden. Doch zeigte sich spätestens Mitte der neunziger Jahre, daß die Auswahl der Artikel häufig gar nicht ihren Bedürfnissen entsprach. Es waren die Hersteller, die mit immer neuen Varianten eines erfolgreichen Produkts in die Regale drängten. Für den Kunden entstand daraus ein Wirrwarr aus ähnlichen Artikeln und für die Wissenschaft ein neues Forschungsgebiet: Consumer Confusion.

Wer braucht schon 300 Sorten Konfitüre?
Sind Sie endlich bei den Konfitüren angekommen? Viel Vergnügen! Selbst kleine Supermärkte bieten heute Dutzenden von Sorten an. In einem großen Coop-Center sind es etwas über 130, beim Delikatessenhändler Draeger’s in Menlo Park, Kalifornien, bereits mehr als 300. Darüber hinaus gibt es 250 Sorten Senf und 75 Sorten Olivenöl.
Wäre Ihnen geholfen, wenn Sie die Konfitüren probieren könnten? Bei Draeger’s ließ man Kunden im Rahmen eines Experiments eine unterschiedliche Anzahl Konfitüren kosten. Zwar fühlten sich von der größeren Auswahl mehr Kunden angesprochen, aber mehr verkauft wurde deshalb nicht. Im Gegenteil: Wenn 24 Konfitürensorten verkostet werden konnten, kauften nur zwei Prozent der Kunden ein Glas, bei sechs Sorten kauften immerhin 12 Prozent. Und es kam noch schlimmer: Wer 24 Konfitüren zur Auswahl hatte, war nach dem Kauf unzufriedener. Er hatte sich nämlich nicht nur für eine Konfitüre entschieden, sondern auch gegen die 23 anderen. Die Tyrannei der freien Wahl zeigt sich vor einem Regal mit über 300 Sorten Konfitüren vor ihrer grausamsten Seite.
Was stand da noch auf Ihrem Einkaufszettel? Ahornsirup? Wo könnte der nun wieder stehen?
Sie schieben Ihren Wagen weiter über die Rennbahn und kommen zu den Weinregalen. Wollten Sie nicht Freunden eine Flasche mitbringen? Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ säuseln Ihnen ins Ohr. Sie ergreifen eine Flasche Tignanello für 50 Euro. Hätte der Supermarkt Madonna gespielt, wäre Sie das Geschenk billiger zu stehen gekommen. Das war jedenfalls das Resultat eines Experiments in einer amerikanischen Weinhandlung. Begleitet von leichter Klassik, kauften die Kunden dreimal teurere Flaschen als bei Popmusik.
Sie können noch von Glück reden, daß keine bayrische Blaskapelle aus den Lautsprechern klang, sonst müßten Sie Ihren Freunden vielleicht mit einer Flasche Kröver Nacktarsch gegenübertreten. Als ein englischer Supermarkt in seiner Weinabteilung deutsche Volksmusik spielte, kauften die Kunden zu zwei Dritteln deutsche Weine, hörten sie französische Akkordeonmusik, zu über achtzig Prozent französische. Bei diesen Resultaten ist jedoch Vorsicht geboten. Beschallung im Laden ist ein heikles Thema.
Aber Sie wollten ja Ahornsirup.
Eine Möglichkeit, dem Kunden die Suche zu erleichtern, besteht darin, die Waren nach Bedürfnissen zu ordnen. Das mag man für eine triviale Idee halten, doch die Einzelhändler hatten sie erst Mitte der neunziger Jahre. Zuvor teilten sie die Produkte nach technischen Gesichtspunkten oder nach Vorgaben der Lieferanten ein: den Kinderlöffel zu den Haushaltswaren, den Apfelbrei zu den Konserven und die Windeln zu den Papierwaren. Seit sich aber zertifizierte „Category Manager“ der Sache angenommen haben, sieht die Sache schon ganz anders aus.
Wer noch nie in einem Supermarkt nach Ahornsirup fahndete, hat sich wohl auch noch nie Gedanken darüber gemacht, auf wie viele verschiedene Arten sich 40.000 Produkte in ein paar Kilometer Regale einordnen lassen. Für die meisten Leute gehören Supermärkte zur erweiterten Natur. Doch Einzelhändler können nächtelang darüber brüten, ob die Spaghetti nach der „mehrheitsfähigen Kundensuchlogik“ in Gang vier oder Gang fünf gehören. Und wohin gehört der Ahornsirup? Zum Himbeer- und Zitronensirup, weil er ähnlich heißt? Zum Zucker, weil er ihn ersetzen kann? Zum Honig, weil er ähnlich verwendet wird? Alles falsch: Bei den Backwaren finden Sie ihn schließlich, zwischen Tortenguß und Kakaopulver.
Bei der Warenplazierung geht es aber nicht nur darum, wo ein Kunde ein bestimmtes Produkt erwartet, sondern auch darum, welche Produkte sich gemeinsam präsentiert besser verkaufen als jedes für sich. Um sie zu finden, schürfen Statistiker in einem Meer von Einkaufsdaten nach Artikeln, die überdurchschnittlich häufig auf demselben Kassenbon auftauchen. Die Kosmetik lebt zum Beispiel häufig in Symbiose mit der Glückwunschkarte, der Schinken mit der Melone. Bei der Tengelmann-Kette werden Tiernahrung und Spielwaren als eine Kategorie aufgefaßt – schließlich besitzen Familien überdurchschnittlich oft Haustiere.

Die Windeln neben dem Bier
Bei der berühmtesten aller Produktallianzen, jener zwischen Bier und Windeln, dürfte es sich allerdings um eine moderne Legende handeln: In den neunziger Jahren habe die amerikanische Wal-Mart-Kette angeblich herausgefunden, daß Windeln überdurchschnittlich häufig gemeinsam mit Bier gekauft würden, heißt es immer wieder. Eine Erklärung war auch schnell gefunden: Junge Väter gehen nicht mehr so oft in die Kneipe, also kaufen sie ihr Bier im Supermarkt, und vor dem Einkauf rufen ihnen ihre Frauen hinterher: „Bring noch Windeln mit!“ Obwohl dieses Beispiel in vielen Lehrbüchern steht, halten es Experten für eine Erfindung.
Sie sind inzwischen vor dem Regal mit der Zahnhygiene angekommen. Was stand da noch auf Ihrem Einkaufszettel? Richtig, Zahnpasta. Sie finden sie ganz oben im Regal. Als Sie danach greifen, sehen Sie auf Augenhöhe die Zahnbürsten. Soll man die nicht alle drei Monate auswechseln? Sie legen eine Zahnbürste in den Wagen. Der Händler hat Sie eben zu einem Spontankauf verführt. Das Zusammengehen von Zahnpasta und Zahnbürste ist natürlich banal, der Trick liegt in diesem Fall in der Präsentationshöhe. Hätte nämlich die Zahnpasta auf Augenhöhe gestanden und die Zahnbürste ganz oben, die Zahnbürste wäre wohl im Regal geblieben. Das zeigte ein Versuch in sechzig Supermärkten in Chicago, bei dem diese zwei Varianten getestet wurden. Das Resultat: Auf Augenhöhe verkauften sich die Zahnbürsten um acht Prozent besser, ohne daß die Zahnpasta weiter oben im Gestell etwas einbüßte.


Wird fortgesetzt...

Dem Schlechten mag der Tag gehören - dem Wahren und Guten gehört die Ewigkeit. (F. v. Schiller)
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Es bedanken sich: Violetta , Anicca777


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Der Bananenquark in der Bückzone - von Eiche - 04.02.12007, 22:43
RE: Der Bananenquark in der Bückzone - von verdandi - 12.01.12020, 00:14
[Kein Betreff] - von Shopping - 05.02.12007, 14:06
[Kein Betreff] - von Nuculeuz - 05.02.12007, 16:29
[Kein Betreff] - von WeblicherGedanke - 07.02.12007, 16:46
[Kein Betreff] - von Eiche - 08.02.12007, 23:48
[Kein Betreff] - von WeblicherGedanke - 10.02.12007, 10:49
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[Kein Betreff] - von Alexis - 06.03.12007, 16:09

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